Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.04.2001
Aktenzeichen: 3Z AR 22/01
Rechtsgebiete: FGG, GVG, EGGVG


Vorschriften:

FGG 22 Abs. 2
GVG 132 Abs. 3
EGGVG § 10 Abs. 1
Zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unterlassener Rechtsmittelbelehrung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit.
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Plößl und Dr. Schreieder

am 20. April 2001

auf die Anfrage des 2. Zivilsenats vom 13. März 2001 - 2Z BR 23/01 - gemäß - 132 Abs. 3 GVG i.V.m. - 10 Abs. 1 EGGVG

beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine allgemeine Pflicht der Gerichte zur Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung nicht besteht.

2. Aus dem Umstand, dass einem anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten eine Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt wurde, kann sich nach Auffassung des Senats ergeben, dass ein Irrtum des Beteiligten über die Voraussetzungen für die Einlegung eines befristeten Rechtsmittels als unverschuldet im Sinne des _ 22 Abs. 2 Satz 1 FGG anzusehen und dem Beteiligten bei Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erteilen ist.

Gründe:

1. Die Anfrage betrifft die Rechtsfrage, ob bei befristeten Rechtsmitteln in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Verfassungs wegen eine Rechtsmittelbelehrung geboten ist. Der 3. Zivilsenat geht davon aus, dass der anfragende Senat unter Rechtsmittelbelehrung einen Hinweis auf die Art des gegebenen Rechtsmittels, die Tatsache seiner Befristung, die Frist und deren Beginn sowie auf die Form der Einlegung und den Adressaten des Rechtsmittels versteht.

2. Der 3. Zivilsenat hat sich mit der angesprochenen Rechtsfrage mehrfach auseinandergesetzt. Im wesentlichen handelt es sich um folgende Entscheidungen:

a) Beschluss vom 30.7.1997 - 3Z BR 157/97 (MDR 1997, 1057)

Der Senat hat unter Versagung von Wiedereinsetzung eine weitere Notarkostenbeschwerde verworfen und ausgeführt, die Beteiligte, die die Beschwerdefrist versäumt hatte, könne sich nicht darauf berufen, ihr sei eine Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich der Einlegung der weitere Notarkostenbeschwerde bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht nicht erteilt worden. Nach dem Sachverhalt hatte die geschäftserfahrene Beteiligte (Städtebau GmbH) bewusst keinen Rechtsanwalt beigezogen und offensichtlich auch von der Monatsfrist Kenntnis, jedoch die weitere Beschwerde bei dem Oberlandesgericht eingelegt.

b) Beschluss vom 23.2.1999 - 3Z BR 64/99

In dieser Entscheidung hat der 3. Zivilsenat die Erinnerung gegen den Kostenansatz des Kostenbeamten des Bayerischen Obersten Landesgerichts in einer Vereinsregistersache zurückgewiesen und dabei ausgeführt, dass eine unrichtige Sachbehandlung durch das Beschwerdegericht im Sinne von § 16 Abs. 1 KostO sich nicht feststellen lasse, weil in Vereinsregistersachen eine Rechtsmittelbelehrung nicht vorgeschrieben gewesen sei. Vorausgegangen war eine unbefristete weitere Beschwerde, die wegen Formmangels als unzulässig verworfen worden war.

c) Beschluss vom 10.8.1999 - 3Z BR 236/99 (BayObLGZ 1999, 232)

Der Senat hat eine sofortige weitere Beschwerde in einer Betreuungssache als unzulässig, weil verspätet, verworfen, die der abberufene Betreuer eingelegt hatte. Er hat dazu festgestellt, dass eine Rechtsmittelbelehrung in diesem Fall von § 69.Abs. 1 Nr. 6 FGG nicht vorgeschrieben sei, was schon aus § 69 Abs. 2 FGG folge. Dort sei für die Ablehnung einzelner Maßnahmen zwar eine Begründung, aber keine Rechtsmittelbelehrung vorgeschrieben. Überlegungen zu einer Wiedereinsetzung hat der Senat in den Beschlussgründen nicht angestellt.

d) Beschluss vom 15.1.1998 - 3Z BR 10/98

Der Senat hat in einer Abschiebungshaftsache dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde nicht erteilt und die sofortige weitere Beschwerde verworfen.

Dabei hat er ausgeführt, dass eine Rechtsmittelbelehrung, die die Beschwerdefrist erst in Gang setze, im Abschiebungshaftverfahren gesetzlich nicht vorgesehen sei.

e) Beschluss vom 25.4.1995 - 3Z BR 61/95

Der Senat hatte über eine Richterablehnung in einer Betreuungssache zu entscheiden. Der landgerichtliche Beschluss, der mit der sofortigen (Erst)Beschwerde angegriffen worden war, hatte keine Rechtsmittelbelehrung enthalten, war aber dem (noch) Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zugestellt worden. Der Senat hat die Beschwerde verworfen und dabei keinen Anlass für die Erteilung von Wiedereinsetzung gesehen.

3. Der 3. Zivilsenat ist weiterhin der Auffassung, dass eine Rechtsmittelbelehrung jedenfalls in den Fällen, in denen der Beteiligte rechtskundig vertreten oder selbst rechtskundig ist, von Verfassungs wegen nicht geboten ist. Gleiches gilt für die Fälle, in denen nach dem Gesetz eine Zustellung an einen Beteiligten nicht vorgeschrieben ist, so etwa in Betreuungsverfahren (vgl. Bassenge/Herbst FGG/RPflG 8. Aufl. § 69a FGG Rn. 6).

Soweit nach dem Gesetz die Entscheidung an einen nicht rechtskundig vertretenen und auch selbst nicht rechtskundigen Beteiligten zuzustellen ist und gegen die zuzustellende Entscheidung ein befristetes Rechtsmittel gegeben ist, kann dem verfassungsrechtlichen Erfordernis, den Zugang zu den nach der jeweiligen Verfahrensordnung gegebenen Rechtsmitteln nicht unzumutbar zu erschweren, durch eine großzügige Handhabung der gesetzlich vorgesehenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Rechnung getragen werden. Der Senat schließt sich insoweit den Darlegungen des 1. Zivilsenats in seiner Stellungnahme vom 11.4.2001 an.

4. Mit den Folgen einer unterbliebenen Rechtsmittelbelehrung in den Fällen, in denen das Rechtsmittel befristet ist, hat sich der 3. Zivilsenat bisher nicht abschließend befasst. Auch nach seiner Auffassung kann eine unterbliebene Belehrung für die Beurteilung der Frage bedeutsam sein, ob eine Fristversäumnis als verschuldet angesehen werden muss (vgl. den Beschluss des 3. Zivilsenats vom 12.7.2000, 32 BR 201/00). Die Annahme fehlenden Verschuldens liegt nahe, wenn dem Betroffenen seine Rechtsunkenntnis nicht vorgeworfen werden kann. Dies gilt, wie der 1. Zivilsenat in seiner Stellungnahme überzeugend dargelegt hat, insbesondere deshalb, weil in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Befristung von Rechtsmitteln nicht einheitlich geregelt ist, weil der Gesetzgeber für bestimmte Fallgruppen eine Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich vorgesehen hat, für andere durchaus vergleichbare Fallgruppen hingegen nicht, und weil auch die gerichtliche Praxis bei der Erteilung von Belehrungen unterschiedlich verfährt. Deshalb stellt es einen gewichtigen Anhaltspunkt für fehlendes Verschulden des Beteiligten dar, wenn er keine Rechtsmittelbelehrung erhalten hat. An seiner Auffassung, dass ein Beteiligter seine Pflichten verletzt und damit nicht ohne Verschulden handelt, wenn er sich nicht unverzüglich nach Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung über die Voraussetzungen der Einlegung eines Rechtsmittels kundig macht, hält der Senat in Übereinstimmung mit dem 1. Zivilsenat nicht mehr fest. Daher kann bereits der Umstand einer, unterbliebenen Rechtsmittelbelehrung dazu führen, dass dem Beteiligten ein Verschulden an der Fristversäumung nicht vorgeworfen werden kann und ihm Wiedereinsetzung zu erteilen ist. Kennt der Beteiligte jedoch die Voraussetzungen für die Einlegung des Rechtsmittels, etwa weil er bereits wiederholt vergleichbare Rechtsmittel eingelegt hat oder auf deren Voraussetzungen hingewiesen worden ist, oder ist er anwaltlich vertreten, wird in aller Regel allein das Unterbleiben der Belehrung nicht ausreichen, um ein fehlendes Verschulden zu begründen. Nach Auffassung des 3. Zivilsenats kann daher die Frage des Verschuldens an einer Fristversäumung nur auf Grund einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden.

5. Der 3. Zivilsenat weist darauf hin, dass zweifelhaft ist, ob im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts gegeben sind. Nach seiner Auffassung bedarf es der Durchführung des insoweit vorgesehenen Verfahrens nicht, wenn der erkennende Senat des Bayerischen Obersten Landesgerichts die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG wegen Abweichung von der auf weitere Beschwerde ergangenen Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs dem Bundesgerichtshof vorlegen will. Der 3. Zivilsenat hat sich gleichwohl zu der Anfrage in der Sache geäußert, weil die Kompetenz, über die Zulässigkeit der Befassung des Großen Senats zu entscheiden, bei diesem selbst liegt.

Hinweis

zu den Beschlüssen vom 13.03.2001 (2Z BR 23/01), 11.04.2001 (1Z AR 2/01) und 20.04.2001 (U AR 22/01):

Die den Beschlüssen zugrundeliegende Hauptsache hat sich erledigt, so dass für die in dem Beschluss vom 13.03.2001 ins Auge gefasste Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts oder an den Bundesgerichtshof kein Raum mehr ist.

Ende der Entscheidung

Zurück