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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 23.10.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 186/02
Rechtsgebiete: FGG, ZPO


Vorschriften:

FGG § 22 Abs. 2
ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2
Die Regelung über die Gewährung der Wiedereinsetzung auch ohne Antrag in § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist auch im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten.
Gründe:

I.

Am 5.7.1999 bestellte das Amtsgericht die Beteiligten, die Eltern der Betroffenen, zu deren Betreuern mit dem Aufgabenkreis alle Angelegenheiten. Mit Beschluss vom 23.11.2001 entließ das Amtsgericht die Beteiligten gegen ihren Willen als Betreuer und bestellte an ihrer Stelle eine ehrenamtliche Betreuerin. Die Rechtsmittelbelehrung dieses Beschlusses lautet: "Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig". Gegen diesen ihnen am 24.11.2002 zugestellten Beschluss legten die Beteiligten am 19.2.2002 Beschwerden ein. Diese verwarf das Landgericht am 5.8.2002. Hiergegen wenden sich die Rechtsmittel der Beteiligten.

II.

Die sofortigen weiteren Beschwerden sind zulässig, führen aber nur zu der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderung der Beschwerdeentscheidung.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung begründet wie folgt:

Die Beschwerden der Beteiligten zu 1 und 2 seien als sofortige Beschwerden nach § 69g Abs. 4 Nr. 3 FGG zu behandeln. Die für die sofortige Beschwerde gültige Beschwerdefrist von zwei Wochen sei bereits am 7. Dezember 2001 abgelaufen gewesen. Der Eingang der Rechtsmittel am 19. Februar 2002 sei demnach verspätet.

Die sofortigen Beschwerden hätten auch in der Sache keinen Erfolg haben können. Das Erstgericht habe die beiden Betreuer zu Recht entlassen, weil wichtige Gründe für ihre Entlassung beständen.

Es beständen angesichts der erheblichen Sprachprobleme der beiden Betreuer bereits Zweifel, ob diese ursprünglich geeignet gewesen seien, die Rechtsbetreuung für ihre Tochter zu übernehmen. Beide seien kaum in der Lage, mit den Behörden zu kommunizieren. Zudem seien beide Betreuer häufig während der Betreuungszeit in der Türkei aufhältlich und für Behörden, insbesondere die Heimleitung des Kinder- und Pflegeheims, in dem sich die Betroffene aufhält, nicht erreichbar.

Des weiteren hätten die beiden Betreuer das Vermögen ihrer Tochter nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit verwaltet. Das Kinder- und Pflegeheim, in dem die Betroffene wohne, habe dargelegt, dass seit April 2000 das erforderliche Taschengeld in Höhe von 81,80 EUR nicht bezahlt werde. Den Beschwerdeführern sei bekannt, dass sie dieses Geld auf ein Konto des Heims hätten einzahlen müssen, dies sei bislang vollständig unterblieben. Zudem sei nicht geklärt, wohin das monatliche Blindengeld für die Tochter in Höhe von 278,14 EUR geflossen sei. Die Behauptung der beiden Beschwerdeführer, sie hätten das Blindengeld zinsbringend für ihre Tochter bei der Sparkasse Ingolstadt angelegt, sei nicht hinreichend belegt worden. Die Beschwerdeführer hätten zwei Sparbücher vorgelegt, mit Guthaben in Höhe von 10,00 DM und 525,50 EUR. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wofür die blinde und verständigungsunfähige Betreute einen Pkw brauchen sollte, den ihr die beiden Beteiligten zu einem Betrag von 6000,00 DM am 10. Mai 2001 gekauft hätten. Die Betreute werde angesichts ihres Gesundheitszustandes das Fahrzeug zu keinem Zeitpunkt nutzen können.

2. Die Entscheidung erweist sich im Ergebnis als richtig, allerdings hätte das Landgericht die Rechtsmittel nicht verwerfen dürfen, sondern sie als unbegründet zurückweisen müssen.

a) Die Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung zur Unzulässigkeit der Erstbeschwerden treffen allerdings nicht zu. Die Erstbeschwerden sind zulässig, da den Beteiligten gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

aa) Zutreffend geht die Kammer zwar davon aus, dass gegen Entscheidungen, durch die ein Betreuer gegen seinen Willen entlassen wurde, die sofortige Beschwerde stattfindet (§ 69g Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FGG).

Auch ist die Auffassung der Kammer richtig, dass die Frist von zwei Wochen zur Einlegung der sofortigen Beschwerde (§ 22 Abs. 1 Satz 1 FGG) abgelaufen ist. Den Beteiligten und der Betreuerin wurde der Beschluss des Amtsgerichts am 24.11.2001 zugestellt. Damit wurde die Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt (§ 69f Abs. 4 Satz 2, § 16 Abs. 2 FGG). Die sofortigen weiteren Beschwerden wurden erst am 19.2.2002 eingelegt.

Der Fristversäumung steht nicht entgegen, dass der Beschluss des Amtsgerichts keine zutreffende Rechtsmittelbelehrung enthält. Eine solche ist im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich nicht erforderlich (BayObLGZ 1999, 232 m. w. N.). Daraus folgt, dass der Beginn des Laufes der Rechtsmittelfrist keine Rechtsmittelbelehrung voraussetzt. Ob etwas anderes gilt, nämlich der Lauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels nicht beginnt, wenn das Gesetz ausdrücklich eine Rechtsmittelbelehrung vorschreibt (vgl. BGH NJW 2002, 2171/2173; BayObLG aaO), kann dahinstehen. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Für die Entscheidung, durch die die Entlassung eines Betreuers angeordnet wurde, ist eine Rechtsmittelbelehrung nicht vorgeschrieben. Insbesondere ist die Vorschrift des § 69 Abs. 1 Nr. 6 FGG nicht einschlägig (vgl. BayObLG aaO; OLG Stuttgart FGPrax 1996, 148). § 69 Abs. 1 Nr. 6 FGG schreibt unmittelbar eine Rechtsmittelbelehrung nur vor, wenn ein Betreuer bestellt oder ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet wird. Eine allgemeine Pflicht zur Belehrung in Betreuungsverfahren begründet diese Bestimmung nicht. Dies folgt schon aus § 69 Abs. 2 FGG, da dort für die Ablehnung der genannten Maßnahmen zwar eine Begründung aber keine Rechtsmittelbelehrung vorgeschrieben ist. Eine entsprechende Anwendung des § 69 Abs. 1 Nr. 6 FGG kommt nicht in Betracht (vgl. BayObLG aaO S. 233).

bb) Das Landgericht hätte aber den Betroffenen auch ohne ausdrücklichen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 22 Abs. 2 FGG) gewähren müssen.

Nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann die Wiedereinsetzung ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wurde. Voraussetzung ist, dass die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung offenkundig sind (Zöller/Greger ZPO 23. Aufl. § 236 Rn. 5; vgl. auch BGH NJW-RR 2000, 1590; OLG Köln ZIP 2000, 195/196; BVerwG BayVBl. 2001, 29; OVG Nordrhein-Westfalen DVBl. 1997, 673/674). § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO enthält einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch in anderen Verfahrensvorschriften wie § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO, § 32 Abs. 2 Satz 4 VwVfG, § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO oder § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO niedergelegt ist (vgl. BGH BRAK-Mitt. 1987, 90). Dies rechtfertigt die entsprechende Anwendung auch im Rahmen der Wiedereinsetzung nach § 22 Abs. 2 FGG. Auch dort ist anerkannt, dass in der verspäteten Einlegung eines Rechtsmittels ein (stillschweigender) Wiedereinsetzungsantrag erblickt werden kann, wenn sämtliche die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen aktenkundig sind und aus dem Akt der Rechtsmitteleinlegung selbst die Fristversäumung erkennbar ist (Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 22 Rn. 32 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung liegen hier vor. Die Beteiligten haben nach Ablauf der Beschwerdefrist zu Protokoll der Geschäftsstelle Erstbeschwerden eingelegt. Die Gründe für die unverschuldete Versäumung der Frist sind aktenkundig. Das Amtsgericht hat seinem Beschluss vom 23.11.2001 eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung, nämlich die Belehrung über die einfache Beschwerde, nicht wie zutreffend über die sofortige Beschwerde, beigegeben. Die unrichtige Rechtsmittelbelehrung rechtfertigt die Wiedereinsetzung (vgl. OLG Celle FamRZ 1999, 1374; OLG Naumburg FamRZ 2001, 569). Der Adressat einer von einem Richter unterschriebenen Rechtsmittelbelehrung darf darauf vertrauen, dass diese der Rechtslage entspricht.

Der Senat kann die vom Beschwerdegericht unterlassene Entscheidung über die Wiedereinsetzung nachholen, da insoweit ein Rechtsfehler vorliegt und die Sache entscheidungsreif ist. Durch die Gewährung der Wiedereinsetzung wird der die Erstbeschwerden verwerfende Beschluss des Landgerichts gegenstandslos (vgl. BGH NJW-RR 2000, 1590).

b) Soweit das Landgericht allerdings ergänzend ausführt, die Entlassung der Beteiligten als Betreuer sei in der Sache gerechtfertigt, trifft dies zu.

aa) Gemäß § 1908b Abs. 1 BGB hat das Vormundschaftsgericht den Betreuer dann zu entlassen, wenn seine Eignung, die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen, nicht mehr gewährleistet ist oder ein anderer wichtiger Grund für seine Entlassung vorliegt. Die mangelnde Eignung ist ein vom Gesetz besonders hervorgehobener Grund für die Entlassung. Es genügt zur Entlassung jeder Grund, der den Betreuer als nicht mehr geeignet im Sinn des § 1897 Abs. 1 BGB erscheinen lässt (BayObLG FamRZ 1996, 509; FamRZ 1998, 1257/1258). In der Regel liegt die Ursache in der Person oder den Verhältnissen des Betreuers, etwa wenn er den ihm zugewiesenen Aufgabenkreis nur unzulänglich (vgl. LG Essen NJWE-FER 2000, 258) und unter Gefährdung der Interessen des Betreuten bewältigen kann (BT-Drucks. 11/4528, S. 152 f.) oder wenn er den nötigen Einsatz vermissen lässt (BayObLGZ 1984, 178/180; Damrau/ Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1908b BGB Rn. 6). Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist die Entlassung des Betreuers als letzte Maßnahme anzusehen, wenn nicht minder schwere Maßnahmen nach § 1837 BGB ausreichen, um eine etwaige Gefährdung des Wohls des Betreuten zu beseitigen (BayObLG FamRZ 1998, 1257/1258). Das Vormundschaftsgericht hat zuerst die Mittel der Aufsicht und des Weisungsrechts einzusetzen (BayObLG aaO).

bb) Nach diesen Grundsätzen trifft die Auffassung des Landgerichts, die Beteiligten seien als Betreuer zu entlassen, zu. Das Gericht hat ausführlich dargelegt, warum es die beiden Beteiligten für alle Aufgabenkreise, insbesondere aber die Vermögenssorge, als ungeeignet ansieht. Der Senat schließt sich dem, auch unter Würdigung des Vorbringens der weiteren Beschwerde, an und nimmt zu den Einzelheiten auf die überzeugenden Ausführungen des Landgerichts Bezug.

Ende der Entscheidung

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