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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.08.2001
Aktenzeichen: 3 ObOWi 51/01
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 130 Abs. 1
1. Ein Unternehmer kann sich seiner in § 130 Abs. 1 OWiG normierten Aufsichtspflicht nicht dadurch entziehen, dass er in seinem Betrieb eine Aufsichtsperson mit der Überwachung der Beschäftigten beauftragt.

2. Kennt oder versteht ein Betriebsinhaber wesentliche für seinen Geschäftsbetrieb geltende Bestimmungen nicht, so entfällt deswegen nicht seine Überwachungspflicht. Vielmehr muß er sich entweder die für seine Überwachungsaufgabe erforderlichen Kenntnisse verschaffen oder er hat ein innerbetriebliches Kontrollsystem zu organisieren, das er extern, etwa durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, überwachen lässt


Tatbestand:

Die Oberfinanzdirektion erließ am 17.2.2000 gegen die Verfahrensbeteiligte einen Bußgeldbescheid, in dem dieser zur Last gelegt wurde, infolge fahrlässiger Verletzung ihrer Aufsichtspflicht in den Jahren 1998/99 Sweatshirts, Kinderbekleidung, T-Shirts und Blusen in der Bundesrepublik Deutschland in den zollrechtlich freien Verkehr überführt zu haben, ohne im Besitz der erforderlichen Einfuhrgenehmigungen gewesen zu sein. weiter wurde ihr angelastet, dass deswegen in ihrem Betrieb in neun Fällen die Genehmigungsbescheide nicht aufbewahrt wurden. Festgesetzt wurde eine Geldbuße von 25000 DM.

Auf ihren Einspruch hin sprach sie das Amtsgericht Nürnberg am 15.2.2001 von diesem Vorwurf frei. In diesem Urteil ist ausgeführt, die Hauptverhandlung habe zwar zur Feststellung der objektiven Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht geführt. Jedoch beruhten diese nicht auf einer Aufsichtspflichtverletzung durch Verantwortliche der Verfahrensbeteiligten.

Die auf die Verletzung des sachlichen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Gründe:

Aus der angefochtenen Entscheidung wird nicht deutlich, ob der Amtsrichter in objektiver Hinsicht eine Verletzung der Aufsichtspflicht durch den Geschäftsführer bejaht oder ob er sich mit dieser Frage nicht befasst hat, weil aus seiner Sicht die festgestellten Verstöße nicht auf einer etwaigen Verletzung der Aufsichtspflicht durch den Geschäftsführer beruhten. Die bisherigen Feststellungen des Amtsrichters lassen aber keinen Zweifel daran, dass der Geschäftsführer jedenfalls objektiv seine Aufsichtspflicht vernachlässigt hat.

Soweit der Amtsrichter darauf abstellt, dass den Geschäftsführer bei der Einstellung des Zeugen U. kein Auswahlverschulden treffe, bleibt schon unklar, worauf diese Annahme beruht. Denn in der angefochtenen Entscheidung sind weder Feststellungen zu dem Wissen des Zeugen über die hier interessierenden Importbestimmungen noch zu dem Maß der Sorgfalt enthalten, das der Zeuge bei der Arbeit anzuwenden pflegt. Ebenso wenig ergibt sich aus ihr, wie sich der Geschäftsführer der Verfahrensbeteiligten, der geltend macht, das Außenwirtschaftsrecht nicht zu kennen, allein aufgrund von "Referenzen" und des "Auftretens" des Zeugen U. ein Bild von dessen Qualifikation machen konnte. Im übrigen übersieht der Amtsrichter, dass auch die gewissenhafte Auswahl eines Arbeitnehmers den Unternehmer nicht von seiner Pflicht entbindet, diesen zu Überwachen. Denn § 130 Abs. 1 Satz 1 OWiG beschränkt die Aufsichtspflicht nicht auf einen bestimmten Personenkreis unter den Arbeitnehmern. Vielmehr verpflichtet diese Bestimmung den Unternehmer ganz generell, die Aufsichtsmaßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um im Betrieb Verstöße gegen die Pflichten des Inhabers zu verhindern. Dies hat zur Folge, dass neu eingestelltes Personal zunächst intensiv zu überwachen ist. Denn erst dann kann zuverlässig beurteilt werden, ob es den betrieblichen Anforderungen genügt. Entbehrlich ist diese Überwachung des Personals aber auch dann nicht, wenn es sich bereits als qualifiziert und pflichtbewusst erwiesen hat.

Ebenso wenig kann sich der Unternehmer seiner in § 130 Abs. 1 OWiG normierten Aufsichtspflicht dadurch vollständig entziehen, dass er in seinem Betrieb eine Aufsichtsperson mit der Überwachung der Beschäftigten beauftragt. Denn § 130 Abs. 1 Satz 2 OWiG verpflichtet den Betriebsinhaber ausdrücklich auch zur Überwachung der Aufsichtspersonen (vgl. dazu etwa BGH NStZ 1986, 34; OLG Düsseldorf VRS 63, 286; OLG Hamm VRS 40, 129; OLG Koblenz VRS 65, 457). Er hat deswegen den Betrieb organisatorisch entsprechend zu gestalten, wenn er selbst zur Durchführung der Kontrollen nicht in der Lage ist (OLG Hamm GewArch 1974, 190). Deswegen liegt im Unterlassen jeglicher Überwachung ein Verstoß gegen die in § 130 Abs. 1 OWiG normierte betriebliche Aufsichtspflicht (OLG Hamm NStZ-RR 1997, 21). Kennt oder versteht ein Betriebsinhaber, wie dies der Geschäftsführer von sich behauptet, wesentliche für seinen Geschäftsbetrieb geltende Bestimmungen nicht, so entfällt deswegen nicht seine Überwachungspflicht. Vielmehr stehen ihm zu deren Erfüllung zwei Wege offen. Er kann sich entweder die für seine Überwachungsaufgabe erforderlichen Kenntnisse verschaffen, um seinen Pflichten selbst nachkommen zu können, oder er hat ein innerbetriebliches Kontrollsystem zu organisieren, das er extern, etwa durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, überwachen lässt. Der Unternehmer etc. hat seiner Aufsichtspflicht zwar nur in zumutbarer Weise nachzukommen (vgl. z.B. BGHSt 9, 319/323). Das Gebot der Zumutbarkeit führt aber nicht im Einzelfall zu dem Ergebnis, dass jede Aufsichtspflicht in einem Betrieb entfällt, weil ihre Ausübung dem Inhaber nicht zuzumuten ist, sondern es begrenzt nur deren Art und Ausmaß. Lässt also etwa die Gewinnsituation eines Betriebes die Organisation einer internen Kontrolle mit externer Überwachung nicht zu, sieht sich aber der Inhaber andererseits aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage, den Inhalt der für seinen Betrieb wesentlichen Vorschriften zu erlernen und/oder deren Beachtung innerbetrieblich durchzusetzen, so verstößt er damit gegen seine Aufsichtspflicht.

Unzureichend sind auch die Erwägungen, auf die der Amtsrichter seine Ansicht stützt, die vorgeworfenen Verstöße beruhten nicht auf einer Aufsichtspflichtverletzung Verantwortlicher der Verfahrensbeteiligten. § 130 Abs. 1 Satz 1 OWiG verlangt schon seinem Wortlaut nach nicht die Feststellung, dass innerbetriebliche Verstöße ihre Ursache in einer Verletzung der Aufsichtspflicht haben. Vielmehr ist dieser Tatbestand schon dann erfüllt, wenn eine Zuwiderhandlung durch gehörige Aufsicht wesentlich erschwert worden wäre (vgl. dazu etwa BGHSt 25, 158/163; OLG Stuttgart NJW 1977, 1410). Im vorliegenden Fall ist der objektive Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung also verwirklicht, wenn festgestellt wird, dass eine angemessene und diesem bewusste Überwachung des Zeugen die verfahrensgegenständlichen Verstöße jedenfalls weitgehend verhindert hätte. Dies liegt hier nahe. Denn derartige Kontrollen decken im allgemeinen rechtzeitig sich anbahnende Verstöße auf. Zudem arbeitet ein Beschäftigter in aller Regel sorgfältiger, wenn er weiß, dass er überwacht wird.

Anhaltspunkte dafür, dass solche Kontrollen ohne Einfluss auf den Arbeitsstil des Zeugen geblieben wären, lassen sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Im übrigen hätte der Betroffene mit einer Neubesetzung der Stelle reagieren müssen, wenn im Rahmen der Kontrollen eine Unbelehrbarkeit des Zeugen zutage getreten wäre.

Unzutreffend ist ferner die Auffassung des Amtsrichters, dass der Geschäftsführer seiner Aufsichtspflicht mit einer Kontrolle des Zeugen in der Form einer stichprobenweisen Überprüfung durch einen sachkundigen Dritten "höchstens einmal jährlich" genügt hätte.

Seine Ansicht, bis zu den Feststellungen des Wirtschaftsprüfers seien keine Unregelmäßigkeiten bekannt geworden, lässt außer Betracht, dass gegen die Verfahrensbeteiligte nach den Angaben ihres Vertreters wegen derartiger Verstöße bereits eine Geldbuße verhängt worden war. Seither im Betrieb der Verfahrensbeteiligten begangene Verstöße konnten ihrem Vertreter nicht bekannt werden, weil keine Kontrollen stattfanden. Aus dem Umstand, dass solche Pflichtverletzungen bis zur letzten Außenwirtschaftsprüfung nicht bekannt geworden waren, lässt sich dementsprechend nichts zu Art und Umfang der erforderlichen Kontrollmaßnahmen herleiten. Wegen unzureichender Feststellungen ist auch die Berechnung des Amtsrichters nicht nachvollziehbar, dass nur bei ca. 1 % "der überprüften und im übrigen als ordnungsgemäß erachteten Einfuhrabwicklungen" Verstöße festgestellt worden seien. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen betrug der Einfuhrwert der importierten Waren im Jahr 1998 15381000 DM. Nimmt man für 1999 eine entsprechende Entwicklung an, so betrug der Einfuhrwert vom 1.1.1998 bis 31.5.1999 21789750 DM. Da innerhalb dieses Zeitraums Importe mit einem Einfuhrwert von 345651 DM beanstandet wurden, sind dies rund 1,6 % der gesamten Importe. Doch liegt es nahe, dass nicht alle Einfuhren genehmigungspflichtig waren und zudem der Prüfer nicht alle derartigen Einfuhren kontrolliert hat.

Auch in Fällen, in denen keine gesteigerte Aufsichtspflicht anzunehmen ist (vgl. dazu z.B. BGHSt 9, 319/323; OLG Düsseldorf VRS 63, 286; OLG Koblenz VRS 65, 457), reicht eine einmalige jährliche Kontrolle nicht annähernd aus, weil sie das in § 130 Abs. 1 Satz 1 OWIG normierte Ziel der innerbetrieblichen Aufsicht, nämlich firmeninterne Verstöße zumindest wesentlich zu erschweren, nicht verwirklichen kann. Erforderlich ist deswegen mindestens eine Kontrolle, die einen so erheblichen Teil der Tätigkeit des Personals erfasst, dass sie zum einen von ihm als Kontrolle wahrgenommen wird und zum anderen geeignet ist, mit erheblicher Wahrscheinlichkeit etwaige Verstöße aufzudecken. Dem gemäß werden auch in Betrieben, in denen sich das Personal als zuverlässig erwiesen hat, nur einfache Vorschriften zu beachten sind und die Gefahr von Verstößen höchstens als durchschnittlich einzustufen ist, mindestens monatliche Kontrollen durchzuführen sein. Dabei wird in Fällen der vorliegenden Art sicherzustellen sein, dass dadurch mindestens ein Drittel der genehmigungspflichtigen Importe stichprobenartig erfasst wird. Ist jedoch - wie anscheinend hier - bereits ein Bußgeldbescheid wegen einer oder mehrerer Pflichtverletzungen ergangen, so sind einschneidende und zahlreiche Kontrollen durchzuführen (vgl. dazu etwa OLG Koblenz VRS 50, 54/57). Diese entfallen nicht schon dann, wenn aus solchen Verstößen personelle Konsequenzen gezogen werden, sondern erst, wenn das nunmehr eingesetzte Personal nach einer Reihe von Kontrollen als zuverlässig eingestuft werden kann.

Mit der Frage, wieso eine Verletzung der Aufsichtspflicht bei der Verfahrensbeteiligten auch insoweit nicht gegeben sein soll, als dort Genehmigungsbescheide nicht aufbewahrt wurden, hat sich die angegriffene Entscheidung augenscheinlich nicht befasst.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

In der erneuten Hauptverhandlung wird zunächst zu klären sein, ob die Behauptung des Geschäftsführers der Komplementärs-GmbH der Verfahrensbeteiligten, er verstehe nichts vom Außenwirtschaftsrecht, in dieser Allgemeinheit zutrifft. Denn es entspricht nicht der Lebenserfahrung, dass der Geschäftsführer einer mit Bekleidungsimporten befassten Firma diese ohne die Kenntnis der wenigen hier einschlägigen und in ihrer Struktur einfachen Bestimmungen leiten kann. Zudem bestehen erhebliche Zweifel, ob ein Geschäftsführer, dem elementare Kenntnisse zum Betrieb eines Gewerbes fehlen, weil er sie sich nicht aneignen konnte oder wollte, der aber gleichzeitig über Jahre hinweg auch nicht die erforderliche Aufsicht in seinem Betrieb organisiert hat, die gewerberechtlich erforderliche Zuverlässigkeit besitzt (vgl § 35 GewO; vgl. etwa OLG Lüneburg GewArch 1980, 128).

Weiter wird im Hinblick auf das Maß der hier gebotenen Aufsichtsmaßnahmen festzustellen sein, ob und gegebenenfalls wann und mit welchem Inhalt die Verfahrensbeteiligte und/oder verantwortliche Personen wegen einschlägiger Verstöße behördlich beanstandet wurden bzw. ob gegen sie Bußgeldbescheide oder Urteile ergangen sind.

Schließlich werden konkrete Feststellungen dazu erforderlich sein, in welchem Umfang die letzte Außenwirtschaftsprüfung gemessen am Einfuhrwert der geprüften Importe zu Beanstandungen geführt hat.

Führt die erneute Hauptverhandlung zu dem Ergebnis, dass Aufsichtsmaßnahmen trotz wiederholter behördlicher Beanstandungen unterblieben sind, so liegt die Annahme nahe, dass die Aufsichtspflicht vorsätzlich verletzt wurde.

Ende der Entscheidung

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