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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 25.06.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 115/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1906
Ablehnung der Feststellung, dass der Beschluss des Beschwerdegerichts rechtswidrig war, mit welchem dieses die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einer zivilrechtlichen Unterbringung durch einen Betreuer gebilligt hat.
Gründe:

I.

Für den Betroffenen ist seit 9.7.2001 ein Betreuer mit umfassendem Wirkungskreis - darunter seit 19.12.2002 auch dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung - bestellt sowie ein weiterer Betreuer mit eingeschränktem Wirkungskreis. Das Amtsgericht genehmigte mit Beschluss vom 28.11.2002 die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 8.1.2003 und verlängerte die Genehmigung nach richterlicher Anhörung bis zum 31.1.2003. Am 31.1.2003 wurde die Unterbringung in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung endgültig bis zum 30.4.2003 genehmigt; eine erneute richterliche Anhörung konnte wegen einer fieberhaften Erkrankung des Betroffenen nicht durchgeführt werden.

Das Landgericht hat die gegen diesen Beschluss durch den Betroffenen eingelegte sofortige Beschwerde am 25.4.2003 zurückgewiesen, nachdem die Kammer ein psychiatrisches Gutachten des Landgerichtsarztes eingeholt hatte und der Betroffene durch den Berichterstatter angehört worden war.

Gegen diesen ihm am 6.5.2003 zugestellten Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde, die er am 15.5.2003 selbst und am 19.5.2003 durch seinen Verfahrenspfleger eingelegt hat. Mit ihr will der Betroffene die Beendigung seiner Unterbringung, hilfsweise die Feststellung erreichen, dass der Beschluss des Landgerichts rechtswidrig war. Zwischenzeitlich liegt ein neuer Beschluss des Amtsgerichts vor, welcher die Unterbringung in einer beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis zum 30.6.2003 genehmigt.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist nur insoweit zulässig, als der Betroffene die Feststellung begehrt, dass der Beschluss des Landgerichts rechtswidrig war; im Übrigen ist sie unzulässig.

a) Soweit der Betroffene mit seinem Rechtsmittel die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses erreichen will, ist dieses unzulässig. Vor Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde hat sich die Hauptsache dadurch erledigt, dass der Zeitraum, für den die Genehmigung erteilt war, bereits abgelaufen war. Wegen des Zeitablaufs fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses.

b) Soweit der Betroffene die Feststellung begehrt, dass der Beschluss des Landgerichts rechtswidrig war, ist demgegenüber ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen. Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es, in den Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs zu bejahen (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456; BayObLGZ 2002, 304/306; Demharter FGPrax 2002, 137/138). Ob hiervon im Einzelfall Ausnahmen gerechtfertigt sein können (vgl. Demharter aaO), bedarf keiner weiteren Erörterung, da im vorliegenden Fall einer zeitlich eng befristeten Freiheitsentziehung bereits nach den bisher maßgebenden Grundsätzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfG NJW 1998, 2432; BayObLG NJW 2002, 146 m. w. N.) der Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses zu bejahen ist.

Gegenstand der Rechtswidrigkeitsfeststellung ist nach dem konkreten Antrag des Betroffenen die Frage, ob der Beschluss des Landgerichts rechtmäßig war, ob also die in der Beschwerdeentscheidung liegende Anordnung der Fortführung der Unterbringung in Ordnung war.

2. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Die Unterbringung des Betroffenen in einer beschützenden Abteilung eines Pflegeheims sei erforderlich, weil die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorlägen. Nach dem umfangreichen, überzeugenden und nachvollziehbaren Gutachten des Landgerichtsarztes vom 11.4.2003 stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Betroffene psychisch krank sei. Er leide an einem leicht bis mäßiggradigen demenziellen Syndrom auf dem Boden einer massiven Schwerhörigkeit. Es bestehe die Gefahr, dass sich der Betroffene auf Grund dieser Erkrankung ohne Unterbringung erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. So habe er in der Vergangenheit wiederholt bei Versuchen, ihn in sein häusliches Umfeld zu entlassen, eine Entwicklung genommen, die zu einer menschenunwürdigen Verwahrlosung, Mangelernährung und Infektionsgefahr auf Grund katastrophaler hygienischer Umstände geführt hätte. Darüber hinaus habe der Betroffene durch mangelhafte Bedienung von Haushaltsgeräten eine unmittelbare Gefährdung seiner Person durch Brandgefahr und auch eine unmittelbare Gefährdung Dritter herbeigeführt. Auf Grund seiner psychischen Erkrankung sei er nicht mehr dazu in der Lage, die Notwendigkeit der unterbringungsähnlichen Maßnahmen zu erkennen; er könne insoweit seinen Willen nicht mehr frei bestimmen. Die Unterbringung sei daher zum Wohl des Betroffenen unumgänglich; sonst drohten hilfloses Umherirren, Selbstgefährdung des Betroffenen im Straßenverkehr und erneute menschenunwürdige Verwahrlosung des Betroffenen. Weniger einschneidende Maßnahmen seien nicht ersichtlich. Mehrere Versuche, dem Betroffenen ein Leben in seiner häuslichen Umgebung zu ermöglichen und ihm hierbei ambulante Pflegedienste zur Seite zu stellen, seien an der völligen Krankheitsuneinsichtigkeit des Betroffenen gescheitert, die dazu geführt habe, dass die beauftragten Pflegedienste nach kurzer Zeit eine weitere Pflege des Betroffenen ablehnten.

3. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei die weitere Fortführung der Unterbringung in einer beschützenden Abteilung eines Pflegeheims gebilligt.

a) Eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Betroffenen durch den Betreuer, d.h. die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gegen den Willen des Betroffenen bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§ 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieses muss die Genehmigung erteilen, solange sie zum Wohle des Betroffenen erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Die Gefahr der Zufügung eines erheblichen gesundheitlichen Schadens setzt konkrete Anhaltspunkte für das Eintreten der Gefahr sowie die Kausalität zwischen der psychischen Krankheit des Betroffenen und der Gesundheitsschädigung voraus. Die Gefahr muss ernstlich und konkret sein; die bloße Möglichkeit eines Gefahreneintritts genügt nicht (vgl. Marschner/Volkart Freiheitsentziehung und Unterbringung 4. Aufl. § 1906 BGB Rn. 15 m. w. N.; Palandt/Diederichsen BGB 62. Aufl. § 1906 Rn. 9). Ob eine ernsthafte und konkrete Gefahr vorliegt, ist eine Prognoseentscheidung, die auf Grund tatsächlicher Feststellungen zu treffen ist (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1617). Eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Krankheit setzt weiter voraus, dass der Betroffene auf Grund der Krankheit den Willen nicht mehr frei bestimmen kann (vgl. BayObLG FamRZ 2002, 908/909; BayObLGZ 1993, 18 = FamRZ 1993, 600; BayObLG NJW-RR 1998, 1014 m. w. N.). Die Erforderlichkeit der Unterbringung ist der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen, da die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, dass sie nur aus besonders wichtigem Grund angetastet werden darf (vgl. BVerfG NJW 1998, 1774/1775).

b) Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen beanstandungsfrei bejaht. Der Senat ist an die verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts gebunden (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 559 ZPO). Danach steht fest, dass der Betroffene an einer mäßiggradigen Demenz leidet. Auf Grund dieser Erkrankung hat sich der Betroffene bereits in der Vergangenheit in erhebliche gesundheitliche Gefahr gebracht, da er sich nicht nur unzureichend ernährt und in hygienischer Hinsicht nicht gepflegt, sondern auch durch unzureichende Bedienung von Haushaltsgeräten konkrete Brandgefahr ausgelöst hat. Wiederholt hat der Betroffene in seinem häuslichen Umfeld eine Entwicklung genommen, die zu einer menschenunwürdigen Verwahrlosung, Mangelernährung und Infektionsgefahr auf Grund katastrophaler hygienischer Zustände geführt hat. Zudem ist nach dem überzeugenden und nachvollziehbaren Sachverständigengutachten zu befürchten, dass der Betroffene durch hilfloses Umherirren im Straßenverkehr sich ebenfalls selbst gefährdet. Auf Grund der psychischen Erkrankung mit systematisiertem Wahnsystem ist der Betroffene nicht in der Lage, seinen Willen frei zu bestimmen und die Notwendigkeit seines Aufenthalts in einer beschützenden Einrichtung zu erkennen.

c) Die Kammer durfte auf Grund dieser Feststellungen den Schluss ziehen, dass zur Abwendung von erheblichen gesundheitlichen Schäden die Unterbringung des Betroffenen in einer beschützenden Pflegeeinrichtung erforderlich war, und die konkrete Gefahr einer Selbstschädigung des Betroffenen im Falle einer Beendigung der Unterbringung bejahen. Die Prognose des Landgerichts wird durch das Ergebnis der mehrmaligen Versuche, den Betroffenen in sein eigenes Zuhause zu entlassen, gestützt. Diese endeten bisher immer mit einem erneuten Eintritt einer gesundheitlich bedenklichen Verwahrlosung des Betroffenen. Anhaltspunkte für eine positive Änderung des Zustandes des Betroffenen sind nach dem von der Kammer eingeholten Sachverständigengutachten nicht in Sicht. Das Landgericht durfte damit auch einen weiteren Versuch dieser Art ablehnen. Andere Möglichkeiten der Fürsorge für den Betroffenen sind - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt - nicht ersichtlich. Eine ambulante Pflege des Betroffenen in seinem häuslichen Umfeld scheitert daran, dass der Betroffene infolge seiner Erkrankung und der völligen Krankheitsuneinsichtigkeit bisher eine Zusammenarbeit mit den jeweiligen ambulanten Pflegediensten abgelehnt hat, so dass diese zu einer Pflege des Betroffenen nicht mehr bereit sind.

Die Erforderlichkeit einer Unterbringung in einer beschützenden Pflegeeinrichtung könnte allenfalls dann entfallen, wenn der Betroffene Einsicht in die Notwendigkeit seiner Pflege gewinnt und akzeptiert, dass er allein in seinem häuslichen Umfeld nicht mehr zurechtkommt. Dann wäre, wie es auch der Verfahrenspfleger anspricht, möglicherweise an ein betreutes Wohnen zu denken, wenn eine Selbstgefährdung ausgeschlossen werden könnte.

Ende der Entscheidung

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