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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 06.09.2000
Aktenzeichen: 3Z BR 214/00 (1)
Rechtsgebiete: BVormVG


Vorschriften:

BVormVG § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
Die Ausbildung an der Bayerischen Verwaltungsschule mit dem Abschluß "Fachprüfung II für Verwaltungsangestellte 1986" ist mit einer Hochschulausbildung vergleichbar.
BayObLG Beschluß

LG Bamberg 3 T 61/00; AG Forchheim XVII 0263/99

3Z BR 214/00

06.09.00

Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Plößl und Dr. Schreieder

am 6. September 2000

in der Betreuungssache

auf die sofortige weitere Beschwerde des Betreuers

beschlossen:

Tenor:

I. Der Beschluß des Landgerichts Bamberg vom 16. Juni 2000 wird aufgehoben.

II. Die sofortige Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluß des Amtsgerichts Forchheim vom 28. März 2000 wird zurückgewiesen.

III. Die dem Betreuer in den Verfahren der Beschwerde und der weiteren Beschwerde entstandenen notwendigen Kosten werden der Staatskasse auferlegt.

IV. Der Geschäftswert der Verfahren der Beschwerde und der weiteren Beschwerde wird auf jeweils 3089,89 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Das Amtsgericht setzte mit Beschluß vom 28.3.2000 die dem Betreuer des Betroffenen für seine Tätigkeit vom 12.11.1999 bis 31.1.2000 aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung fest. Hierbei legte es einen Stundensatz von 60 DM zugrunde.

Auf die sofortige Beschwerde der Staatskasse hat das Landgericht dem Betreuer mit Beschluß vom 16.6.2000 lediglich einen Stundensatz von 45 DM zugebilligt und die festgesetzte Vergütung entsprechend ermäßigt.

Hiergegen wendet sich der Betreuer mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere vom Landgericht zugelassen (§ 69 e Satz 1, § 56 g Abs. 5 Satz 2 FGG).

Es führt zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und zur Zurückweisung der Beschwerde der Staatskasse.

1. Das Landgericht hat dem Rechtsmittel der Staatskasse mit der Begründung entsprochen, der Betreuer verfüge nicht über die für die Zubilligung eines Stundensatzes von 60 DM erforderliche Qualifikation. Im Rahmen seiner Ausbildung auf der Bayerischen Verwaltungsschule habe er keine besonderen, für die Führung von Betreuungen nutzbaren Kenntnisse erworben. Seine Kenntnisse in den Bereichen Kommunalrecht, kommunale Finanzwirtschaft, öffentliches Baurecht und Arbeits- und Tarifrecht im öffentlichen Dienst seien für die Führung von Betreuungen im wesentlichen nicht von Bedeutung. In den betreuungsrelevanten Bereichen Bürgerliches Recht und Sozialrecht seien nur Grundkenntnisse vermittelt worden, so dass insoweit ein einem Hochschul- oder Fachhochschulstudium vergleichbarer Wissensstand nicht vorliege.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO).

a) Dem Berufsbetreuer (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836 Abs. 1 Satz 2 BGB), dem für seine Tätigkeit wegen Mittellosigkeit des Betreuten Vergütung aus der Staatskasse zu gewähren ist (§ 1836a BGB), steht ein Stundensatz von 60 DM zu, wenn er über besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse verfügt und diese durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben hat (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BVormVG). Sind die entsprechend erworbenen besonderen Kenntnisse für die Führung von Betreuungen allgemein nutzbar, wird grundsätzlich vermutet, dass sie auch für das konkrete Betreuungsverfahren nutzbar sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BVormVG; vgl. hierzu Pfälz.OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 551).

aa) "Besondere" Kenntnisse sind Kenntnisse, die - bezogen auf ein bestimmtes Fachgebiet - über ein Grundwissen deutlich hinausgehen, wobei das Grundwissen je nach Bildungsstand bzw. Ausbildung mehr oder weniger umfangreich sein kann (vgl. BayObLGZ 1999, 339/341; SchlHOLG FamRZ 2000, 846/847).

bb) Für die Führung einer Betreuung "nutzbar" sind solche Kenntnisse, wenn sie ihrer Art nach betreuungsrelevant sind und den Betreuerlefähigen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine erhöhte Leistung zu erbringen. Notwendig ist insoweit nicht, dass die Kenntnisse das gesamte Anforderungsprofil der Betreuung abdecken. Vielmehr reichen Kenntnisse zur Bewältigung eines bestimmten Aufgabenkreises aus (vgl. BayObLG aaO; SchlHOLG aaO). Angesichts des Wesens der Betreuung als rechtlicher Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) kommt rechtlichen Kenntnissen eine grundlegende Bedeutung zu, insbesondere Kenntnissen im Gesundheits-, Zivil-, Sozialleistungs- und Versorgungs-, Verwaltungs- und Steuerrecht einschließlich des jeweiligen Verfahrensrechts. Betreuungsrelevant sind im allgemeinen ferner Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft (vgl. BayObLGZ 1999, 339/341 f.; Thüringer OLG FGPrax 2000, 110).

Der Gesetzgeber hat offen gelassen, durch welche Ausbildungsgänge für eine Betreuung nutzbare Kenntnisse erworben werden. Erforderlich ist insoweit, dass die Ausbildung in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung solcher Kenntnisse ausgerichtet ist (vgl. OLG Dresden FamRZ 2000, 847; Thüringer OLG aaO), wie etwa bei den Studiengängen Rechtswissenschaften/Rechtspflege, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie oder Betriebswirtschaft (vgl. BayObLGZ 1999, 339/342; Thüringer OLG aaO). Dies bedeutet allerdings nicht, dass die höheren Vergütungsstufen bestimmten Berufsgruppen vorbehalten sind (vgl. OLG Dresden FamRZ 2000, 847/848).

cc) Einer abgeschlossenen Hochschulausbildung vergleichbar ist eine Ausbildung, wenn sie in ihrer Wertigkeit einer solchen Ausbildung gleichkommt. Davon ist auszugehen, wenn sie staatlich reglementiert oder anerkannt ist und wenn das durch sie vermittelte Wissen in Breite und Tiefe dem durch ein erfolgreich abgeschlossenes Hochschulstudium erworbenen Wissen entspricht (vgl. BayObLGZ 1999, 275/276 f.; BayObLG NJWE-FER 2000, 58; SchlHOLG SchlHA 2000, 160). Dabei fallen nach dem Willen des Gesetzgebers unter den Begriff der Hochschule im Sinne des § 1Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BVormVG auch die Fachhochschulen (BT-Drucks. 13/7158 S. 28; vgl. OLG Braunschweig BtPrax 2000, 130).

Abgeschlossen ist eine Ausbildung, wenn ihr Erfolg durch eine vor einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle abgelegte Prüfung belegt ist (vgl. BayObLGZ 1999, 275/277).

b) Das Landgericht hat sich mit Inhalt und Qualität der Ausbildung des Betreuers nicht ausreichend auseinandergesetzt. Insbesondere hat es die der Ausbildung zu Grunde liegenden Satzungen der Bayerischen Verwaltungsschule sowie die durch die Ausbildung gemäß den tarifvertraglichen Bestimmungen erworbene Qualifikation nicht berücksichtigt. Dadurch hat es wesentliche Gesichtspunkte für die Einstufung der vom Betreuer erworbenen Kenntnisse außer acht gelassen. Auf diesem Rechtsfehler beruht die angegriffene Entscheidung.

3. Dies hat jedoch nicht die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur Folge. Der Senat kann die erforderlichen Feststellungen anhand der Akten und veröffentlichter Vorschriften selbst treffen, ohne dass es weiterer Ermittlungen bedarf, und darf deshalb den Sachverhalt eigenständig würdigen (vgl. BayObLG NJW-RR 1989, 1092/1093).

Danach steht dem Betreuer der ihm vom Amtsgericht zugebilligte Stundensatz von 60 DM zu.

a) Gemäß den vom Betreuer vorgelegten Unterlagen hat er an der Bayerischen Verwaltungsschule, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, eine Ausbildung zum Verwaltungsangestellten absolviert, mit Erfolg die "Anstellungsprüfung für den mittleren Verwaltungsdienst 1978" sowie die "Fachprüfung II für Verwaltungsangestellte 1986" abgelegt und darf gemäß § 1 Nr. 1 der Bekanntmachung der Bayerischen Verwaltungsschule vom 27.4.1992 (Bayerischer Staatsanzeiger 1992 Nr. 18) die Bezeichnung Verwaltungsfachwirt führen.

b) Im Rahmen dieser Ausbildung hat der Betreuer besondere, für die Führung von Betreuungen nutzbare Kenntnisse erworben.

Seine Ausbildung zum Verwaltungsangestellten war zwar schwerpunktmäßig auf verwaltungsspezifische Belange ausgerichtet. Jedoch gehörten zu dem der Vorbereitung auf die Fachprüfung II dienenden Angestelltenlehrgang II zahlreiche Lehrfächer, in denen auch betreuungsrelevantes Wissen vermittelt wurde, wie etwa die Fächer Einführung in das Recht und die Rechtsanwendung, Grundzüge des Bürgerlichen Rechts, Grundzüge des Sozialrechts (unter anderem Sozialhilfe und Sozialversicherung), Verwaltungsorganisation, Grundbegriffe der Datenverarbeitung, volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Grundbegriffe, Verhandlungs- und Diskussionstechnik - Umgang mit dem Bürger (§ 6 Abs. 2 der Satzung der Bayerischen Verwaltungsschule über die Lehrgänge und Fachprüfungen I und II für Verwaltungsangestellte vom 25.7.1977, Bayerischer Staatsanzeiger 1977 Nr. 30). Diese sieben der insgesamt 15 Lehrfächer prägten die Ausbildung maßgeblich mit. Das Niveau des hierdurch erworbenen, für Betreuungen hilfreichen Gesamtwissens geht über ein Grundwissen deutlich hinaus, auch wenn in einzelnen Fächern nur Grundzüge gelehrt wurden.

c) Die mit der Fachprüfung II abgeschlossene Ausbildung des Betreuers zum Verwaltungsangestellten ist mit einer abgeschlossenen Hochschulausbildung vergleichbar.

aa) Als Wertungskriterien für die Vergleichbarkeit sind zunächst der mit der Ausbildung verbundene zeitliche Aufwand, der Umfang des Lehrstoffes und die Ausgestaltung der Abschlußprüfung heranzuziehen. Darüber hinaus ist aber auch die durch die Abschlußprüfung erworbene Qualifikation von wesentlicher Bedeutung. Eröffnet sie den Absolventen den Zugang zu beruflichen Tätigkeiten, deren Ausübung üblicherweise Hochschulabsolventen vorbehalten ist, etwa den Zugang zu den entsprechenden Besoldungs- bzw. Vergütungsgruppen des öffentlichen Dienstes, wird eine Vergleichbarkeit in aller Regel zu bejahen sein. Wenn schon die für die Ausgestaltung des Berufszugangs maßgeblichen Stellen, insbesondere der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien, eine Ausbildung als einer Hochschulausbildung gleichwertig ansehen, besteht in der Regel kein Grund, diese Frage im Rahmen des Vergütungsverfahrens anders zu beurteilen.

bb) Im vorliegenden Fall dauerte der Angestelltenlehrgang II zwei Jahre und umfaßte 15 Lehrfächer. Die Fachprüfung II bestand aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil, wobei in der schriftlichen Prüfung sechs Aufgaben mit jeweils einer Arbeitszeit von drei Stunden und eine Aufgabe mit einer Arbeitszeit von fünf Stunden zu bearbeiten waren. Die dadurch erworbene Qualifikation des Betreuers steht der eines Beamten des gehobenen Dienstes mit Fachhochschulausbildung gleich. Die vom Betreuer mit Erfolg bestandene Fachprüfung II ist "Zweite Prüfung" im Sinne des § 25 des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) und der Anlage 3 hierzu (§ 2 Abs. 2 der genannten Satzung) und weist damit die Befähigung für Tätigkeiten u.a. der Vergütungsgruppe III nach (§ 1 Abs. 2 Unterabs. 4 der Anlage 3 zum BAT; Protokollerklärung zu § 1 dieser Anlage). Diese Vergütungsgruppe wird als den Besoldungsgruppen des gehobenen Dienstes vergleichbar angesehen (vgl. § 11 Satz 2 BAT, § 5 Abs. 3 der Verordnung über die Laufbahnen der bayerischen Beamten). Die entsprechende Beamtenlaufbahn des nichttechnischen Dienstes erfordert ein Fachstudium an der Bayerischen Beamtenfachhochschule (Art. 25 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Bayerisches Beamtengesetz), die den staatlichen Fachhochschulen gleichwertig ist (Art. 1 Abs. 5 Bayerisches Beamtenfachhochschulgesetz).

4. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG, im übrigen auf § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG. Der Geschäftswert ist gemäß § 131 Abs. 2, 31 Abs. 1 Satz 1, § 30 Abs. 1 KostO festgesetzt worden.

Ende der Entscheidung

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