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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.06.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 108/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1897 Abs. 4
Einem Vorschlag des Betroffenen, eine bestimmte Person zum Betreuer zu bestellen, braucht dann nicht entsprochen zu werden, wenn der Vorschlag nicht auf einer eigenständigen und dauerhaften Willensbildung des Betroffenen beruht.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht bestellte für die Betroffene eine Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung mit Unterbringung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-, Pflegevertrages, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Wohnungsangelegenheiten.

Die hiergegen eingelegten und im Laufe des Beschwerdeverfahrens auf die Auswahl des Betreuers beschränkten Beschwerden der Betroffenen und des Beteiligten, eines Sohnes der Betroffenen, hat das Landgericht zurückgewiesen.

Mit seiner weiteren Beschwerde verfolgt der Beteiligte sein Ziel weiter, selbst zum Betreuer bestellt zu werden.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig; in der Sache hat es keinen Erfolg.

1. Die weitere Beschwerde betrifft nur die Frage, ob die Auswahl des Betreuers rechtmäßig erfolgt ist. Zwar hat der Beteiligte gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht um Überprüfung der am 27.2.2003 von der Betroffenen unterschriebenen Vorsorgevollmacht gebeten, so dass der Eindruck entstehen könnte, er wende sich gegen die Bestellung eines Betreuers an sich. Doch ergibt sich aus seiner weiteren Äußerung, er glaube schon, dass seine Mutter "der Hilfe einer Betreuung" bedürfe, und der bereits im Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht ausgesprochenen Beschränkung der Beschwerde auf die Betreuerauswahl, dass er sich mit der weiteren Beschwerde ausschließlich gegen die Betreuerauswahl richtet.

2. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Grundsätzlich sei einem Vorschlag des Betroffenen zur Person des Betreuers unabhängig von der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen zu entsprechen. Eine solche Bindung entfalle aber, wenn die dem Wunsch des Betroffenen entsprechende Betreuerbestellung dem Wohl des Betroffenen zuwiderlaufe. Hierbei könne auch Berücksichtigung finden, ob der Vorschlag wirklich dem ureigenen Willen des Betroffenen entspreche oder auf den Einfluss Dritter zurückgehe. Zwar habe die Betroffene bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Einzelrichter auf Vorhalt des Beteiligten erklärt, sie wolle ihren Sohn als Betreuer haben. Es sei aber bereits zweifelhaft, ob dies tatsächlich ihrem Willen entspreche. Zunächst habe sie ihre Tochter und ihren Sohn als gemeinsame Betreuer, dann nur ihre Tochter und dann nach Besprechung der innerhalb der Familie bestehenden Streitigkeiten einen außerhalb der Familie stehenden Betreuer haben wollen. Dies sei auch immer dann, wenn sie alleine befragt worden sei, ihr Wunsch gewesen. Bei ihrer persönlichen Anhörung habe sie auch erst auf Vorhalt des Beteiligten geäußert, dass dieser die Betreuung übernehmen solle. Den Wunsch des Beteiligten unterstütze sie nach dem Eindruck des Gerichts nur deshalb, um ihn nicht zu brüskieren.

Zudem würde die Bestellung des Beteiligten zum Betreuer dem Wohl der Betroffenen zuwider laufen. Die Betreuung sei nach den Worten der Betreuerin äußerst zeitaufwendig; der berufstätige Beteiligte habe aber in der Regel nur freitags Zeit.

Weiterhin habe er finanzielle Aspekte der Betreuung in den Vordergrund gestellt vor allem im Hinblick auf eine etwaige Heimunterbringung der Betroffenen und erklärt, er wolle sie zu Hause pflegen, solange es irgendwie möglich sei. Dies widerspreche dem Willen der Betroffenen, die lieber in einem benachbarten Altenheim gepflegt werden wolle und zur Zeit nur deshalb noch alleine zu Hause leben könne, weil sich ihre Schwestern, eine Bekannte und ein Pflegedienst um sie kümmerten. Es bestehe Anlass zur Befürchtung, dass der Beteiligte aus finanziellen Gründen bei Eintritt der Notwendigkeit der außerhäuslichen Pflege diese ablehnen oder erst in einem inadäquaten Zustand der Betroffenen veranlassen werde.

Aus diesen Gründen sei nicht von einer Bindung an den Vorschlag der Betroffenen auszugehen. Um eine ausreichende Wahrnehmung der umfassenden Betreuungsbereiche zu gewährleisten, die Aufgabenerfüllung im Interesse der Betroffenen frei von Konflikten innerhalb der Familie zu halten und sachgerechte, von nicht zur Sache gehörenden Umständen unbeeinflusste Entscheidungen zu gewährleisten, sei die Bestellung eines Berufsbetreuers notwendig. Eine Aufteilung der Aufgabenbereiche auf verschiedene Betreuer sei nicht sachgerecht.

3. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Das Vormundschaftsgericht bestellt gemäß § 1897 Abs. 1 BGB für den Betroffenen eine natürliche Person zum Betreuer, die geeignet ist, in den gerichtlich bestimmten Aufgabenkreisen die Angelegenheiten des Betroffenen rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Schlägt der Betroffene eine Person vor, so ist nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. § 1897 Abs. 4 BGB räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Es ist die Person zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Wunsch des Betroffenen durch seine Krankheit beeinflusst ist. Dem Vorschlag des Betroffenen ist grundsätzlich und unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit zu entsprechen (BayObLG NJWE-FER 2001, 234; BayObLG FamRZ 1996, 1374); auch bei einem willensschwachen Menschen ist sein natürlicher Wille vorrangig zu beachten (vgl. für Willensäußerungen geschäftsunfähiger Personen BayObLG BtPrax 1993, 171; FamRZ 1994, 530/531; OLG Hamm FamRZ 1996, 1372). Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der von ihm gewünschten Person seinem wohl zuwiderläuft. Dies erfordert eine umfassende Abwägung aller Umstände. Die Nichtberücksichtigung des Vorschlages des Betroffenen setzt voraus, dass das Ergebnis der Erwägung deutlich gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person spricht. Es muss die konkrete Gefahr (vgl. BayObLGZ 1996, 136 f., BayObLGZ FamRZ 1997, 1360; BtPrax 2002, 36/37 und 165; OLG Brandenburg NJWE-FER 2001, 208) bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will. Allgemeine Befürchtungen nachteiligen Handelns reichen ebenso wenig aus (OLG Zweibrücken BtPrax 1997, 164) wie die Möglichkeit, dass noch geeignetere Personen zur Verfügung stehen (BayObLG FamRZ 1999, 53; NJWE-FER 2001, 234; BtPrax 2002, 36/37 und 165; OLG Köln FamRZ 1999, 811).

b) An die verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ist der Senat gebunden. Diese tragen nicht nur seine Annahme, der Wille der Betroffenen sei nicht unbeeinflusst durch den Beteiligten zustande gekommen, sondern auch seine weitere Annahme, es bestehe die konkrete Gefahr, der Beteiligte werde die Betreuung deshalb nicht zum Wohle der Betroffenen ausüben, weil er eine adäquate Pflege der Betroffenen nicht sicherstelle.

aa) Zweck der Regelung des § 1897 Abs. 4 BGB ist die Sicherstellung nicht nur des - verbliebenen - Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen, sondern auch der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betroffenem und Betreuer (vgl. Palandt/ Diederichsen BGB 62. Aufl. § 1897 Rn. 16). Beruht die Betreuerauswahl auf dem Wunsch und Willen des Betroffenen, sind diese beiden Ziele gewährleistet. Dies kann aber nur dann gelten, wenn der Vorschlag des Betroffenen ernsthaft (vgl. Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. § 1897 BGB Rn. 16; Damrau/ Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1897 BGB Rn. 32) ist, was voraussetzt, dass der Wunsch nach einen bestimmten Betreuer auf einer eigenständigen Willensbildung des Betroffenen beruht sowie dauerhaft und unabhängig vom Einfluss Dritter zustande gekommen ist. Ist der Wunsch nur solange vorhanden, wie ein Dritter Einfluss auf den Betroffenen ausüben kann, entspricht seine Berücksichtigung weder dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen noch führt sie zu einer Vertrauensbasis zwischen Betroffenem und Betreuer.

Das Landgericht hat eingehend und in nicht zu beanstandender Weise dargelegt, warum es nicht davon ausgeht, dass hier ein eigenständig gebildeter dauerhafter Wille der Betroffenen vorliegt. Es hat geschildert, wie die Betroffene nur dann den Beteiligten als Betreuer vorgeschlagen hat, wenn dieser entweder bei Anhörungen anwesend war oder außergerichtlich Einfluss auf die Betroffene nehmen konnte, wie etwa durch die Vorformulierung der Betreuungsverfügung. Der Betreuungsverfügung kommt in diesem Zusammenhang kein erhöhter Wert zu; sie enthält lediglich in schriftlicher Form einen Betreuervorschlag. Es kann für die Frage der Betreuerauswahl somit dahinstehen, ob die Betroffene zum Zeitpunkt der Abfassung der Betreuerverfügung geschäftsfähig war oder nicht, weil auch ernsthafte Vorschläge Geschäftsunfähiger zu berücksichtigen wären. Das Landgericht hat weiter ausgeführt, die Betroffene habe sich, in Abwesenheit des Beteiligten befragt, wegen der innerfamiliären Streitigkeiten lieber eine außerhalb der Familie stehende Person als Betreuer gewünscht. Seine Schlussfolgerung, unter diesen Umständen könne nicht von einem eigenständig gebildeten Willen der Betroffenen und damit einem ernsthaften Betreuervorschlag ausgegangen werden, ist nachvollziehbar und rechtlich nicht zu beanstanden.

bb) Selbst wenn aber von einem unbeeinflussten Betreuervorschlag der Betroffenen auszugehen wäre, könnte diesem nach den gleichfalls nicht zu beanstandenden Ausführungen des Landgerichts nicht gefolgt werden. Die Beurteilung des Tatrichters, ob bzw. inwieweit die Bestellung dem Wohl des Betroffenen zuwiderläuft, kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden, also darauf hin, ob der Tatrichter die unbestimmten Rechtsbegriffe "Wohl" (vgl. BayObLG FamRZ 1996, 1374/1375) und "Zuwiderlaufen" (vgl. Damrau/ Zimmermann § 1897 Rn. 34) verkannt, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen, der Bewertung maßgeblicher Umstände unrichtige Maßstäbe zu Grunde gelegt, gegen die Denkgesetze verstoßen oder Erfahrungssatze nicht beachtet hat (vgl. BayObLG aaO; Jansen FGG 2. Aufl. § 27 Rn. 27). Dagegen ist eine vom Tatrichter gezogene Schlussfolgerung nicht etwa deshalb bereits rechtsfehlerhaft, weil sie nicht die einzig mögliche ist oder weil eine andere Schlussfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen hätte (vgl. Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42).

Derartige Rechtsfehler lässt die Entscheidung des Landgerichts nicht erkennen. Die Betreuung ist gemäß § 1901 Abs. 2 BGB zum Wohle des Betroffenen zu führen; dem Betroffenen ist im Rahmen seiner Fähigkeiten die Möglichkeit einzuräumen, sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Die Betroffene hat nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts den Wunsch geäußert, sie wolle in einem benachbarten Altenheim gepflegt werden, wenn eine Pflege in ihrem Haus nicht mehr möglich sei. Der Beteiligte hat im Laufe des Beschwerdeverfahrens nach den verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts demgegenüber aus finanziellen Gründen diesen Wunsch seiner Mutter nicht unterstützt. Daraus durfte das Landgericht die Schlussfolgerung ziehen, es bestehe die Gefahr, dass eine adäquate ihren Wünschen entsprechende Pflege der Betroffenen nicht gesichert sei. Nicht zu beanstanden ist auch die weitere Erwägung, der Beteiligte sei im Hinblick auf seine beruflichen Verpflichtungen zu einer Übernahme der zeitintensiven Betreuung nicht in der Lage. Auch wenn die Betreuung gemäß § 1901 Abs. 1 BGB die rechtliche Vertretung und nicht die tatsächliche Pflege des Betroffenen umfasst, zählt zur rechtlichen Fürsorge auch die rechtzeitige Sorge für eine von der Betroffenen gewünschte Unterbringung in einem Pflegeheim.

cc) Das Landgericht durfte auch die erheblichen innerfamiliären Konflikte bei der Frage der Betreuerauswahl berücksichtigen und auch aus diesem Grund eine Bestellung des Beteiligten zum Betreuer ablehnen. Zwar ist auch dann, wenn ein bindender Betreuervorschlag des Betroffenen nicht vorliegt, gemäß § 1897 Abs. 5 BGB auf die verwandtschaftlichen Beziehungen Rücksicht zu nehmen. Abgesehen von den obigen Bedenken ist die Bestellung eines Familienangehörigen dem Wohl des Betroffenen aber dann nicht dienlich, wenn erhebliche innerfamiliäre Spannungen bestehen, die eine Regelung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nicht gewährleisten (vgl. BayObLG BtPrax 1994, 136/137).

dd) Von einer Aufteilung der Aufgabenkreise auf verschiedene Betreuer - und damit die Bestellung des Beteiligten zum Betreuer für wenigstens einen Teilbereich - durfte das Landgericht im Hinblick auf den engen Zusammenhang der Aufgabenkreise absehen. Der Aufgabenkreis Vermögenssorge wirkt sich auf die geplante Heimunterbringung und die Gesundheitsfürsorge aus, da ohne Ausreichung entsprechender Geldmittel weder eine intensive ambulante Pflege noch eine Unterbringung in einem Heim finanziert werden können.

Ende der Entscheidung

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