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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.09.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 243/01
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1836 c
BGB § 1836 d
BGB § 1836 e
FGG § 56 g
Das Vormundschaftsgericht hat grundsätzlich nicht zu prüfen, ob Unterhaltsansprüche des Betreuten durchgesetzt werden können, wenn es darum geht, ob der Betreute mittelos ist.
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Schreieder und Dr. Nitsche

am 19. September 2001

in der Betreuungssache

auf die sofortige weitere Beschwerde der Staatskasse

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 29. Juni 2001 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Vormundschaftsgericht bewilligte am 8.12.2000 dem Betreuer des Betroffenen aus der Staatskasse eine Entschädigung in Höhe von 2323,16 DM. Zugleich lehnte es ab, Zahlungen festzusetzen, die der Betreute an die Staatskasse zu leisten hat. Hiergegen legte die Staatskasse sofortige Beschwerde ein mit den Anträgen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Vormundschaftsgericht zurückzuverweisen oder, falls das Landgericht in der Sache selbst entscheide, die Betreuervergütung gegen das betreute Vermögen festzusetzen, hilfsweise den Regress der Staatskasse gegen den unterhaltsverpflichteten Vater anzuordnen.

Das Landgericht hat das Rechtsmittel am 29.6.2001 mit der ergänzenden Feststellung zurückgewiesen, dass "der Betreute, soweit die Staatskasse den Betreuer befriedigt, zur Deckung dieses Betrages in Höhe von 2323,16 DM insoweit Zahlungen an die Staatskasse zu leisten hat, als ein Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater besteht". Mit der zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde verfolgt die Staatskasse die bereits im Beschwerdeverfahren gestellten Anträge weiter, wobei sie auch vorbringt, das Landgericht hätte die Festsetzung des Rückgriffs nicht einschränken dürfen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, die, Entschädigung des Betreuers sei gegen die Staatskasse festzusetzen. Zwar zählten Unterhaltsansprüche auch zum einzusetzenden Einkommen des Betroffenen. Dieser gelte jedoch als mittellos, weil er die Entschädigung nur aufbringen könne im Wege gerichtlicher Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen seinen Vater, der zur freiwilligen Zahlung nicht bereit sei. Der Betroffene habe weder sonstiges einzusetzendes Einkommen noch einzusetzendes Vermögen. Dennoch seien vom Betroffenen zu leistende Zahlungen festzusetzen. Soweit die Staatskasse den Betreuer befriedige, gingen zwar nicht die Unterhaltsansprüche des Betroffenen, wohl aber die Ansprüche des Betreuers gegen den Betroffenen auf die Staatskasse über. Es bestehe daher die Möglichkeit, die aufgrund des übergegangenen Anspruchs vom Betroffenen zu leistenden Zahlungen unter Einbeziehung der ausstehenden Unterhaltsschuld festzusetzen. Mit Hilfe dieses Titels werde eine Pfändung und Überweisung des Unterhaltsanspruchs möglich. Die Voraussetzungen für eine solche Anordnung seien gegeben, da der Betroffene grundsätzlich gegen seinen Vater auch nachträglich Zahlungsansprüche geltend machen könne. ob sämtliche Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch bestünden, müsse letztlich im Unterhaltsrechtsstreit geklärt werden.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) stand.

a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei Vergütung und Aufwendungsersatz nicht gegenüber dem Betroffenen festgesetzt, § 1835 Abs. 4 Satz 1, § 1836a BGB. Zwar sind Unterhaltsansprüche einzusetzendes Einkommen des Betroffenen (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836c Nr. 1 Satz 2 BGB), dennoch gilt der Betroffene als mittellos (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836d Nr. 2 BGB), wenn Unterhaltsansprüche gerichtlich geltend gemacht werden müssten. Letzteres hat das Beschwerdegericht verfahrensfehlerfrei und damit für den Senat bindend (Bassenge/ Herbst FGG/RPflG 8. Aufl. § 27 FGG Rn. 23) festgestellt. Angesichts der eindeutigen Angaben des Betreuers zum Inhalt seiner Verhandlungen mit dem Vater des Betroffenen musste das Gericht im Rahmen der Amtsermittlung (§ 12 FGG) den Vater nicht auch selbst anhören. Mit seiner Vermutung, der Vater würde "womöglich doch zahlen", wenn er hierzu schriftlich aufgefordert würde, setzt der Vertreter der Staatskasse seine tatsächliche Sicht der Dinge an die Stelle derjenigen des Landgerichts, womit er im Rechtsbeschwerdeverfahren keinen Erfolg haben kann. Eine bestimmte Form für die außergerichtliche Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen sieht das Gesetz nicht vor.

b) Das Landgericht hat es auch zu Recht abgelehnt, unmittelbar gegenüber dem Vater des Betroffenen als Unterhaltsverpflichteten Zahlungen festzusetzen. Soweit die Staatskasse den Betreuer befriedigt, gehen dessen Ansprüche gegen den Betroffenen auf sie über (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB), nicht jedoch Ansprüche des Betroffenen gegen mögliche Unterhaltsverpflichtete (Jürgens/Winterstein Betreuungsrecht 2. Aufl. § 1836e BGB Rn. 7; Knittel Betreuungsgesetz § 1836e BGB Rn. 15; Wagenitz/Engers FamRZ 1998, 1273/ 1278 f.; a.A. Gregersen/Deinert Die Vergütung des Betreuers 2. Aufl. S. 129). Anders als das Sozialhilferecht (vgl. § 91 BSHG) kennt das Recht der Betreuervergütung keinen gesetzlichen Übergang von Unterhaltsansprüchen (vgl. auch BT-Drucks. 13/7158 S. 48 1. Sp., S. 49 1. sp.).

c) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist schließlich auch die mit Einschränkungen versehene Festsetzung der Zahlung des Betroffenen an die Staatskasse.

Die Festsetzung als solche, die dem Hilfsantrag der Staatskasse im Beschwerdeverfahren entsprochen hat, beschwert diese nicht. Es bestehen jedoch auch keine Bedenken, soweit die Kammer Einschränkungen vorgenommen hat.

Mit dem Zusatz, dass die Zahlungen zu leisten sind, soweit die Staatskasse den Betreuer befriedigt, wird nur in unschädlicher Weise der Gesetzeswortlaut des § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB wiederholt.

Ferner durfte das Landgericht mit der Einschränkung, dass Zahlungen nur insoweit zu leisten sind, als ein Unterhaltsanspruch besteht, die letztere Frage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht offen lassen. Der Regress gemäß § 1908i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 1836c, 1836e BGB setzt zwar die nach § 1836c BGB zu bestimmende Leistungsfähigkeit des Betreuten voraus, die vor einer entsprechenden Entscheidung festzustellen ist (vgl. BayObLGZ 1999, 362; OLG Düsseldorf FGPrax 2001, 110/111). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt auch für die Fälle, in denen die Mittellosigkeit des Betroffenen allein wegen der ihm zustehenden Unterhaltsansprüche verneint wird. Hier ist das Vormundschaftsgericht grundsätzlich nicht zu der Prüfung verpflichtet, ob derartige Ansprüche tatsächlich bestehen.

Durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz (vgl. zum Gesetzgebungsverfahren BT-Drucks. 13/7158 S. 47 ff.) sind spezielle Vorschriften in das Gesetz eingefügt worden, die regeln, wie Unterhaltsansprüche des Betroffenen bei der Festsetzung der Entschädigung des Betreuers zu berücksichtigen sind. Gemäß § 1836c Nr. 1 Satz 2 BGB gelten diese Ansprüche als anzusetzendes Einkommen; sie werden so behandelt, als stünden die auf ihrer Grundlage zu erbringenden Unterhaltsleistungen dem Betroffenen tatsächlich zur Verfügung (vgl. Jürgens/Winterstein § 1436c BGB Rn. 5). § 1836d Nr. 2 BGB sieht allerdings zugunsten des Betroffenen eine Ausnahme vor. Nach dieser Vorschrift ist gleichwohl von Mittellosigkeit des Betroffenen auszugehen, wenn dieser die Entschädigungszahlungen an den Betreuer nur im Wege gerichtlicher Geltendmachung der Unterhaltsansprüche aufbringen kann. § 1836e Abs. 2 BGB wiederum mildert die Folgen dieser Ausnahme für die dann verpflichtete Staatskasse. Die Bestimmung beseitigt zu deren Gunsten die an sich bestehende Unpfändbarkeit der Unterhaltsansprüche (§ 850b ZPO) und ermöglicht der Staatskasse so den Zugriff auf die Ansprüche, der ihr ansonsten aus Rechtsgründen verschlossen wäre. Nach den im Gesetzgebungsverfahren klar zum Ausdruck gekommenen Überlegungen (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 49 1. Sp.) soll die Staatskasse, die mit der Festsetzung des Rückgriffsbetrages einen Titel gegen den Betroffenen erlangt (§ 1 Abs. 1 Nr. 4b JBeitrO), so in die Lage versetzt werden, den (möglichen) Unterhaltsanspruch im Wege der Pfändung und Überweisung (§§ 829, 835 ZPO) einzuziehen. Für die dann gebotene Durchsetzung des Anspruchs wird allerdings regelmäßig ein weiteres Gerichtsverfahren erforderlich sein, da es sich nach den gesetzlichen Vorgaben gerade um einen Anspruch handelt, der ohne gerichtliche Geltendmachung nicht beglichen wird. Im Ergebnis werden dadurch der Aufwand und das Risiko der Durchsetzung des Anspruchs auf die Staatskasse verlagert (vgl. Wagenitz/Engers FamRZ 1998, 1273/1279).

Diese Regelung führt, wie allgemein bei der Vollstreckung in Zahlungsansprüche, dazu, dass das Bestehen des Unterhaltsanspruchs letztlich erst in dem gerichtlichen Verfahren der Staatskasse gegen den Unterhaltsschuldner abschließend geprüft und rechtskräftig festgestellt werden kann. Eine eingehende Prüfung der Unterhaltsansprüche bereits im betreuungsrechtlichen Festsetzungsverfahren, womöglich in drei Instanzen, wäre ein beträchtlicher und letztlich unnötiger zusätzlicher Aufwand, da damit eine verbindliche Klärung des Bestehens des Anspruchs nicht erreicht werden kann. Die Absicht des Gesetzgebers, der Staatskasse eine einfache und praxisgerechte Möglichkeit (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 49 1. Sp.) zur Einziehung etwaiger Unterhaltsansprüche an die Hand zu geben, würde verfehlt. Ein solcher Aufwand liefe auch dem Anliegen zuwider, das der Neuregelung des § 56g Abs. 2 Satz 3 FGG zugrunde liegt.

Die dargestellte Auffassung entspricht im übrigen der Risikoverteilung, die der Gesetzgeber in vergleichbaren Fällen vorgenommen hat, in denen ebenfalls der Nachrang staatlicher Leistungen im Verhältnis zu Unterhaltsansprüchen des Leistungsempfängers sichergestellt werden soll. Häufig sieht das Gesetz hierfür etwa einen gesetzlichen Forderungsübergang (§ 91 BSHG) oder eine Überleitung der Ansprüche durch Überleitungsanzeige 90 BSHG) vor. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Anzeige hängt nach einhelliger Auffassung nicht vom Bestehen der übergeleiteten Forderung ab (BVerwGE 58, 208/214), solange nicht der Anspruch offensichtlich ausgeschlossen und damit die Überleitungsanzeige erkennbar sinnlos ist (BVerwGE 92, 281/283 f.). Es erscheint daher sachgerecht, auch bei der Behandlung von Unterhaltsansprüchen im Rahmen des Verfahrens zur Festsetzung der Betreuerentschädigung die Festsetzung des Rückgriffsbetrages gegen den Betroffenen ohne nähere Prüfung des Bestehens solcher Ansprüche auszusprechen und durch einen geeigneten Zusatz kenntlich zu machen, dass der Titel nur die Grundlage für Pfändung möglicher Unterhaltsansprüche zur Einziehung und Überweisung sein soll. Der Titel wird damit auch nicht zu unbestimmt oder widerspruchsvoll, da der Anspruch gegen den Betroffenen betragsmäßig ausgewiesen und so ohne weiteres durch Auslegung eine mit Zwangsvollstreckung durchsetzbare bestimmte Verpflichtung festgestellt werden kann.

Diesen gesetzlichen Vorgaben entspricht die Entscheidung des Landgerichts. Keiner Entscheidung bedarf es im Vorliegenden Fall, ob das Vormundschaftsgericht, wofür vieles spricht, die Festsetzung des Rückgriffsanspruchs ausnahmsweise ablehnen kann, wenn ein Unterhaltsanspruch offensichtlich nicht besteht. Hierfür liegen Anhaltspunkte nicht vor.

Ende der Entscheidung

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