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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.12.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 260/03
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 70h Abs. 1
FGG § 27 Abs. 1
Erledigt sich bei sofortiger weiterer Beschwerde die einstweilige Anordnung einer vorläufigen Unterbringung durch Zeitablauf, ohne dass der Betroffene zuvor auf Grund der Anordnung untergebracht gewesen wäre, so ist ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der getroffenen Anordnung (Fortsetzungsfeststellungsantrag) mangels eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs nicht zulässig.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht verfügte mit Beschluss vom 30.10.2003 im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in einem Bezirksklinikum für längstens sechs Wochen. Die Entscheidung wurde für sofort wirksam erklärt. Der Beschluss wurde noch am gleichen Tage zur Bekanntmachung an die Geschäftsstelle übergeben. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen die getroffene Anordnung hat das Landgericht mit Beschluss vom 17.11.2003 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, die mit Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten vom 16.12.2003 für den Fall einer Erledigung der Hauptsache darauf beschränkt wurde, die Rechtswidrigkeit der vorläufigen Unterbringung und die Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit auszusprechen.

Der Betroffene hat sich dem Vollzug der Unterbringung bisher durch Flucht entzogen.

II.

Die statthafte sofortige weitere Beschwerde war im vorliegenden Falle wegen Erledigung der Hauptsache als unzulässig zu verwerfen. Auch in Form des zuletzt gestellten Antrages auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der getroffenen Maßnahmen konnte das Rechtsmittel keinen Erfolg haben.

1. Die angegriffene einstweilige Anordnung des Amtsgerichts hat sich durch Zeitablauf erledigt. Sie war entsprechend der gesetzlichen Regelung auf sechs Wochen befristet (vgl. § 70h Abs. 2 Satz 1 FGG). Die Frist läuft ab Wirksamwerden der Anordnung (vgl. Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9. Aufl. § 70h FGG Rn. 11). Im vorliegenden Falle ist die getroffene Anordnung zu dem Zeitpunkt wirksam geworden, an dem sie der Geschäftsstelle des Amtsgerichts zur Bekanntmachung übergeben worden ist (§ 70h Abs. 1 Satz 2, § 70g Abs. 3 Sätze 2 und 3 FGG); dies war der 30.10.2003. Somit ist die einstweilige Anordnung mit Ablauf des 11.12.2003 außer Kraft getreten. Dadurch hat sich im vorliegenden Fall die Hauptsache erledigt (vgl. Bassenge Einl. FGG Rn. 119).

2. Die Erledigung führt zum Ende des Verfahrens in der Hauptsache, ohne dass eine Entscheidung des Gerichts über den Verfahrensgegenstand ergeht. Ein nach Erledigung der Hauptsache eingelegtes Rechtsmittel ist deshalb grundsätzlich unzulässig; ein zuvor eingelegtes Rechtsmittel wird unzulässig und ist zu verwerfen, wenn der Beschwerdeführer es nicht auf die Kosten beschränkt (vgl. i.E. Keidel/Kahl FGG 15. Aufl. § 19 Rn. 85; Bassenge Einl. FGG Rn. 129).

a) Die Fortsetzung eines in der Hauptsache erledigten Verfahrens zum Zwecke der Feststellung der Rechtswidrigkeit ist im FGG nicht vorgesehen. Eine entsprechende Anwendung der Sonderregelungen zur Überprüfung von Verwaltungsakten kommt nicht in Betracht (vgl. Keidel/Kahl § 19 Rn. 86 m.w.N.).

Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings entschieden, dass Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsmittelgerichten gebiete, ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv zu machen. Deshalb sei das Rechtsschutzinteresse in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe auch dann zu bejahen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt zwar erledigt habe, eine Sachentscheidung nach dem typischen Verfahrensablauf aber in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu erlangen sei (vgl. BVerfG NJW 1998, 2432 ff.). Hierzu gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erledigte richterliche Durchsuchungsanordnungen, beendete richterlich bestätigte Ingewahrsamnahmen sowie im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit kurzer Frist angeordnete und genehmigte Freiheitsentziehungen, bei denen typischer Weise vor Beendigung der mit einem erheblichen Grundrechtseingriff verbundenen Maßnahme keine hinreichende Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung besteht wie z.B. im Falle vorläufiger gerichtlich angeordneter Unterbringungen psychisch auffälliger Personen nach § 70h FGG i.V.m. Landesrecht (vgl. Keidel/Kahl aaO). Zu den schwerwiegenden Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus in einem Einzelfall auch die gerichtliche Bestellung eines Betreuers zur Genehmigung eines körperlichen Eingriffs gezählt, da der Betreute in seiner Entscheidungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ganz oder teilweise in den vom Gericht bestimmten Angelegenheiten eingeschränkt werde und an seiner Stelle und für ihn ein Betreuer entscheide, der den Wünschen des Betreuten nur insoweit zu entsprechen habe, als dies dessen Wohl nicht entgegenstehe (vgl. BVerfG NJW 2002, 206 = FamRZ 2002, 312/313). In Fällen der Abschiebungshaft ist das Bundesverfassungsgericht vom Zeiterforderniss neuerdings abgerückt und hat die Gewährung von Rechtsschutz weder vom konkreten Ablauf des Verfahrens noch vom Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon abhängig gemacht, ob Rechtsschutz typischer Weise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden könne (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456). Begründet wurde dies mit dem besonders hohen Rang des Grundrechts auf Freiheit der Person und dem diskriminierenden Charakter der Inhaftierungsmaßnahme, welche ein Rehabilitierungsinteresse indizierten. Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht Ausnahmen von diesen Grundsätzen anerkannt. So darf beispielsweise der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses abgelehnt werden, wenn er erst lange nach der Beendigung des Grundrechtseingriffs gestellt wird (vgl. BVerfG NJW 2003, 1514 für den Fall einer Durchsuchungsanordnung), oder sich der Betroffene inzwischen freiwillig dem angeordneten Eingriff unterworfen hat (BVerfG NJW 1998, 2813).

Unter Beachtung dieser Rechtsprechung hat der Senat für die Fälle der Unterbringung die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit zugelassen (vgl. BayObLGZ 2002, 234 ff.; BayObLG BtPrax 2003, 184).

b) Die Anwendung dieser Grundsätze führt hier nicht zur Zulässigkeit eines Feststellungsantrages. Voraussetzung eines entsprechenden Erkenntnisses bleibt in jedem Falle, dass mit der angefochtenen Maßnahme ein tiefgreifender Grundrechtseingriff verbunden war. Hieran fehlt es im zu entscheidenden Fall. Der Betroffene ist auf Grund der vom Amtsgericht getroffenen Anordnungen zu keinem Zeitpunkt seiner Freiheit beraubt worden. Er hat sich dem Vollzug der Anordnung bis zuletzt zu entziehen vermocht. Auch war die getroffene Anordnung mit weiteren Rechtsfolgen nicht verbunden. Der Betroffene hat sich nur rein tatsächlich dazu veranlasst gesehen, seinen bisherigen Aufenthaltsort zu wechseln, um einer Unterbringung zu entgehen. Dies mag für ihn mit Mühen verbunden gewesen sein; ein direkter, tiefgreifender hoheitlicher Eingriff in seine Rechte, insbesondere auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), kann darin aber nicht gesehen werden, zumal es der Betroffene letztlich selbst in der Hand hatte, seinen Aufenthaltsort frei zu bestimmen. Es bleibt für den vorliegenden Fall daher bei dem Grundsatz, dass nach Erledigung der Hauptsache die in Form eines Fortsetzungsfeststellungsantrages aufrechterhaltene sofortige weitere Beschwerde als unzulässig zu verwerfen ist.



Ende der Entscheidung

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