Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 30.06.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 103/04
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 69g Abs. 5 S. 2
Will das Beschwerdegericht aufgrund eigener Feststellungen das Gutachten des Sachverständigen in der Frage der Möglichkeit freier Willensbildung und -betätigung ergänzen oder korrigieren, setzt dies einen persönlichen Eindruck der Richter von dem Betroffenen voraus. Die Anhörung des Betroffenen kann in diesem Fall nicht dem beauftragten Richter übertragen werden.
Gründe:

I. Das Amtsgericht bestellte am 1.7.2003 auf die Dauer eines Jahres für die nach einem Schlaganfall seit 1991 körperlich und psychisch beeinträchtigte Betroffene einen Betreuer mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern. Zugleich ordnete es einen Einwilligungsvorbehalt im Bereich Vermögenssorge an. Gegen die der Betroffenen am 4.7.2003 zugestellte Entscheidung legte diese durch einen Rechtsanwalt, bei Gericht eingegangen am 30.7.2003, (sofortige) Beschwerde ein, die das Landgericht am 26.3.2004 zurückgewiesen hat. Gegen diese der Betroffenen am 1.4.2004 und ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 2.4.2004 zugestellte Entscheidung richtet sich deren am 15.4.2004 eingegangene (sofortige) weitere Beschwerde.

II. 1. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG). Soweit es den Einwilligungsvorbehalt betrifft und als sofortige weitere Beschwerde anzusehen ist (§ 69g Abs. 4 Nr. 1, § 29 Abs. 2 FGG), ist die Einlegungsfrist gewahrt (§ 22 Abs. 1, § 16 Abs. 2 Satz 1, § 29 Abs. 4 FGG). Insoweit ist das Rechtsmittel jedoch unbegründet. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zu Recht als unzulässig angesehen, weil die Einlegungsfrist von zwei Wochen (s. oben), beginnend mit der Zustellung der amtsgerichtlichen Entscheidung am 4.7.2003, am 30.7.2003 bereits abgelaufen war. Die Entscheidung des Landgerichts hat daher mit der Maßgabe der Richtigstellung des Tenors in diesem Umfang Bestand.

2. Die der einfachen weiteren Beschwerde unterliegende Entscheidung des Landgerichts betreffend die Bestellung eines Betreuers hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 546 ZPO).

a) Die Entscheidung ist nicht verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Der Betroffenen ist nicht in dem gebotenen Umfang rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährt worden. Sie hatte keine Gelegenheit, zu den in dem Schreiben des Betreuers vom 30.1.2004 und dem Schreiben der Betreuungsstelle vom 4.2.2004 enthaltenen neuen Tatsachen Stellung zu nehmen, da die Zuleitungsverfügung des Richters vom 10.2.2004 offenbar nicht ausgeführt worden ist. Es ist nicht auszuschließen, das das Landgericht unter Beachtung der hierzu nunmehr vorgetragenen Einwände (vgl. das Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen vom 18.5.2004) zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

b) Auch die Feststellungen zur Frage, ob die Betroffenen ihren Willen in den der Betreuung unterliegenden Bereichen frei bilden kann, sind nicht verfahrensfehlerfrei getroffen worden.

aa) Die Bestellung eines Betreuers setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Lehnt der Betroffene eine Betreuung ab, darf für ihn ein Betreuer nur bestellt werden, wenn er wegen seiner Krankheit oder Behinderung nicht imstande ist, seinen Willen frei zu bestimmen (vgl. BayObLGZ 1994, 209/211; BayObLG FamRZ 2000, 189). Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist; dies bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung (vgl. BayObLGZ 1994, 209/212).

bb) Das Landgericht stützt die Annahme dieser Voraussetzungen auf das fachärztliche Gutachten vom 26.5.2003 und dessen Ergänzung vom 25.10.2003. Das Gutachten führt aus, die Betroffene sei nur eingeschränkt in der Lage, ihren Willen frei zu bestimmen; sie sei nur eingeschränkt geschäftsfähig. Die Ergänzung enthält keine nähere Erläuterung hierzu. Das Landgericht durfte demnach ohne zusätzliche Erkenntnisse hieraus nicht den Ausschluss der freien Willensbestimmung ableiten. Es hätte vielmehr ermitteln müssen, welches Ausmaß die genannten Einschränkungen haben, um danach die Erforderlichkeit einer Betreuung zu ermessen. Auch steht die Annahme des Landgerichts, die Betroffene könne ihre Angelegenheiten im angeordneten Aufgabenkreis nicht selbst besorgen, nicht im Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen. Im Gutachten heißt es, die Betroffene könne "die Sorge für ihr Vermögen, Vertretung gegenüber Behörden, Wohnungsangelegenheiten besorgen". In der Ergänzung wird das zwar als Schreibfehler bezeichnet und richtig gestellt, jedoch dahin, die Betroffene könne die genannten Angelegenheiten "nur eingeschränkt selbst besorgen". Auch hier fehlt ein Ergründen des Umfangs der Einschränkung, ohne das die Notwendigkeit der Betreuung und ihr Umfang nicht zuverlässig eingeschätzt werden kann.

cc) Soweit die oben bb) genannten Lücken durch den eigenen Eindruck des Landgerichts von der Person der Betroffenen geschlossen werden könnten, was bis zu einem gewissen Grad auch ohne fachärztliche Hilfe möglich sein mag, steht dem der Umstand entgegen, dass die Betroffene nicht vor dem ganzen Spruchkörper persönlich angehört wurde.

Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FGG hat das Gericht vor der Bestellung eines Betreuers den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm zu verschaffen. Diese Vorschrift gilt auch für das Beschwerdeverfahren (§ 69g Abs. 5 FGG); das Beschwerdegericht kann nur dann davon absehen, den Betroffenen persönlich anzuhören oder sich zumindest einen unmittelbaren Eindruck von ihm zu verschaffen, wenn diese Verfahrenshandlungen bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden sind und von einer erneuten Vornahme keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (§ 69g Abs. 5 Satz 3 FGG).

Nachdem die Anhörung durch das Amtsgericht schon länger zurücklag, hat das Landgericht richtigerweise eine erneute persönliche Anhörung der Betroffenen angeordnet. Diese darf jedoch nicht von einem Mitglieder Kammer allein durchgeführt werden, wenn es auf den eigenen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen ankommt (§ 69g Abs. 5 Satz 2 FGG). So lag es hier. Das Gericht musste, um zu einer abschließenden Entscheidung zu gelangen, aufgrund eigenen Eindrucks das Gutachten des Sachverständigen in der Frage der Möglichkeit freier Willensbildung und -betätigung ergänzen oder korrigieren. Das setzte einen persönlichen Eindruck der Richter von der Betroffenen voraus (vgl. auch § 68b Abs. 1 Satz 4 FGG, der für die Gutachtenerstattung zwingend den persönlichen Eindruck des Sachverständigen fordert).

c) Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, da jedenfalls zur Klärung der Frage der Möglichkeit freier Willensbildung und -betätigung weitere Ermittlungen erforderlich sind. Die Entscheidung des Landgerichts ist deshalb aufzuheben, die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird die gebotenen Ermittlungen durchzuführen haben, wenn sie sich nicht infolge der Erhebungen, die anlässlich der anstehenden Entscheidung über die Verlängerung der Betreuerbestellung anstehen, als entbehrlich erweisen sollten.



Ende der Entscheidung

Zurück