Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 257/03
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1897 Abs. 4
BGB § 1897 Abs. 5
FGG § 69f Abs. 1
FGG § 69g Abs. 1
1. Die in § 69g Abs. 1 FGG aufgeführten Berechtigten haben auch bei einstweiligen Anordnungen nach § 69f FGG ein Beschwerderecht in gleichem Umfang.

2. Das Beschwerdegericht ist nicht verpflichtet, bei einer nach § 69f Abs. 1 Satz 5 FGG abweichend zu § 1897 Abs. 4 oder 5 BGB getroffenen Bestellung eines vorläufigen Betreuers nach Wegfall der Gefahr im Verzug den Prüfungsmaßstab für dessen Auswahl zu ändern.


Gründe:

I.

Das Vormundschaftsgericht bestellte für die Betroffene mit Beschluss vom 22.8.2003 für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern und für Wohnungsangelegenheiten sowie Entgegennahme und Anhalten der Post eine vorläufige Betreuerin. Nach dem ärztlichen Zeugnis des Kreiskrankenhauses vom 22.8.2003 leidet die Betroffene an einer Demenz vom Typ Alzheimer. Die Betroffene legte gegen den vormundschaftsgerichtlichen Beschluss Beschwerde ein und übertrug in dem Beschwerdeschriftsatz der weiteren Beteiligten, ihrer Tochter, die gesetzliche Vertretung und die Betreuung ihrer Person. Auch die weitere Beteiligte wandte sich gegen die einstweilige Anordnung des Vormundschaftsgerichts und beantragte, sie selbst zur Betreuerin zu bestellen.

Die vorläufige Betreuerin veranlasste den Umzug der Betroffenen in ein Pflegeheim, weil ihre Wohn- und Gesundheitssituation ein Verbleiben in ihrer Mietwohnung nicht mehr möglich erscheinen lasse. So sei sie bereits mehrfach gestürzt und zuletzt in hilfloser Lage mit einem Armbruch aufgefunden worden. Die vorläufige Betreuerin beantragte ferner die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Kündigung und Auflösung der Wohnung der Betroffenen. Als Grund hierfür gab sie an, dass finanzielle Mittel für die Erhaltung der Mietwohnung nicht vorhanden seien. Das Vormundschaftsgericht genehmigte mit Beschluss vom 15.9.2003 die Kündigung des Mietverhältnisses der Wohnung der Betroffenen, denn eine selbständige Lebensführung der Betroffenen sei auch unter Zuhilfenahme ambulanter Dienste nicht mehr möglich. Auch gegen diesen amtsgerichtlichen Beschluss legte die weitere Beteiligte Beschwerde ein.

Das Vormundschaftsgericht half den Beschwerden der weiteren Beteiligten nicht ab. Nach Anhörung der Betroffenen und der Beschwerdeführerin wies das Landgericht die Beschwerden mit Beschluss vom 17.11.2003 zurück.

Hiergegen hat die weitere Beteiligte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 28.11.2003 weitere Beschwerde eingelegt. Im Wesentlichen wird vorgetragen, dass sich sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht über den Wunsch der Betroffenen, ihre Tochter als Betreuerin einzusetzen, hinweggesetzt habe. Auch sei die kurzfristige Aufhebung des Mietverhältnisses verfahrensfehlerhaft erfolgt. Die weitere Beteiligte hat ferner für ihr Rechtsmittel die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde ist unbegründet.

1. Entscheidungen des Beschwerdegerichts unterliegen ohne Rücksicht auf die Statthaftigkeit oder Zulässigkeit der Erstbeschwerde der weiteren Beschwerde; der erfolglose Erstbeschwerdeführer ist insoweit beschwerdeberechtigt (Bassenge/ Herbst/Roth FGG/RPflG 9.Aufl. § 27 FGG Rn. 1 und 7 m.w.N.).

2. Die weitere Beschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Genehmigung der Kündigung des Mietverhältnisses der Betroffenen richtet. Insoweit hätte das Beschwerdegericht die Erstbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 15.9.2003 wegen Fehlens der Beschwerdeberechtigung der Beschwerdeführerin als unzulässig verwerfen müssen.

a) Das Rechtsbeschwerdegericht ist verpflichtet, die Beschwerdeberechtigung des Rechtsmittelführers im Erstbeschwerdeverfahren einer eigenen Nachprüfung zu unterziehen (vgl. BayObLGZ 1971, 284/285 m.w.N.).

b) Die Beschwerde der weiteren Beteiligten gegen den vormundschaftsgerichtlichen Beschluss vom 15.9.2003 war unzulässig. Sie hat insoweit weder ein Beschwerderecht aus § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG noch aus § 20 Abs. 1 FGG. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Kündigung eines Mietverhältnisses nach § 1907 Abs. 1 BGB ist in der enumerativen Aufzählung des § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG, der den Angehörigen des Betroffenen ein eigenständiges Beschwerderecht gewährt, nicht enthalten. § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG stellt hinsichtlich der dort aufgezählten Fälle eine abschließende Regelung dar, die über ihren Wortlaut hinaus nicht erweiterbar ist (vgl. BayObLGZ 1998, 82/83; Bassenge §§ 69g FGG Rn. 4; Keidel/Kayser FGG 15.Aufl. § 69g Rn. 9).

Die weitere Beteiligte hat auch kein Beschwerderecht nach § 20 Abs. 1 FGG. Ein Beschwerderecht hieraus wäre nur dann zu bejahen, wenn die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Kündigung des Mietverhältnisses ein Recht der weiteren Beteiligten beeinträchtigt hätte. Dies ist nicht der Fall. Als Recht im Sinne von § 20 Abs. 1 FGG ist jede durch Gesetz verliehene oder durch die Rechtsordnung anerkannte, von der Staatsgewalt geschützte und der Beschwerdeführerin zustehende Rechtsposition anzusehen (BGH NJW 1997, 1855; BayObLGZ 1998, 82/84; Bassenge § 20 FGG Rn. 5; Keidel/Kahl § 20 FGG Rn. 7). Eine etwaige moralische Berechtigung oder sittliche Verpflichtung genügt nicht (Keidel/Kahl aaO). Aus dem Mietvertrag der Betroffenen für ihre Wohnung, die sie vor dem Umzug in das Pflegeheim bewohnte, kann die weitere Beteiligte keinerlei Ansprüche rechtlicher Art herleiten. Dieses Rechtsverhältnis wirkt nur zwischen den Vertragsparteien und nicht darüber hinaus. Die weitere Beteiligte macht auch nicht geltend, durch die Auflösung des Mietvertrags in ihren Rechten verletzt zu sein, sondern rügt allein Verfahrensfehler. Da der weiteren Beteiligten insoweit kein Beschwerderecht zukommt, hätte das Landgericht die Beschwerde gegen den Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 15.9.2003 als unzulässig verwerfen müssen. Das war hier nachzuholen.

3. Auch soweit sich die weitere Beschwerde gegen die Bestellung der vorläufigen Betreuerin richtet, hat das Rechtsmittel in der Sache keinen Erfolg.

a) Das Landgericht hat seine Entscheidung diesbezüglich im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Anhörung der weiteren Beteiligten durch das Beschwerdegericht habe den Eindruck vermittelt, dass diese mit dem Amt der vorläufigen Betreuerin ihrer Mutter wohl überfordert wäre. Auch würde ihr Vorhaben, die Betroffene zu sich nach München zu nehmen, dem Wohl der Mutter wohl nicht gerecht. Nachdem die weitere Beteiligte und ihre Mutter in der Vergangenheit nicht sehr intensive Berührungspunkte hatten, könnte ein unvermitteltes und unmittelbares Zusammenleben zu erheblichen Konflikten oder Reibungspunkten führen. Zunächst sollte es im Rahmen der vorläufigen Anordnung der Betreuung zum Wohl der Betroffenen bei der Bestellung der Berufsbetreuerin auch unter Berücksichtigung der verwandtschaftlichen Beziehungen verbleiben.

b) Dies hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

aa) Das Landgericht hat der Beschwerdeführerin, wenn auch ohne nähere Prüfung, zu Recht ein Beschwerderecht gegen den Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 22.8.2003 zugebilligt. Die weitere Beteiligte hat als Tochter ein Beschwerderecht nach § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG. Die Beschwerdebefugnis besteht nicht nur bei der Bestellung eines Betreuers selbst, sondern auch bei Maßnahmen im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 69f Abs. 1 FGG (BayObLG Beschluss vom 16.10.2003 - 3Z BR 163/03 - S.3, nicht veröffentlicht; Bassenge § 69f FGG Rn. 15).

bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist ferner die Bestätigung der Bestellung der vorläufigen Betreuerin. Nach Lage der Dinge ist nicht zu bestreiten, dass die Betroffene eines Betreuers bedarf. Die weitere Beschwerde greift denn auch insoweit die getroffenen Verfügungen und Entscheidungen nicht an. Sie begehrt allein die Bestellung der weiteren Beteiligten als Betreuerin.

(1) Das Vormundschaftsgericht bestellt gemäß § 1897 Abs. 1 BGB für den Betroffenen eine natürliche Person zum Betreuer, die geeignet ist, in den gerichtlich bestimmten Aufgabenkreisen dessen Angelegenheiten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Schlägt der Betroffene eine Person vor, so ist nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohle des Betroffenen nicht zuwiderläuft.

Schlägt der Betroffene niemand vor, der zum Betreuer bestellt werden kann, so ist bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen Bindungen Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 5 BGB).

(2) Bei Gefahr im Verzug kann das Vormundschaftsgericht den vorläufigen Betreuer jedoch auch abweichend von § 1897 Abs. 4 und 5 BGB bestellen (§ 69f Abs. 1 Satz 5 FGG). Angesichts des Inhalts des Berichts des Landratsamts vom 20.8.2003, wonach die Betroffene am Vortag mit gebrochenem Arm in hilfloser Lage aufgefunden, sodann in das Krankenhaus eingewiesen wurde und die übrigen Umstände Anhaltspunkte dafür ergaben, dass sie ohne andauernde Betreuung nicht auskommen wird, bestand dringender Handlungsbedarf für eine sofortige Entscheidung des Vormundschaftsgerichts und somit Gefahr im Verzug. Es war deshalb an die in § 1897 Abs. 4 und 5 BGB aufgeführten Auswahlkriterien rechtlich nicht gebunden. Die Auswahl der hier bestellten vorläufigen Betreuerin war nicht ermessensfehlerhaft, weil sie aufgrund ihrer Bestellung als Betreuerin für den Sohn der Betroffenen mit dem familiären Umfeld vertraut war und deshalb Gewähr dafür geboten hat, dass die notwendigen Maßnahmen ungesäumt in Angriff genommen werden.

Das Beschwerdegericht war im Übrigen nicht gehalten, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nach Wegfall der Gefahr im Verzug im Hinblick auf § 1897 Abs. 4 und 5 BGB in eine erneute Überprüfung der Person einzutreten, die zum vorläufigen Betreuer zu bestellen ist. Anders als § 69f Abs. 1 Satz 4 FGG, der die Nachholung der unterbliebenen Anhörungen von Betroffenem und Verfahrenspfleger vorschreibt, verlangt § 69f Abs. 1 Satz 5 FGG bei der Bestellung des vorläufigen Betreuers keine weiteren gerichtlichen Handlungen nach Wegfall der Gefahr im Verzug.

(3) Das Beschwerdegericht wäre auch nach § 1897 Abs. 4 BGB nicht gehalten gewesen, zwingend die weitere Beteiligte als vorläufige Betreuerin zu bestellen.

Zweck der Regelung des § 1897 Abs. 4 BGB ist die Sicherstellung nicht nur des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen, sondern auch der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betroffenem und Betreuer (BayObLG BtPrax 2003, 270; Palandt/ Diederichsen BGB 63.Aufl. § 1897 Rn. 16). Beruht die Betreuerauswahl auf dem Wunsch und dem Willen des Betroffenen, sind diese beiden Ziele gewährleistet. Dies kann aber nur dann gelten, wenn der Vorschlag des Betroffenen ernsthaft ist, was voraussetzt, dass der Wunsch nach einem bestimmten Betreuer auf einer eigenständigen Willensbildung des Betroffenen beruht sowie dauerhaft und unabhängig vom Einfluss Dritter zustande gekommen ist. Ist der Wunsch nur solange vorhanden, wie ein Dritter Einfluss auf den Betroffenen ausüben kann, entspricht seine Berücksichtigung weder dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen noch führt sie zu einer Vertrauensbasis zwischen Betroffenem und Betreuer (BayObLG aaO).

Von einer auf Dauer angelegten Willensbildung der Betroffenen, dass die weitere Beteiligte für sie als Betreuerin bestellt werden soll, ist nach der Aktenlage nicht auszugehen. Zwar liegt in der Akte die Kopie eines Schreibens der Betroffenen vom 22.8.2003 vor, in dem sie ihrer Tochter die "gesetzliche Vertretung" und die Betreuung ihrer Person übertragen hat. Diese Willensäußerung findet sich aber in der Folgezeit sachlich so nicht wieder. So berichtete ein Mitarbeiter der zuständigen Behörde am 11.9.2003 dem Vormundschaftsgericht, dass die Betroffene mit der bestellten vorläufigen Betreuerin einverstanden sei. Des Weiteren kann dem Protokoll der Anhörung vom 18.9.2003 zwar entnommen werden, die Betroffene wünsche, dass sich ihre Tochter um sie kümmere, zur Betreuerauswahl bekundete sie aber nach längerem Überlegen, es sei wohl besser, bei der bestellten vorläufigen Betreuerin zu bleiben. Den Willensbekundungen der Betroffenen ist zu entnehmen, dass sie zur Person ihrer Betreuerin in der Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt und möglicherweise auch durch ihre jeweiligen Gesprächspartner beeinflussbar und beeinflusst ist. Nach alledem kann nicht davon gesprochen werden, dass die Betroffene bezüglich der Person ihrer Betreuerin eine dauerhafte und eindeutige Meinung hat, welcher die Gerichte aufgrund § 1897 Abs. 4 BGB zu entsprechen hätten.

4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzuweisen, weil das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 14 FGG, § 114 ZPO).



Ende der Entscheidung

Zurück