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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 05.11.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 215/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1837 Abs. 2
BGB § 1795 Abs. 2
BGB § 181
1. Die Entscheidung des Betreuers, eine Mietwohnung des Betroffenen trotz dessen Unterbringung aufrechtzuerhalten, ist nicht pflichtwidrig, wenn sich die Fortexistenz der Wohnung positiv auf die Befindlichkeit des Betroffenen auswirken kann und die dadurch bewirkte Vermögensbelastung im Ergebnis nicht von Gewicht ist.

2. Die Genehmigung einer Aufgabe der Mietwohnung nach § 1907 BGB wirkt nicht als Gestattung im Sinne von § 181 BGB.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht bestellte der kaum noch ansprechbaren, vermögenden Betroffenen deren Sohn als Betreuer in den Aufgabenbereichen Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Einwilligung in die ärztliche Heilbehandlung und Bestimmung des Aufenthaltes. Seit 1997 ist die Betroffene in einem Altenpflegeheim untergebracht. Bis 1997 wohnte die Betroffene in einer Dachgeschosswohnung im Anwesen ihres Sohnes. Auch nach Unterbringung der Betroffenen behielt ihr Sohn und Betreuer die Wohnung bei. Hierfür berechnete er der Betroffenen auf Grund eines mündlich abgeschlossenen Mietvertrages zuletzt einen Betrag in Höhe von ca. 150 EUR monatlich zzgl. Nebenkosten und Kosten für die Wohnungsreinigung.

Mit Verfügung vom 10.4.2003 wies das Amtsgericht den Betreuer an, das bestehende Mietverhältnis aufzulösen. Gegen die Weisung erhob der Betreuer, zugleich auch namens der Betroffenen, Beschwerde, die das Landgericht mit Beschluss von 16.9.2003 zurückgewiesen hat. Hiergegen richten sich die weiteren Beschwerden des Betreuers und der Betroffenen.

II.

Die zulässigen Rechtsmittel sind begründet.

1. Zutreffend hat das Landgericht die Verfügung des Amtsgerichts als beschwerdefähige Entscheidung gewertet. Gegen eine Verfügung des Gerichts erster Instanz findet nach § 19 Abs. 1 FGG das Rechtsmittel der Beschwerde statt. Verfügungen im Sinne von § 19 FGG sind Willensentschließungen des Gerichts, die auf eine Feststellung oder Änderung der Sach- oder Rechtslage abzielen oder eine solche Feststellung bzw. Änderung ablehnen (vgl. Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9. Aufl. § 19 FGG Rn. 1). Im vorliegenden Fall hat das Vormundschaftsgericht am 10.4.2003 eine Aufsichtsweisung nach §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1837 Abs. 2 Satz 1 BGB erteilt, die der Beschwerde unterliegt (vgl. Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. § 1837 BGB Rn. 23; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1837 BGB Rn. 24).

2. In der Sache hat das Landgericht seine Entscheidung wie folgt begründet:

Die Weisung zur Auflösung der Wohnung entspreche den wirtschaftlichen Interessen der Betroffenen. Das entgeltliche Bereithalten der Wohnung durch den Betreuer stelle deswegen eine Pflichtwidrigkeit dar. Nach Aktenlage stehe außer Frage, dass die Betroffene nicht mehr in die bereitgehaltene Wohnung werde zurückkehren können. Die Betroffene sei auch nicht mehr in der Lage zu bekunden, dass die Wohnung weiterhin bereitgehalten werden möge. Von daher erzeuge es einen "schalen Beigeschmack", dass gerade der Betreuer, der alleiniger Nutznießer der Mietzahlungen sei, mit Vehemenz die Beibehaltung der Wohnung verfechte.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.

a) Gemäß §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1837 Abs. 2 Satz 1 BGB hat das Vormundschaftsgericht über die gesamte Tätigkeit des Betreuers die Aufsicht zu führen und gegen Pflichtwidrigkeiten durch geeignete Gebote und Verbote einzuschreiten. Bei Ausübung seines Amtes ist der Betreuer jedoch selbständig. Eine Pflichtwidrigkeit liegt vor, wenn der Betreuer gegen bestimmt formulierte gesetzliche Regelungen verstößt, gerichtliche Anordnungen z.B. gemäß § 1798 BGB nicht befolgt oder wenn er seinen Aufgabenkreis überschreitet (vgl. Soergel/Zimmermann BGB 13. Aufl. § 1837 Rn. 7). Weil der Betreuer selbständig handelt, kann im Übrigen eine Pflichtwidrigkeit durch Verletzung der Aufgabe, für die Person und das Vermögen des Betroffenen zu sorgen, nur angenommen werden, wenn der Betreuer den Rahmen dessen, was ein vernünftiger Mensch für zweckmäßig oder vertretbar hält, verletzt, wenn er also den ihm gegebenen Spielraum überschreitet oder missbraucht (Soergel/Zimmermann aaO), z.B. sich von unsachlichen Erwägungen leiten lässt. Ist der Betreuer in Zweckmäßigkeitsfragen aus sachlichen Gründen anderer Ansicht als das Gericht, darf das Gericht seine eigene Meinung nicht an Stelle derjenigen des Betreuers setzen und insoweit auch keine bindenden Anordnungen treffen (Soergel/Zimmermann aaO Rn. 8; Knittel Betreuungsgesetz § 1837 BGB IV 2; BGHZ 17, 108/116). Ob eine Pflichtwidrigkeit des Betreuers vorliegt oder nicht, ist keine Ermessensfrage, sondern eine in allen Instanzen nachprüfbare Rechtsfrage (Soergel/Zimmermann aaO Rn. 7).

Anerkanntermaßen eine Frage der Zweckmäßigkeit ist es, welche Beträge aus dem Vermögen des Betroffenen für dessen Lebensunterhalt aufgewendet werden (vgl. Soergel/Zimmermann aaO Rn. 9 m.w.N.).

b) Hiernach ist es grundsätzlich eine Frage der Zweckmäßigkeit, wie lange im Falle einer anderweitigen Unterbringung die Wohnung des Betroffenen aufrechterhalten werden kann. Häufig hängt auch die Rehabilitation eines Betroffenen nach einem Klinikaufenthalt davon ab, dass er in seine vertraute Umgebung und in die alte Nachbarschaft zurückkehren kann. Deshalb stellt auch das Betreuungsrecht die Wohnung des Betroffenen unter besonderen Schutz (Palandt/Diederichsen BGB 62. Aufl. § 1907 Rn. 1 m.w.N.). Ein zusätzliches Schutzbedürfnis besteht hinsichtlich der Auflösung von Mietverhältnissen. Dem trägt § 1907 BGB Rechnung.

Im vorliegenden Fall reichen unter Berücksichtigung dieses Aspekts die Feststellungen des Landgerichts nicht für die ausgesprochene Weisung aus. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass die Betroffene jemals wieder auf Dauer in die bereitgehaltene Wohnung zurückkehren wird. Andererseits ist nach Aktenlage auch nicht auszuschließen, dass allein schon die bloße (Fort-)Existenz des eigenen Haushalts für die Betroffene ein psychologisch wirksamer Faktor ist, der sich positiv auf ihre Befindlichkeit auswirkt. Hinzu kommt, dass, was bisher nicht geklärt ist, durch die Räumung der Wohnung und die eventuell erforderliche anderweitige Einlagerung des Inventars nicht unerhebliche Kosten entstehen können. Dies spräche für eine Beibehaltung der Wohnung, zumal das Vermögen der Betroffenen durch die verhältnismäßig geringen Kosten der Wohnung nicht über Gebühr beansprucht wird und ihr Aufenthalt im Pflegeheim nach den getroffenen Feststellungen auch ohne Aufgabe der Wohnung problemlos aus den laufenden Versicherungsleistungen und Renten unter Zuzahlung aus dem vorhandenen Vermögen finanziert werden kann.

Auch für ein missbräuchliches Verhalten des Betreuers fehlen bisher nähere Anhaltspunkte. Zwar trifft es zu, dass der Betreuer im vorliegenden Falle als Vermieter Nutznießer der Mietzahlungen seiner Mutter ist. Auf der anderen Seite erbringt er durch die Überlassung der Wohnung seinerseits Leistungen, die einen Marktwert besitzen. Es ist bisher weder festgestellt, dass ein (erhebliches) Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestünde, noch, dass die der Betroffenen überlassene Wohnung anderweitig nicht vermietet werden könnte.

c) Gleichwohl bedarf es keiner weiteren Aufklärung des Sachverhalts; der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 56). Die ausgesprochene Weisung kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil sie vom Betreuer ein Verhalten fordert, das diesem schon von Rechts wegen unmöglich ist. Die angefochtene und vom Landgericht bestätigte Verfügung des Amtsgerichts geht dahin, das Mietverhältnis der Betroffenen aufzulösen, also einen Auflösungsvertrag herbeizuführen oder eine Kündigung auszusprechen. Vertragspartner bzw. Empfänger der Kündigungserklärung der Betroffenen aber wäre der Betreuer selbst. Insoweit ist der Betreuer gemäß § 1908i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 1795 Abs. 2, 181 BGB von einer Vertretung der Betroffenen ausgeschlossen (Damrau/Zimmermann § 1795 BGB Rn. 3 f.; zum Fall der Kündigung vgl. auch Palandt/Heinrichs § 181 Rn. 8). Ein

Fall der Gestattung im Sinne von § 181 BGB liegt hier nicht vor; dies gilt auch dann, wenn das Amtsgericht selbst den Betreuer zum Vertragsschluss bzw. zur Kündigung anhält und die Aufgabe der Mietwohnung gemäß § 1907 BGB genehmigt, weil das Amtsgericht insoweit (lediglich) eine Kontrollfunktion ausübt (Palandt/Diederichsen § 1795 Rn. 8 m.w.N.).



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