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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.03.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 22/02
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1897 Abs. 4
BGB § 1908 d Abs. 1
FGG § 69 i Abs. 6 Satz 1
Der ernsthafte Wunsch eines willensschwachen Betroffenen nach einem bestimmten Betreuer darf nur dann negiert werden, wenn die Bestellung des gewünschten Betreuers dem Wohl des Betroffenen widerspricht.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht bestellte am 26.11.1998 für den Betroffenen für den Aufgabenkreis Behördenangelegenheiten dessen Bruder, den Beteiligten, zum Betreuer. Am 7.5.19.99 wurde die Betreuung auf die Aufgabenkreise Vermögenssorge einschließlich der Geltendmachung von etwaigen Rückerstattungsansprüchen gegen seinen Neffen, den früheren vorläufigen Betreuer, und Wohnungsangelegenheiten erweitert. In beiden Entscheidungen war vorgesehen, dass das Gericht bis spätestens 25.10.2000 über eine Verlängerung der Betreuung entscheiden werde. Nach Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes für Verpflichtungen über 500,-- DM durch Beschluss vom 11.1.2000 entließ das Amtsgericht am 14.11.2000 den Bruder als Betreuer und bestellte eine Berufsbetreuerin. Gleichzeitig wurde in einem weiteren Beschluss die Betreuung verlängert und auf die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung und Entscheidung über die Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen sowie Gesundheitsfürsorge erweitert; der Einwilligungsvorbehalt blieb aufrechterhalten.

Gegen diese Beschlüsse vom 14.11.2000 legten sowohl der Betroffene als auch der Beteiligte Beschwerde und sofortige Beschwerde ein.

Das Landgericht hat am 30.10.2001 auf die Beschwerde des Betroffenen hin den Beschluss des Amtsgerichts insoweit aufgehoben, als die Betreuung auf die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung bzw. unterbringungsähnliche Maßnahmen und Gesundheitsfürsorge erweitert worden ist. Im übrigen hat es die Beschwerde und die sofortige Beschwerde des Betroffenen und des Beteiligten zurückgewiesen.

Mit seiner sofortigen weiteren und weiteren Beschwerde wendet sich der Betroffene gegen diesen Beschluss.

II.

Die Rechtsmittel sind zulässig. Soweit sich der Betroffene gegen die Verlängerung der Betreuung sowie die Bestellung einer Berufsbetreuerin wendet, liegt eine weitere Beschwerde (§§ 29 Abs. 1, 27 FGG), soweit er sich gegen die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts wendet, liegt eine sofortige weitere Beschwerde vor (§§ 69g Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, 29 Abs. 2, 27 FGG).

Die Rechtsmittel sind insoweit begründet, als sich der Betroffene gegen die Bestellung einer Berufsbetreuerin wendet, im übrigen sind sie zurückzuweisen.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Der Betroffene leide an einer psychischen Krankheit im Sinn einer Zwangserkrankung mit dem Drang, Gegenstände kritiklos zu sammeln (Vermüllungssyndrom) und an einer seelischen Behinderung im Sinne eines leichten hirnorganischen Psychosyndroms. Aufgrund dieser beiden Komponenten psychischer Beeinträchtigung sei von einer verminderten Kritik- und Urteilsfähigkeit des Betroffenen sowie einer reduzierten Durchsetzungsfähigkeit auszugehen, so dass Einflüsse dritter Personen den Willen des Betroffenen übermäßig beherrschten und dem Betroffenen eine freie Entscheidungsbildung nicht in allen Lebensbereichen ausreichend und anhaltend möglich sei. Diese extreme Beeinflussbarkeit des Betroffenen bestehe sowohl gegenüber seinem Neffen, dem früheren vorläufigen Betreuer, als auch gegenüber seinem Bruder, dem Beteiligten. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Sachverständigengutachten eines erfahrenen Facharztes für Nervenkrankheiten, sondern auch aus dem Eindruck der Kammer bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen. Es bestehe daher die Gefahr, dass er gutgläubig .Ratschlägen folge und dadurch sein Vermögen erheblich schädigen könne, ohne selbst die Tragweite seiner schädigenden Handlung in voller Tragweite erfassen zu können.

Die Entlassung des bisherigen Betreuers, seines Bruders, sei zu Recht erfolgt, weil ein wichtiger Grund vorliege. Zur Besserung der Krankheit des willensschwachen Betroffenen sei es dringend erforderlich, dass dieser vor den Spannungen seiner Geschwister (dem Beteiligten, seinem Bruder auf der einen Seite und seiner Schwester, der Mutter des Neffen und vorläufigen Betreuers, auf der anderen Seite) bewahrt werde. Dies ergebe sich aus dem bereits erwähnten Sachverständigengutachten, einem weiteren in erster Instanz erholten Gutachten eines in der Psychiatrie erfahrenen Arztes und dem Eindruck der Kammer bei der persönlichen Anhörung. Durch die Bestellung eines familienfremden Betreuers könnten ohne Berücksichtigung der eigenen wirtschaftlichen Interessen der Familienmitglieder im Interesse des Betroffenen die Altersversorgung und seine Vermögenssituation geregelt werden. Interessenskonflikte zwischen dem Betroffenen und seinen Geschwistern sowie zwischen den Geschwistern selbst würden vermieden.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Zu Recht hat das Landgericht allerdings die Verlängerung der Betreuung für die Aufgabenkreise Vermögenssorge einschließlich der Geltendmachung von etwaigen Rückerstattungsansprüchen gegen den vorläufigen Betreuer und Wohnungsangelegenheiten sowie die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes gebilligt. Das Landgericht hat insoweit den entscheidungserheblichen Sachverhalt verfahrensfehlerfrei festgestellt und ohne Rechtsfehler gewürdigt. Die Feststellungen der Kammer tragen die Aufrechterhaltung der Betreuung, da deren Voraussetzung nicht weggefallen, sondern weiterhin gegeben sind (§ 1908d Abs. 1 Satz 1, § 1896 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BGB; vgl. BayObLGZ 1994, 209/211 f.).

aa) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Betroffenen und gegen seinen Willen, setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. BayObLG FamRZ 2000, 189). Diese Grundsätze gelten nicht nur bei der ersten Betreuerbestellung, sondern auch dann, wenn über die Verlängerung einer Betreuerbestellung zu entscheiden ist (vgl. § 1908d Abs. 1 Satz 1 BGB, § 69i Abs. 6 Satz 1, § 69 Abs. 1 Nr. 5 FGG; BayObLG NJWE-FER 2001, 234; OLG Hamm FGPrax 2000, 196; Palandt/Didderichsen BGB 61. Aufl. § 1896 Rn. 24), da bei dieser Entscheidung überprüft wird, ob die Anordnung einer erneuten Betreuung erforderlich ist.

bb) Nach den bindenden Feststellungen des Landgerichts steht fest, dass der Betroffene an einer seelischen Behinderung im Sinne eines leichten hirnorganischen Psychosyndroms sowie einer Zwangserkrankung mit dem Drang, Gegenstände zu sammeln, leidet und er infolgedessen nur zu einer verminderten Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie Durchsetzungskraft nach außen hin fähig ist, so dass Einflüsse dritter Personen seinen willen übermäßig beherrschen können und er zu einer freien Entscheidungsbildung nicht in allen Lebensbereichen ausreichend in der Lage ist. Nach den weiteren Feststellungen der Kammer ist von dieser extremen Beeinflussbarkeit des Betroffenen der Bereich Vermögenssorge betroffen, da der Betroffene erhebliche Geldbeträge ohne klare rechtliche Regelung, ob eine Schenkung oder ein Darlehen vorliegt, an seinen vorläufigen Betreuer und dessen Mutter übergeben hat und Rückzahlungsansprüche deshalb unklar sind. Zur Vermeidung weiterer derartiger riskanter Verfügungen sowie einer Gefährdung des Vermögens und der Altersvorsorge ist die Betreuung in diesem Aufgabenkreis sowie in den Aufgabenkreisen Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern weiter erforderlich. Dies gilt auch für den Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten, weil hier die Gefahr besteht., dass bezüglich des Wohnanwesens durch die Familie des vorläufigen Betreuers für den Betroffenen nachteilige Verfügungen erreicht werden sollen, wie dies in der Vergangenheit bereits durch seinen Neffen versucht worden ist. Aus denselben Gründen ist auch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes nicht zu beanstanden.

b) Die Bestellung der Berufsbetreuerin entspricht demgegenüber nicht der Rechtslage. Das Landgericht hat den auch insoweit verfahrensfehlerfrei festgestellten Sachverhalt rechtlich nicht zutreffend gewürdigt.

aa) Gegenstand der mit der Erstbeschwerde angefochtenen Beschlüsse des Amtsgerichts ist nicht die Entlassung eines Betreuers bei Fortbestehen der Betreuung, sondern die Verlängerung der Betreuung unter gleichzeitiger Erweiterung der Aufgabenkreise und Bestellung eines anderen Betreuers. Denn das Amtsgericht hatte in den die Betreuung anordnenden Beschlüssen jeweils vorgesehen, dass bis spätestens 25.10.2000 über eine Verlängerung der Betreuung zu beschließen sei. Die bisherige Betreuerbestellung endet daher mit der Wirksamkeit der Entscheidung vom 14.11.2000, mit welcher das Amtsgericht die Betreuerbestellung verlängert, das heißt, erneut Betreuung angeordnet und einen anderen Betreuer bestellt hat. Bei einer solchen Entscheidung über die Verlängerung der Betreuung sind hinsichtlich der Auswahl des Betreuers die Vorschriften über die Neubestellung, somit § 1897 BGB, und nicht diejenigen über die Entlassung (§ 1908b BGB) anzuwenden (vgl. BayObLG NJWE-FER 2001, 234 m. w. N.; OLG Hamm FGPrax 2000, 196). Das gilt auch dann, wenn das Amtsgericht die an sich einheitlich zu treffende Entscheidung in zwei Beschlüsse aufgespalten hat. Dies hat das Landgericht nichtbeachtet.

bb) § 1897 Abs. 4 BGB räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Es ist die Person zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Wunsch des Betroffenen durch seine Krankheit beeinflusst ist. Dem Vorschlag des Betroffenen ist grundsätzlich und unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit zu entsprechen, (BayObLG aaO; BayObLGZ 1996, 136 f. = FamRZ 1996, 1374); auch bei einem willensschwachen Menschen ist sein natürlicher Wille grundsätzlich vorrangig zu beachten, erforderlich ist nur, dass der Betroffene einen ernsthaften, von seinem natürlichen Willen getragenen Wunsch geäußert hat (vgl. für Willensäußerungen geschäftsunfähiger Personen BayObLG BtPrax,1993, 171; FamRZ 1994, 530/531; BtPrax 2002, 36/37; OLG Hamm FamRZ 1996, 1372). Der Wunsch des Betroffenen kann nur unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der von ihm gewünschten Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies erfordert eine umfassende Abwägung aller Umstände. Die Nichtberücksichtigung des Vorschlages des Betroffenen setzt voraus, dass das Ergebnis der Erwägung deutlich gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person spricht. Es muss die konkrete Gefahr (vgl. BayObLGZ 1996, 136 f.; BayObLG FamRZ 1997, 1360; BtPrax 2002, 36/37; OLG Brandenburg NJWE-FER 2001, 208) bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will. Allgemeine Befürchtungen nachteiligen Handelns reichen ebenso wenig aus (OLG Zweibrücken BtPrax 1997, 164) wie die Möglichkeit, dass noch geeignetere Personen zur Verfügung stehen (BayObLG FamRZ 1999, 53; NJWE-FER 2001, 234; BtPrax 2002, 36/37; OLG Köln FamRZ 1999, 811).

cc) Die Feststellungen des Landgerichts tragen nicht die Annahme, dass der vom Betroffenen gewünschte Betreuer die Betreuung nicht zum Wohle des Betroffenen führen wird. Das Gericht hat zwar bei seiner Beurteilung darauf abgestellt, dass es zur Besserung der Krankheit des willensschwachen Betroffenen dringend erforderlich sei, ihn vor den Spannungen seiner Geschwister zu bewahren, und dass ein externer familienunabhängiger Betreuer ohne Rücksicht auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen und Erbaussichten der Geschwister die finanzielle Situation des Betroffenen gegenüber dem früheren Betreuer besser durchsetzen und die Altersvorsorge unter sinnvollem Einsatz des Vermögens des Betroffenen sowie die häusliche Situation besser regeln könne. Auf der anderen Seite hat das Landgericht aber weder festgestellt, dass der Wunsch des Betroffenen, sein Bruder solle sein Betreuer sein, auf den Einfluss des Bruders zurückzuführen ist, noch, dass der Bruder die Betreuung bisher mangelhaft geführt hat. Es hat auch nicht festgestellt, dass die vorliegenden Umstände dem Wohl des Betroffenen deshalb zuwiderlaufen, weil er entweder persönlich unter den Spannungen der Geschwister leidet (vgl. OLG Köln NJWE-FER 1999, 123; FamRZ 2000, 188) oder weil die Regelung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse wegen der Spannungen innerhalb der Familie nicht gewährleistet ist (vgl. BayObLG BtPrax 1994, 136/137). Eine solche Feststellung widerspräche auch den in der Entscheidung angegebenen Umständen, dass der Betroffene einerseits seinen Bruder als Betreuer behalten möchte, andererseits aber sich auch häufig bei seiner Schwester aufhält, und sich die Betreuung durch den Bruder nach den Feststellungen des Landgerichts bisher nicht negativ auf das Vermögen des Betroffenen ausgewirkt hat, da der Bruder die Betreuung mangelfrei geführt hat. Diese Feststellung des Landgerichts betrifft auch den Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten einschließlich der Entmüllung des Anwesens, welche durch den Bruder bereits geplant war. Soweit das Landgericht den Betroffenen davor bewahren will, dass die Familie des früheren Betreuers ihn um sein Wohnanwesen unter Ausschaltung aller anderen Erbberechtigten und unter Gefährdung der Altersvorsorge des Betroffenen bringen will, ist nicht ausgeführt, warum der Beteiligte nicht in der Lage sein soll, diese Bestrebungen abzuwehren. Soweit das Landgericht ähnliche Bestrebungen des Beteiligten erörtert, stellt es selbst fest, dass für derartige Pläne seitens des Bruders keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. Entsprechende Befürchtungen der Familie des vorläufigen Betreuers werden zwar als naheliegend bezeichnet, dies kann aber die Feststellung einer konkreten Gefahr nicht ersetzen. Im übrigen hat die Bestellung einer Berufsbetreuerin gezeigt, dass diese nicht in der Lage ist, die Interessen des Betroffenen besser wahrzunehmen als der Beteiligte, weil der Betroffene eine Kontaktaufnahme mit ihr aufgrund fehlenden Vertrauens verweigert. Ein Abbau der interfamiliären Spannungen ist ebenso wenig erfolgt wie eine Besserung der Lage des Betroffenen in persönlicher und finanzieller Hinsicht.

3. Die Beschlüsse des Landgerichts und des Amtsgerichts waren demnach insoweit aufzuheben, als der Bruder als Betreuer entlassen und eine Berufsbetreuerin bestellt worden ist. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, nachdem die Tatsachenfeststellungen in fehlerfreier und bindender Weise getroffen worden und weitete Ermittlungen nicht erforderlich sind. Danach ist der Beteiligte zum Betreuer für den Betroffenen zu bestellen.

Ende der Entscheidung

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