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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 02.06.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 111/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1906 Abs. 1
Die geschlossene Unterbringung eines alkohol- und medikamentenabhängigen Betroffenen durch seinen Betreuer kann dann genehmigt werden, wenn der Betroffene krankheitsbedingt seinen Willen nicht mehr frei bilden kann und ohne Unterbringung konkret die Gefahr eines Rückfalles mit lebensbedrohlichen Zuständen droht.
Gründe:

I. Der Betroffene leidet seit einigen Jahren an einer Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit (Opiatabhängigkeit). Er war wegen seiner Alkoholkrankheit bereits mehr als zwanzig Mal im Bezirkskrankenhaus G. zur Entgiftung oder stationär-psychiatrischen Behandlung und zudem in einer anderen Einrichtung zu einer längerfristigen Therapie. Das Amtsgericht bestellte für den Betroffenen am 17.4.2003 einen Berufsbetreuer mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Regelung von Aufenthaltsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Dritten, insbesondere Behörden, Krankenkassen, Heimen und ähnlichen Einrichtungen sowie Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen. Am 3.3.2004 beantragte der Betreuer die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur geschlossenen Unterbringung des Betroffenen in der Sozialtherapeutischen Einrichtung H. für mindest ein Jahr zu erteilen. Nach Anhörung des Betroffenen genehmigte das Amtsgericht am 25.3.2004 die geschlossene Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis zum 24.3.2005. Der Betroffene befindet sich seit 26.3.2004 in der Sozialtherapeutischen Einrichtung H.

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legte der Betroffene am 7.4.2004 sofortige Beschwerde ein.

Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde am 28.4.2004 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde, mit der er eine Aufhebung der Unterbringungsgenehmigung erreichen will.

II. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 2, 70 Abs. 1 Satz 2, 70g Abs. 3 Satz 1, 70m Abs. 1 FGG, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen durch seinen Betreuer in einer beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Beim Betroffenen liege ein Alkoholabhängigkeitssyndrom vor, welches die höheren cerebralen Leistungen des Betroffenen schwer beeinträchtigt und zu einer Entkernung der Persönlichkeit im Sinne einer alkoholtoxischen Depravation geführt habe. Das Gericht sei aufgrund des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. S., den Angaben des Betroffenen und des eigenen Eindrucks bei der mündlichen Anhörung des Betroffenen vom Vorliegen dieser Krankheit überzeugt. Es handele sich um eine chronische psychische Krankheit im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB, die beim Betroffenen das Ausmaß einer nicht nur vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit erreicht und den Ausschluss der freien Willensbildung zur Folge habe. Die Unterbringung sei auch erforderlich. Zwar zeige der Betroffene vordergründige Krankheitseinsicht, diese sei jedoch nach Überzeugung der Kammer noch nicht hinreichend tragfähig. Er sei noch nicht in der Lage, die Gefahr eines Rückfalls außerhalb der geschlossenen Einrichtung konkret einzuschätzen und mit der Gefahr sinnvoll umzugehen. Die Rückfallgefahr sei deshalb besonders hoch, weil dem Betroffenen eine realistische Zukunftsperspektive fehle. Er habe weder einkalkuliert, dass er den von ihm erstrebten Arbeitsplatz möglicherweise nicht erhalten werde, noch, dass er nur dann bei seiner Freundin einziehen könne, wenn er ihr dauerhafte Abstinenz beweisen könne. Erschwerend komme hinzu, dass diese Freundin ein Weingut führe. Es drohe daher bereits in naher Zukunft erhebliches Konfliktpotential mit der Gefahr eines Rückfalles, da der Betroffene nach der bisherigen nur fünf Wochen dauernden Therapie noch nicht mit seinen Frustrationen umgehen könne. Bei einem Rückfall bestehe aber eine erhebliche Gefahr für sein eigenes Leben und seine Gesundheit. Dies ergebe sich aus dem letzten Vorfall vom 20.1.2004, bei welchem der Betroffene Schmerzmittel in Überdosis eingenommen habe, so dass er intensivmedizinisch habe behandelt werden müssen. Alternativen zur geschlossenen Unterbringung seien derzeit nicht ersichtlich, da gerade bei einer Entlassung nach Hause konkrete Rückfallgefahr bestehe. Dies zeigten die Erfahrungen der letzten Aufenthalte im Bezirkskrankenhaus G. Nach seiner Entlassung habe der Betroffene jeweils bereits unmittelbar nach seiner Entlassung wieder Alkohol zu sich genommen, so dass kurz später wieder eine Entgiftung erforderlich gewesen sei.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand, § 27 FGG, § 546 ZPO.

a) Eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Betroffenen durch seinen Betreuer, d.h. die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gegen den Willen des Betroffenen, bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§ 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieses muss die Genehmigung erteilen, solange sie zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGG). Eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Erkrankung setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLGZ 1993, 18/19; BayObLG NJW-RR 1998, 1014 m.w.N.). Die Genehmigung ist auch zu erteilen, wenn eine Heilbehandlung des Betroffenen notwendig ist, jedoch ohne Unterbringung nicht durchgeführt werden kann, weil der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB; vgl. BayObLG BtPrax 1996, 28/29; FamRZ 2000, 566 ff.; FamRZ 2003, 963). Die Erforderlichkeit der Unterbringung ist der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen, da die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, dass sie nur aus besonders wichtigem Grund angetastet werden darf (BVerfG NJW 1998, 1774/1775). Insbesondere muss auch dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die "Freiheit zur Krankheit" belassen bleiben, weshalb die Unterbringung zur Durchführung einer Heilbehandlung nur zulässig ist, wenn sie sich als unumgänglich erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden (BVerfG aaO.; BayObLGZ 1999, 269/272).

b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach dem durch das Landgericht verfahrensfehlerfrei ermittelten und damit für den Senat bindenden Sachverhalt steht fest, dass der Betroffene an einer schweren Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit leidet, welche eine tiefgreifende Beeinträchtigung der cerebralen Leistungen und eine Entkernung der Persönlichkeit im Sinn einer alkoholtoxischen Depravation verursacht hat. Diese chronische psychische Krankheit hat dazu geführt, dass dem Betroffenen eine freie Willensbestimmung und eine Einsicht in das Ausmaß der Krankheit sowie die notwendige Therapie unmöglich sind. Zahlreiche Behandlungen auch länger dauernder stationärer Art haben keine Besserung der Alkoholkrankheit gebracht, sondern in kürzester Zeit nach Behandlungsende jeweils zu Rückfällen geführt. Im Zusammenhang mit einer überdosierten Medikamenteneinnahme ist es Anfang des Jahres zu einem lebensbedrohlichen Zustand des Betroffenen gekommen, der sich in erheblichen cardialen Störungen manifestierte und eine intensiv-medizinische Behandlung notwendig machte. Nach Einschätzung des Sachverständigen ist der Betroffene im täglichen Leben völlig von der Hilfe anderer abhängig und nicht mehr alleine lebensfähig. Das Landgericht hat zur Feststellung dieses Sachverhaltes nicht nur das Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie herangezogen und eingehend gewürdigt, sondern auch durch eine nach §§ 69g Abs. 5 Satz 2, 68 Abs. 1 Satz 1 FGG beauftragte Richterin der Kammer den Betroffenen persönlich angehört und sich einen Eindruck vom Zustand des Betroffenen verschafft.

Soweit sich der Betroffene für gegenteilige Feststellungen zur Frage seiner Willensbildungsfreiheit auf einen ärztlichen Fragebogen vom 3.3.2004 beruft, der lediglich in Kopie vorliegt und dessen Herkunft unklar ist, lag dieser zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht vor; er ging erst am 5.5.2004 beim Beschwerdegericht ein. Dem Rechtsbeschwerdegericht ist es grundsätzlich verwehrt, neuen Tatsachenvortrag zu berücksichtigen. Das Rechtsbeschwerdegericht überprüft die Beschwerdeentscheidungen nur auf Rechtsfehler; zu einer eigenen Sachverhaltsermittlung ist es nicht befugt. Im Übrigen ergibt sich aus dem Fragebogen, das dieser offensichtlich zur Vorbereitung der Aufnahme des Betroffenen in das Sozialtherapeutische Zentrum erstellt worden ist, ihm also gegenüber dem Gutachten nur ein geringeres Gewicht zuzumessen ist. Dies gilt erst recht für ein Bruchstück des Berichts eines Diplom-Sozialpädagogen des Sozialtherapeutischen Zentrums vom 2.4.2004, welches - ebenfalls nur in Kopie - dem Fragebogen angeheftet worden ist. Dieses Schriftstück enthält am Ende den Satz, dass der Betroffene therapie- und behandlungswillig "wirke". Dieser Satz entspricht letztlich der Feststellung des Landgerichts, es bestehe vordergründig eine Krankheitseinsicht beim Betroffenen. Zudem könnte das Schriftstück schon deshalb nicht als Beweismittel verwertet werden, weil offensichtlich die restlichen zwei Seiten - mit möglicherweise gegenteiligen Darstellungen - komplett fehlen.

Es besteht auch die Gefahr, dass sich der Betroffene erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, wenn er nicht untergebracht ist. Wie das Landgericht festgestellt hat, hat sich für den Betroffenen vor einigen Monaten durch eine unkontrollierte im alkoholisierten Zustand erfolgte Medikamenteneinnahme ein lebensbedrohlicher Zustand ergeben, der eine intensiv-medizinische Behandlung erforderlich machte. Der behandelnde Intensivarzt wies zum damaligen Zeitpunkt auf die lebensbedrohlichen Auswirkungen der Intoxikation, insbesondere in kardialer Hinsicht, hin. Der Sachverständige, der den Betroffenen auf der Intensivstation aufgesucht hatte, schloss eine Suicidalität nicht aus. Frühere Gutachten zeigen gleichfalls, dass der Betroffene nach Alkoholexzessen sich in kritischen Zuständen befunden hat, in denen er nicht mehr ansprechbar war. Alle stationären Behandlungen sowie Langzeittherapien und Entgiftungen des Betroffenen haben keinen Erfolg gezeigt. Vielmehr kam es in der Vergangenheit meist unmittelbar nach einer Behandlung zu einem Rückfall. Die Lebensumstände des Betroffenen haben sich nach dem letzten Rückfall nicht geändert; auch zum damaligen Zeitpunkt war er nach seinen Angaben auf Arbeitssuche und wollte in die Nähe seiner Freundin ziehen. Unter diesen Umständen ist die Schlussfolgerung der Kammer, bei einer Entlassung des Betroffenen bestehe die konkrete Gefahr eines wiederholten Rückfalles, nicht zu beanstanden. Wenn die Rückfälle, wie Anfang 2004, zu lebensbedrohlichen Selbstschädigungen des Betroffenen führen können, genügt dies für die Erfüllung des Tatbestandes des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB (vgl. Palandt/Diederichsen BGB 63. Aufl. § 1906 Rn. 11; OLG Hamm BtPrax 2003, 182; ähnlich Marschner/Volckart Freiheitsentziehung und Unterbringung 4. Aufl. § 1906 BGB Rn. 19). Es ist nicht erforderlich, dass eine Suizidgefahr festgestellt wird; es genügt die Gefahr einer schwerwiegenden anderen gesundheitlichen Störung. Auch das Bundesverfassungsgericht hat das "Recht zur Krankheit" im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht auf derartig schwerwiegende Gesundheitsschädigungen ausgedehnt (BVerfG NJW 1998, 1774/1775). Dieses Recht endet vielmehr in dem Augenblick, in welchem der Betroffene eine freie Entscheidung zur Krankheit gar nicht mehr treffen kann, weil seine Willensbildungsfreiheit durch die Krankheit zerstört worden ist, und das weitere Fortschreiten der Krankheit zu seiner eigenen Zerstörung führen würde.

Es ist rechtlich weiter nicht zu beanstanden, dass die Kammer keine Alternative zur geschlossenen Unterbringung gesehen hat. Weder die Entlassung nach Hause noch die vage Aussicht auf einen Umzug können die Gefahr ausschließen, dass der Betroffene - wie bisher - unmittelbar nach seiner Entlassung seinen Alkoholkonsum wieder aufnimmt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB die einzige Möglichkeit, eine weitere Selbstgefährdung des Betroffenen zu verhindern. Ihm wird hierdurch letztlich die Chance eingeräumt, die eigene Selbstzerstörung zu vermeiden. Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung, die von einer Alkoholabhängigkeit in gewissem Maße sprechen, gehen deshalb an den Tatsachen vorbei. Dass sprechen die Rückfälle inzwischen zu lebensbedrohlichen Zuständen geführt haben, die jederzeit wieder auftreten können, steht nach den Feststellungen des Landgerichts fest.

3. Der Geschäftswert wurde nach § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KostO festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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