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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.07.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 119/03
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 1
FGG § 69g Abs. 1 Satz 1
1. Ein naher Angehöriger ist zur Beschwerde gegen die Bestellung eines Betreuers auch dann befugt, wenn das Betreuungsverfahren zwar auf Antrag des Betroffenen eingeleitet wurde, das Vormundschaftsgericht den Betreuer aber von Amts wegen bestellt hat. Zur Abgrenzung von Antrags- und Amtsverfahren.

2. Zum Antrag auf Betreuerbestellung.


Gründe:

Die 88-jährige Betroffene wurde im Oktober 2002 nach einem Sturz in ihrer Wohnung, der einen Lendenwirbelbruch zur Folge hatte, stationär in einem Kreiskrankenhaus behandelt. Die dortige Stationsärztin übermittelte am 15.11.2002 per Fax dem zuständigen Amtsgericht ein von ihr ausgefülltes zweiseitiges Formblatt des Krankenhauses, das mit "Antrag auf Bestellung eines Betreuers" überschrieben ist. Darin regte sie die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene an, und zwar für die Aufgabenkreise Sorge für die Gesundheit und Vermögenssorge. Als für das Betreuungsverfahren relevante Diagnose gab sie cerebrale Sklerose und Gebrechlichkeit an. Am Ende des Vordrucks schrieb sie in die Rubrik "Bemerkung":

Auf ausdrücklichen Wunsch der Bet, da Zwistigkeiten zwischen Nichte und Neffe bestehen, außerdem angeblich ein großes Vermögen d. Bet., unter Zeugen bittet die Bet. um Vermögensverwaltung und Hilfe zur Unterbringung in ein Pflegeheim.

Das Amtsgericht bestellte am 22.11.2002 vorläufig und am 6.2.2003 endgültig auf die Dauer von fünf Jahren für die Betroffene eine von der zuständigen Behörde fernmündlich vorgeschlagene ehrenamtliche Betreuerin mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Entscheidung über Fernmeldeverkehr und Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen. Hiergegen erhob die weitere Beteiligte, eine Nichte der Betroffenen, Beschwerde mit dem Ziel, selbst zur Betreuerin, ausgenommen im Bereich Vermögenssorge, bestellt zu werden.

Das Landgericht hat die Beschwerde am 26.3.2003 mangels Beschwerdeberechtigung der weiteren Beteiligten "zurückgewiesen".

Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der weiteren Beteiligten.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdeberechtigung der weiteren Beteiligten ergibt sich für das Verfahren der weiteren Beschwerde bereits aus der Verwerfung ihrer Erstbeschwerde durch das Landgericht (§ 20 Abs. 1, § 29 Abs. 4 FGG; vgl. BayObLGZ 1976, 281/282 und 1996, 90/91 m. w. N.).

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Das Landgericht geht davon aus, dass die weitere Beteiligte ihr Rechtsmittel mit dem Ziel eingelegt habe, in den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge selbst zur Betreuerin bestellt zu werden. Es hat weiter ausgeführt, die weitere Beteiligte sei nicht beschwerdeberechtigt. Sie sei zwar Angehörige der Betroffenen im Sinne von § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG. Diese Vorschrift komme jedoch nicht zur Anwendung, weil die Betreuerin nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag der Betroffenen bestellt worden sei. Das Fax vom 15.11.2002 sei, jedenfalls für die dort erwähnten Aufgabenbereiche, als derartiger Antrag anzusehen. Die Betroffene sei sich damals auch der Tragweite ihrer in dem Fax wiedergegebenen Entscheidung bewusst gewesen. Dieser Antrag umfasse insbesondere die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge, welche die weitere Beteiligte auf sich übertragen wissen wolle.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.

a) Das vormundschaftsgerichtliche Verfahren zur Bestellung eines Betreuers für einen nicht lediglich körperlich Behinderten wird entweder durch einen Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen eingeleitet (§ 1896 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BGB; vgl. Keidel/Kayser FGG 15. Aufl. Vorb. §§ 65 bis 69o Rn. 4). Die Möglichkeit eines Antragsverfahrens neben dem Amtsverfahren wurde vom Gesetzgeber in diesen Fällen vor allem deshalb vorgesehen, um dem Betroffenen die Akzeptanz der Betreuung und die Zusammenarbeit mit dem Betreuer zu erleichtern (vgl. BT-Ds 11/4528 S. 120). Die unterschiedliche Art der Verfahrenseinleitung führt aber auch zu gewissen Unterschieden in der Verfahrensgestaltung (vgl. BT-Ds aaO S. 118; MünchKomm/Schwab BGB 4. Aufl. § 1896 Rn. 120 ff.). Zu diesen zählt, neben der Entbehrlichkeit eines Sachverständigengutachtens unter bestimmten Umständen (§ 68b Abs. 1 Satz 2 FGG) und der erleichterten Aufhebung der Betreuung (§ 1908 d Abs. 2 BGB), die Differenzierung in § 69 Abs. 1 Satz 1 FGG. Danach haben die dort aufgezählten nahen Angehörigen und die zuständige Behörde nur gegen die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen ein eigenständiges Beschwerderecht unabhängig von einer konkreten Beschwer (vgl. BayObLGZ 1998, 82/83; MünchKomm/Schwab aaO Rn. 122, Damrau/ Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. Rn. 21 je zu § 1896 BGB; Keidel/Kayser § 69g Rn. 12).

Antrag in obigem Sinn ist eine an das Vormundschaftsgericht gerichtete Willensäußerung des Betroffenen, der nötigenfalls durch Auslegung zu entnehmen ist, es solle ein gerichtliches Verfahren mit dem Ziel eingeleitet werden, für ihn einen Betreuer zu bestellen (vgl. Staudinger/Bienwald BGB 13. Aufl. § 1896 Rn. 59 und 63; MünchKomm/Schwab aaO Rn. 116). Einer bestimmten Form bedarf diese Verfahrenshandlung nicht (vgl. Damrau/Zimmermann aaO Rn. 19). Die mit der Anordnung einer Betreuung auf Antrag verbundenen Einschränkungen der verfahrensrechtlichen Gewährleistungen, die den Betroffenen vor unberechtigten Eingriffen in seine Rechte schützen sollen, führen jedoch dazu, dass eine solche Anordnung nur hinsichtlich der Aufgabenkreise in Betracht kommen kann, die von der mit dem Antrag verbundenen Willensäußerung des Betroffenen abgedeckt sind. Gleiches gilt, wenn das Gericht einen anderen Betreuer bestellt als den von dem Betroffenen vorgeschlagenen (MünchKomm/Schwab § 1896 BGB Rn. 118).

Auch wenn ein Antrag des Betroffenen auf Bestellung eines Betreuers vorliegt, kann das Vormundschaftsgericht im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen, insbesondere die Abhängigkeit der Antragsbetreuung vom Willen des Betroffenen (§ 1908d Abs. 2 BGB), eine Betreuung von Amts wegen anordnen, sofern die Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Ob ein Beschwerderecht naher Angehöriger gemäß § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG besteht, richtet sich in einem solchen Fall nicht danach, ob das Betreuungsverfahren auf Antrag des Betroffenen eingeleitet wurde, sondern nach dem Inhalt der getroffenen Entscheidung (vgl. den Wortlaut der Vorschrift sowie OLG Hamm FamRZ 2002, 194). Äußert sich das Gericht in der Entscheidung nicht ausdrücklich dazu, ob es den Betreuer auf Antrag oder von Amts wegen bestellt, ist dies durch Auslegung zu ermitteln. Durfte die getroffene Entscheidung zwar nicht aufgrund des gestellten Antrags, wohl aber von Amts wegen ergehen, ist in der Regel davon auszugehen, dass das Gericht die Betreuung von Amts wegen eingerichtet hat.

b) Nach diesen Grundsätzen hat das Vormundschaftsgericht die Betreuerin für die Betroffene hier von Amts wegen bestellt. Der gegenteiligen Auffassung des Landgerichts kann der Senat nicht folgen, da das Gericht wesentliche Gesichtspunkte nicht hinreichend berücksichtigt hat.

aa) Dabei kann dahinstehen, ob in dem Fax vom 15.11.2002 ein wirksamer Antrag der Betroffenen lag, wie das Landgericht meint. Es bedarf daher keiner Erörterung, ob ein solcher Antrag auch in Stellvertretung gestellt werden kann (vgl. für den Verfahrenspfleger Staudinger/Bienwald aaO Rn. 62 m. w. N., auch hinsichtlich der verneinenden Stimmen) oder ob die Krankenhausärztin hier möglicherweise als Botin gehandelt hat. Ebenso kann dahinstehen, ob in den weiteren Äußerungen der Betroffenen im Verlauf des Verfahrens ein Antrag erblickt werden kann.

bb) Jedenfalls konnte ein solcher Antrag die Bestellung eines Betreuers nur hinsichtlich der Aufgabenkreise abdecken, die ersichtlich vom Willen der Betroffenen erfasst waren. Dies sind bei weitem nicht alle der Betreuerin übertragenen Aufgabenkreise. In dem Erstantrag werden nur die Sorge für die Gesundheit und die Vermögenssorge aufgeführt. Auch aus den Äußerungen der Betroffenen im Verlauf des weiteren Verfahrens ergibt sich nicht, dass sie eine Betreuung in einem darüber hinausgehenden Umfang gewünscht hätte. Demgegenüber hat das Amtsgericht die Betreuung auch auf die Aufenthaltsbestimmung, die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten der Post, die Entscheidung über den Fernmeldeverkehr und die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen erstreckt, also auf die Entscheidung über schwerwiegende Eingriffe in den persönlichen Bereich der Betroffenen, die von dieser, soweit aus den Akten ersichtlich, nie angesprochen worden waren.

cc) Für eine Bestellung der Betreuerin von Amts wegen spricht auch das Original des Beschlusses vom 6.2.2003. Auf dessen Seite 3 ist der Auswahltextbaustein "auf seinen Antrag hin" nicht angekreuzt.

dd) Die Äußerung der Vormundschaftsrichterin gegenüber der weiteren Beteiligten, eine Beschwerdeberechtigung bestehe nicht, da das Betreuungsverfahren auf Antrag eingeleitet worden sei, spricht nicht gegen dieses Ergebnis. Es handelt sich um eine nachträgliche Äußerung, welche nicht auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses, sondern auf die Verfahrenseinleitung abstellt.

c) Da keine Antragsbetreuung vorliegt, kann der weiteren Beteiligten das Beschwerderecht gemäß § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG nicht mit der Begründung des Landgerichts abgesprochen werden. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da noch weitere Ermittlungen erforderlich sind. Zum einen wird, da die Begriffe Tante und Nichte umgangssprachlich in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden, zu klären sein, ob die weitere Beteiligte mit der Betroffenen tatsächlich bis zum dritten Grad verwandt ist (vgl. § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG).

Sollte dies der Fall sein, ist die persönliche Anhörung der Betroffenen, die das Landgericht zunächst (zu Recht) für erforderlich hielt, durchzuführen (§ 68 Abs. 1 Satz 1, § 69g Abs. 5 Satz 1 FGG). Dabei könnte, soweit möglich, der natürliche Wille der Betroffenen ermittelt werden, der für die Bewertung der Vorsorgevollmacht und der Betreuungsverfügungen der Betroffenen (§ 1896 Abs. 2 Satz 2, § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB), die sich in Ablichtung bei den Akten befinden, hilfreich sein kann. Auch eine Ergänzung des recht knappen Sachverständigengutachtens vom 3.1.2003 wäre zu erwägen, da es sich insbesondere zur Erforderlichkeit mancher angeordneter Aufgabenkreise nicht näher äußert und es möglicherweise auch auf die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen zum Zeitpunkt der Errichtung der Vorsorgevollmacht zu erstrecken ist.

Ende der Entscheidung

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