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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.12.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 200/02
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1908b Abs. 1
FGG § 67 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
In Ausnahmefällen kann in einem Verfahren zur Entlassung eines Betreuers von der Bestellung eines Verfahrenspflegers abgesehen werden.
Gründe:

I.

Für die Betroffene wurde am 7.5.1997 die Beteiligte, ihre Nichte, zur Betreuerin bestellt für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge einschließlich Wohnrecht, Leibgeding, Rente und Pflegegeld. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 21.3.2002 wurde die Nichte als Betreuerin entlassen. Gleichzeitig wurde die Betreuung verlängert und auf alle Angelegenheiten einschließlich Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post erweitert, eine Vereinsbetreuerin bestellt und die sofortige Wirksamkeit angeordnet.

Die von der Beteiligten eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht am 13.8.2002 zurückgewiesen.

Mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde will die Beteiligte weiterhin die Aufhebung des Entlassungsbeschlusses erreichen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Ein möglicher Verstoß des Amtsgerichts gegen die Gewährung des rechtlichen Gehörs sei durch den Anhörungstermin vor dem Landgericht geheilt worden. Die Entlassung eines Betreuers könne dann erfolgen, wenn die Eignung des Betreuers nicht mehr gewährleistet sei oder ein anderer wichtiger Grund für die Entlassung vorliege. Eine konkrete Schädigung des Betreuten sei nicht Voraussetzung, auf der anderen Seite reiche aber auch eine abstrakte Gefahr nicht aus. Bei der amtsgerichtlichen Anhörung habe die Schwester der Betroffenen angegeben, dass die Betroffene von ihrer monatlichen Rente lediglich wenige Mark erhalte und den Rest die Beteiligte an sich nehme. Auch wenn diese zur Erklärung ausgeführt habe, sie habe wegen der Euro-Umstellung der Betroffenen nur wenig Geld gelassen und mit dem Rest fällige Rechnungen in den örtlichen Geschäften beglichen, seien damit die Ungereimtheiten hinsichtlich der Vermögenssorge nicht beseitigt.. Die Schwester der Betroffenen habe sowohl gegenüber der jetzigen Betreuerin als auch gegenüber einem weiteren Zeugen erklärt, dass die Beteiligte das Geld nehme. Das Gericht könne nicht mit Sicherheit aufklären, ob die Beteiligte Geld der Betreuten für sich verwende oder nicht. Auch in früheren Jahren hätten sich schon Ungereimtheiten hinsichtlich der Vermögenssorge durch die Beteiligte in Form von möglichen Testamentsmanipulationen und der Abhebung eines größeren Geldbetrages vom Konto der Schwester der Betroffenen ergeben. Um jegliche Gefährdung der Finanzsituation der Betroffenen zu vermeiden, entspreche es einzig ihrem Wohl, eine neutrale Person als Betreuerin einzusetzen. Das Wohl der Betroffenen müsse hier höher eingestuft werden als verwandtschaftliche Beziehungen. Eine Aufteilung der Aufgabenkreise sei in Anbetracht der Spannungen zwischen der Beteiligten und der Betreuerin nicht möglich. Die frühere Bestellung eines Ergänzungsbetreuers sei nach jahrelangen Kompetenzkonflikten zwischen diesem und der Beteiligten nur durch die Entlassung des Ergänzungsbetreuers zu lösen gewesen. Auch habe die Beteiligte bei ihrer persönlichen Anhörung den Eindruck erweckt, sich nur sehr schwer mit Entscheidungen und Einflussnahmen anderer Personen abfinden zu können. Dies sei für eine sachgerechte Betreuungsführung aber unerlässlich.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Das Landgericht hat zu Recht nur die Entscheidung zur Entlassung der Betreuerin überprüft. Denn hierauf war die Beschwerde, wie sich aus dem Inhalt ihrer Begründung ergibt, zulässigerweise (BayObLGZ 1995, 220) beschränkt.

b) Die Tatsachenfeststellung durch das Landgericht ist im Ergebnis verfahrensfehlerfrei erfolgt.

(1) Im Verfahren zur Entscheidung über die Entlassung des Betreuers ist der Betroffene anzuhören, grundsätzlich sogar persönlich, wenn er der beabsichtigten Entlassung widerspricht (§ 69i Abs. 7 Satz 1 FGG). Im vorliegenden Verfahren konnte die Betroffene weder der Entlassung widersprechen noch ihr zustimmen, weil mit ihr eine sinnvolle Verständigung nicht möglich ist. Dies hat das Landgericht bei der persönlichen Anhörung der Betroffenen im Sitzungsprotokoll vom 19.7.2002 selbst festgestellt. Das Landgericht hatte daher zu prüfen, ob der Betroffenen nicht gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 FGG ein Verfahrenspfleger zu bestellen war (BayObLGZ 1993, 14 Rpfleger 1993, 491; BayObLG FamRZ 1997, 1358; OLG Zweibrücken FGPrax 1998, 57; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9. Aufl. § 67 FGG Rn. 2; Keidel/Kayser FGG 14. Aufl. § 67 Rn. 1), der die Interessen der Betroffenen im Verfahren objektiv hätte vertreten können.

(2) Nach § 67 Abs. 1 Satz 2 FGG ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers in der Regel erforderlich, wenn von der persönlichen Anhörung der Betroffenen gemäß § 68 Abs. 2 Nr. 1 FGG abgesehen werden soll (§ 67 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FGG) oder wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist (§ 67 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FGG). Ergibt der persönliche Eindruck, den sich das Gericht von dem Betroffenen verschafft, dass dieser nicht verständnisfähig und damit auch nicht in der Lage ist, seinen Willen sachgerecht zu äußern, kann zwar (vgl. § 68 Abs. 2 Satz 2 FGG) von der persönlichen Anhörung des Betroffenen nach §§ 69i Abs. 7 Satz 2, 69d Abs. 1 Satz 3 FGG abgesehen werden. Es ist aber ein Verfahrenspfleger zu bestellen, damit die Interessen des Betroffenen im Verfahren objektiv vertreten sind (vgl. BayObLG Rpfleger 1993, 491; FamRZ,1997, 1358). Die durchgeführte Anhörung kann die Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht ersetzen, weil ein nicht verständiger Betroffener das Anliegen des Gerichts nicht verstehen kann. Im landgerichtlichen Verfahren war diese Sachlage gegeben. Ein Regelfall gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FGG lag demgegenüber nicht vor. Zwar hatte das Amtsgericht unter Verstoß gegen die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung die Aufgabenkreise auf alle Angelegenheiten erweitert, doch war Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur noch die Entlassung der Beteiligten als Betreuerin.

(3) Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers konnte aber ausnahmsweise abgesehen werden. Die Begründung des Landgerichts, die Bestellung sei deshalb nicht nötig gewesen, weil die Interessen der Betroffenen durch die nun bestellte Betreuerin ausreichend gewahrt seien, ist allerdings nicht tragfähig. Gerade bei der Frage einer Betreuerentlassung und der dadurch bedingten Bestellung eines anderen Betreuers ist der neue Betreuer derart in das Verfahren involviert, dass er die Interessen der Betroffenen nicht neutral wahrnehmen kann. Doch besagt bereits der Wortlaut des §'67 Abs. 1 Satz 2 FGG, dass die Bestellung nur "in der Regel" erforderlich ist. Zudem bestimmt § 67 Abs. 1 Satz 3 FGG, dass von einer Bestellung dann abgesehen werden kann, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung eines Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht.

Zwar bedeutet der Betreuerwechsel bei einer Betreuung in allen Angelegenheiten für den Betroffenen einen schwerwiegenden Eingriff in seine Lebensführung. Im vorliegenden Fall aber war Ausgangspunkt der Betreuerentlassung ein mögliches Fehlverhalten der Beteiligten im Aufgabenkreis Vermögenssorge, welches sich lediglich wegen der zu erwartenden schwierigen Zusammenarbeit mit einem anderen Betreuer auf sämtliche Aufgabenkreise ausgewirkt hat. Die Entlassung ist damit zum Schutz der Betroffenen erfolgt; selbst wenn sie mögliche gegenteilige Wünsche geäußert hätte, hätte das Landgericht diesen zu ihrem eigenen Schutz nicht nachgeben dürfen. Bei Ungeeignetheit des Betreuers muss auch entgegen den Wünschen des Betroffenen eine Entlassung erfolgen. Hier war die Entscheidung des Landgerichts unausweichlich und durch einen Verfahrenspfleger nicht zu beeinflussen (vgl. unten c) und für den ähnlichen Fall einer Betreuungsanordnung BT-Drucks. 13/7158 S. 36). Die Entlassung der Betreuerin hätte schon mit den beiden weiter zurückliegenden Vorfällen in Form der manipulierten Testamentserrichtung und des Einbehalts von ca. 50000 DM zu Lasten einer Schwester der Betroffenen begründet werden können. Ein Verfahrenspfleger hätte sich in Anbetracht dieser Ungereimtheiten im Interesse der Betroffenen nicht für einen Verbleib der Betreuerin aussprechen können.

c) Aufgrund der verfahrensfehlerfrei festgestellten und damit für den Senat bindenden Tatsachen ist die Würdigung des Landgerichts, die Beteiligte sei als Betreuerin zu entlassen, nicht zu beanstanden.

(1) Gemäß § 1908b Abs. 1 BGB hat das Vormundschaftsgericht den Betreuer zu entlassen, wenn seine Eignung, die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen, nicht mehr gewährleistet ist oder ein anderer wichtiger Grund für die Entlassung vorliegt. Die mangelnde Eignung ist ein vom Gesetz besonders hervorgehobener Grund für die Entlassung. Dabei genügt es, wenn die Eignung nicht mehr gewährleistet ist. Das Gesetz verlangt also nicht den Nachweis mangelnder Eignung, sondern lässt es im Hinblick auf die weitreichenden dem Betreuer eingeräumten Befugnisse und seine Vertrauensposition ausreichen, wenn konkrete Tatsachen Anlass zu berechtigten Zweifeln an der Eignung geben (vgl. Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. § 1908b BGB Rn. 2). Es genügt zur Entlassung jeder Grund, der den Betreuer als nicht mehr geeignet im Sinn des § 1897 Abs. 1 BGB erscheinen lässt (BayObLG FamRZ 1996, 509/510; FamRZ 1998, 1257/1258). In der Regel liegt die Ursache für die Nichteignung in der Person oder den Verhältnissen des Betreuers, etwa wenn er den ihm zugewiesenen Aufgabenkreis nur unzulänglich (vgl. LG Essen NJWE-FER 2000, 258) und unter Gefährdung der Interessen des Betreuten bewältigen kann (BT-Drucks. 11/4528, S. 152 f.) oder wenn er den nötigen Einsatz vermissen lässt (Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1908b BGB Rn. 6; BayObLGZ aaO). Die Eignung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Die Beurteilung des Tatrichters, dass die Eignung nicht mehr gegeben ist, darf vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler, also insbesondere darauf hin überprüft werden, ob der Tatrichter den Begriff der Eignung verkennt, relevante Umstände unvertretbar über- oder unterbewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt (BayObLG FamRZ 2001, 1249/1250). Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist die Entlassung des Betreuers als letzte Maßnahme anzusehen, wenn nicht minder schwere Maßnahmen nach § 1837 BGB ausreichen, um eine etwaige Gefährdung des Wohls des Betreuten zu beseitigen (BayObLG FamRZ 1998, 1257/1258).

(2) Nach den dargelegten Grundsätzen ist die Würdigung des Landgerichts, aufgrund der Ungereimtheiten im Umgang mit dem Geld der Betroffenen sei die Beteiligte nicht mehr als Betreuerin geeignet, nicht zu beanstanden. Es durfte bei der Beurteilung der Eignung auch frühere Vorfälle, die gleichfalls den Vermögensbereich betrafen, miteinbeziehen. Auch wenn die Vorfälle bisher nicht vollständig aufgeklärt sind, darf zum Schutz der Betroffenen der bisherige Betreuer entlassen werden; es muss nicht zugewartet werden, bis tatsächlich nachteilige Handlungen nachgewiesen werden können. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene das ihr monatlich zustehende Geld nicht in voller Höhe erhalten hat, liegen vor. Hier ist es Sache des Betreuers, die Verwendung der Geldmittel lückenlos nachzuweisen, nicht der Betroffenen. Mildere Mittel, wie verstärkte Aufsicht und Einsatz des Weisungsrechts, sind nicht ersichtlich; die tatsächliche Verwendung des monatlich an die Betroffene ausgezahlten Geldbetrags lässt sich durch diese Maßnahme nicht kontrollieren. Das Landgericht durfte auch das frühere Verhalten der Beteiligten bei der Zusammenarbeit mit einem Ergänzungsbetreuer dahin würdigen, dass eine Aufteilung der Aufgabenkreise, welche eine Zusammenarbeit mit einem Mitbetreuer bedingen würde, nicht in Betracht kommt.

Ende der Entscheidung

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