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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 04.09.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 132/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1906 Abs. 4
Unter eine "sonstige Einrichtung" fällt nicht die Wohnung des Betreuten, der ausschließlich von seinen Familienangehörigen betreut wird.
Gründe:

I.

Für die Betroffene ist deren Sohn zum Betreuer mit dem Aufgabenkreis alle Angelegenheiten einschließlich Post- und Fernmeldeangelegenheiten bestellt. Die Betroffene lebt allein in ihrer Wohnung, wo sie ausschließlich von Familienangehörigen versorgt wird. Um ein unkontrolliertes Entweichen zu verhindern, schließen die Angehörigen die Betroffene regelmäßig in deren Wohnung ein. Während der Anhörung der Betroffenen am 8.1.2002 beantragte die beteiligte Betreuungsstelle die Genehmigung des Absperrens der Wohnung als unterbringungsähnlicher Maßnahme. Am 9.1.2002 beschloss das Amtsgericht: "Eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der von Angehörigen der Betroffenen durchgeführten Maßnahmen erfolgt nicht". Die sofortigen Beschwerden der Verfahrenspflegerin und der Betreuungsstelle gegen diese Entscheidung hat das Landgericht am 16.4.2002 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die sofortige weitere Beschwerde der Betreuungsstelle.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig. Die Beschwerdebefugnis der Betreuungsstelle folgt aus § 70m Abs. 2 i.V.m. § 70d Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 FGG. Sie konnte als Behörde die sofortige weitere Beschwerde durch einen von dem zuständigen Bediensteten, nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schriftsatz einlegen (§ 29 Abs. 1 Satz 3 FGG; vgl. BayObLG FamRZ 1997, 1358/1359).

Die sofortige weitere Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Die materiell-rechtliche Grundlage für die Entscheidung über die Freiheitsbeschränkung durch zeitweises Absperren der Wohnungstür werde von der Rechtsprechung in § 1906 Abs. 4 BGB gesehen.

Eine direkte Anwendung dieser Vorschrift käme nach dem Wortlaut nur dann in Betracht, wenn die eigene Wohnung als sonstige Einrichtung aufgefasst werden könnte. Dies könne nach dem Willen des Gesetzgebers jedoch nicht ohne weiteres bejaht werden. Dieser Begriff sei auf Anregung des Bundesrates in das Gesetz aufgenommen worden. Dieser habe dadurch "freiheitsbeschränkende" Maßnahmen vom Erfordernis gerichtlicher Genehmigung ausnehmen wollen, "sofern sie außerhalb von Einrichtungen wie Altenheime pp. im Rahmen einer Familienpflege" erfolgen. Dem habe die Bundesregierung zugestimmt, der Rechtsausschuss sei dem in seiner Empfehlung gefolgt.

Gleichwohl könne die eigene Wohnung des Betreuten könne unter den Begriff der sonstigen Einrichtung fallen, wenn der institutionelle Rahmen vergleichbar einer Einrichtung gestaltet sei. Dies sei der Fall, wenn zwar der Betroffene allein in der Wohnung lebe, jedoch ausschließlich durch fremde, professionelle ambulante Pflegedienste versorgt werde, oder wenn die Wohnung aufgrund besonderer Herrichtung und Einbeziehung bestimmter dritter Personen in die tatsächliche Pflege und Beaufsichtigung des Betroffenen als sonstige Einrichtung zu qualifizieren sei.

Dies sei hier nicht der Fall, da die Betroffene ausschließlich von ihrer Familie im Rahmen von Besuchen, die mehrmals täglich stattfänden, versorgt werde.

Eine solche Handhabung entspreche nicht dem Schutz, der anlässlich eines Einsperrens des Betroffenen in einer ordnungsgemäß geführten geschlossenen oder beschützenden Einrichtung gewährleistet sein müsse. § 1906 Abs. 4 BGB greife daher nicht ein. Eingriffe seien deshalb nur bei wirksamer Einwilligung des Betroffenen oder bei Vorliegen allgemeiner Rechtfertigungsgründe zulässig. Zu beachten bleibe damit der strafrechtliche Schutz der Freiheit der Person.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Das Landgericht hat mit ausführlicher und überzeugender Begründung dargelegt, warum das Einsperren eines Betroffenen in seiner eigenen Wohnung, in der er ohne besondere weitere Vorkehrungen ausschließlich von Familienangehörigen betreut wird, nicht zu den Maßnahmen gehört, für die eine vomundschaftsgerichtliche Genehmigung nach § 1906 Abs. 4 BGB erteilt werden kann. Der Senat schließt sich dem an.

Zwar kann auch die Wohnung eines Betroffenen als "sonstige Einrichtung" zu qualifizieren sein. Voraussetzung ist jedoch jedenfalls, dass dort die institutionellen Verhältnisse und insbesondere die Vorkehrungen zum Schutz des Betroffenen bei unvorhergesehenen Ereignissen denen einer geschlossenen Einrichtung vergleichbar sind (vgl. LG München I R&P 2000, 43/44). Wird der Betroffene lediglich in seiner eigenen Wohnung von Familienangehörigen im Rahmen regelmäßiger Besuche gepflegt, ohne dass weitere Vorkehrungen getroffen sind, liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Es handelt sich deshalb bei der Wohnung nicht um eine Anstalt, ein Heim oder eine sonstige Einrichtung i.S.v. § 1906 Abs. 4 BGB.

Diese Auslegung trägt dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 210) und dem besonderen Schutzbedürfnis des Betroffenen, der sich in verschlossenen Räumen aufhalten muss, Rechnung. Sie entspricht der herrschenden (im übrigen durchaus differenzierten) Meinung im Schrifttum (vgl. MünchKomm/Schwab BGB 4. Aufl. § 1906 Rn. 44; Palandt/ Diederichsen BGB 61. Aufl. § 1906 Rn. 23; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1906 Rn. 72; Staudinger/Bienwald BGB 12. Aufl. § 1906 Rn. 45; Erman/Roth BGB 10. Aufl. § 1906 Rn. 34; Bienwald Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1906 BGB Rn. 80; s. auch Knittel BtG § 1906 BGB Rn. 40). Der Gegenmeinung, die auch das Versperren der Wohnung des nur von Familienangehörigen versorgten Betroffenen im Hinblick auf den durch Art. 104 Abs. 2 GG garantierten Schutz des Betroffenen unter den Tatbestand des § 1906 Abs. 4 BGB subsumieren will (AG Garmisch-Partenkirchen BtPrax 1999, 207; Schumacher FamRZ 1991, 280/282), vermag der Senat nicht zu folgen. Sie berücksichtigt nicht hinreichend, dass der Betreuer, selbst wenn man eine Genehmigung des Vormundschaftsgericht nicht für erforderlich hält, die hier diskutierten Maßnahmen nur ergreifen darf, wenn hierfür ein allgemeiner Rechtfertigungsgrund gegeben ist.

Nach diesen Grundsätzen kommt im vorliegenden Fall auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die die Beschwerdeführerin nicht in Zweifel zieht, eine Genehmigung nach § 1906 Abs. 4 BGB nicht in Betracht.

b) Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Einleitung eines Verfahrens auf Genehmigung der geschlossenen Unterbringung oder einer unterbringungsähnlichen Maßnahme bezüglich des Betreuten ohne Mitwirkung des Betreuers durch die Betreuungsstelle nicht zweckmäßig war. Die Initiative zu einem solchen Verfahren erfordert zwar keinen formellen Antrag. Eine Genehmigung der Maßnahme kann aber nur erteilt werden, wenn aus dem Verhalten des Betreuers ersichtlich ist, dass er die Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht wünscht (BayObLG NJW-RR 2000, 524/525). Ein solcher Wunsch kann nur von einem Betreuer mit dem entsprechenden Aufgabenkreis ausgehen. Er ist der Herr des Unterbringungsverfahrens (vgl. BayObLG NJW-RR 1991, 774/775). Er allein hat nach seinem pflichtgemäßen Ermessen darüber entscheiden, ob er eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts herbeiführen und ob er von der erteilten Genehmigung Gebrauch machen will (vgl. Jansen FGG 2. Aufl. § 55a Rn. 36; Keidel/Kayser FGG 14. Aufl. § 70g Rn. 18), zumal ihm dann auch die Erfüllung etwaiger Auflagen obliegt. Ein entsprechender Wunsch des Betreuers ist aus den Akten nicht zu entnehmen.

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