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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 15.05.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 163/00
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 70h Abs. 3
BGB § 1908i Abs. 1
BGB § 1846
Die zivilrechtliche Unterbringung des Betroffenen durch das Vormundschaftsgericht ist unzulässig, wenn dem Betroffenen nicht unverzüglich ein (vorläufiger) Betreuer zur Seite gestellt wird.
Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 4.4.2000 ordnete das Amtsgericht gemäß § 70h Abs. 3 FGG i.V.m. § 1846 BGB die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 16.5.2000 an. Daneben traf es freiheitsentziehende Maßnahmen und stimmte einem ärztlichen Behandlungsplan zu. Ergänzend gestattete es, der Betroffenen die Haare zu schneiden.

Die Betroffene ist am 28.4.20100 von einem Stadtausgang nicht mehr zurückgekehrt. Der Unterbringungsbeschluss wurde daraufhin aufgehoben. Ein (vorläufiger) Betreuer war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bestimmt worden.

Mit Beschluss vom 3.5.2000 hat das Landgericht auf sofortige Beschwerde den Beschluss des Amtsgerichts hinsichtlich der freiheitsentziehenden Maßnahmen aufgehoben und im übrigen das Rechtsmittel zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen.

Der Senat hat das Rechtsmittel mit Beschluss vom 14.11.2001 verworfen, soweit es gegen den der Erstbeschwerde stattgebenden Teil der Beschwerdeentscheidung gerichtet war. Im übrigen hat der Senat das Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs in einem Parallelverfahren ausgesetzt.

Der Bundesgerichtshof hat in dem Parallelverfahren am 13.2.2002 entschieden (Az.: XII ZB 191/00).

II.

Soweit über das Rechtsmittel der Betroffenen noch zu befinden ist, ist es trotz zwischenzeitlich eingetretener Erledigung in der Hauptsache zulässig. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf seinen Beschluss vom 14.11.2001 in gleicher Sache. In Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Rechtsschutzinteresse für die gerichtliche Prüfung ungeachtet prozessualer Überholung grundsätzlich zu bejahen, wenn sich wie hier die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf einen Zeitraum beschränkt, in welchem der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung vorgegebenen Instanz kaum erlangen kann (vgl. BayObLGZ 1999, 24 m.w.N.; weitergehend für freiheitsentziehende Maßnahmen nunmehr BVerfG InfAuslR 2002, 132).

Das Rechtsmittel ist teilweise begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Betroffene leide ärztlichen Feststellungen zufolge an einer chronischen paranoidhalluzinatorischen Schizophrenie, die ihr nicht erlaube, ihren Willen in bezug auf die Erkrankung und die damit zusammenhängenden Entscheidungen zu bilden. Aus der Wahnbeherrschtheit der Betroffenen resultiere, dass sie sich selbst und Dritte gefährde. Was den vom Amtsgericht verordneten Haarschnitt betreffe, so seien die Haare der Betroffenen infolge von Verwahrlosung durch Läuse und Spinnen befallen gewesen. Es habe Seuchengefahr bestanden.

Zu den Darlegungen des Landgerichts im einzelnen wird wiederum auf den Senatsbeschluss vom 14.11.2001 verwiesen.

2. Hinsichtlich der angeordneten Unterbringung der Betroffenen ist der Beschluss des Landgerichts nicht frei von Rechtsfehlern (§ 27 Abs. 1 FGG i.V.m. § 546 ZPOi. Dies ist unabhängig von der Frage, ob sachlich die Voraussetzungen für eine privatrechtliche Unterbringung der Betroffenen vorgelegen haben, schon deshalb festzustellen, weil das Vormundschaftsgericht bei Anordnung der Unterbringung nicht dafür Sorge getragen hat, für die Betroffene unverzüglich einen Betreuer zu bestellen.

a) Das Vormundschaftsgericht hat im vorliegenden Falle eine einstweilige Anordnung nach § 70h Abs. 3 FGG i.V.m. § 1846 BGB getroffen, also anstelle eines Betreuers gehandelt und die Betroffene selbst untergebracht. Dies ist durch die Verweisung auf § 1846 BGB in § 1908i Abs. 1 BGB dem Grunde nach möglich. Das Vormundschaftsgericht kann nach § 1846 BGB die im Interesse des Betroffenen erforderlichen Maßregeln treffen; als Maßregel im Sinne der Vorschrift kann auch eine vorläufige Unterbringung in Betracht kommen (vgl. BayObLGZ 1999, 269/272 f.; Palandt/Diederichsen BGB 61. Aufl. § 1846 Rn. 4).

Strittig ist allerdings die Frager ob eine solche Anordnung voraussetzt, dass eine - zumindest vorläufige - Betreuung besteht. Während von einigen Stimmen die Auffassung vertreten wird, dass zumindest gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung ein vorläufiger Betreuer für den Betroffenen zu bestellen ist (vgl. insbesondere OLG Frankfurt a. Main FamRZ 1993, 357 ff.), erachten die überwiegende Rechtsprechung und Literatur eine Unterbringung nach § 1846 BGB auch dann als zulässig, wenn noch kein vorläufiger Betreuer bestellt ist (vgl. OLG Schleswig NJW 1992, 2974; MünchKomm/Schwab BGB 4. Aufl. § 1906 Rn. 100; Palandt/Diederichsen § 1846 Rn. 4; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9. Aufl. § 70h FGG Rn. 14). Der Senat hat diese Frage in einem Parallelverfahren dem Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs. 2 FGG zur Entscheidung vorgelegt (BayObLGZ 2000, 295). Der Bundesgerichtshof hat im Sinne der zuvor dargestellten herrschenden Meinung entschieden. Das Vormundschaftsgericht sei allerdings in einem solchen Falle gehalten, gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass dem Untergebrachten unverzüglich - binnen weniger Tage - ein Betreuer oder jedenfalls ein vorläufiger Betreuer zur Seite gestellt werde (BGH Beschluss vom 13.2.2002 - XII ZB 191/00). Bei Anwendung des § 1846 BGB sei zu beachten, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift handle. Eingriffe des Vormundschaftsgerichts sollten in der Regel auf Kontrollfunktionen beschränkt sein. Deshalb könne von der eigenständigen Anordnungsbefugnis des § 1846 BGB nur in dringenden Fällen, in denen ein Aufschub einen Nachteil für den Betreuten zur Folge haben würde, Gebrauch gemacht werden. Das Vormundschaftsgericht müsse daher, wenn es wegen der Dringlichkeit des Falles die Unterbringung ohne Beteiligung eines Betreuers anordne, gleichzeitig mit der Anordnung dafür Sorge tragen, dass unverzüglich ein Betreuer bestellt werde, der die Interessen des Betreuten wahrnehmen und die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in eigener Verantwortung treffen könne, so wie es § 1906 BGB vorschreibe. Treffe das Vormundschaftsgericht nicht gleichzeitig mit der Anordnung d, er Unterbringung die zur unverzüglichen Bestellung eines Betreuers erforderlichen Maßnahmen, sei die Anordnung der Unterbringung von vornherein unzulässig. Regelmäßig sei es erforderlich, gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers einzuleiten. Darüber hinaus müsse sichergestellt sein, dass dem Betroffenen innerhalb weniger Tage ein Betreuer zur Seite stehe (BGH aaO).

b) Diesen rechtlichen Vorgaben, denen sich der Senat anschließt, wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Bei Anordnung de r vorläufigen Unterbringung war für die Betroffene kein Betreuer bestellt. Das Vormundschaftsgericht hat auch nicht dafür Sorge getragen, dass unverzüglich ein Betreuer bestellt wird. Das Gericht hat bei Erlass des Unterbringungsbeschlusses lediglich verfügt, dass ein Auftrag zur Erstattung eines medizinischen Gutachtens an einen Sachverständigen übersandt werden solle. Mit Verfügung vom 10.4.2000 hat das Vormundschaftsgericht dann noch ergänzend die Betreuungsbehörde um Sachverhaltsermittlung und "gegebenenfalls Betreuervorschlag" gebeten. Damit war abzusehen, dass bis zu einer Entscheidung mehrere Wochen vergehen würden. Das Vormundschaftsgericht hat in Kauf genommen, dass die Betroffene in diesem Zeitraum ohne Betreuer untergebracht bleiben könnte. Dies führte dazu, dass die sachlich möglicherweise gerechtfertigte privatrechtliche Unterbringung im vorliegenden Fall nicht unter Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens angeordnet worden ist. Die Anordnung der Maßnahme war damit unzulässig; dies war auf Antrag der Betroffenen vom Rechtsbeschwerdegericht festzustellen.

3. Gleiches gilt im Ergebnis für die Einwilligung des Vormundschaftsgerichts in ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen gemäß vorliegendem Behandlungsplan. Zur Einwilligung in Maßnahmen dieser Art ist, soweit dem Betroffenen die erforderliche Einsichtsfähigkeit fehlt, der für entsprechende Aufgabenkreise bestellte Betreuer berufen. Dies gilt auch, soweit es sich um Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung handelt (vgl. BayObLG FamRZ 1990, 1154; Palandt/Diederichsen § 1906 Rn. 3 i.V.m. § 1904 Rn. 3). Lediglich im Falle des § 1904 Abs. 1 BGB, also bei Gefahr des Todes oder eines schweren, länger dauernden gesundheitlichen Schadens des Betroffenen, bedarf der Betreuer der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Dessen ungeachtet kann das Vormundschaftsgericht im Eilfall gemäß § 1908i Abs. 1 i.V.m. § 1846 BGB anstelle des nicht bestellten oder verhinderten Betreuers tätig werden. Das Vormundschaftsgericht entscheidet unter ausschließlicher Orientierung am Interesse des Betroffenen nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. Palandt/Diederichsen § 1846 Rn. 4). Auch in Fällen dieser Art darf die Anordnung nach § 1846 BGB aber nicht dazu führen, die an sich gebotene Bestellung eines Betreuers zu umgehen. muss in eine Heilbehandlung durch einstweilige Maßregel nach § 1846 BGB eingewilligt werden, weil noch kein Betreuer bestellt ist, so ist auch insoweit ein Betreuer in aller Regel unverzüglich zu bestellen und aufzufordern, alsbald zu entscheiden, ob der Heilbehandlung zugestimmt wird (vgl. BayObLG FamRZ 1990, 1154/1156). Auch insoweit ist die Anordnung regelmäßig unzulässig, wenn das Gericht es unterlässt, gleichzeitig mit der Einwilligung in die Heilbehandlung durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass dem Betroffenen unverzüglich ein (vorläufiger) Betreuer zur Seite gestellt wird (vgl. BGH aaO). Anderes kann nur gelten, wenn die Maßnahme alsbald zu vollziehen und damit für die Bestellung eines Betreuers insoweit kein Raum mehr ist.

Wie bereits dargestellt, genügt der Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 4.4.2000, der die Einwilligung in längerfristig durchzuführende Untersuchungen und Behandlungsmaßnahmen zum Gegenstand hat, diesen Anforderungen nicht. Auch insoweit war deshalb die Rechtswidrigkeit der getroffenen Anordnung festzustellen.

4. Bezüglich der Anordnung, die Haare der Betroffenen zu schneiden, hält die Entscheidung des Ländgerichts der rechtlichen Nachprüfung allerdings stand. Auch Maßnahmen der Körperpflege wie das Schneiden der Haare eines Betroffenen bedürfen, soweit sie wie hier in die Rechte des Betroffenen eingreifen, einer Rechtsgrundlage; regelmäßig muss die Einwilligung des Betroffenen vorliegen. Fehlt dem Betroffenen die erforderliche Einsichtsfähigkeit, gelten im Ansatz dieselben Grundsätze, die auch im Falle einer Heilbehandlung greifen (s.o.). Das Vormundschaftsgericht kann daher gemäß § 1846 BGB in Eilfällen auch einer Maßnahme der Körperpflege zustimmen.

Ist eine solche Maßnahme, wie sich dies hier schon aus der Natur der Sache ergibt, sofort zu vollziehen, ist sie mit dem Vollzug erledigt. Unter diesen Umständen wäre es sinnlos, die Zulässigkeit der einwilligenden Anordnung daran zu knüpfen, dass das Vormundschaftsgericht zeitgleich die Bestellung eines Betreuers sicherstellt. Auch wenn das Vormundschaftsgericht in diesem Falle alles Erforderliche veranlassen würde, käme die Bestellung eines Betreuers zu spät, um im Sinne des Betreuten noch irgendetwas bewirken zu können. Die vom Bundesgerichtshof (aaO) entwickelten Verfahrensgrundsätze können daher auf Maßnahmen der hier in Rede stehenden Art keine Anwendung finden.

Im vorliegenden Fall hat den vom Landgericht getroffenen Feststellungen zufolge die Anordnung des Vormundschaftsgerichts, der Betroffenen die Haare zu schneiden, objektiv den Interessen der nicht einsichtsfähigen Betroffenen entsprochen. Die Anordnung war damit rechtmäßig.

III.

Der Senat sieht davon ab, die Auslagen der Betroffenen nach § 13a Abs. 2 Satz 1 FGG ganz oder teilweise der Staatskasse aufzuerlegen, da die im vorliegenden Fall getroffene Unterbringungsmaßnahme lediglich aus verfahrensrechtlichen Gründen zu beanstanden war.

Ende der Entscheidung

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