Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 241/03
Rechtsgebiete: FGG, UnterbrG


Vorschriften:

FGG § 12
FGG § 70h
UnterbrG Art. 1
UnterbrG Art. 9
Zum Erfordernis einer weiteren sachverständigen Begutachtung im Rahmen eines Unterbringungsverfahrens, wenn der Gutachter des anhängigen Verfahrens zwar die Voraussetzungen für die Unterbringung bejaht, der Betroffene aber 3 Monate zuvor mit anderem Ergebnis begutachtet worden ist.
Gründe:

I.

Auf Antrag der weiteren Beteiligten, einer Kreisverwaltungsbehörde, ordnete das Amtsgericht am 10.10.2003 die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses zur Erstellung eines Gutachtens an. Auslöser für die vormundschaftsgerichtliche Maßnahme waren wiederholte Anrufe des Betroffenen im Büro einer Bundestagsabgeordneten, die den Schluss auf eine psychische Störung zuließen. Auf der Grundlage eines Gutachtens des Bezirksklinikums vom 13.10.2003 und nach Anhörung des Betroffenen ordnete das Amtsgericht auf öffentlich rechtlicher Grundlage mit Beschluss vom 16.10.2003 dessen vorläufige Unterbringung für die Dauer von sechs Wochen an. Als Grund für die Unterbringungsmaßnahme war insbesondere die Bedrohung der Bundestagsabgeordneten angegeben.

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen wies das Landgericht mit Beschluss vom 3.11.2003 zurück. Der Beschwerdeführer wurde am 14.11.2003 aus dem Bezirksklinikum entlassen.

Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 24.11.2003 hat der Betroffene sofortige weitere Beschwerde eingelegt und beantragt, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Unterbringungsmaßnahmen festzustellen. Die Voraussetzungen einer geschlossenen Unterbringung hätten zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist nur teilweise zulässig.

a) Dem Schriftsatz der sofortigen weiteren Beschwerde ist zu entnehmen, dass sich der Betroffene gegen alle gegen ihn getroffenen einstweiligen Anordnungen wendet. Soweit mit dem Rechtsmittel allerdings die Feststellung der Rechtswidrigkeit des vormundschaftsgerichtlichen Beschlusses vom 10.10.2003 (Anordnung der vorläufigen Unterbringung zur Erstattung eines Gutachtens) begehrt wird, ist es nicht statthaft (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG). Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts hierzu, die mit dem statthaften Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde angegriffen werden könnte, liegt nicht vor. Der Betroffene hat sich zwar in dem Schriftsatz der sofortigen Beschwerde ausdrücklich gegen den Beschluss vom 10.10.2003 gewandt; das Landgericht hat jedoch nur die Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 16.10.2003 geprüft und auch nur hierüber entschieden.

b) Soweit der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorläufigen Unterbringung gemäß dem Beschluss vom 16.10.2003 begehrt, ist dies trotz der Erledigung der Hauptsache durch seine Entlassung am 14.11.2003 zulässig. Der Beschwerdeführer hat insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis. Denn die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es, in den Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs zu bejahen (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456; BayObLGZ 2002, 304/306). Dies gilt auch dann, wenn die Erledigung nach Erlass der landgerichtlichen Entscheidung eingetreten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30.7.2003 Az. 3Z BR 139/03). Ob hiervon im Einzelfall Ausnahmen gerechtfertigt sein können (vgl. Demharter FGPrax 2002, 137/138), bedarf hier keiner weiteren Erörterung, da im vorliegenden Fall einer zeitlich eng befristeten Freiheitsentziehung bereits nach den bisher maßgebenden Grundsätzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfG NJW 1998, 2432; BayObLG NJW 2002, 146 m.w.N.) der Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses zu bejahen ist.

In der Sache hat das Rechtsmittel, soweit es zulässig ist, keinen Erfolg.

2. Das Landgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Voraussetzungen für eine vorläufige Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz seien gegeben. Der Betroffene stelle eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, denn er habe geäußert, dass die Bundestagsabgeordnete nicht mehr lange Abgeordnete sein würde, wenn sie ihm nicht helfe. Ausweislich ärztlicher Begutachtung leide der Betroffene an einer paranoiden Psychose. Aufgrund aggressiver Verhaltensweise sei von einem Fremdgefährdungspotenzial des Betroffenen auszugehen. Ferner müsse Selbstgefährdungspotenzial angenommen werden, falls das psychotische Zustandsbild nicht durch psychiatrische Behandlung gelindert werde. Die Begutachtung durch den Landgerichtsarzt im Juli 2003 stehe der Richtigkeit des Gutachtens, das im laufenden Verfahren erstattet worden ist, nicht entgegen.

3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Zu Recht ist das Landgericht, wenn auch ohne nähere Prüfung, von der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss vom 16.10.2003 ausgegangen. Zwar ist weder im Schreiben vom 20.10.2003 noch im Begründungsschriftsatz vom 30.10.2003 der vormundschaftsgerichtliche Beschluss vom 16.10.2003 ausdrücklich erwähnt. Vielmehr wendet sich der Rechtsmittelschriftsatz vom 20.10.2003 namentlich gegen den Beschluss vom 10.10.2003, der die Unterbringung zur Erstattung eines Gutachtens zum Gegenstand hatte. Aus den im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätzen ist aber mittels Auslegung zu entnehmen, dass der Betroffene sich vor allem gegen die Unterbringungsmaßnahme wendet, die Gegenstand des Beschlusses vom 16.10.2003 war. Eine solche Willensäußerung reicht für die Annahme einer zulässigen Beschwerde aus (Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9.Aufl. § 21 FGG Rn. 7).

b) Gegen seinen Willen kann in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden, wer psychisch krank oder infolge Geistesschwäche oder Sucht psychisch gestört ist und dadurch in erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 UnterbrG). Unter diesen Voraussetzungen ist die Unterbringung auch dann zulässig, wenn jemand sein Leben oder in erheblichem Maß seine Gesundheit gefährdet (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 UnterbrG). Kann die Gefährdung durch weniger einschneidende Maßnahmen abgewendet werden, darf die Unterbringung nicht angeordnet werden (Art. 1 Abs. 1 Satz 3 UnterbrG). Da die Freiheit der Person ein hohes Rechtsgut ist, das nur aus besonders wichtigem Grund angetastet werden darf, ist bei einer Unterbringungsanordnung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit streng zu beachten (vgl. BVerfG NJW 1998, 1774/1775). Er ist nicht nur zentrales Auslegungskriterium für die einzelnen Unterbringungsvoraussetzungen, sondern auch Maßstab für die Sachverhaltsaufklärung; er verlangt eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls da die vom Betroffenen ausgehenden Gefahren zur Schwere des Eingriffs in seine persönliche Freiheit ins Verhältnis zu setzen sind (BVerfGE 70, 290/313; BayObLGZ 1998, 116/118; 2001, 352/354 f. jeweils m.w.N.). Dies bedeutet u.a., dass mit einer Beeinträchtigung der Rechtsgüter zum einen mit hoher Wahrscheinlichkeit und zum anderen jederzeit zu rechnen sein muss (BayObLG aaO). Bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass diese Voraussetzungen gegeben sind und mit dem Aufschub der Unterbringung Gefahr verbunden ist, kann das Vormundschaftsgericht gemäß Art.9 UnterbrG, § 70h FGG die Unterbringung vorläufig anordnen. Für den Erlass einer vorläufigen Anordnung müssen konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit (vgl. BayObLGZ 1997, 142/145) darauf hindeuten, dass die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 UnterbrG vorliegen, und konkrete Tatsachen nahe legen, dass mit dem Aufschub der Unterbringung Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bestehen würde (vgl. BayObLGZ 1999, 269/ 272).

c) Die Beurteilung, ob der Betroffene an einer psychischen Krankheit leidet oder infolge dieser Krankheit die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet und ob seine zwangsweise vorläufige Unterbringung deshalb erforderlich ist, obliegt dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann sie nur auf Rechtsfehler überprüfen, also daraufhin, ob der Tatrichter die betreffenden unbestimmten Rechtsbegriffe verkannt hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat, der Bewertung maßgeblicher Umstände unrichtige Maßstäbe zugrundegelegt hat, gegen Denkgesetze verstoßen oder Erfahrungssätze nicht beachtet hat (vgl. BayObLGZ 1999, 216/218 f.).

d) Gemessen an diesen Grundsätzen sind die Feststellungen des Landgerichts, dass der Betroffene an einer psychischen Krankheit leide, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Sachverständigen des Bezirksklinikums führen nachvollziehbar aus, dass bei dem Betroffenen der dringende Verdacht einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis im Sinne einer paranoiden Psychose bestehe. Differenzialdiagnostisch sei eine wahnhafte Störung in Erwägung zu ziehen. Von Bedeutung ist des Weiteren die gutachtliche Stellungnahme, dass das wahnhafte Denken für den Betroffenen eine unmittelbare und unkorrigierbare Evidenz besitze. Auch insoweit bejahen die gutachtlichen Feststellungen einen Krankheitswert.

Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht die Darlegungen des Gutachtens des Bezirksklinikums vom 13.10.2003 zu Eigen macht und nicht - wie vom Betroffenen angeregt - das Gutachten des Landgerichtsarztes vom 7.7.2003, welches für den Zeitpunkt der damaligen Begutachtung die Voraussetzungen für eine Unterbringung verneint hatte. Das Gutachten, welches Grundlage für eine Unterbringungsmaßnahme ist, muss zeitnah erstellt werden (Bassenge § 70e FGG Rn. 2). Diesem Erfordernis würde das Gutachten des Landgerichtsarztes nicht gerecht. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass auch er bei dem Betroffenen Anzeichen für eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sieht, allerdings ohne akuten Behandlungsbedarf für den Zeitpunkt seiner Begutachtung zu bejahen. Das Landgericht musste somit bei Würdigung der beiden Gutachten nicht zu dem Schluss gelangen, dass zwischen beiden ein nicht auflösbarer sachlicher Widerspruch besteht, der durch eine weitere sachverständige Begutachtung hätte geklärt werden müssen, zumal nach der Begutachtung des Landgerichtsarztes durch das Verhalten des Betroffenen neue Gesichtspunkte hinzugekommen sind. Die Annahme des dringenden Verdachts einer psychischen Krankheit beruhte sonach nicht auf einer verfahrensfehlerhaften Grundlage.

e) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht angenommen, dass dringende Gründe für die Annahme einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Krankheit des Betroffenen vorlagen. Zwar können wiederholte, auch lästige Telefonanrufe im Büro von Bundestagsabgeordneten für sich allein noch nicht als erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung angesehen werden. Hier hatte der Inhalt der Telefonanrufe aber eine Qualität angenommen, welche die Lästigkeitsschwelle deutlich überschritten hat. Die Äußerungen, dass die Abgeordnete "nicht mehr lange Abgeordnete sein würde" und dass es "Konsequenzen" haben werde, wobei eine Mitarbeiterin den letzten Anruf als bedrohlich empfunden hat, rechtfertigen unter Berücksichtigung der gutachtlichen Stellungnahme des Bezirksklinikums vom 13.10.2003 die Annahme dringender Gründe einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Die Darlegungen des Gutachtens belegen ein erhebliches Aggressionspotenzial des Betroffenen, das sich auch konkret in der Zerstörung eines Stationslautsprechers niedergeschlagen und eine Fixierung sowie eine medizinische Sedierung des akut fremdgefährlichen Betroffenen erforderlich gemacht hat. Ein solches Verhalten lässt ohne weiteres den Schluss zu, dass sich die Aggressionen auch gegen Personen entladen kann, von denen man Hilfe erwartet, die der Erwartung aber nicht gerecht werden.

Bei der Entscheidung über die vorläufige Unterbringungsmaßnahme durfte das Landgericht zu der Prognose kommen, dass der Betroffene krankheitsbedingt die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch sein Verhalten erheblich gefährden würde.



Ende der Entscheidung

Zurück