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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 225/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1897 Abs. 4
Die Bestellung eines vom Betroffenen vorgeschlagenen volljährigen Kindes zum Betreuer kann dem Wohl des Betroffenen zuwiderlaufen, wenn durch nachhaltige Spannungen zwischen diesem und einem weiteren Kind, bei dem sich der Betroffene wegen der dort geleisteten Versorgung gewöhnlich aufhält, die Wahrnehmung der Aufgaben des Betreuers - insbesondere so weit sie den notwendigen persönlichen Kontakt voraussetzen - erheblich erschwert wird.
Gründe:

I.

Auf Anregung einer Ärztin, welche die Betroffene im Bezirksklinikum behandelt hatte, leitete das Vormundschaftsgericht nach deren Entlassung ein Betreuungsverfahren ein. Nach Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens sowie nach persönlicher Anhörung der Betroffenen, bei der diese ihr Einverständnis mit einer Betreuung und einem Einwilligungsvorbehalt zum Ausdruck brachte, wurde mit Beschluss vom 19.4.2002 der Sohn der Betroffenen zum Betreuer mit den Aufgabenkreisen "Aufenthaltsbestimmung; Gesundheitsfürsorge; Vermögenssorge; Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post" bestellt und ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet für Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis der Vermögenssorge betreffen und einen Wert von 100 EUR übersteigen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3.2.2003 legte die weitere Beteiligte Beschwerde gegen die Bestellung ihres Bruders zum Betreuer ein und regte an, selbst zur Betreuerin bestellt zu werden.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Nach einer persönlichen Anhörung der Betroffenen bestellte ihr das Landgericht einen Verfahrenspfleger. Eine weitere Anhörung aller Beteiligten fand ohne die Betroffene statt.

Mit Beschluss vom 23.9.2003 änderte das Landgericht den erstinstanzlichen Beschluss dahingehend ab, dass der Sohn der Betroffenen als Betreuer entlassen und die jetzige Betreuerin, eine Rechtsanwältin, zur berufsmäßigen Führung der Betreuung bestellt wurde.

Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des ehemaligen Betreuers. Die weitere Beteiligte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere formgerecht eingelegt.

Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet.

1. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt: Die Voraussetzungen einer Betreuung lägen vor: Die Betroffene leide an einer psychischen Krankheit i.S. von § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB, nämlich einer fortgeschrittenen senilen Demenz vom Alzheimer-Typ. Dies stehe fest aufgrund der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen in dem für das Erstgericht erstatteten Gutachten. Da die Betroffene mit der Betreuung einverstanden sei, komme es auf die Frage eines Ausschlusses ihrer freien Willensbestimmung nicht an.

Die Betreuung sei auch in dem vom Vormundschaftsgericht angeordneten Umfang erforderlich, weil die Betroffene nach dem persönlichen Eindruck des Gerichts sowie aufgrund der Ausführungen der Gutachterin und des damaligen Betreuers insoweit nicht mehr zur Besorgung ihrer Angelegenheiten in der Lage sei.

Jedoch sei die vom Vormundschaftsgericht vorgenommene Bestellung des Sohnes zum Betreuer abzuändern, weil diese dem Wohl der Betroffenen im Sinne von § 1897 Abs. 4 Satz 1, 2.Halbs. BGB zuwiderlaufe.

Zwar habe sich die Betroffene bei den jeweiligen persönlichen Anhörungen ausdrücklich für die Bestellung ihres Sohnes zum Betreuer ausgesprochen. Die Kammer habe jedoch aufgrund des gesamten Verhaltens der Betroffenen in der Anhörung den Eindruck gewonnen, dass sie krankheitsbedingt nur sehr eingeschränkt in der Lage sei, die Bedeutung einer Betreuung zu erkennen und ihren entsprechenden Willen kundzutun.

Unabhängig hiervon sei die Kammer aufgrund des in den beiden mündlichen Anhörungen gewonnenen Eindrucks von dem ehemaligen Betreuer und der weiteren Beteiligten sowie ihres Verhältnisses zueinander überzeugt, dass die Bestellung eines der beiden Kinder zum Betreuer mit dem Wohl der Betroffenen unvereinbar sei. Zwischen den Geschwistern bestehe offensichtlich ein von tiefem Misstrauen und unüberbrückbarer Abneigung geprägtes Verhältnis. Beide hätten sich gegenseitig angebliche Verfehlungen in der Vergangenheit vorgehalten und versucht, selbst gegenüber dem jeweils anderen als das treuer für die Betroffene sorgende Kind zu erscheinen. Schon deshalb bestehe die Gefahr, dass jede für die Betroffene erforderliche Handlung des Betreuers von der anderen Seite behindert werde, wie schon der misslungene Versuch einer bloßen Terminsvereinbarung mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkasse zum Zweck der Begutachtung für die Bewilligung von Pflegegeld zeige. Dies gelte umso mehr, als die Betroffene derzeit bei der weiteren Beteiligten lebe, wo die auch nach Ansicht der Kammer erforderliche Vollzeitpflege geleistet werden könne. Gerade in dieser Konstellation sei eine weitere gegenseitige Behinderung der Kinder zu erwarten, wodurch sich für die Betroffene unmittelbare Nachteile ergeben könnten.

Deshalb komme weder die Aufrechterhaltung der Betreuung durch den Sohn noch die von der Tochter gewünschte Bestellung ihrer eigenen Person zur Betreuerin in Betracht. Aufgrund des bestehenden Interessenkonflikts sei die Bestellung eines neutralen Berufsbetreuers erforderlich. Die vom Landgericht ausgewählte Rechtsanwältin sei hierfür gut geeignet und auch zur Übernahme der Betreuung bereit.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Nach den bindenden Feststellungen des Landgerichts leidet die Betroffene an einer senilen Demenz, sodass die medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung gegeben sind. Der Umfang des Aufgabenkreises des Betreuers gibt nach dem Inhalt der Akten ebenso wenig Anlass zu einer Beanstandung unter dem Blickwinkel des Erforderlichkeitsgrundsatzes wie der angeordnete Einwilligungsvorbehalt.

b) Nach § 1897 Abs. 4 BGB ist dem ernsthaften und durch seinen natürlichen Willen getragenen Wunsch auch eines willensschwachen Betroffenen nach einem bestimmten Betreuer grundsätzlich zu entsprechen. Er ist nur dann nicht zu beachten, wenn die Bestellung des gewünschten Betreuers dem Wohl des Betroffenen widerspricht (BayObLG BtPrax 2002, 165).

Die Vorschrift des § 1897 BGB räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Er hat die Person zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Wunsch des Betroffenen durch seine Krankheit beeinflusst ist. Dem Vorschlag des Betroffenen ist grundsätzlich und unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit zu entsprechen (BayObLG aaO). Auch bei einem willensschwachen Menschen ist sein natürlicher Wille grundsätzlich vorrangig zu beachten. Erforderlich ist nur, dass der Betroffene einen ernsthaften, von seinem natürlichen Willen getragenen Wunsch geäußert hat (vgl. für Willensäußerungen geschäftsunfähiger Personen BayObLG BtPrax 1993, 171; FamRZ 1994, 530/531; BtPrax 2002, 36/37; OLG Hamm FamRZ 1996, 1372).

Der Wunsch des Betroffenen kann nur unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der von ihm gewünschten Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies erfordert eine umfassende Abwägung aller Umstände. Die Nichtberücksichtigung des Vorschlages des Betroffenen setzt voraus, dass das Ergebnis der Abwägung deutlich gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person spricht (BayObLG BtPrax 2002, 165). Es muss die konkrete Gefahr (vgl. BayObLGZ 1996, 136 f.; BayObLG FamRZ 1997, 1360; BtPrax 2002, 36/37; OLG Brandenburg NJWE-FER 2001, 208) bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will. Allgemeine Befürchtungen nachteiligen Handelns reichen ebenso wenig aus (OLG Zweibrücken BtPrax 1997, 164) wie die Möglichkeit, dass noch geeignetere Personen zur Verfügung stehen (BayObLG FamRZ 1999, 53; NJWE-FER 2001, 234; BtPrax 2002, 36/37; OLG Köln FamRZ 1999, 811).

aa) Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob es dem ernsthaften, von natürlichem Willen getragenen Wunsch der Betroffenen entspricht, dass die Betreuung durch ihren Sohn geführt werde. Dafür spricht immerhin, dass sich die Betroffene bereits bei ihrer ersten Anhörung durch das Vormundschaftsgericht am 18.4.2002 in diesem Sinn geäußert und dies auch im Termin vor dem Landgericht am 16.5.2003 wiederholt hat. Dass sie bei der letzten Anhörung ausweislich der Niederschrift zunächst angab, ihre Tochter solle Betreuerin werden, weil die Betroffene bei ihr lebe, kann auf einem Missverständnis hinsichtlich der rechtlichen Bedeutung des Betreuerbegriffs beruhen und muss nicht zwingend die Meinung der weiteren Beteiligten stützen, dass die Betroffene in dieser Hinsicht in hohem Maße beeinflussbar sei.

bb) Selbst wenn aber eine Willensäußerung der Betroffenen zu Gunsten der Betreuerbestellung ihres Sohnes vorliegen sollte, ist das Landgericht dem zu Recht nicht gefolgt, weil die Fortführung der Betreuung durch ihn dem Wohl der Betroffenen zuwiderliefe. Im vorliegenden Fall folgt diese Wertung nicht aus einem persönlichen Eignungsmangel des ehemaligen Betreuers, sondern aus den vom Landgericht festgestellten erheblichen Spannungen zwischen den Geschwistern. Die Bestellung eines Familienangehörigen, den der Betroffene als Betreuer wünscht, kann auch dann mit dem Wohl des Betreuten unvereinbar sein, wenn dieser entweder persönlich unter den Spannungen der Geschwister leidet (vgl. OLG Köln NJWE-FER 1999, 123; FamRZ 2000, 188) oder wenn die Regelung seiner wirtschaftlichen oder sonstigen Verhältnisse wegen der Spannungen innerhalb der Familie nicht gewährleistet ist (vgl. BayObLG BtPrax 1994, 136/137).

Zwar ist bei entsprechenden wertenden Feststellungen - insbesondere wenn sie Prognosen einschließen - Zurückhaltung geboten. Denn eine vom Betroffenen gewünschte Führung der Betreuung durch einen bestimmten hierzu geeigneten Angehörigen darf nicht etwa allein dadurch vereitelt werden, dass ein hiermit nicht einverstandenes anderes Familienmitglied Streitigkeiten provoziert, um den Eindruck zu erwecken, bestehende Spannungen stünden einer Aufgabenwahrnehmung des Betreuers im Interesse des Betroffenen entgegen.

Hat aber der Betroffene wegen der dort geleisteten tatsächlichen Versorgung seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei einem Angehörigen und bestehen nachhaltige Spannungen zwischen diesem und dem zum Betreuer bestellten Familienmitglied, ist es nicht fernliegend, dass der Betreuer seine Aufgaben - insbesondere soweit sie den notwendigen persönlichen Kontakt voraussetzen - nicht in der zum Wohl des Betroffenen gebotenen Weise wahrnehmen kann. Die vom Landgericht aufgrund des persönlichen Eindrucks von dem ehemaligen Betreuer und der weiteren Beteiligten sowie konkreter Vorkommnisse gezogene Schlussfolgerung, dass angesichts der hier gegebenen besonderen Umstände die Fortführung der Betreuung durch ihren Sohn dem Wohl der Betroffenen zuwiderliefe und daher eine familienferne Berufsbetreuerin zu bestellen sei, hält sich innerhalb des Auslegungsspielraums, der dem Beschwerdegericht bei der Anwendung des § 1897 Abs. 4 BGB zukommt. Dieser ist im Rahmen der weiteren Beschwerde nur begrenzt überprüfbar, nämlich darauf hin, ob der Tatsachenrichter den maßgebenden Sachverhalt ausreichend und ohne Gesetzesverletzung erforscht hat, ob seine Tatsachenwürdigung auf grundsätzlich fehlerhaften Erwägungen beruht, ob Rechtsvorschriften, Beweisregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Tatumstände außer Acht gelassen worden sind (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 332 und 2000, 174). Einen derartigen Fehler lässt die Beurteilung durch das Landgericht nicht erkennen.

Wenn mit der vom Landgericht angeführten Begründung weder der ehemalige Betreuer noch die weitere Beteiligte zur (weiteren) Führung der Betreuung in Betracht kommen, liegt in der Bestellung einer Berufsbetreuerin auch kein Verstoß gegen die Auswahlvorschriften in § 1897 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 BGB. Denn der darin festgelegte Vorrang von Angehörigen bzw. geeigneten ehrenamtlich tätigen Personen setzt voraus, dass solche im konkreten Fall zur Verfügung stehen. Das hat aber das Landgericht bezüglich beider Kinder der Betroffenen in nicht zu beanstandender Weise verneint.

3. Die der weiteren Beteiligten im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen notwendigen Kosten sind dem ehemaligen Betreuer aufzuerlegen, da er sie durch sein unbegründetes Rechtsmittel veranlasst hat (§ 13a Abs. 1 Satz 2 FGG).

4. Der Antrag der weiteren Beteiligten auf Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen, da sie keine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gem. § 14 FGG, § 114 ZPO vorgelegt hat.

5. Die Festsetzung des Geschäftswerts der weiteren Beschwerde beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 KostO.



Ende der Entscheidung

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