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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 26.11.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 206/03
Rechtsgebiete: BRAGO, KostO


Vorschriften:

BRAGO § 8 Abs. 1
BRAGO § 9
BRAGO § 10
KostO § 30
KostO § 31 Abs. 1
Auch wenn für ein Beschwerdeverfahren in Betreuungssachen Gebührenfreiheit für die gerichtlichen Gebühren besteht, richtet sich der Wert der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens. Ein Verfahrensbevollmächtigter ist aus eigenem Recht zur Stellung eines Antrags auf Festsetzung des Geschäftswerts befugt.
3Z BR 206/03 3Z BR 212/03

Gründe:

I.

Für den Betroffenen ist seit 8.10.2002 ein Berufsbetreuer mit weitreichendem Wirkungskreis bestellt. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 21.5.2003 wurde ein Einwilligungsvorbehalt im Bereich Vermögenssorge angeordnet und ein neuer Berufsbetreuer bestellt. Anlässlich seiner Anhörung durch einen Richter des Landgerichts erklärte der Betroffene am 1.8.2003 in Anwesenheit seines damaligen Verfahrensbevollmächtigten, er nehme die gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegte Beschwerde und sofortige Beschwerde zurück. Anschließend führte er in einem Schreiben vom 2.8.2003 an das Landgericht aus, die Beschwerden hätten weiterhin Gültigkeit. Sein Verfahrensbevollmächtigter beantragte am 7.8.2003, den Gegenstandswert für das Verfahren erster Instanz und für das Beschwerdeverfahren festzusetzen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 4.9.2003 die Beschwerde und die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 21.5.2003 mit der Begründung verworfen, ein Widerruf der Rücknahme sei ausgeschlossen. In einem weiteren Beschluss vom 4.9.2003 hat es den Wert des Beschwerdeverfahrens auf 29.996,79 EUR festgesetzt.

Gegen beide Beschlüsse hat der Betroffene in einem maschinenschriftlichen Schreiben Rechtsmittel eingelegt.

II.

1. Die sofortige weitere und weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts, mit welchem die sofortige und einfache Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts als unzulässig verworfen worden sind, sind unzulässig. Weitere Beschwerden, ganz gleich, ob es sich um sofortige oder einfache weitere Beschwerden handelt, können formwirksam nur eingelegt werden entweder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, welches die Ausgangsentscheidung getroffen hat, oder des Landgerichts, welches die Beschwerdeentscheidung erlassen hat, oder des Bayerischen Obersten Landesgerichts oder durch Einreichung einer Beschwerdeschrift, welche durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet worden sein muss (§§ 21, 29 FGG). Dies ist hier nicht der Fall, so dass die Rechtsmittel des Betroffenen als unzulässig zu verwerfen sind.

Da der Betroffene durch das Landgericht anlässlich der Mitteilung der Beschwerdeentscheidung nicht über diese Formerfordernisse belehrt worden ist, weist der Senat zusätzlich darauf hin, dass die Rechtsmittel auch in der Sache nicht zu der von dem Betroffenen angestrebten Aufhebung der Betreuung führen können. Nach Rücknahme einer Beschwerde bzw. einer sofortigen Beschwerde kann eine solche Erklärung grundsätzlich weder angefochten noch widerrufen werden, weil Rechtssicherheit und Rechtsklarheit über die Wirksamkeit von Verfahrenshandlungen bestehen müssen. Ausnahmsweise kommt ein Widerruf nur dann in Betracht, wenn ein Wiederaufnahmegrund entsprechend §§ 580, 581 ZPO vorliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 16.7.2003 - 3Z BR 150/03). Im konkreten Fall fehlt hierfür jeglicher Anhaltspunkt; der Betroffene hat in seiner Beschwerdebegründung ebenfalls nichts in dieser Richtung ausgeführt.

2. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 4.9.2003, in welchem der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren festgesetzt worden ist, ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

a) Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

In einem Beschwerdeverfahren, welches ein Betreuer gegen eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts führt, fielen gemäß § 131 Abs. 3 KostO keine Gerichtsgebühren an. Auch eine sinngemäße Anwendung von Vorschriften der Kostenordnung komme nicht in Betracht, da diese erkennbar soziale Gesichtspunkte und Kostendämpfungserfordernisse bei den Gerichtsgebühren berücksichtigten, welche auf Anwaltsgebühren nicht übertragbar seien. Deshalb sei § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO anwendbar und der Geschäftswert nach billigem Ermessen zu bestimmen. Bei der Anordnung einer Betreuung mit dem Wirkungskreis Vermögenssorge sei es grundsätzlich angemessen, den Wert auf 10 % des Vermögens des Betreuten, und bei zusätzlicher Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes einen Wert von 15 % des Vermögens als Geschäftswert festzusetzen. Hier sei weiter zu berücksichtigen, dass die Betreuung letztlich dazu diene, die Streitigkeiten und Querelen bezüglich des hälftigen Miteigentumsanteils an einem Hausanwesen mit Gaststätte zu vermeiden und diese Immobilie zu verkaufen. Deshalb sei es angemessen, 15 % des Wertes dieses Miteigentumsanteils festzusetzen, also 15 % von 199.978,63 EUR, das seien 29996,79 EUR.

b) Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.

aa) Ausgangspunkt der gerichtlichen Festsetzung des Geschäftswerts ist nicht § 10 BRAGO, wie das Landgericht meint, sondern § 31 KostO. Dies entspricht der ständigen und gefestigten Rechtsprechung (vgl. BayObLGZ 1960, 10). Grundsätzlich richtet sich in Betreuungssachen der Gegenstandswert, nach welchem gemäß § 7 Abs. 1 BRAGO die Gebühren des Rechtsanwalts berechnet werden, nach dem für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO). Denn die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren ist auch für den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit maßgebend (§ 9 Abs. 1 BRAGO), und der Rechtsanwalt ist deshalb aus eigenem Recht zu einem Antrag auf Festsetzung des Geschäftswertes befugt (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BRAGO). Diese grundsätzliche Abhängigkeit ist für diejenigen Fälle, in denen für die Durchführung der gerichtlichen Verfahren Gebührenfreiheit besteht, nicht aufgehoben. Denn auch in diesen Fällen fehlt es nicht an einem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert. Es steht daher einer Geschäftswertfestsetzung für das gerichtliche Verfahren nicht entgegen, dass nur Rechtsanwaltsgebühren angefallen sind. Der Verfahrensbevollmächtigte ist auch in diesem Fall zu einem Antrag auf Festsetzung des gerichtlichen Geschäftswerts befugt (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KostO, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 2 BRAGO; BayObLG FamRZ 2003, 1128; Senatsbeschluss vom 12.9.2002 - 3Z BR 292/01; Korintenberg/Lappe KostO 15. Aufl. § 31 Rn. 14; wohl auch Hartmann Kostengesetze 32. Aufl. § 10 BRAGO Rn. 4; Rohs/Wedewer/Waldner Kostenordnung 80. Erg.-Lfg. Dez. 2001 § 31 Rn. 4).

bb) Die Beschwerde des Betroffenen gegen die Festsetzung des Geschäftswerts für das landgerichtliche Beschwerdeverfahren ist demnach gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 KostO zulässig. Dabei handelt es sich um eine Erstbeschwerde (vgl. BayObLGZ 2003, 87). Die Beschwerde des Betroffenen ist formgerecht durch Einreichung einer Beschwerdeschrift (§ 31 Abs. 3 Satz 1 KostO, § 14 Abs. 4 Satz 1 KostO) und fristgerecht innerhalb von sechs Monaten nach Mitteilung der landgerichtlichen Entscheidung (§ 31 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 KostO) eingelegt worden. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 50 EUR (§ 31 Abs. 3 Satz 1 KostO).

cc) Die Beschwerde ist auch begründet. Nach § 131 Abs. 2 KostO bestimmt sich der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in allen Fällen nach § 30 KostO. Da das Verfahren über die Bestellung und Entlassung eines Betreuers sowie die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes eine staatliche Fürsorgemaßnahme zu Gunsten einer hilfsbedürftigen Person und damit regelmäßig eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit ist, unabhängig davon, für welchen Aufgabenkreis eine Betreuung notwendig wird (vgl. BayObLG JurBüro 1993, 228/229; 1988, 863/864), ist der Geschäftswert nach § 30 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 KostO regelmäßig auf 3.000 EUR, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000 EUR festzusetzen. "Nach Lage des Falles" bedeutet, dass das wirtschaftliche Gewicht des Geschäfts für die Beteiligten, Auswirkung, Zweck und Wichtigkeit des Geschäfts, die Vermögenslage der Beteiligten sowie die Mühewaltung des Gerichts daraufhin abzuwägen sind, ob und inwieweit eine Über- oder Unterschreitung des Regelwerts innerhalb der durch Mindest- und Höchstwert gegebenen Grenzen angebracht erscheint (vgl. BayObLG FGPrax 2000, 129; BayObLGZ 1960, 158/166; Korintenberg/Reimann § 30 Rn. 108; Rohs/Wedewer 81. Erg.-Lfg. April 2002 § 30 Rn. 37).

Nach Abwägung aller dieser Gesichtspunkte hält der Senat den vom Landgericht angesetzten Geschäftswert für zu hoch und stattdessen einen Geschäftswert von 10.000 EUR für angemessen. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war die Frage, ob der Einwilligungsvorbehalt aufrechterhalten werden und es bei dem Betreuerwechsel bleiben sollte. Es handelt sich hierbei um eine durchschnittlich schwierige Rechtssache. Allerdings wird mittelbar der beabsichtigte Verkauf des dem Betroffenen zustehenden Miteigentumsanteils berührt; auch sind die Vermögensverhältnisse des Betroffenen als überdurchschnittlich zu bezeichnen. Er verfügt nicht nur über monatliche Einkünfte von rund 4651 EUR, sondern auch über Bankguthaben und Wertpapiere von über 100000 EUR und über Grundbesitz, wobei diesen Werten aber erhebliche Belastungen gegenüberstehen. Zudem ist der Rechtsgedanke des § 92 Abs. 1 Satz 1 KostO i.V.m. § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG heranzuziehen, welcher ein selbst bewohntes angemessenes Hausgrundstück bei der Bewertung des Vermögens des Fürsorgebedürftigen außer Betracht lässt (vgl. Senatsbeschluss vom 12.9.2002 - 3Z BR 292/01). Der Senat hält deshalb für das Beschwerdeverfahren einen Geschäftswert von 10000 EUR für angemessen.



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