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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.09.2000
Aktenzeichen: 3Z BR 220/00
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 2
BGB § 1897 Abs. 4
BGB § 1908d Abs. 1
FGG § 27
FGG § 69f
FGG § 69i Abs. 7
Die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis Vermögenssorge kann geboten sein, wenn die Schulden eines vermögenslosen Betroffenen zurückgeführt werden sollen.
BayObLG Beschluß

LG Regensburg 7 T 409/00 und 7 T 410/00; AG Regensburg XVII 730/00

3Z BR 220/00; 3Z BR 221/00

22.09.00

Der 3.Zivilsenat des Bayerischen obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Plößl und Dr. Schreieder

am 22.September 2000

in der Betreuungssache

auf die weiteren und sofortigen weiteren Beschwerden der Betroffenen und des Beteiligten

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsmittel gegen den Beschluß des Landgerichts Regensburg vom 4. Juli 2000 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beschluß des Amtsgerichts Regensburg vom 3. Mai 2000 in Ziffer 1 dahin ergänzt wird, dass nach "Sorge für die Gesundheit" angefügt wird "bei psychischen Erkrankungen".

Gründe

I.

Am 3.5.2000 bestellte das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung einen Berufsbetreuer und den Beteiligten, den Bruder der Betroffenen, zu deren vorläufigen Betreuern mit den Aufgabenkreisen Aufenthältsbestimmung und ,Gesundheitsfürsorge. mit Beschluß vom 30.5.2000 übertrug das Amtsgericht dem Berufsbetreuer auch den Aufgabenkreis Vermögenssorge und entließ den Beteiligten als Betreuer. Die einfachen und sofortigen Beschwerden der Betroffenen und des Beteiligten gegen beide Beschlüsse wies das Landgericht mit Beschluß vom 4.7.2000 zurück. Hiergegen wenden sich die Rechtsmittel der Beschwerdeführer, mit denen sie rügen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines vorläufigen Betreuers nicht vorlägen, jedenfalls aber die Entlassung des Berufsbetreuers und die Bestellung eines Familienangehörigen zum Betreuer begehren.

II.

Die zulässigen Rechtsmittel sind zum Teil begründet.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Betreuerbestellung im Weg der einstweiligen Anordnung vorlägen. Nach dem mündlichen Gutachten der Psychiaterin vom 14.6.2000 leide die Betroffene seit Jahren an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. In den zurückliegenden Jahren habe eine Polytoximanie von gesundheitsgefährdendem Ausmaß bestanden. Vor allem seit den letzten drei Jahren konsumiere die Betroffene Beruhigungsmittel in exzessiven Mengen. Dabei habe die Betroffene am 16.5.2000 Durchblutungsstörungen im Gehirn, einhergehend mit Sauerstoffmangel und Gehirninfarkten an drei unterschiedlichen Hirnzentren erlitten. Für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge sei somit eine vorläufige Betreuerbestellung notwendig. Die Betroffene vermöge ihren Willen nicht frei zu bestimmen. Sie erkenne die Gefährlichkeit ihrer Erkrankung, bei der es zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen könne, nicht. Bei einem Aufschub der Betreuerbestellung sei Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen gegeben. Erforderlich sei die Auswahl eines Berufsbetreuers, der Erfahrung im Umgang mit Suchtkranken habe. Der Beteiligte komme als Betreuer nicht in Betracht. Dies gelte für den Bereich der Vermögenssorge, da insoweit ein Interessenkonflikt bestehe. Der Beteiligte habe, da er selbst nicht kreditwürdig gewesen sei, auf den Namen der Betroffenen zum Kauf eines Autos einen Kredit aufgenommen, der noch nicht zurückbezahlt sei. Die für den Bereich Gesundheitsfürsorge erforderliche Erfahrung im Umgang mit Suchtkrankheiten fehle dem Beteiligten.

Für die Entlassung eines Betreuers genüge jeder Grund der Nichteignung im Sinne des § 1897 BGB. Im übrigen sei die Entlassung des Beteiligten als Mitbetreuer im Interesse der Betroffenen notwendig. Zwischen ihm und dem Berufsbetreuer bestünden ganz offensichtlich unüberbrückbare Differenzen. Eine nur teilweise Entlassung des Beteiligten als Mitbetreuer komme nicht in Betracht..

2. Diese Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht in vollem Umfang stand.

a) Bestellung des Berufsbetreuers

aa) Die der rechtlichen Würdigung des Landgerichts zugrunde liegenden Tatsachen sind verfahrensfehlerfrei ermittelt. Der Senat ist daher an die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts gebunden (vgl. BayObLGZ 1999, 17/20). Insbesondere durfte das Landgericht ohne Verstoß gegen § 12 FGG von der Erholung eines Gutachtens zu den Gründen des Zusammenbruchs der Betroffenen am 16.5.2000 absehen. Ihm lagen ein ärztliches Zeugnis des externen behandelnden Arztes sowie das im Rahmen der mündlichen Anhörung der Betroffenen erstattete Kurzgutachten der behandelnden Stationsärztin des Bezirkskrankenhauses vor. Letzterer war die am 16.5.2000 eingetretene Durchblutungsstörung bekannt, sie hatte sich auch hierzu geäußert. Zweifel an der Fachkunde dieser Ärzte bestehen nicht. Unter diesen Umständen durfte das Gericht im Verfahren der vorläufigen Anordnung, in dem grundsätzlich bereits ein ärztliches Zeugnis genügt (§ 69f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGG), von der Einholung eines weiteren fachärztlichen Gutachtens absehen.

bb) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung einen vorläufigen Betreuer bestellen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers gegeben sind, mit dem Aufschub Gefahr verbunden wäre und die in § 69f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 mit 4 FGG weiter aufgeführten Voraussetzungen vorliegen (vgl. BayObLGZ 1997, 142/144f; Bassenge/Herbst FGG/RPflG 8. Aufl. § 69f FGG Rn.4 ff.). Die für die Auswahl des Betreuers geltenden Grundsätze (§ 1897 BGB, insbesondere Abs. 4 und 5) sind auch bei der Bestellung eines Betreuers durch einstweilige Anordnung zu beachten. Insbesondere begründet der zumindest vom natürlichen Willen des Betroffenen getragene Vorschlag, eine bestimmte Person zu seinem Betreuer zu bestellen, grundsätzlich einen Vorrang des Vorgeschlagenen vor allen anderen in Betracht kommenden Personen (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB; vgl. BayObLGZ 1996, 136/137 f.; BayObLG FamRZ 1999, 53). Die Bindungswirkung des Vorschlags entfällt aber, wenn die Bestellung des Vorgeschlagenen dem wohl des Betroffenen zuwiderliefe (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB). In diesem Fall kommen auch verwandtschaftliche Bindungen des Betroffenen (vgl. § 1897 Abs. 5 BGB) nicht zum Tragen.

cc) Diese Grundsätze hat das Landgericht im wesentlichen beachtet.

Seiner Entscheidung ist insbesondere zu entnehmen, dass es gerade auch angesichts der massiven Schäden, die der Betroffenen durch ihre Krankheit drohen, davon ausgegangen ist, mit einem Aufschub der Betreuung wären Gefahren für die Betroffene verbunden (§ 69f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGG). Es hat zudem ausdrücklich angenommen, dass die Betroffene aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung ihren Willen nicht frei bestimmen kann (zu dieser Voraussetzung vgl. z.B. BayObLGZ 1995, 146/148 m.w.N.; OLG Hamm FamRZ 2000, 493; OLG Köln FamRZ 2000, 908).

Der Beschwerdeentscheidung läßt sich auch hinreichend deutlich entnehmen, dass die Betreuung für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung (vgl. BayObLG NJWE-FER 1999, 209) und Vermögenssorge erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB; vgl. BayObLG FamRZ 1995, 116; OLG Hamm Fam.RZ 1995, 433/435). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis Vermögenssorge auch dann erforderlich, wenn die weitere Verschuldung eines vermögenslosen Betroffenen verhindert werden soll (vgl. BayObLG BtPrax 1997, 160 ). Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht angenommen, dass auch das Gebot einer planmäßigen Rückführung der Schulden der Betroffenen die Erstreckung der Betreuung auf den Aufgabenkreis Vermögenssorge begründen kann.

Hingegen können die tatrichterlichen Entscheidungen hinsichtlich des Aufgabenkreises Gesundheitsfürsorge nicht in vollem Umfang Bestand haben. Dieser Aufgabenkreis ist zu umfassend, da die Betreuung nach den Feststellungen des Landgerichts und dem Inhalt der Akten nur im psychiatrischen Bereich erforderlich ist. Insoweit war die Entscheidung des Landgerichts daher abzuändern (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1059; BtPrax 1995, 218).

dd) Die Beurteilung der Eignung des Betreuers und die Ausübung des Ermessens bei der Auswahl des Betreuers durch den Tatrichter können vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 FGG; BayObLG FamRZ 1996, 507; 1999, 51).

Solche Rechtsfehler sind nicht festzustellen. Das Landgericht hat insbesondere auch § 1897 Abs. 6 BGB beachtet. Es hat eingehend dargelegt, dass ein ehrenamtlicher Betreuer (etwa ein Angehöriger der Betroffenen) im vorliegenden Fall nicht geeignet sei. Die Annahme des Landgerichts, im Aufgabenkreise Vermögenssorge stehe die Gefahr einer konkreten Interessenkollision der Bestellung des Beteiligten als Betreuer entgegen, und in den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung bedürfe es eines im Umgang mit Suchtkrankheiten erfahrenen Betreuers, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Danach ist die Bestellung eines Berufsbetreuers zum vorläufigen Betreuer im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Die Betroffene trägt zwar zutreffend vor, dass sich das Landgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob ein anderer Angehöriger (Vater, weiterer Bruder) als Betreuer in Betracht komme. Der Zusammenhang ihrer Entscheidungsgründe läßt jedoch keinen Zweifel daran, dass die Kammer nur einen Berufsbetreuer, nicht aber die als Betreuer unerfahrenen Angehörigen als geeignet ansah.

ee) Soweit die Beschwerdeführer gegen die Tatsachenwürdigung des Beschwerdegerichts im übrigen Einwendungen erheben, setzen sie damit lediglich ihre eigene Auffassung an die Stelle derjenigen des Landgerichte. Damit können sie im Verfahren der weiteren Beschwerde keinen Erfolg haben (vgl. BayObLGZ 1997, 213/216 = NJW-RR 1998, 8/9).

b) Entlassung des Beteiligten (Bruder) als Betreuer

aa) Das Vormundschaftsgericht hat den Betreuer zu entlassen, wenn seine Eignung, die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen, nicht mehr gewährleistet ist oder ein anderer wichtiger Grund für die Entlassung vorliegt (§ 1908b Abs. 1 BGB), und zwar unabhängig davon, ob die Bestellung auf einem Vorschlag des Betroffenen beruhte. Die mangelnde Eignung, die einen vom Gesetz besonders hervorgehobenen wichtigen Grund für die Entlassung darstellt, bezieht sich auf die physischen und psychischen Eigenschaften des Betreuers (BayObLG FamRZ 1994, 1353). Dieser muß zur Führung seines Amts tauglich sein. Es genügt jeder Grund, der den Betreuer nicht mehr als geeignet im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB erscheinen läßt, um seine Entlassung herbeizuführen (BayObLG NJWE-FER 2000, 11 m.w.N.). Ein anderer wichtiger Grund für die Entlassung liegt vor, wenn der Betreuer zwar keine Eignungsmängel aufweist, ein Betreuerwechsel aber dennoch im Interesse des Betreuten liegt, weil es dessen Wohl mehr als unerheblich schaden würde, bliebe der Betreuer im Amt (BayObLG FamRZ 1994, 1353; 1996, 1105). Dies kann der Fall sein, wenn Interessenkollisionen in Vermögensbelangen auftreten (BayObLG aaO; FamRZ 1996, 1105/1106; Knittel BtG § 1908b BGB Rn. 5; Staudinger/ Bienwald BGB 12. Aufl. § 1908b Rn. 23). Hierbei muß es sich um konkrete Gefahren handeln.

Die Beurteilung des Tatrichters, ob die Eignung des Betreuers nicht mehr gewährleistet oder ein anderer wichtiger Grund für dessen Entlassung gegeben ist, kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG; BayObLG NJWE-FER 1999, 184; BtPrax 1996, 67/68).

bb) Nach diesen Grundsätzen rechtfertigen die durch das Landgericht festgestellten Tatsachen eine Entlassung des Beteiligten als Betreuer. Das Verfahren des Landgerichts leidet zwar an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Denn das Landgericht hat § 69i Abs. 7 FGG nicht beachtet. Nach Satz 1 dieser Vorschrift hat der Tatrichter den Betroffenen und den Betreuer persönlich anzuhören, wenn der Betroffene der Entlassung des Betreuers widerspricht. Zwar hat hier die Betroffene bei ihrer Anhörung durch den Vormundschaftsrichter am 26.5.2000 der Entlassung des Beteiligten als Betreuer nicht widersprochen. Sie hat aber in ihrer Beschwerde eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der Entlassung nicht einverstanden ist. Unter diesen Umständen hätte das Landgericht die (in erster Instanz zu Recht unterbliebene) persönliche Anhörung nachholen müssen, da die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäß § 69i Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 69d Abs. 1 Satz 3 FGG nicht vorlagen. Die von der Kammer durchgeführte schriftliche Anhörung kann grundsätzlich eine persönliche Anhörung nicht ersetzen, da diese den persönlichen Kontakt des Gerichts mit der anzuhörenden Person erfordert (vgl. Bassenge/Herbst § 12 FGG Rn. 27).

Dieser Verfahrensmangel führt jedoch nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, da diese nicht auf ihm beruht. Für den Aufgabenkreis Vermögenssorge war der Beteiligte nicht bestellt. Für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Betreuung insoweit zum Wohl der Betroffenen erhöhte fachliche Anforderungen stellt, denen nur ein entsprechend qualifizierter Betreuer gerecht werden kann. Unter Berücksichtigung der schriftlichen Ausführungen der Beschwerdeführer läßt sich ausschließen, dass sich auf Grund persönlicher Anhörung eine entsprechende Qualifikation des Beteiligten ergeben hätte.

Ende der Entscheidung

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