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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.12.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 219/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1835 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1835 Abs. 4 Satz 1
BGB § 1836 Abs. 1 Satz 2
BGB § 1836 Abs. 2 Satz 1
BGB § 1836 Abs. 2 Satz 2
BGB § 1836a
BGB § 1897 Abs. 1
BGB § 1901 Abs. 1
BGB § 1908i Abs. 1 Satz 1
Die persönliche Kontaktaufnahme zwischen Betreuer und Betreutem gehört zu den Aufgaben eines Betreuers,gleichgültig für welchen speziellen Aufgabenkreis er bestellt sein mag.
Gründe:

I.

Für den vermögenslosen Betroffenen ist seit 8.8.2000 ein Berufsbetreuer für alle Angelegenheiten bestellt. Für den Zeitraum 1.4. bis 30.6.2002 stellte der Betreuer für seine Tätigkeit einen Betrag von 788,65 EUR und für die Auslagen einen Betrag von 237,07 EUR in Rechnung. Diesen Summen lagen aufgeführte 22,16 Stunden und mit dem PKW zurückgelegte 875 km zugrunde, die sich infolge wöchentlicher Besuche des Betreuers bei dem Betroffenen ergeben hatten. Das Amtsgericht setzte am 3.7.2002 antragsgemäß einen Gesamtbetrag von 1025,72 EUR fest.

Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatskasse, mit der diese auf der Grundlage von Besuchen in zweiwöchigem Abstand eine Herabsetzung auf 539,37 EUR erreichen wollte, am 28.10.2002 zurückgewiesen und die sofortige weitere Beschwerde zugelassen.

Mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt die Staatskasse ihr Ziel weiter, eine Herabsetzung des Erstattungsbetrages zu erreichen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere vom Landgericht zugelassen (§ 69e Satz 1, § 56g Abs. 5 Satz 2 FGG). In der Sache hat es keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Zwar stelle sich die Betreuung ihrem Wesen nach als bürgerlich-rechtlich geregelte gesetzliche Vertretung und nicht als persönliche Pflegeleistung und Hilfe dar mit der Folge, dass Akte rein tatsächlicher Zuwendung nicht mehr zur Betreuung gehörten und damit auch nicht vergütungsfähig seien. Doch müsse auf der anderen Seite dem Betreuer ein gewisser Spielraum für tatsächliche Zuwendung gelassen werden. Zum Zweck des Aufbaus eines Vertrauensverhältnisses zwischen Betreuer und Betreutem halte die Rechtsprechung Hausbesuche in zwei- bis vierwöchigen Abständen in der Regel, also sofern nicht besondere Umstände etwas anderes rechtfertigten, für ausreichend. Im vorliegenden Fall habe der Betreuer gewichtige besondere Umstände aufgezeigt, die wöchentliche Besuche beim Betroffenen erforderlich erscheinen ließen. Bei einer Änderung der Besuchsfrequenz habe sich der Gesundheitszustand des Betroffenen dramatisch verschlechtert, da der Betreuer die einzige dauerhafte Bezugsperson des Betroffenen darstelle. Eine Abhilfe durch die Organisation weiterer Hilfsdienste sei nicht ersichtlich. Zur effektiven Betreuung in den wöchentlichen Aufgabenkreisen sei vielmehr der regelmäßige wöchentliche Kontakt in diesem besonderen Ausnahmefall erforderlich.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Wird ein Berufsbetreuer zum Zweck der Führung der Betreuung, das heißt mit dem Ziel der Erfüllung seiner Aufgaben, im Interesse des Betroffenen tätig, setzt sein Anspruch auf Vergütung (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 und 2, § 1836a BGB, § 1 BVormVG) bzw. Aufwendungsersatz (§ 1835 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 BGB) grundsätzlich voraus, dass die fragliche Tätigkeit in den ihm übertragenen Aufgabenkreis fällt und er die Tätigkeit aus seiner Sicht nach den Umständen des Einzelfalles für erforderlich halten durfte (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BVormVG, § 670 BGB; st. Rspr.; vgl. BayObLGZ 2001, 324/325 m. w. N.). Die Betreuung ist eine rechtsfürsorgerische Tätigkeit; sie ist ihrem Wesen nach bürgerlich-rechtlich geregelte gesetzliche Vertretung (vgl. BayObLGZ 1998, 44/45). Dies zeigt schon die Überschrift "Rechtliche Betreuung" des Zweiten Titels des Vierten Buches des BGB. Ausdrücklich besagt der Gesetzeswortlaut des § 1901 Abs. 1 BGB, dass durch die Betreuung die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen sind. Rein tatsächliche Hilfe- oder Pflegeleistungen hat der Betreuer grundsätzlich nicht zu erbringen, er ist lediglich für die Organisation der erforderlichen tatsächlichen Hilfsmainahmen verantwortlich (vgl. auch Senatsbeschluss vom 9.10.2002 Az. 3Z BR 146/02). Daraus folgt, dass in der Regel rein tatsächliche Hilfeleistungen nicht zum Aufgabenkreis des Betreuers gehören und damit nicht vergütungsfähig sind (vgl. LG Koblenz FamRZ 1998, 495/496 und FamRZ 2002, 845/846; Jürgens BtR 2. Aufl. § 1836 BGB Rn. 10; Palandt/Diederichsen BGB 62. Aufl. § 190l Rn. 1). So hat die Rechtsprechung eine Vergütung für die Begleitung bei Einkäufen (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 4.63/464; LG Koblenz FamRZ 1998, 495/496; LG Mainz JurBüro 1999, 603) oder bei Arztbesuchen (vgl. LG Koblenz aaO; LG Mainz aaO), für die Teilnahme an Elternabenden (vgl. LG Mainz aaO) oder Ausflügen (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 462/464), für das Wegbringen von Überweisungen sowie für das Abholen von Kontoauszügen (vgl. AG Betzdorf FamRZ 2001, 1242) versagt.

b) Die Betreuung soll aber unter Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Betroffenem und Betreuer geführt werden; dies setzt, wie der Gesetzeswortlaut des § 1897 Abs. 1 BGB zeigt, im vorgegebenen Rahmen eine gewisse persönliche Betreuung voraus, die auf die Wünsche und Vorstellungen des Betreuten Rücksicht nimmt. Voraussetzung hierfür ist ein persönlicher Kontakt zwischen dem Betreuer und dem Betreuten. Dieser dient nicht nur der Vorbereitung von rechtlich relevanten Entscheidungen, sondern auch der Schaffung und der Aufrechterhaltung eines Vertrauensverhältnisses. Nur wenn ein Vertrauensverhältnis aufgebaut und bewahrt worden ist, kann der Betreuer Entscheidungen treffen, welche die wünsche des Betroffenen berücksichtigen. Wie häufig persönliche Kontakte zu diesem Zweck stattfinden dürfen, ist eine Frage des Einzelfalles; dem Betreuer steht hier ein Ermessensspielraum zur Verfügung. In der Regelwerden ein oder maximal zwei Besuche beim Betreuten im Monat als erforderlich angesehen (vgl. LG Leipzig FamRZ 2000, 1047; LG Mainz BtPrax 1997, 245; 2002, 174; Palandt/Diederichsen § 1836 Rn. 19; MünchKomm/Wagenitz BGB 4. Aufl. § 1836 Rn. 47; Knittel, BtG § 1836 Rn. 27; differenzierend: Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1836a BGB Rn. 14: keine feste Regel; Jürgens § 1835 BGB Rn. 5: je nach Besonderheit des Einzelfalles).

c) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist die Auffassung des Landgerichts, der durch die Besuche verursachte Zeitaufwand des Betreuers sei vergütungsfähig, die entsprechenden Aufwendungen erstattungsfähig, nicht zu beanstanden.

(1) Die Besuche fallen in den Aufgabenkreis des Betreuers. Entscheidend hierfür ist der Bezug der Besuche zu den Aufgaben des Betreuers. Ein solcher Bezug ist hier gegeben. Zum einen gehört die persönliche Kontaktaufnahme mit dem Betreuten wie dargelegt ganz allgemein zu den Pflichten des Betreuers. Zwar ist sie nicht als besonderer Aufgabenkreis bezeichnet, doch stellt sie eine mit dem Betreueramt unabdingbar verbundene Nebentätigkeit des Betreuers dar. Unabhängig davon, für welchen Aufgabenkreis der Betreuer speziell bestellt sein mag, ist der persönliche Kontakt mit dem Betreuten zum Aufbau und zur Bewahrung eines Vertrauensverhältnisses notwendig, damit der Betreuer die Entscheidungen in dem ihm zugewiesenen Aufgabenkreis unter Berücksichtigung der Wünsche und zum Wohle des Betroffenen fassen kann, wie dies § 1901 Abs. 2 BGB verlangt. Ist es dem Betreuten wie hier nicht zuzumuten, den Betreuer aufzusuchen, setzt eine solche Kontaktaufnahme Besuche des Betreuers beim Betreuten voraus.

Außerdem ist der Betreuer für alle Angelegenheiten und damit auch für den Bereich Gesundheitsfürsorgebestellt. In diesem Aufgabenkreis ist seine Tätigkeit nicht auf die Kontrolle einer etwaigen ärztlichen Behandlung sowie der Einhaltung ärztlicher Anweisungen und Ratschläge beschränkt. Vielmehr hat er gerade in diesem Bereich gemäß § 1901 Abs. 4 BGB auch dazu beizutragen, dass Möglichkeiten genutzt werden, die Krankheit oder Behinderung des Betroffenen zu beseitigen, zu bessern sowie ihre Verschlimmerung zu verhüten. Sieht der Betreuer, dass der Betroffene an Verwahrlosungstendenzen leidet, die durch persönliche Gespräche mit ihm abgewendet oder gelindert werden können, kann Besuchen des Betreuers, die zu diesem Zweck durchgeführt werden, ein hinreichender Bezug zu dem Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge nicht abgesprochen werden.

(2) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht ferner im Ergebnis angenommen, dass der Betreuer die wöchentlichen Besuche im hier vorliegenden Einzelfall auch ausnahmsweise für erforderlich halten durfte (vgl. hierzu BayObLGZ 2001, 325/327).

Der Betreuer ist hier für "alle Angelegenheiten" und damit für die umfassendste Rechtsfürsorge bestellt. Bei der Ausübung des Ermessens, wie stark der persönliche Kontakt zu dem Betroffenen ausgeprägt sein soll, ist diese umfassende Rechtsfürsorge mit der Verpflichtung, auf die Wünsche des Betroffenen in allen Gebieten zu hören, zu beachten.

Außerdem durfte der Betreuer im Hinblick auf seine Zuständigkeit auch für die Gesundheitsfürsorge einer persönlichen wöchentlichen Kontrolle des Zustandes des allein in seiner Wohnung lebenden, alkoholkranken und ohne Hilfe verwahrlosenden Betroffenen besondere Bedeutung beimessen, zumal diese Maßnahme nach den Feststellungen des Landgerichts auch offensichtlich erfolgreich war und damit seiner erwähnten Pflicht entsprach, zur Beseitigung oder Besserung der Krankheit des Betreuten beizutragen. Durch die Besuche des Betreuers ist eine seelische Stabilisierung des Betroffenen erreicht worden, durch die bisher eine aufwendige Organisation einer Heimunterbringung vermieden werden konnte. Der Betreuer durfte unter diesen Umständen aus seiner Sicht (vgl. dazu BayObLGZ aaO) davon ausgehen, dass diese Besuche zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgabe erforderlich waren.

(3) Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die Besuche neben der persönlichen Kontaktaufnahme eine Art tatsächliche Hilfeleistung in der Form darstellten, dass der Betroffene durch die Gespräche mit dem Betreuer im psychischen Gleichgewicht verblieb bzw. seelisch wieder aufgerichtet wurde.

Es trifft zwar zu, dass der Betreuer regelmäßig tatsächliche Hilfeleistungen nicht selbst vornehmen, sondern nur für den Betroffenen organisieren soll. Es ist auch nicht primär Aufgabe des Betreuers, selbst tatsächliche und über den zweiwöchigen Abstand hinausgehende Kontrollen vorzunehmen; vielmehr obliegt es ihm, entsprechende Hilfsdienste zu organisieren, welche die gesundheitliche und vor allem seelische Situation des Betroffenen in Gesprächen zu überprüfen und ihn seelisch zu stabilisieren haben.

Im vorliegenden Fall liegen jedoch besondere Umstände vor, die eine andere Beurteilung rechtfertigen. Dabei kann dahinstehen, ob in der Nähe des Wohnortes des Betroffenen derartige Hilfsdienste überhaupt vorhanden sind. Denn jedenfalls können diese Organisationen nach den Feststellungen des Landgerichts nicht denselben Erfolg erzielen wie der Betreuer. Im Gegensatz zu dem wechselnden Personal von Hilfsdiensten ist der Betreuer für den vereinsamten und ohne Hilfe verwahrlosenden Betroffenen zu einer festen und von ihm akzeptierten Bezugsperson geworden. Nur durch seine regelmäßigen wöchentlichen Besuche können gesundheitliche Abstürze und eine weitere Verwahrlosung des Betroffenen vermieden werden; so hat sich der Zustand des Betroffenen bei einer Aufnahme eines zweiwöchigen Besuchsrhythmus jeweils augenfällig verschlechtert. Bei weiterer Verwahrlosung besteht die Gefahr, dass der Betroffene entgegen seinen Wünschen in einem noch dazu teuren Heim untergebracht werden muss. Dies konnte bisher noch verhindert werden. Ist aber der Betreute auf tatsächliche Hilfe angewiesen und können staatliche oder private Organisationen die notwendigen Hilfsmaßnahmen entweder nicht oder nicht mit demselben Erfolg anbieten oder kann die Hilfeleistung durch den Betreuer mit wesentlich geringerem Aufwand erledigt werden, kann das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Betreutem und Betreuer im Einzelfall auch die Vornahme tatsächlicher Hilfeleistungen - im Rahmen der dem Betreuer übertragenen Aufgabenkreise - gestatten mit der Folge, dass der Betreuer eine Vergütung für derartige Handlungen verlangen kann (vgl. OLG Zweibrücken BtPrax 2000, 86/87 für die Hilfe beim Umzug des Betreuten).

(4) Soweit der Betreuer mit den Besuchen zum Teil Einkäufe oder Besorgungen bei der Bank verbunden hat, ist dies ausnahmsweise gerechtfertigt, weil mit diesen Handlungen ein geringerer Aufwand als bei der Einschaltung von Hilfsdiensten - für Einkäufe etc. - verbunden war, die durch den Betreuer organisiert worden sind. Der Besuch anlässlich des Geburtstags des Betroffenen fällt demgegenüber zufällig unter den Wochenrhythmus, so dass dahinstehen kann, ob Besuche an Geburtstagen oder bei Weihnachtsfeiern grundsätzlich vergütungsfähig sind oder nicht (vgl. LG Koblenz FamRZ 1998, 183 einerseits und MünchKomm/Wagenitz § 1836 Rn. 47 andererseits).

Ende der Entscheidung

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