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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 14.08.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 149/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 2
Liegen mehrere, verschiedenen Personen erteilte Vorsorgevollmachten vor, ist aber zweifelhaft, welche von diesen wirksam ist, so ist diese Frage im Verfahren über die Anordnung einer Betreuung aufzuklären. Kann die Frage nicht geklärt werden, ist ein Betreuungsverfahren durchzuführen, weil in diesem Falle die Angelegenheiten der Betroffenen durch einen Bevollmächtigten nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.
Gründe:

I.

Die Betroffene, bei der schon vor einiger Zeit ein dementielles Syndrom festgestellt wurde, wohnt in einem Altenheim in der Nähe ihrer Tochter, der Beteiligten zu 2, die als Krankenschwester ausgebildet ist und sie bislang betreut. Am 19.5.2000 erteilte die Betroffene ihrem Sohn, dem Beteiligten zu 1, eine als Vorsorgevollmacht betitelte widerrufliche Generalvollmacht, sie in allen persönlichen Angelegenheiten "in jeder denkbaren Richtung" zu vertreten. Die Vollmacht ist notariell beurkundet. Am 26.6.2001 erteilte die Betroffene ihrer Tochter eine (weitere) formularmäßig vorformulierte Vorsorgevollmacht. Hiernach wurde (auch) die Tochter bevollmächtigt, die Betroffene in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, soweit dies gesetzlich zulässig ist, gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten. Die Unterschrift der Betroffenen wurde notariell beglaubigt. Mit Erklärung vom 27.12.2002, dem Beteiligten zu 1 spätestens mitgeteilt mit Schreiben vom 7.3.2003, widerrief die Betroffene die ihrem Sohn erteilte Generalvollmacht. Zugleich bestätigte sie nochmals die ihrer Tochter erteilte Vollmacht. Die Unterschrift der Betroffenen wurde wiederum notariell beglaubigt. Auf die Erklärung aufgesetzt findet sich ferner ein Attest des Hausarztes der Betroffenen, wonach diese seiner Überzeugung nach zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung voll geschäftsfähig gewesen sei.

Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 20.3.2003 regte der Beteiligte zu 1 an, für seine Mutter Betreuung anzuordnen bezüglich aller Rechtsgeschäfte, der Aufenthaltsbestimmung sowie der Gesundheitsfürsorge. Das Amtsgericht stellte das hierauf eingeleitete Betreuungsverfahren nach Intervention der Beteiligten zu 2 mit Beschluss vom 26.3.2003 ein, ohne eine Betreuung anzuordnen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht mit Beschluss vom 11.6.2003 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde führt zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Es könne dahinstehen, ob die Betroffene in der Lage sei, ihre Angelegenheiten derzeit selbst zu regeln. Ein Bedürfnis für die Anordnung einer Betreuung bestehe derzeit nicht, weil zumindest eine wirksame Vollmacht erteilt sei. Zwar stehe auch eine umfassende Vollmacht der Bestellung eines Betreuers nicht entgegen, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmachtserteilung bestünden. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor; es sei vielmehr nicht zweifelhaft, dass eine der beiden den Beteiligten erteilten Vollmachten wirksam sei. Ein dringendes Bedürfnis zur Bestellung eines Betreuers für die Zeit bis zur Klärung der Frage, welche der Vollmachten nun wirksam sei, bestehe offensichtlich nicht.

2. Die Entscheidung des Landgerichts kann nach Auffassung des Senats der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht standhalten.

a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht ihm einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers gegen den Willen des Betroffenen setzt daneben voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht mehr frei bestimmen kann (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 454/455). Ein Betreuer darf darüber hinaus nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten, der nicht dem gesetzlich als Betreuer ausgeschlossenen Personenkreis angehört, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 BGB).

b) Im vorliegenden Fall bedarf es weiterer Sachaufklärung (§ 12 FGG), ob die Anordnung einer Betreuung erforderlich ist.

aa) Die Betroffene hat zunächst ihrem Sohn, dem Beteiligten zu 1, eine Vorsorgevollmacht erteilt. Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene zum Zeitpunkt der Erteilung dieser Vollmacht nicht mehr geschäftsfähig gewesen und die Vollmacht deshalb unwirksam sein könnte, können den Akten nicht entnommen werden. Die Vollmacht reicht ihrem Inhalt nach aus, die derzeit etwa anstehenden Angelegenheiten der Betroffenen zu regeln. Gleiches gilt im Ergebnis auch für die Vorsorgevollmacht, die die Betroffene am 26.6.2001 ihrer Tochter, der Beteiligten zu 2, erteilt hat. Unklar ist allerdings, ob die Betroffene zum Zeitpunkt der Abgabe ihrer diesbezüglichen Erklärungen noch geschäftsfähig war; immerhin liegen - etwa in Gestalt der Diagnose des Kreiskrankenhauses H. vom 10.4.2001 - durchaus Anhaltspunkte dafür vor, dass die Betroffene bereits seinerzeit an seniler Demenz litt. Gleichfalls zweifelhaft ist die Wirksamkeit der Erklärung der Betroffenen vom 27.12.2002, mit der sie die ihrem Sohn erteilte Generalvollmacht widerrufen hat. Zwar hat der Hausarzt der Betroffenen ihr zu diesem Zeitpunkt Geschäftsfähigkeit attestiert; es liegen jedoch die genannten Anhaltspunkte für eine senile Demenz vor.

bb) In der Zusammenschau der Willenserklärungen der Betroffenen kommt der Senat wie das Landgericht zu dem Ergebnis, dass derzeit zumindest eine der beiden von der Betroffenen erteilten Vorsorgevollmachten wirksam ist. Entweder besteht die dem Beteiligten zu 1 erteilte Vorsorgevollmacht fort, weil der Widerruf dieser Vollmacht mangels Geschäftsfähigkeit der Betroffenen unwirksam war, oder aber es besteht nunmehr eine entsprechende Vorsorgevollmacht der Beteiligten zu 2. Denn wenn die Betroffene bei Widerruf der ihrem Sohn erteilten Vollmacht am 27.12.2002 geschäftsfähig war, dann ist die der Tochter erteilte Vollmacht wenn schon nicht im Zustande der Geschäftsfähigkeit erteilt, so doch im geschäftsfähigen Zustand inhaltlich ihrem vollem Umfang nach bestätigt worden und damit wirksam. Einer bestimmten Form bedarf die Vorsorgevollmacht grundsätzlich nicht (vgl. Palandt/Diederichsen BGB 62. Aufl. Einführung vor § 1896 Rn. 7; Palandt/Heinrichs § 167 Rn. 2).

cc) Wie das Landgericht zutreffend weiter ausführt, steht die Erteilung einer Vollmacht der Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen allerdings nicht entgegen, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmacht bestehen (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 720/721). Solche Zweifel bestehen zur Zeit aber auch im vorliegenden Fall. Es ist nämlich im Augenblick unklar, ob der Beteiligte zu 1, die Beteiligte zu 2 oder sogar beide Beteiligten rechtlich verbindliche Erklärungen für die Betroffene abgeben können. Im Betreuungsrecht ist das Wohl des Betroffenen die oberste Richtschnur. Der Betroffene darf, wenn die Voraussetzungen von § 1896 BGB vorliegen, nicht ohne staatliche Hilfe gelassen werden (BayObLG aaO). Genau dies ist vorliegend aber zu befürchten: Der Streit um die Frage, wer von beiden Beteiligten wirksam als Bevollmächtigter der Betroffenen für diese handeln kann, kann nicht zu Lasten der Betroffenen offen gelassen werden. Vielmehr ist bereits im Verfahren über die Anordnung einer Betreuung zu ermitteln, ob zumindest eine der erteilten Vollmachten wirksam ist, etwa diejenige des Sohnes, weil die Betroffene am 27.12.2002 nicht mehr geschäftsfähig war oder diejenige der Tochter, weil die Betroffene jedenfalls am 26.6.2001 noch geschäftsfähig war. Lässt sich eine diesbezügliche Feststellung treffen, so dürfte das Verfahren beendet werden können; der Bestellung eines Betreuers bedarf es in diesem Falle im Grundsatz nicht, weil die Angelegenheiten der Betroffenen dann vom Bevollmächtigten wirksam geregelt werden können. Anderes könnte allenfals gelten, wenn eine Überwachung des Bevollmächtigten angezeigt wäre (vgl. § 1896 Abs. 3 BGB) oder der Bevollmächtigte an einer sachgerechten Ausübung der Vollmacht gehindert wäre. Hierfür ergeben sich aus den Akten allerdings bisher keine Anhaltspunkte. Sollte dagegen nicht mehr festgestellt werden können, welche der erteilten Vollmachten (noch) wirksam ist, können die Angelegenheiten der Betroffenen durch den/die Bevollmächtigte(n) nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden, weil dann zu befürchten steht, dass die Wirksamkeit jedweden Rechtsgeschäfts, das ein Bevollmächtigter für die Betroffene getätigt hat, vom anderen Bevollmächtigten und/oder Dritten in Zweifel gezogen werden wird. Derartiges ist der Betroffenen nicht zuzumuten. In diesem Falle wird das Betreuungsverfahren deshalb fortzusetzen sein. Vorschläge der Betroffenen zur Person des Betreuers werden dabei grundsätzlich zu berücksichtigen sein (vgl. § 1897 Abs. 4 BGB).

dd) Aus Sicht des Senats erscheint es sachgerecht, wenn das Amtsgericht die noch erforderlichen Feststellungen trifft, weil beide Vorinstanzen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, von der erforderlichen weiteren Sachaufklärung abgesehen haben und deshalb beide bisher ergangenen Entscheidungen auf dem gleichen Rechtsfehler beruhen (vgl. Keidel/Meyer/ Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 61)

Ende der Entscheidung

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