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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.07.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 135/03
Rechtsgebiete: BGB, FGG, GG


Vorschriften:

BGB § 1906 Abs. 1
FGG § 70h
FGG § 69f Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
1. Antrag auf Rechtswidrigkeitsfeststellung im Verfahren der weiteren Beschwerde, wenn das Beschwerdegericht trotz Erledigung der Hauptsache über die Fortdauer der Unterbringung entschieden hat.

2. Auslegung dieses Antrags, wenn der Beschwerdeführer die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer solchen Entscheidung beantragt hat.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht genehmigte ohne vorherige Anhörung mit einstweiliger Anordnung vom 27.2.2003 für längstens sechs Wochen die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses. Die Betroffene wurde am 27.2.2003 geschlossen untergebracht und am 14.3.2003 durch einen Richter angehört.

Die gegen den Unterbringungsbeschluss von der Betroffenen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 10.4.2003, hinausgegeben am 11.4.2003, zurückgewiesen. Spätestens seit 13.5.2003 hielt sich die Betroffene auf einer offenen Station auf, sie ist inzwischen entlassen.

Mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde will die Betroffene nach Hinweis des Senats nunmehr erreichen, dass die Rechtswidrigkeit des landgerichtlichen Beschlusses vom 10.4.2003 festgestellt wird, die Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auferlegt werden und die Feststellung getroffen wird, dass die Zuziehung des Verfahrensbevollmächtigten für die Betroffene wegen der Bedeutung der Angelegenheit notwendig war.

II.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet.

1. Die Hauptsache ist erledigt (vgl. BayObLGZ 1989, 17/18). Die Genehmigung der Unterbringung war auf einen Zeitraum von sechs Wochen befristet; dieser lief am 10.4.2003 ab. Erledigt sich die Hauptsache, wird das zuvor mit dem Zweck der Entlassung aus der Unterbringung eingelegte Rechtsmittel unzulässig; eine Sachentscheidung kann insoweit nicht mehr ergehen (vgl. Keidel/Kahl FGG 15. Aufl. § 19 Rn. 94). Das Rechtsmittel kann aber auf die Kostenfrage beschränkt werden (Keidel/ Kahl aaO) oder mit dem Ziel weiter verfolgt werden, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung trotz Zeitablaufs zu erreichen. Denn die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es, in den Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs zu bejahen (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456; BayObLGZ 2002, 304/306; Demharter FGPrax 2002, 137/138). Ob hiervon im Einzelfall Ausnahmen gerechtfertigt sein können (vgl. Demharter aaO und BVerfG NJW 2003, 1514 für eine Durchsuchungsanordnung), bedarf hier keiner weiteren Erörterung, da im vorliegenden Fall einer zeitlich eng befristeten Freiheitsentziehung bereits nach den bisher maßgebenden Grundsätzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfG NJW 1998, 2432; BayObLG NJW 2002, 146 m. w. N.) der Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses zu bejahen ist.

Ergeht trotz Erledigung der Hauptsache im Beschwerdeverfahren eine Hauptsacheentscheidung, so ist hiergegen die sofortige weitere Beschwerde zulässig; die Erstbeschwerde ist unter Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts als unzulässig zu verwerfen, wenn sie der Beschwerdeführer nicht entsprechend den zuvor dargestellten Grundsätzen umgestellt hat, (vgl. BayObLG MDR 1998, 1116/1117; Keidel/Meyer-Holz § 27 Rn. 51).

Im vorliegenden Fall ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts erst mit Hinausgabe an die Beteiligten am 11.4.2003 im Rechtssinne erlassen und damit existent (Keidel/Schmidt § 16 Rn. 6) geworden. Die Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache durch Zeitablauf - Ende der genehmigten Unterbringung am 10.4.2003 - ist damit noch während der Anhängigkeit des Beschwerdeverfahrens eingetreten. Ergeht trotz Erledigung der Hauptsache - gleich, ob diese dem Beschwerdegericht bekannt war oder nicht - eine Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Hauptsache, ist diese verfahrensrechtswidrig getroffen worden und wäre damit aufzuheben (s. hierzu Senatsentscheidung vom 19.5.2003 - 3Z BR 79/03 - bisher nicht veröffentlicht).

2. Die Betroffene hat aber zwischenzeitlich einen zulässigen Feststellungsantrag gestellt, so dass eine Verwerfung ihrer sofortigen Beschwerde nicht in Betracht kommt. Vielmehr hätte das Beschwerdegericht nach Zurückverweisung der Sache über den Feststellungsantrag der Betroffenen in der Sache zu entscheiden. Der Senat sieht von einer Zurückverweisung ab und entscheidet selbst, da weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind. Die Beschwerdeentscheidung ist trotz des festgestellten Verfahrensfehlers im Ergebnis richtig(vgl. § 27 Abs. 1 FGG, § 561 ZPO).

a) Gegenstand der Rechtswidrigkeitsfeststellung ist nach dem konkreten Antrag der Betroffenen die Frage, ob der Beschluss des Landgerichts rechtmäßig war. Dieser Antrag ist auszulegen. Er betrifft hier nicht die Feststellung des dargestellten Verfahrensfehlers, da die Rechtswidrigkeitsfeststellung nur für tiefgreifende Grundrechtseingriffe von Verfassungs wegen geboten ist. Ist die Entscheidung aber trotz des Verfahrensfehlers in Ordnung, ist für eine Feststellung der Rechtswidrigkeit wegen des fehlenden Grundrechtseingriffs kein Raum. Die Rechtswidrigkeitsfeststehung kann deshalb nur die Frage betreffen, ob die in der Beschwerdeentscheidung liegende Anordnung der Fortführung der Unterbringung zu Recht erfolgt ist. Ausschlaggebender Zeitpunkt für die Prüfung ist hier der letzte Tag der genehmigten Unterbringung, an welchem das Landgericht über diese entschieden hat.

b) Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Bei der Betroffenen bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB gegeben seien. Mit einem Aufschub der Unterbringung wäre eine erhebliche Gefahr für die Betroffene verbunden. Nach dem Gutachten des Sozialpsychiatrischen Dienstes des zuständigen Gesundheitsamtes bestehe bei der Betroffenen der dringende Verdacht auf eine chronische Schizophrenie. Nach dem Gutachten des Bezirkskrankenhauses vom 2.4.2003 habe sich diese Diagnose bestätigt; der psychische Zustand der Betroffenen sei extrem labil, eine Suizidalität könne nicht restlos ausgeschlossen werden. Eine weitere Medikamentenanpassung erscheine unter stationären geschlossenen Bedingungen dringend notwendig. Das entgegenstehende von der Betroffenen vorgelegte ärztliche Attest eines Nervenarztes sei als wertlos anzusehen. Der Arzt habe gegenüber der Betreuerin erklärt, er habe dieses Attest ausgestellt, weil die Betroffene ein Gutachten gegen die Betreuung haben wollte. Sie sei aber lediglich dreimal bei ihm gewesen und habe grundsätzlich eine Behandlung abgelehnt. Aus sämtlichen Stellungnahmen von Betreuerin und Verfahrenspfleger sowie aus den Gutachten von zwei Ärzten sowie der Anhörung des Amtsrichters und der Anhörung durch die Kammer im Betreuungsverfahren sei klar erkennbar, dass die Betroffene infolge ihrer Krankheit ihren Willen nicht mehr frei bestimmen und die Notwendigkeit einer Behandlung nicht einsehen könne. Bei einem Ausgang der Betroffenen aus dem Bezirkskrankenhaus habe diese aus geringfügigem Anlass völlig die Kontrolle verloren und mit Selbstmord gedroht. Eine medikamentöse Behandlung, welche die Betroffene dringend benötige, sei deshalb derzeit nur in geschlossener Unterbringung durchführbar. Die stationäre Behandlung sei dringend geboten, um von der Betroffenen den gesundheitlichen Schaden abzuwenden, der in der Entwicklung schwerer psychotischer Erregungszustände liege, und sie von der Verwirklichung ihrer Suizidgedanken abzuhalten. Von einer erneuten Anhörung der Betroffenen habe die Kammer abgesehen, da diese kurz zuvor durch den Amtsrichter angehört worden sei.

c) Diese Beurteilung teilt der Senat. Nach Aktenlage war die Fortführung der Unterbringung am Ende des Genehmigungszeitraums zu billigen. Für eine Rechtswidrigkeitsfeststellung ist kein Raum.

aa) Bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB gegeben sind, kann das Vormundschaftsgericht unter den Voraussetzungen des § 69f Abs. 1 FGG die vorläufige Unterbringung des Betroffenen durch einstweilige Anordnung genehmigen (§ 70h Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 FGG). Gemäß diesen Vorschriften kommt eine vorläufige Unterbringung in Betracht, wenn konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit (vgl. BayObLGZ 1997, 142/145; BayObLGZ 2000, 220/222; NJW-RR 2001, 654) darauf hindeuten, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 BGB vorliegen. Das ist insbesondere der Fall, wenn entweder auf Grund einer psychischen Krankheit die - konkrete (vgl. hierzu Marschner/ Volckart Freiheitsentziehung und Unterbringung 4. Aufl. § 1906 BGB Rn. 15 m. w. N.; Palandt/Diederichsen BGB 62. Aufl. § 1906 Rn. 9) - Gefahr besteht, dass der Betroffene sich selbst tötet oder sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt und er insoweit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB; vgl. BayObLGZ 2000, 220/222; BayObLG FamRZ 2002, 908/909; BayObLGZ 1993, 18 = FamRZ 1993, 600; BayObLG NJW-RR 1998, 1014 m. w. N.), oder wenn eine Heilbehandlung notwendig ist, jedoch ohne Unterbringung nicht durchgeführt werden kann, weil der Betroffene auf Grund einer psychischen Krankheit nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB; BayObLGZ aaO). Die Erforderlichkeit der Unterbringung ist der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen, da die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, dass sie nur aus besonders wichtigem Grund angetastet werden darf (vgl. BVerfG NJW 1998, 1774/1775). Die Unterbringung zur Durchführung einer Heilbehandlung ist nur zulässig, wenn sie sich als unumgänglich erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden (BVerfG aaO; BayObLG 2000, 220/222; 1999, 270/272). Ferner müssen konkrete Tatsachen nahe legen, dass mit dem Aufschub der Unterbringung Gefahr für den Betroffenen bestünde (BayObLGZ 2000, 220/222; 1997, 142/145). Die Tatsachen müssen glaubhaft sein; zwingend muss ein ärztliches Zeugnis über den Zustand der Betroffenen vorliegen (§ 70h Abs. 1 Satz 2, § 69f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGG).

bb) Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Inhalt der Akten, dass bereits am 14.2.2003 durch eine Ärztin des zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienstes der dringende Verdacht auf eine chronische Schizophrenie bei der Betroffenen diagnostiziert worden ist. Diese Diagnose hat sich zwischenzeitlich auf Grund eines weiteren ärztlichen Gutachtens bestätigt. Es steht weiter fest, dass im Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung die konkrete Gefahr bestand, dass die Betroffene infolge dieser Krankheit in starke Erregungszustände gelangte, die so weit führten, dass die Betroffene nicht mehr wusste, was sie tat, und mit ihrer Selbsttötung drohte. Dies hatte sich vor dem Beschluss des Landgerichts anlässlich eines ihr gewährten Ausgangs aus dem Bezirkskrankenhaus gezeigt, bei welchem sie aus nichtigem Anlass in eine solche Phase geraten war. Zudem ergibt sich aus den beiden Gutachten, dass die Betroffene, auf sich allein gestellt, nicht mehr alleine zurecht kam und verwahrloste, indem sie mehr oder weniger wie eine ungepflegte Landstreicherin herumzog. Nach den ärztlichen Feststellungen hatte sich ihr körperlicher und psychischer Zustand im letzten halben Jahr vor der Unterbringung erheblich verschlechtert. Sie zeigte weder Krankheits- noch Behandlungseinsicht und war krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihren Willen insoweit frei zu bestimmen. Das entgegenstehende ärztliche Attest ist nach den eigenen Angaben des ausstellenden Arztes nicht aussagekräftig.

cc) Auf Grund dieser Unterlagen ergibt sich, dass sowohl zur Abwendung von erheblichen gesundheitlichen Schäden bis hin zur Selbsttötungsgefahr als auch zur notwendigen Behandlung der Betroffenen die geschlossene Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich und auch die Eilbedürftigkeit der Unterbringung zu bejahen war. Nach dem Gutachten der Ärztin des Sozialpsychiatrischen Dienstes war der gesundheitliche Verfall der Betroffenen bereits im Februar 2003 so weit fortgeschritten, dass die Betroffene bei jeglicher versuchter Ansprache in Erregungszustände geriet, ununterbrochen schrie, kreischte, brüllte und tobte und nicht mehr zu beruhigen war. Zu anderen Zeiten war sie depressiv und weinerlich. Ihre Wohnung war in einem katastrophalen Zustand; sie selbst äußerst verwahrlost. Diese konkreten Tatsachen zeigen, dass zum Zeitpunkt des Beginns der Unterbringung ohne eine sofortige Behandlung der Betroffenen die Gefahr bestand, dass die Betroffene jederzeit in hochpsychotische Erregungszustände geraten konnte, die verbunden mit ihrer depressiven Stimmungslage zu schweren gesundheitlichen Schäden bis hin zur Selbsttötung führen konnten. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung der Kammer hatte sich trotz der durchgeführten Unterbringung nichts Entscheidendes geändert, wie der Vorfall bei dem Ausgang der Betroffenen gezeigt hatte. Die Unterbringungsvoraussetzungen waren demnach auch am Ende des Genehmigungszeitraumes noch zu bejahen. Die beantragte Rechtswidrigkeitsfeststellung scheidet damit aus. Auf etwaige Verfahrensfehler des Amtsgerichts, die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts bereits geheilt waren, kommt es nicht an.

3. Da die sofortige weitere Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen war, konnte den weiteren Anträgen der Betroffenen nicht stattgegeben werden.

Ende der Entscheidung

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