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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 24.08.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 246/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 1 Satz 1
Die Feststellung einer psychischen Krankheit oder seelischen Behinderung des Betroffenen setzt die fachpsychiatrische Konkretisierung und die Darlegung ihrer Auswirkungen auf die kognitiven und voluntativen Fähigkeiten des Betroffenen voraus.
Der 3.Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung der Richter Dr. Schreieder, Dr. Plößl und Dr. Denk

am 24.August 2001

in der Betreuungssache

auf die weitere Beschwerde der Betroffenen

beschlossen:

Tenor:

I. Der Beschluss des Landgerichts Bamberg vom 19.Januar 2001 wird aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Bamberg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 15.12.2000 bestellte das Amtsgericht für die Betroffene deren Tochter und Schwiegersohn zu Betreuern, und zwar je mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung des Heim-/Pflegevertrages, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Entgegennahme und Öffnen der Post.

Die Beschwerde der Betroffenen ist gemäß Beschluss des Landgerichts vom 19.1.2001 ohne Erfolg geblieben.

Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige Rechtsmittel führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Die Kammer hat die medizinischen Voraussetzungen für die Betreuerbestellung darin gesehen, dass die Betroffene "an einer der in § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgeführten Krankheiten bzw. Behinderungen in Form des Altersstarrsinns" leide.

2. Diese Feststellung vermag die Betreuerbestellung nicht zu tragen. Die Kammer hat insoweit ihrer Aufklärungspflicht (§ 12 FGG) nicht genügt.

a) Die Bestellung eines Betreuers für einen volljährigen setzt voraus, dass dessen Unfähigkeit, seine Angelegenheiten zu besorgen, auf einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung beruht (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Die Begriffe der psychischen Krankheit bzw. seelischen Behinderung sind weder im BGB definiert noch gibt es für sie eine allgemein anerkannte Definition (vgl. Jürgens Betreuungsrecht 2.Aufl. § 1896 BGB Rn. 3). Der Begriff der psychischen Krankheit bezieht sich auf die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie (vgl. Knittel BtG § 1896 BGB Rn. 2). Unter den Begriff der seelischen Behinderung fallen bleibende oder jedenfalls lang anhaltende psychische Beeinträchtigungen, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhen (vgl. BT-Drucks.11/4528 S.116; Jürgens § 1896 BGB Rn.6; Palandt/Diederichsen BGB 60.Aufl. § 1896 Rn. 6).

Damit sollen insbesondere auch Erscheinungen des Altersabbaus erfasst werden, die in der hier nicht einheitlichen Fachsprache zum Teil nicht als Krankheiten angesehen werden (vgl. BT-Drucks. aaO). Von besonderer Bedeutung ist insoweit die senile Demenz, die ihre Ursache in der Alzheimerschen Krankheit, in Hirngefäßerkrankungen oder anderen degenerativen Hirnprozessen haben kann (vgl. Jürgens § 1896 BGB Rn. 4; Wojnar BtPrax 1992, 16/19).

Um zu vermeiden, dass in unverhältnismäßiger Weise in die Rechtsstellung des Betroffenen eingegriffen wird, ist dessen psychische Krankheit oder seelische Behinderung fachpsychiatrisch zu konkretisieren (vgl. BayObLG NJW 1992, 2100/2101) und sind deren Auswirkungen auf die kognitiven und voluntativen Fähigkeiten des Betroffenen darzulegen (vgl. Jürgens § 1896 BGB Rn. 5).

b) Die Entscheidung des Landgerichts wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Feststellung, die Betroffene leide an "Altersstarrsinn", entbehrt der für die Bejahung einer psychischen Krankheit oder seelischen Behinderung notwendigen Konkretisierung. Es ist nicht dargetan, inwiefern dem "Starrsinn" der Betroffenen etwa eine senile Demenz zugrunde liegt, die Betroffene in ihrer Urteils- und Kritikfähigkeit auf Grund eines altersbedingten, fortschreitenden Abbaus von Nervenzellen des Gehirns beeinträchtigt ist und nicht lediglich eine der Betroffenen wesenseigene Abweichung von "normalem" menschlichen Verhalten vorliegt. Dies weiter aufzuklären bestand schon aufgrund des der Beschwerdeentscheidung zugrunde gelegten Sachverständigengutachtens vom 21.9.2000 Anlass. Darin hatte der Sachverständige zu der von der Betroffenen in einigen Belangen gezeigten "Uneinsichtigkeit und Sturheit", woraus er ersichtlich die partielle Geschäftsunfähigkeit ableitete, lediglich vage und Zweifel offenlassend ausgeführt, "was man vielleicht als Altersstarrsinn bezeichnen könnte". Hinzu kommt, dass derselbe Sachverständige in seinem nur vier Monate zuvor erstatteten Gutachten die Erklärung des Hausarztes der Betroffenen wiedergegeben hatte, auch ihm sei klar, dass es sich bei der Betroffenen um eine in mancher Hinsicht recht schwierige Dame handle, irgendwelche Anzeichen einer geistigen oder psychischen Störung habe er bei ihr aber noch nie gesehen. Im Einklang damit hatte der Sachverständige der Betroffenen attestiert, dass sie "keineswegs geistig oder psychisch krank" sei, dass sie ihren Willen frei bestimmen und nach dieser Einsicht handeln könne, "und dies sogar recht nachdrücklich", dass sie "voll geschäftsfähig" sei und "alle Angelegenheiten noch selbst regeln" könne.

3. Die Beschwerdeentscheidung ermangelt ferner der Darlegung der Sachkunde des Sachverständigen.

Ein Betreuer darf erst bestellt werden, nachdem das Gutachten eines Sachverständigen über die Notwendigkeit der Betreuung eingeholt worden ist (§ 68b Abs. 1 Satz 1 FGG). Das Beschwerdegericht kann seine Entscheidung auf im ersten Rechtszug eingeholte Gutachten stützen (§ 69g Abs. 5 Satz 4 FGG). Welche Anforderungen an die Qualifikation des Sachverständigen zu stellen sind, hängt von der Art der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen ab (vgl. Jürgens/Mertens § 68b FGG Rn. 4; Keidel/Kayser FGG 14.Aufl. § 68b Rn.6). Bei psychischen Krankheiten und geistigen/seelischen Behinderungen ist grundsätzlich ein Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie zu beauftragen. Zumindest muss der Sachverständige ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt sein (vgl. BayObLG FamRZ 1993, 351/352; KG FamRZ 1995, 1379/1380). Wird ein Gutachter beauftragt, dessen Sachkunde sich nicht ohne weiteres aus seiner Berufsbezeichnung oder aus der Art seiner Berufstätigkeit ergibt, ist seine Sachkunde in der Entscheidung - für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar - darzulegen (vgl. BayObLG NJW-RR 1988, 454/455; Bienwald Betreuungsrecht 3. Aufl. § 68b FGG Rn. 37).

Dem wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Sie enthält zur Sachkunde des Sachverständigen keine Ausführungen, obwohl hierzu Veranlassung bestand. Über die für die Erstellung von Gutachten gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 FGG zu fordernde Erfahrung verfügen in der Regel Nervenärzte, öffentlich bestellte Amtsärzte mit psychiatrischer Vorbildung, auf dem Gebiet der Psychiatrie fachkundige Klinikärzte und die in Bayern bestellten Landgerichtsärzte (vgl. BayObLGZ 1993, 63/65 m.w.N.; Bienwald § 68b FGG Rn. 36), nicht aber ohne weiteres Fachärzte für das öffentliche Gesundheitswesen (vgl. hierzu BayObLGZ 1997, 206/208 f.). So belegt auch hier der Umstand, dass der Sachverständige Medizinaldirektor und als solcher beim Landratsamt, Abteilung Gesundheitswesen, tätig ist, noch nicht die erforderliche Sachkunde. Ebenso wenig gibt der Akteninhalt hierüber Aufschluss.

Ende der Entscheidung

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