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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 26.10.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 160/04
Rechtsgebiete: PAG, GG


Vorschriften:

PAG Art. 24
GG Art. 19 Abs. 4
Zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Durchsuchung einer Gaststätte, wenn der Betroffene in dem von ihm unterzeichneten Untersuchungsbericht erklärt hat, er sei mit der Durchsuchung einverstanden.
Gründe:

I.

Am 12.5.2004 durchsuchte die Polizei aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts München vom 20.4.2004 eine Gaststätte in München, deren Inhaberin die Betroffene ist. Mit Anwaltsschreiben vom 18.5.2004 legte die Betroffene gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 20.4.2004 Beschwerde mit dem Ziel ein, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses festzustellen.

Mit Beschluss vom 14.7.2004 verwarf das Landgericht München I die Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen.

II.

Die gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 3 PAG, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 1 Satz 1, 2 FGG, Art. 11 Abs. 3 Nr. 1 AGGVG zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdegericht hat zu Recht das Feststellungsinteresse der Betroffenen gemäß § 20 Abs. 1 FGG verneint und deswegen in der Sache nicht entschieden, § 27 Abs. 1 Satz 1, 2 FGG, § 546 ZPO.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Betroffenen fehle das Feststellungsinteresse zwar nicht wegen prozessualer Überholung der Durchsuchungsanordnung. Die Betroffene sei jedoch ausweislich des von ihr unterzeichneten Durchsuchungsberichts mit der Durchsuchung einverstanden gewesen. Infolge ihrer Einwilligung in die Grundrechtsbeeinträchtigung sei sie bereits zum Zeitpunkt der Durchsuchungshandlung nicht in ihren Grundrechten betroffen gewesen.

Die Betroffene wendet ein, sie habe ihr Einverständnis mit der Durchsuchung im Sinne eines Grundrechtsverzichts nicht erklärt. Sie habe der durch den Durchsuchungsbeamten angekreuzten Einverständniserklärung eine solche Bedeutung nicht beigemessen. Mit der Beschwerdeeinlegung habe sie ihre Erklärung angefochten.

2. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts halten rechtlicher Überprüfung stand (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 546 ZPO).

a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass es der Betroffenen nicht bereits wegen prozessualer Überholung der amtsgerichtlichen Durchsuchungsanordnung am Rechtsschutzinteresse fehlt. Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes verbietet es den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel ineffektiv zu machen und für den Beschwerdeführer "leer laufen" zu lassen. Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es zwar grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur so lange als gegeben ansehen, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzinteresse aber auch in Fällen tief greifender Grundsrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen. Tief greifende Grundrechtseingriffe kommen vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz - wie in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3 GG - vorbeugend dem Richter vorbehalten hat (vgl. BVerfG NJW 1997, 2163/2164; NJW 1998, 2813/2814; NJW 2003, 1514; NJW 2004, 2510).

b) Das Beschwerdegericht hat jedoch zu Recht angenommen, dass es an einem tief greifenden Grundrechtseingriff als Grundlage des fortwirkenden Rechtsschutzinteresses der Betroffenen fehle, da diese ihr Einverständnis mit der Durchsuchung erklärt habe (BVerfG NJW 1998, 2813/2814; KG FGPrax 2002, 45/46).

aa) Das Beschwerdegericht hat das ausweislich des von dem Polizeibeamten erstellten Durchsuchungsberichts gegebene Einverständnis der Betroffenen mit der Durchsuchung als Einwilligung in den in der Durchsuchung liegenden Eingriff in ihr Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG und damit als Grundrechtsverzicht gewertet, bei dem die Betroffene allenfalls einen inneren Vorbehalt gegen die Durchsuchung gehabt habe. Die Betroffene wendet ein, sie habe sich der Durchsuchung in erster Linie deshalb nicht widersetzt, weil sie nicht den Verdacht eines Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte habe erwecken wollen. Mit der Unterzeichnung des bereits von den Polizeibeamten ausgefüllten Durchsuchungsberichts habe sie nicht ihr Einverständnis mit der Durchsuchung im Sinne eines Grundrechtsverzichts zum Ausdruck bringen wollen. Ihren Erklärungsirrtum habe sie durch Einlegung der Beschwerde nach § 119 Abs. 1 BGB angefochten.

bb) Der Inhaber des Grundrechts nach Art. 13 Abs. 1 GG kann wirksam auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Dementsprechend bedarf die Polizei einer Eingriffsbefugnis gemäß Art. 23 Abs. 1 PAG nur, wenn die Durchsuchung "ohne Einwilligung" des Wohnungsinhabers vorgenommen wird. Der Verzicht auf die Grundrechtsausübung stellt eine geschäftsähnliche Handlung dar, bei deren Auslegung das Rechtsbeschwerdegericht auf die Prüfung beschränkt ist, ob das Beschwerdegericht die Auslegungsfähigkeit erkannt, alle wesentlichen Tatsachen berücksichtigt, andere Auslegungen erwogen hat oder die Auslegung im Widerspruch zu gesetzlichen Auslegungsregeln, Erfahrungssätzen oder Denkgesetzen steht (vgl. Bassenge/Herbst/Roth FGG 9.Aufl. § 27 Rn.13; Keidel/Kuntze/Winkler FG 15.Aufl. § 27 Rn.49).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind Rechtsfehler des Beschwerdegerichts bei der Auslegung der in dem Durchsuchungs- und Sicherstellungsbericht enthaltenen Erklärung des Einverständnisses der Betroffenen mit der Durchsuchung nicht zu erkennen.

Auf geschäftsähnliche Handlungen wie den Verzicht auf die Ausübung eines Grundrechts sind die Vorschriften über Willenserklärungen, insbesondere über Auslegung und Anfechtung, entsprechend anwendbar (vgl. Palandt/Heinrichs BGB 63.Aufl. Überblick vor § 104 Rn.7).

Das Landgericht musste der Erklärung - entgegen der Auffassung der Betroffenen - nicht bloß die Bedeutung beimessen, die Erklärende wolle sich nicht dem Verdacht eines Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte aussetzen. Auch dem rechtlich nicht vorgebildeten Laien ist bekannt, dass ein derartiger Widerstand mehr als einen lediglich verbalen Protest gegen die Vollstreckungsmaßnahme voraussetzt. Das Landgericht durfte daher davon ausgehen, die Betroffene habe mit ihrer Unterschrift unter den Durchsuchungsbericht ihr Einverständnis mit der Durchsuchungsmaßnahme im Sinne eines Verzichts auf die Ausübung des Grundrechts aus Art. 13 GG erklärt.

Das Beschwerdegericht hat sich - wenn auch nicht ausdrücklich, so doch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe erkennbar - mit der Frage der Anfechtbarkeit der Einverständniserklärung befasst und diese im Ergebnis zu Recht verneint.

Soweit die Betroffene mit ihrem Einwand, der Bericht sei ihr von den Polizeibeamten bereits vollständig ausgefüllt vorgelegt worden, geltend machen will, sie habe die Einverständniserklärung unbesehen unterschrieben, besteht kein Anfechtungsrecht analog § 119 Abs. 1 BGB. Wer eine Urkunde ungelesen, d.h. im Bewusstsein der Unkenntnis ihres (vollständigen) Inhalts, unterschreibt, befindet sich nicht in einem rechtserheblichem Irrtum (vgl. Palandt/Heinrichs aaO § 119 Rn.9).

Soweit die Betroffene vorträgt, sie habe bei der Unterzeichnung des Schriftstücks angenommen, lediglich ihre Kooperationsbereitschaft zum Ausdruck zu bringen, würde dies zwar einen Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 1.Alternative BGB begründen. Dem Vortrag kann jedoch im Hinblick darauf, dass die Betroffene unstreitig während der Durchsuchung ihren Anwalt verständigt hat, dieser an den Durchsuchungsort gekommen ist und die Betroffene und ihren als Zeugen anwesenden Lebensgefährten rechtlich beraten hat, nicht gefolgt werden. Da die polizeilichen Maßnahmen mit dem Rechtsanwalt erörtert worden waren, ist es unschädlich, dass er bei der eigentlichen Unterzeichnung des Durchsuchungsberichts nicht mehr zugegen war.

Da die Betroffene wirksam auf die Ausübung ihres Grundrechts aus Art. 13 GG verzichtet hat, liegt ein das fortwirkende Rechtsschutzinteresse begründender tief greifender Grundrechtseingriff nicht vor.

Ende der Entscheidung

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