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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 26.10.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 207/04
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1906 Abs. 1
BGB § 1908b Abs. 1
FGG § 20 Abs. 1
1. Der Betreuungsverein ist berechtigt, gegen die Entlassung des Vereinsbetreuers selbst Beschwerde einzulegen.

2. Ein Vereinsbetreuer, der entgegen fachärztlicher Stellungnahme und ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung gegenüber einer Einrichtung zur geschlossenen Unterbringung unter Verwendung richterlicher Diktion die Unterbringung des Betreuten "verfügt", kann deshalb als ungeeignet entlassen werden.


Gründe:

I.

Für die Betroffene, die an einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ leidet, ist seit 1998 ein Betreuer bestellt, in dessen Person seither mehrfacher Wechsel stattfand. Sein Aufgabenkreis umfasst derzeit Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine Unterbringung, Wohnungsangelegenheiten, Vermögenssorge, Vertretung bei Ämtern und Behörden, Vertretung gegenüber Sozialleistungs- und Versicherungsträgern sowie Entgegennahme und Öffnen der Post. Im Bereich Vermögenssorge ist Einwilligungsvorbehalt angeordnet.

Seit 28.5.2001 führte der diplomierte Sozialwirt A. H. die Betreuung, und zwar seit 21.1.2002 zusammen mit einer weiteren Betreuerin, mit der er am 18.7.2002 als Mitarbeiter des weiteren Beteiligten zu 2, eines Betreuungsvereins, dessen Vorsitzende gegenwärtig seine Ehefrau ist, zum Betreuer bestellt wurde. Am 3.6.2003 wurde A. H. zum alleinigen Berufsbetreuer bestellt, was durch das Landgericht am 9.9.2003 dahin geändert wurde, dass er als Mitarbeiter des weiteren Beteiligten zu 2 bestellt sei.

Am 2.6.2004 wurde A. H. vom Amtsgericht entlassen. Es wurde ein Rechtsanwalt als berufsmäßiger Betreuer bestellt. Die hiergegen unter anderem von dem weiteren Beteiligten zu 2 eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht am 17.8.2004 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 2.

II.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der weitere Beteiligte zu 2 beschwerdeberechtigt ist. Die Entlassung des Vereinsbetreuers beeinträchtigt ein Recht des Betreuungsvereins (§ 20 Abs. 1 FGG). Das Oberlandesgericht Hamm hat überzeugend dargelegt, dass ein Betreuungsverein in dem Fall befugt ist, selbst Beschwerde einzulegen, in dem ausgesprochen wird, dass der Vereinsbetreuer die Betreuung künftig als Privatperson weiterführt (§ 1908b Abs. 4 Satz 2 BGB; OLG Hamm FamRZ 2001, 253). Die zugrunde liegende Überlegung, dem Verein werde durch diesen Ausspruch insbesondere der Vergütungs- und Aufwendungsersatzanspruch nach § 1908e Abs. 1 Satz 1 BGB entzogen, trifft auch in der hier vorliegenden Fallgestaltung zu, bei der der Vereinsbetreuer entlassen und durch einen anderen berufsmäßigen Betreuer ersetzt wird.

2. In der Sache hat das Landgericht ausgeführt, der bisherige Betreuer sei zu Recht entlassen worden, weil er sich eine schwerwiegende Pflichtverletzung habe zuschulden kommen lassen; die Weiterführung der Betreuung durch ihn würde dem Wohl der Betroffenen erheblich schaden. Der Betreuer habe ein mit "Unterbringungsbeschluss" überschriebenes Schreiben an das Bezirksklinikum A. geleitet, wo sich die Betroffene freiwillig stationär hatte behandeln lassen und auf ihren Wunsch entlassen werden sollte. Darin habe er in der Diktion einer richterlichen Anordnung bestimmt, dass die Betroffene weiterhin im Klinikum untergebracht bleibe und nicht entlassen werden dürfe. Der behandelnden Ärztin dort und der Vormundschaftsrichterin habe er jegliche Kompetenz bei der Beurteilung der Unterbringungsfrage abgesprochen und sein eigenmächtiges Vorbringen demgegenüber als Notgeschäftsführung im Interesse der Betroffenen bezeichnet. Bei seiner Anhörung habe sich der Betreuer uneinsichtig und unbelehrbar gezeigt.

3. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Das Vormundschaftsgericht hat einen Betreuer zu entlassen, wenn seine Eignung, die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen, nicht mehr gewährleistet ist oder ein anderer wichtiger Grund für die Entlassung vorliegt (§ 1908b Abs. 1 Satz 1 BGB). Für die Entlassung genügt jeder Grund, der den Betreuer als nicht mehr geeignet im Sinne von § 1897 Abs. 1 BGB erscheinen lässt (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 403/404 m.w.N.). Grundsätzlich ist jedenfalls Voraussetzung für die Entlassung eines Betreuers nach § 1908b Abs. 1 BGB, dass das Wohl des Betroffenen bei fortbestehender Betreuerstellung nicht oder erheblich schlechter gewahrt ist als bei einem Austausch des Betreuers (vgl. BayObLG FamRZ 2000, 1457/1458). Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist die Entlassung des Betreuers erst als letzte Maßnahme zulässig, wenn also minder schwere Maßnahmen nicht ausreichen, um eine etwaige Gefährdung des Wohls des Betroffenen zu beseitigen. Das Vormundschaftsgericht hat also zuerst die Mittel der Aufsicht und des Weisungsrechts einzusetzen (BayObLG FamRZ 1998, 1257/1258; 2003, 403/404; BtPrax 2002, 218).

Beim Begriff des wichtigen Grundes handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der weitestgehend der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt. Die Annahme eines "wichtigen Grundes" setzt eine genaue, durch Tatsachen gestützte vollständige Abwägung der beteiligten Interessen voraus. Dabei ist zu bedenken, dass ein einfacher Grund nicht genügt, die Interessenabwägung also ein deutliches Ergebnis haben muss. Es ist ferner zu berücksichtigen, dass im Betreuungsrecht das Wohl des Betroffenen ganz im Vordergrund zu stehen hat (BayObLG FamRZ 1994, 323).

b) Nach diesen Grundsätzen ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht in dem Vorgehen des bisherigen Betreuers im Zusammenhang mit der geplanten Entlassung der Betroffenen aus dem Bezirksklinikum A. am 29.3.2004 einen wichtigen Grund für seine Entlassung gesehen hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte der Betreuer die Betroffene gegen ihren Willen im Bezirksklinikum unterbringen, ohne dass die Voraussetzungen hierfür nach § 1906 Abs. 1 BGB und die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung hierfür nach § 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB vorlagen. Der Wille, die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung unverzüglich nachzuholen (§ 1906 Abs. 2 Satz 2 BGB), kam in der späteren Stellungnahme des Betreuers vom 5.6.2004 nur für den Fall zum Ausdruck, dass die Unterbringung vollzogen würde. Für diesen Fall nahm der Betreuer demnach in Kauf, dass die Genehmigung mangels Voraussetzungen verweigert werden könnte. Hätte das Bezirksklinikum dem Schreiben des Betreuers vom 29.3.2004 Folge geleistet, wäre der Straftatbestand der Freiheitsberaubung, deren Versuch strafbar ist, verwirklicht worden (§ 239 Abs. 1 und 2 StGB). Das Landgericht hat zu Recht in seine Gesamtwürdigung einbezogen, dass der Betreuer auch nach Belehrung kein Unrechtsbewusstsein gezeigt hat. Dies ergibt sich aus seinen Angaben gegenüber der Vormundschaftsrichterin am 27.5.2004 und seinem Beschwerdeschreiben vom 5.6.2004, in dem er sein Vorgehen zu rechtfertigen sucht. Das Landgericht konnte davon ausgehen, dass der Betreuer zunehmend sich selbst überschätzt und dies die Ursache für die Verkennung der eigenen Befugnisse und die Geringschätzung der Kompetenz anderer ist. Eine Entwicklung in diese Richtung kündigt sich bereits im Betreuerbericht vom 11.9.2001 an, in dem der Betreuer von seiner Einflussnahme auf die richtige Medikation schreibt. Auch spätere Belehrungen bzw. Vorhaltungen an das Vormundschaftsgericht in den Berichten vom 7.11., 12.11. und 15.11.2003 und gegenüber der Betreuungsstelle (Schreiben vom 14.5.2004) deuten auf eine solche Entwicklung hin. Der Vorfall vom 29.3.2004 bildet lediglich einen Kulminationspunkt in dieser Entwicklung, deren Fortgang nicht abgewartet zu werden brauchte. Durch die vom Landgericht bestätigte Entlassung des Betreuers wurde Schaden von der Betroffenen abgewendet, der nach der Geisteshaltung des bisherigen Betreuers in Form rechtswidriger Unterbringung oder auch anders jederzeit hätte eintreten können.

Demgegenüber ist zwar anzuerkennen, dass der Betreuer jedenfalls bis Januar 2002 und von Mai bis November 2003 ausweislich der für diese Zeiträume bei den Akten befindlichen Betreuerberichte eine intensive und in einiger Hinsicht erfolgreiche Betreuungsarbeit geleistet hat. Jedoch ist zum einen eine Fortführung dieser Arbeit wegen der geschilderten Entwicklung nicht gewährleistet. Zum anderen wiegt der vom Landgericht als Entlassungsgrund herangezogene Verstoß so schwer, dass eine Wiederholung ausgeschlossen werden musste. Dies ist auch der Grund, weshalb schwächere Maßnahmen, wie aufsichtliche Ermahnungen oder Anweisungen, nicht ergriffen werden mussten.

4. Die Rüge unterlassener Anhörung ist unberechtigt. Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die persönliche Anhörung der Betroffenen und des Betreuers ist nur dann zwingend erforderlich, wenn die Betroffene der Entlassung widerspricht, § 69i Abs. 7 FGG. Zu dem für die Beschwerdeentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt sprach sich die Betroffene jedoch für die Entlassung des bisherigen Betreuers aus (deren Schreiben vom 1.7.2004, mit dem sie Beschwerde gegen ihn einlegt). Die Anhörung des Betreuers und des weiteren Beteiligten zu 2 ist im Übrigen erfolgt. Der Betreuer äußerte sich am 27.5.2004 persönlich gegenüber der Vormundschaftsrichterin sowie im weiteren Verlauf schriftlich im Rahmen seiner sofortigen Beschwerde. Der weitere Beteiligte zu 2 konnte sich in Schriftsätzen äußern, die das Landgericht ebenfalls bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat.

Ende der Entscheidung

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