Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.12.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 202/03
Rechtsgebiete: GG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
BGB § 1896
Zur Frage, ob nach Aufhebung einer Betreuung während des Beschwerdeverfahrens die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Betreuerbestellung beantragt werden kann.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht bestellte am 26.7.2001 für den Betroffenen, einen Kommunalbeamten, einen Berufsbetreuer für den Aufgabenkreis Vertretung bei der Führung eines Restaurant- und Hotelbetriebes und ordnete einen Einwilligungsvorbehalt an. Der Betroffene legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein, welche er am 7.8.2001 wieder zurücknahm; gleichzeitig beantragte er, die Betreuung zu beenden. Am 24.8.2001 legte er erneut Beschwerde ein. Das Amtsgericht hob mit Beschluss vom 14.9.2001 die Betreuung auf und stellte das Betreuungsverfahren ein. Zur Begründung führte es aus, eine Führung der Betreuung gegen den Willen des Betroffenen und ohne dessen Mitwirkungsbereitschaft sei nicht möglich. Das Gericht sehe keine Möglichkeit, dem Betroffenen in seiner konkreten Situation und unter den gegebenen Voraussetzungen durch Aufrechterhaltung der Betreuung zu helfen. Mit dieser Entscheidung sei auch die Beschwerde des Betroffenen erledigt.

In der Folgezeit wurde gegen den Betroffenen ein Verfahren zur Versetzung in den Ruhestand eingeleitet. Am 10.9.2002 beantragte der Betroffene, die für ihn im Zeitraum 1.8.- 14.9.2001 angeordnete Betreuung rückwirkend ab 1.8.2001 aufzuheben. Das Amtsgericht lehnte am 9.10.2002 die rückwirkende Aufhebung der Betreuung ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Landgericht zurück; eine weitere Beschwerde zum Bayerischen Obersten Landesgericht blieb gleichfalls erfolglos.

Am 18.7.2003 legte der Betroffene zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts in Fortführung der ursprünglichen Beschwerde vom 24.8.2001 eine weitere Beschwerde ein und stellte den Antrag, die Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Betreuungsbeschlusses des Amtsgerichts vom 26.7.2001 festzustellen. Das Landgericht hat diese Erklärung als Antrag auf Fortführung des ursprünglichen Beschwerdeverfahrens mit dem Ziel einer Rechtswidrigkeitsfeststellung gewertet und diese Beschwerde als unzulässig verworfen.

Mit seiner weiteren Beschwerde verfolgt der Betroffene sein Ziel weiter, eine Rechtswidrigkeitsfeststellung der Betreuung zu erreichen.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache im Ergebnis keinen Erfolg. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Betreuerbestellung ist nicht begründet.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, Art. 19 Abs. 4 GG gebiete den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv zu machen. Deshalb sei das Rechtsschutzinteresse in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe auch dann zu bejahen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt zwar erledigt hat, eine Sachentscheidung nach dem typischen Verfahrensablauf aber in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu erlangen war (vgl. BVerfG NJW 1998, 2432 ff.). In einem Fall der Abschiebungshaft ist das Bundesverfassungsgericht von dem Zeiterfordernis abgerückt und hat die Gewährung von Rechtsschutz weder vom konkreten Ablauf des Verfahrens noch vom Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon abhängig gemacht, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden könne. Es hat dabei maßgeblich darauf abgestellt, dass dem Recht auf Freiheit der Person unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonders hoher Rang zukomme und die richterliche Anordnung im Fall der Abschiebungshaft wegen des impliziten Vorwurfs, der Betroffene habe sich gesetzwidrig verhalten, auch diskriminierende Wirkung habe (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456). Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht Ausnahmen von diesen Grundsätzen anerkannt. So darf beispielsweise der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses abgelehnt werden, wenn er erst lange nach der Beendigung des Grundrechtseingriffs gestellt wird (vgl. BVerfG NJW 2003, 1514 für den Fall einer Durchsuchungsanordnung), oder sich der Betroffene inzwischen freiwillig dem angeordneten Eingriff unterworfen hat (BVerfG NJW 1998, 2813).

Unter Beachtung dieser Rechtsprechung hat der Senat für die Fälle der Unterbringung die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit zugelassen (vgl. BayObLGZ 2002, 234 ff.; BayObLG BtPrax 2003, 184).

2. Zu den schwerwiegenden Grundrechtseingriffen zählt das Bundesverfassungsgericht insbesondere solche Eingriffe, die das Grundgesetz unter Richtervorbehalt stellt (BVerfG NJW 2002, 2456). In einem Einzelfall, in dem es um die Genehmigung einer Bluttransfusion gegen den Willen der Betroffenen, also einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ging, hat eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts hierzu auch die gerichtliche Bestellung eines Betreuers gerechnet, da der Betreute in seiner Entscheidungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ganz oder teilweise in den vom Gericht bestimmten Angelegenheiten eingeschränkt werde und an seiner Stelle und für ihn ein Betreuer entscheide, der den Wünschen des Betreuten nur insoweit zu entsprechen habe, als dies dessen Wohl nicht entgegenstehe (vgl. BVerfG NJW 2002, 206). Sei daher eine Betreuerbestellung von vornherein befristet und umfasse die Betreuung einen Zeitraum, innerhalb dessen die gegen die gerichtliche Entscheidung eröffneten Instanzen kaum durchlaufen werden könnten, sei der nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotene effektive Rechtsschutz nur gewahrt, wenn für die nach dem Prozessrecht eröffneten Rechtsmittel ein Rechtsschutzinteresse angenommen werde, den mit der Betreuung verbundenen Grundrechtseingriff auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (vgl. BVerfG aaO).

3. Für die Betreuungssachen hat der Senat bisher nicht entschieden, ob es zulässig ist, auf Antrag des Betroffenen nach Erledigung der Maßnahme, z.B. nach Aufhebung der Betreuung, noch über deren Rechtmäßigkeit zu befinden. Zwar handelt es sich bei der Bestellung eines Betreuers gegen den Willen des Betroffenen um einen Eingriff in dessen grundrechtlich geschützten Bereich. Denn sie kann dazu führen, dass der Betroffene nicht mehr selbst über seine Belange, unter Umständen höchstpersönlicher Art, entscheiden darf, sondern der bestellte Betreuer statt seiner und möglicherweise gegen seinen Willen und seine Wünsche Entscheidungen für ihn in den dem Betreuer übertragenen Aufgabenkreisen trifft (vgl. BVerfG NJW 2002, 206). Auf der anderen Seite ist zweifelhaft, ob der Bestellung eines Betreuers ein diskriminierender Charakter anhaftet. Eine Betreuung ist an sich keine diskriminierende Maßnahme, die, wie etwa die Abschiebungshaft, den Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens beinhaltet. Vielmehr ist sie vom Gesetz als Akt der Rechtsfürsorge für den Betroffenen konzipiert, der seine Angelegenheiten nicht mehr selbst zu besorgen vermag (vgl. §§ 1896, 1901 BGB). Gleichwohl stellt sich die Frage, ob es hierauf entscheidend ankommt. Zum einen wird auch in zivilrechtlichen Unterbringungssachen mit der Unterbringung kein derartiger Vorwurf verbunden, sondern die Unterbringung genehmigt, wenn der Betroffene an den im Gesetz genannten Krankheiten leidet. Zum anderen dürften weite Teile der Bevölkerung mit der Betreuerbestellung eine abwertende Beurteilung verbinden, weil der Betreute nicht mehr für sich selber sorgen kann, und die Möglichkeit besteht, dass auch von anderer Seite vom Betroffenen nicht gewünschte Maßnahmen, etwa arbeits- oder dienstrechtlicher Art, ergriffen werden können.

4. Der vorliegende Fall erfordert keine abschließende Klärung dieser Fragen. Denn auch wenn man die Zulässigkeit einer Rechtswidrigkeitsfeststellung unterstellt, kann dies nicht zu einem Erfolg des Antrags führen, da die Betreuerbestellung rechtmäßig erfolgt ist.

a) Gegenstand einer Rechtswidrigkeitsfeststellung könnte hier nur die Bestellung des Betreuers durch den Beschluss des Amtsgerichts sein. Denn einen solchen Antrag hat der Betroffene bereits im Beschwerdeverfahren ausdrücklich gestellt; das Landgericht hat dementsprechend auch hierüber entschieden.

b) Eine solche Feststellung kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nach den dem erkennenden Richter vorliegenden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren gewonnenen tatsächlichen Erkenntnissen die rechtlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers für den festgelegten Aufgabenkreis angenommen werden können. Denn der Richter kann bei der Bestellung eines Betreuers nur eine fundierte Prognose abgeben, dass diese Voraussetzungen für den vorgesehenen Zeitraum vorliegen werden, er insbesondere in dem angeordneten Umfang aus Fürsorge für den Betroffenen eine Betreuung für erforderlich hält. Auch wenn sich dann im weiteren Verlauf diese Prognose als unzutreffend erweisen sollte, ist für die Rechtswidrigkeit der Maßnahme ausschlaggebend nur der Zeitpunkt der Betreuerbestellung selbst. Denn ergeben die dem Richter zu diesem Zeitpunkt bekannten Tatsachen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers gegeben sind, hat er diesen zu bestellen; ein gegenteiliges Handeln entspräche nicht den gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Stellt sich später aufgrund neuer Erkenntnisse oder Entwicklungen heraus, dass diese Voraussetzungen nicht mehr bestehen oder von Anfang an nicht bestanden haben, ist das Gericht zwar verpflichtet, die Betreuung aufzuheben (vgl. § 1908d Abs. 1 BGB). Die ursprüngliche Betreuerbestellung wird dadurch aber nicht rechtswidrig, weil Entscheidungsgrundlage für das Gericht nur die damalige Sachlage sein konnte (vgl. hierzu auch BGH Rpfleger 2003, 499 für den Bereich der Amtshaftung). Die Entscheidung des Gerichts, einen Betreuer zu bestellen, bleibt rechtmäßig. Dies führt dazu, dass im Grundsatz auch die Betreuung selbst bis zu ihrer Aufhebung als rechtmäßig anzusehen ist. Denn sie kann, anders als eine Unterbringung, nur durch eine neuerliche richterliche Entscheidung beendet werden.

c) Hier durfte der erkennende Richter auf der Grundlage der von ihm ordnungsgemäß durchgeführten Ermittlungen die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers bejahen. Vor dem Erlass des Beschlusses lag ein Gutachten einer Medizinaloberrätin vor, welche dem Betroffenen eine paranoide Persönlichkeitsstörung und eine Einschränkung seiner freien Willensentscheidung im Hinblick auf die vertraglichen Verhältnisse des Gaststättenbetriebes bescheinigte und eine Betreuung bei der Führung dieses Betriebes befürwortete. Die Betreuungsstelle hatte die Bestellung eines Betreuers für notwendig erachtet. Der Richter hatte den Betroffenen und dessen Mutter angehört. Bereits vorher hatte der Betroffene dem Richter eine Vielzahl von Schreiben übersandt, die auf psychische Auffälligkeiten schließen ließen. Die Schwierigkeiten in der Führung des hoch verschuldeten Restaurantbetriebs waren offensichtlich. Die Entscheidung des Richters, für den Betroffenen einen Betreuer für den ärztlicherseits vorgeschlagenen Aufgabenkreis zu bestellen, ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden. Die ärztliche Begutachtung und der eigene Eindruck sowohl aus der persönlichen Anhörung als auch aus den zahlreichen Schreiben genügten, um eine seelische Krankheit und die Erforderlichkeit einer Betreuung anzunehmen. Die Betreuung wurde auch nicht etwa deshalb wieder aufgehoben, weil der Betroffene psychisch gesund und eine Betreuung nicht erforderlich war, sondern deshalb, weil der Betroffene mit dem Betreuer nicht zusammengearbeitet hatte und eine Fürsorge für ihn nicht möglich war. Dies war im Zeitpunkt der Betreuerbestellung noch nicht absehbar.



Ende der Entscheidung

Zurück