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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 09.08.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 151/02
Rechtsgebiete: BGB, AGBGB


Vorschriften:

BGB § 1821 Abs. 1 Nr. 1
AGBGB Art. 18
Zur Frage der Genehmigungsfähigkeit eines Vergleichs, in dem ein Betreuter auf die Rechte aus einem Leibgeding verzichtet.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht ordnete im Jahr 1996 die Betreuung der Betroffenen an. Der Wirkungskreis der Betreuerin, einer Tochter der Betroffenen, wurde 1998 neu gefasst; er umfasst seither u.a. die Aufenthaltsbestimmung und die Sorge für das Vermögen der Betroffenen.

Der Betroffenen und ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann wurde durch notarielle Vereinbarung vom 5.11.1976 als Gegenleistung für die Überlassung eines Grundstücks nebst Wohnhaus, Hofraum und Garten an den gemeinsamen Sohn ein Leibgeding eingeräumt. Die "Übergeber" erhielten u.a. das Recht auf eine 4-Zimmer-Wohnung im überlassenen Anwesen zugesprochen. Das Leibgeding wurde im Grundbuch eingetragen. Im Rahmen eines Scheidungsverfahrens übertrug der Sohn der Betroffenen später seiner Ehefrau, die zu diesem Zeitpunkt bereits als Miteigentümerin des fraglichen Anwesens im Grundbuch eingetragen war, vergleichsweise den ihm verbliebenen Miteigentumsanteil. Die Betroffene und ihr Ehemann, die dem Rechtsstreit zum Zwecke des Vergleichsschlusses beigetreten waren, verzichteten gegenüber der nunmehrigen Alleineigentümerin ersatzlos auf ihr Wart- und Pflegerecht. Sie erklärten sich mit ihr dahin einig, dass das Leibgeding im übrigen mit der Maßgabe fortbestehen sollte, dass das gewährte Wohnungsrecht "als ausschließliches, nicht übertragbares und nicht vererbbares Recht" fortbestehe.

Seit die Betroffene 1996 einen Schlaganfall erlitten hat, ist sie nicht mehr in der Lage, ihr Wohnungsrecht auszuüben. Sie lebt seither bei ihrer Betreuerin. Wegen der Wohnung kam es dann im folgenden zu einem Rechtsstreit zwischen der Betroffenen und ihrer (ehemaligen)-Schwiegertochter. In diesem Rechtsstreit erklärte die Betroffene, vertreten durch ihre Betreuerin, sich vergleichsweise bereit, unwiderruflich und endgültig auf ihr Wohnungsrecht zu verzichten und dessen Löschung im Grundbuch zu bewilligen. Sie verpflichtete sich ferner, die Wohnung zu räumen. Als Gegenleistung verpflichtete sich die begünstigte Schwiegertochter, der Betroffenen mit Vollzug der Löschung und Vorlage der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung für den Verzicht bzw. eines Negativattestes einen Betrag von 2500 EUR auszubezahlen. Damit sollten sämtliche wechselseitigen Ansprüche, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten und erledigt sein. Die Betreuerin beantragte, den Vergleich vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen. Das Amtsgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 3.5.2002 zurück. Hiergegen erhob die Betreuerin namens der Betroffenen Beschwerde, die das Landgericht mit Beschluss vom 18.6.2002 zurückgewiesen hat. Gegen diesen Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde ist unbegründet.

1. Gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels sind Bedenken nicht zu erheben. Es ist insbesondere weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die angefochtene Verweigerung der beantragten vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung einem Dritten (hier: der ehemaligen Schwiegertochter der Betroffenen) gegenüber bereits durch Mitteilung seitens der Betreuerin (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1829 Abs. 1 Satz 2 BGB) wirksam geworden wäre. Damit bleibt auch das Gericht der weiteren Beschwerde weiterhin befugt, die ergangenen Entscheidungen abzuändern (vgl. §§ 69e, 55, 62 FGG).

2. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

a) Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Das Rechtsgeschäft, dessen Genehmigung beantragt werde, diene nicht dem Wohl der Betroffenen. Die Höhe des Abfindungsbetrages für das aufzuhebende Wohnungsrecht habe sich an dessen Wert zu orientieren. Auszugehen sei dabei von dem für die Wohnung zu erzielenden monatlichen Mietzins, der auf den Jahreswert hochzurechnen sei. Ferner sei die Lebenserwartung der Betroffenen von statistisch gesehen noch mindestens fünf Jahren zu berücksichtigen. Die Multiplikation der Bemessungsfaktoren ergebe den vom Amtsgericht errechneten Abfindungsbetrag von 24000 EUR. Der demgegenüber im Vergleich der Betroffenen zugebilligte Betrag von 2500 EUR sei offenkundig zu niedrig. Darauf, dass die Betroffene ihre Wohnung nicht mehr nutzen könne, komme es nicht an.

b) Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 FGG, § 546 ZPO) im Ergebnis stand.

aa) Zur Verfügung über das Recht der Betreuten an einem Grundstück bedarf der Betreuer der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB), Betroffen hiervon sind u.a. Verfügungen über Dienstbarkeiten (vgl. Palandt/Diederichsen BGB 61. Aufl. 1821 Rn. 14). Die Entscheidung über die Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung ist eine Ermessensentscheidung (BGH NJW 1986, 2829/2830; BayObLG FamRZ 1998, 455/456; 2001, 51/52). Maßgebend ist das Interesse des Betreuten, wie es sich zur zeit der Entscheidung darstellt, wobei alle in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind (vgl. BayObLG'FamRZ 1989, 540/541; Palandt/Diederichsen § 1828 Rn. 7).

Das Gericht der weiteren Beschwerde kann die Ermessensentscheidung des Tatrichters dabei nur beschränkt überprüfen. Es kann sie nur dann als rechtsfehlerhaft beanstanden, wenn der Tatrichter sich des ihm zustehenden Ermessens nicht bewusst war, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen, der Bewertung relevanter Umstände unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt, von seinem Ermessen dem Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufenden Gebrauch gemacht oder die Grenzen des Ermessens überschritten hat (vgl. BGH NJW-RR 1990, 1157; BayObLGZ 1993, 325/328; 1997, 113/119; BayObLG FamRZ 1998, 455/456).

bb) Im vorliegenden Fall ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Betroffenen ein dinglich gesichertes Wohnungsrecht zusteht, über das die Betreuerin namens der Betroffenen nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts verfügen kann. Der in Zusammenhang mit der Überlassung des fraglichen Grundstückes an den Sohn geschlossene, Leibgedingvertrag (Art. 96 EGBGB, Art. 7 ff. AGBGB) umfasste ein Wohnungsrecht für die Betroffene und ihren Ehemann, das nach Maßgabe des BGB (vgl. Palandt/Bassenge Art. 96 EGBGB Rn. 6) in Form einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1093 BGB) abgesichert wurde. Dies wiederum konnte, wie geschehen, in der Weise erfolgen, dass im Grundbuch unter Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung zusammenfassend ein Leibgeding eingetragen wurde (§ 49 GBO; vgl. Palandt/Bassenge Art. 96 EGBGB Rn. 7). Nach Aktenlage ist das dingliche Wohnungsrecht der Betroffenen später nicht wieder aufgehoben worden; das Leibgeding sollte auch nach Maßgabe des Vergleichs, durch den die Schwiegertochter der Betroffenen Eigentümerin des Hausgrundstückes wurde und dem die Betroffene selbst und ihr Ehemann seinerzeit beigetreten sind, bezüglich des Wohnungsrechtes fortbestehen. Nach dem Tode ihres Ehemannes war die Betroffene hieraus alleine berechtigt, Art. 22 Abs. 1 AGBGB.

Nicht folgen kann der Senat allerdings dem Landgericht insoweit, als dieses bei der Ausübung seines Genehmigungsermessens (s.o.) ausschließlich auf den (Miet-)Wert des aufzuhebenden Rechtes abstellen möchte und ausdrücklich anmerkt, dass es nicht darauf ankomme, dass die Betroffene die Wohnung nicht mehr nutzen könne. Wie dargelegt, ist im Rahmen der Ermessensentscheidung des Gerichts maßgeblich auf das Interesse der Betreuten abzustellen, wobei alle Vorteile, Risiken, Erträge, Aufwendungen und Folgen gegeneinander abzuwägen sind. Die Tatsache, dass die Betroffene ihre Wohnung als solche nicht mehr nutzen kann, ist dabei ebenso in Betracht zu ziehen wie dies für die Aufwendungen gilt, die der weitere Unterhalt der Wohnung mit sich bringt. Auch ist zu beachten, dass die ehemalige Schwiegertochter der Betroffenen für die Vergangenheit diesbezügliche Forderungen geltend macht, auf die sie im Rahmen des zur Genehmigung anstehenden Vergleichs verzichten würde.

Gleichwohl nötigt die Verfahrensweise des Landgerichts nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Diese erweist sich nämlich aus anderen Gründen als richtig (vgl. dazu Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 64). Das Landgericht wie die Beteiligten haben außer Betracht gelassen" dass der Betroffenen im vorliegenden Falle keineswegs nur ein "abstrakt" hochzurechnender, faktisch nicht realisierbarer Mietwert ihrer Wohnung zugute kommt, sondern ganz konkret ein Anspruch gegen die aus dem Leibgeding nach den getroffenen Absprachen mit verpflichtete Schwiegertochter aus Art. 18 AGBGB. Hiernach hat der aus einem Leibgeding Verpflichtete dem Berechtigten für die Befreiung von der Pflicht zur Gewährung der Wohnung eine Geldrente zu bezahlen, wenn der Berechtigte aus besonderen Gründen das Grundstück auf Dauer verlassen muss. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil die Betroffene nach Aktenlage aus gesundheitlichen Gründen gezwungen war, ihre Wohnung auf Dauer zu verlassen (vgl. Sprau Justizgesetze in Bayern 1988 Art. 18 AGBGB Rn. 2). Die nach Art. 18 AGBGB zu zahlende Geldrente ist als Ersatz des bisherigen Wohnungswertes nach billigem Ermessen festzusetzen, was eine Abwägung der Belange des Verpflichteten und des "Altenteilers" erfordert (Sprau Art. 18 AGBGB Rn. 7 und 8). Im Falle einer Aufhebung ihres Wohnungsrechtes würde die Betroffene ihren Anspruch auf diese Geldrente verlieren. Dies hat das Vormundschaftsgericht bei der Prüfung der Frage, ob eine solche Verfügung genehmigt werden kann, selbstverständlich mit zu berücksichtigen. Im vorliegenden Falle kann der Senat das dem Gericht vom Gesetz eingeräumte Genehmigungsermessen (s.o.) selbst ausüben, weil die zu verwertenden Tatsachen ohne Ermittlungen feststehen und sich auf diese Weise eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht erübrigt (Keidel/Kahl § 27 Rn. 59 m. w. N.).

In Abwägung aller Umstände, die hier ins Gewicht fallen, kommt der Senat aber zu dem gleichen Ergebnis wie das Landgericht. Zwar mag es sein, dass die Betroffene sich aus einem fortbestehenden Wohnungsrecht mit für sie nachteiligen Pflichten konfrontiert sieht, zu denen in der Beschwerdebegründung im einzelnen vorgetragen wurde. Die Betroffene kann aber selbst dann, wenn sie ihr Wohnungsrecht nicht mehr persönlich ausüben kann, den Wert des Rechts in Form eines Rentenanspruches weiter nutzen. Hinzu kommt der Mietwert der Wohnung, der im Falle einer Aufhebung des Wohnungsrechtes in das Vermögen der nunmehrigen Eigentümerin des Anwesens fließt. All dies lässt es im wohl erwogenen Interesse der Betroffenen nicht angemessen erscheinen, einen Verzicht seitens der Betroffenen gegen Zahlung eines Ausgleichsbetrages von nur 2500 EUR zu genehmigen.

Ende der Entscheidung

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