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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 125/01
Rechtsgebiete: GG, BGB
Vorschriften:
GG Art. 13 | |
BGB § 1896 Abs. 1 | |
BGB § 1906 Abs. 1 |
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Schreieder und Dr. Nitsche
am 19. Juni 2001
in der Betreuungssache
auf die weitere Beschwerde der Betroffenen
beschlossen:
Tenor:
I. Der Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 14. März 2001 und der Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 6. Februar 2001 wird bezüglich des Aufgabenkreises Betreten der Wohnung gegen den Willen der Betreuten aufgehoben.
II. Bezüglich der Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung, Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen wird der Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 14. März 2001 aufgehoben. Insoweit wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen.
III. Im Übrigen wird die weitere Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Am 23.06.2000 bestellte das Amtsgericht für die Betroffene eine Berufsbetreuerin mit den Aufgabenkreisen u. a. Sorge für die Gesundheit, Wohnungsangelegenheiten, Besorgung von Behörden-, Versicherungs-, Renten- und Sozialangelegenheiten. Am 06.02.2001 beschloss das Amtsgericht die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuerin auf die Aufenthaltsbestimmung, die Entscheidung über die Unterbringung und über unterbringungsähnliche Maßnahmen sowie auf die Entrümpelung der Wohnung inklusive Betreten der Wohnung gegen den Willen der Betreuten. Die gegen die Erweiterung des Aufgabenkreises gerichtete Beschwerde der Betroffenen wies das Landgericht mit Beschluss vom 14.03.2001 zurück. Hiergegen wendet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen.
II.
Das zulässige Rechtsmittel ist überwiegend begründet.
1. Das Landgericht hat unter Bezugnahme auf das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 22.01.2001 und die Protokolle über die Anhörung der Betroffenen durch das Amtsgericht seine Entscheidung wie folgt begründet:
Auch die Beschwerdekammer sei aufgrund der Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen sowie der Äußerungen der Betroffenen im Rahmen der ärztlichen Untersuchung und bei den Anhörungen durch das Vormundschaftsgericht der Auffassung, dass die Erweiterung der Aufgabenkreise wegen der psychischen Erkrankung der Betroffenen notwendig sei. Die Betroffene sei aufgrund ihrer extremen Sammelleidenschaft nicht in der Lage, den vermüllten Zustand der Wohnung als solchen zu realisieren; auch finde sie immer wieder Erklärungen für das Herumliegen von Gegenständen, die sie nicht als Müll betrachte. Die Betroffene habe seit Mai 2000 wiederholt ihre Bereitschaft zur Mithilfe bei der Entrümpelung und Renovierung ihrer Wohnung erklärt bzw. erklären lassen, dann aber wieder erklärt, sie habe kein Geld hierfür. Da die Betroffene krankheitsbedingt nicht einzusehen vermöge, dass die von ihr gesammelten Dinge u. a. wegen des von ihnen ausströmenden unangenehmen Geruchs von den Hausmitbewohnern und auch vom Vermieter als äußerst störend empfunden wurden, müssten die einlenkenden überwiegend anwaltlich vorgetragenen Erklärungen der Betroffenen als Lippenbekenntnisse qualifiziert werden.
Aufgrund des bisherigen Verhaltens der Betroffenen und des von den Gutachtern geschilderten Krankheitsbildes sei nicht zu erwarten, dass die Betroffene sich bei Durchführung der notwendigen Maßnahmen kooperativ zeigen werde. Eine Änderung des bisherigen Zustandes erscheine jedoch insbesondere im Hinblick auf den drohenden Verlust der Wohnung dringend notwendig. Das Vormundschaftsgericht habe daher zutreffend der Betreuerin durch Erweiterung der Aufgabenkreise hinsichtlich der Angelegenheiten Wohnungsentrümpelung sowie Aufenthaltsbestimmung einschließlich Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen die rechtlichen Kompetenzen zur Realisierung der Entrümpelung und der Wohnungsrenovierung notfalls auch gegen den Willen der Betroffenen erteilt.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht in vollem Umfang stand.
a) Der Aufgabenkreis des Betreuers ist zu erweitern, wenn dies erforderlich wird. Für die Erweiterung gelten die Vorschriften über die Bestellung des Betreuers entsprechend (§ 1908 d Abs. 3 BGB). Voraussetzung hierfür ist danach, dass ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten in den Bereichen, auf die der Aufgabenkreis erweitert wird, nicht besorgen kann (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Erweiterung des Aufgabenkreises des Betreuers von Amts wegen setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit o der Behinderung seinen willen nicht frei bestimmen kann (BayObLG FamRZ 1995, 116; BtPrax 1998, 30/31 m.w.N.; Palandt/Diederichsen BGB 60. Aufl. § 1908d Rn. 9), d. h. nicht imstande ist, seinen Willen unbeeinflusst von der Krankheit oder Behinderung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln (vgl. BGH NJW 1996, 918/919; BayObLGZ 1997, 206/207).
b) Die Feststellungen des Landgerichts tragen lediglich die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuerin auf die Entrümpelung der Wohnung.
Die Kammer hat verfahrensfehlerfrei und damit für den Senat bindend (BayObLGZ 1999, 17/20; Bassenge/Herbst FGG/RPflG 8. Aufl. § 27 FGG Rn. 23) festgestellt, dass sich die Wohnung der Betroffenen in einem total vermüllten, stinkenden Zustand befinde und die Betroffene aufgrund ihrer Krankheit (paranoide Psychose und psychosoziale Desintegration) nicht in der Lage sei, den bedenklichen hygienischen Zustand ihrer Wohnung zu erkennen und für die notwendigen Entrümpelungsmaßnahmen selbst zu sorgen. Dies rechtfertigt die Bestellung der Betreuerin auch für den Aufgabenkreis Entrümpelung (vgl. OLG Frankfurt BtPrax 1996, 71). Es kann nach dem vom Landgericht festgestellten Sachverhalt nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Betroffene einer von der Betreuerin im Rahmen ihrer neuen Befugnis organisierten Entrümpelung Widerstand entgegensetzen wird.
c) Hingegen ist die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuerin auf die Aufenthaltsbestimmung, einschließlich der Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen, sowie auf das Betreten der Wohnung gegen den Willen der Betroffenen nicht rechtsfehlerfrei.
Diese Aufgabenkreise haben die Tatsacheninstanzen ersichtlich erforderlich gehalten, um die Entrümpelung der Wohnung auch gegen den Widerstand der Betroffenen durchführen zu können.
§ 1906 BGB lässt jedoch die Unterbringung eines Betroffenen oder die Anwendung unterbringungsähnlicher Maßnahmen gegen ihn zu dem Zweck, eine notwendige Entrümpelung von dessen Wohnung durchzuführen, nicht zu. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 7 GG vor, nach denen der Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eingeschränkt ist.
aa) Keine der Alternativen des § 1906 BGB kann im vorliegenden Fall nach den bisher getroffenen Feststellungen die Unterbringung stützen. Danach ist die Betroffene weder selbstgefährlich noch bedarf sie einer nur in der Unterbringung durchzuführenden Behandlung. Insbesondere ist das Tatbestandsmerkmal des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, "dass er sich ... erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt" nicht erfüllt. Dem landgerichtlichen Beschluss sind jedenfalls Feststellungen hierzu nicht zu entnehmen. Allenfalls könnte eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Betracht kommen. Der Sachverständige hält offenbar die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt zur Durchführung einer Heilbehandlung für erforderlich (vgl. S. 9 des Gutachtens vom 22.1.2001). Offen bleibt jedoch welche Krankheit geheilt werden soll. Die Sammelwut der Betroffenen, die Auslöser der unhaltbaren Zustände in de r Wohnung ist, hält der Gutachter selbst nicht für korrigierbar. Die Gefahr sonstiger Gesundheitsstörungen der Betroffenen ist nicht festgestellt. Soweit dies den Akten entnommen werden kann soll die Unterbringung der Betreuten lediglich eine ungestörte Entrümpelung ermöglichen.
bb) Für den Aufgabenkreis "Betreten der Wohnung gegen den Willen der Betreuten" zur Durchführung der Entrümpelung fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Das gilt selbst dann, wenn das Betreten, wie hier, dazu dienen soll, der Betroffenen ihre Wohnung zu erhalten (vgl. OLG Frankfurt BtPrax 1996, 71 und LG Görlitz NJWE-FER 1998, 153; Knittel BtG § 1896 Rn. 32 m; a.A. Coeppians Sachfragen des Betreuungs- und Unterbringungsrechts. S. 75). Auf die Bestimmung des Art. 13 Abs. 7 GG kann die Ermächtigung zum Betreten der Wohnung der Betroffenen gegen deren Willen nicht gestützt werden. Es liegt weder eine gemeine Gefahr oder eine Lebensgefahr für einzelne Personen vor noch hat der Gesetzgeber mit den Regelungen des Betreuungsrechts eine gesetzliche Grundlage gemäß Art. 13 Abs. 7 GG geschaffen (vgl. zur Unterbringung nach öffentlichem Recht bei erheblichen Gefahren für die Nachbarn der vermüllten Wohnung BayObLG NJWE-FER 2001, 17).
3. Soweit noch weitere Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB zu treffen sind, ist die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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