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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 11.05.2005
Aktenzeichen: 3Z BR 260/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 3
Ein Überwachungsbetreuer darf nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist insbesondere gegeben, wenn der Betroffene den Bevollmächtigten aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht mehr selbst kontrollieren kann und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Bevollmächtigte die Vollmacht nicht zum Wohle des Betroffenen verwendet, sei es, weil er dem Umfang und der Schwierigkeit der vorzunehmenden Geschäfte nicht gewachsen ist oder weil er die Vollmacht für eigene Zwecke missbraucht (vgl. Beschluss des Senats vom 9.3.2005 - 3Z BR 271/04). Das gilt insbesondere, wenn der Bevollmächtigte bereits seit mehreren Jahren für den Betroffenen tätig ist, ohne dass sich Anhaltspunkte für Regelwidrigkeiten ergeben haben.
Gründe:

I.

Die Betroffene erteilte mit notarieller Urkunde vom 27.12.1994 ihren beiden Töchtern, den Beteiligten zu 1 und 2, jeweils einzeln eine General- und Betreuungsvollmacht. Mit Schreiben vom 27.11.2003 widerrief die Betroffene die General- und Betreuungsvollmacht bezüglich der Beteiligten zu 1. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 18.5.2004 wurde eine Rechtsanwältin als Kontrollbetreuerin mit dem Aufgabenkreis Geltendmachung von Rechten der Betroffenen gegenüber den bevollmächtigten Beteiligten zu 1 und 2 bestellt. Der Beschluss beruhte auf einem psychiatrischen Gutachten vom 24.1.2004 sowie einer ergänzenden Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Dr. C. vom 3.5.2004. Das Gutachten vom 24.1.2004 kam zu dem Ergebnis, dass bei der Betroffenen leichte kognitive Störungen bzw. eine beginnende Altersdemenz vorlägen. Es sei noch von einer Geschäftsfähigkeit der Betroffenen auszugehen, jedoch nicht von einer Testierfähigkeit. In der ergänzenden Stellungnahme der Fachärztin wurde ausgeführt, dass die Betroffene aufgrund ihrer kognitiven Defizite nicht in der Lage sei, die von ihr 1994 erteilte Vollmacht zu überwachen.

Auf die Beschwerde der Betroffenen hob das Landgericht - nach einer Anhörung der Betroffenen durch einen von der Kammer beauftragten Richter - mit Beschluss vom 12.11.2004 den Beschluss des Amtsgerichts vom 18.5.2004 auf.

Gegen den Beschluss des Landgerichts vom 12.11.2004 wendet sich die Beteiligte zu 1 mit ihrer weiteren Beschwerde, mit der sie die Wiederherstellung der vom Amtsgericht angeordneten Kontrollbetreuung erstrebt.

II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 FGG). Sein Gegenstand ist ausschließlich die Frage der Bestellung einer Kontrollbetreuerin und nicht die Frage, ob für die Betroffene auch für andere Aufgabenkreise ein Betreuer zu bestellen ist. Das Rechtsmittel hat in der Sache im Ergebnis keinen Erfolg.

2. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Die Voraussetzungen für die Bestellung einer Überwachungsbetreuerin lägen nicht vor. Mit der Sachverständigen gehe die Kammer davon aus, dass die Betroffene geschäftsfähig sei. Dies bedeute, dass sie jederzeit die notarielle Vollmacht widerrufen und die Betreuung beenden könne. Eine Kontrollbetreuung sei bei einem geschäftsfähigen Betroffenen kaum denkbar. Diese diene als Ausgleich dafür, dass der nach Erteilung der Vollmacht geschäftsunfähig gewordene Betroffene die Vollmacht nicht mehr selbst widerrufen könne. Die Betroffene sei mit einer Kontrollbetreuung nicht einverstanden. Eine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen setze tatbestandsmäßig voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen könne bezüglich dieses Aufgabenkreises. Dafür gebe das Verfahren aber nichts her. Die Aussage der Sachverständigen sei so pauschal, dass sie nicht übernommen werden könne. Die geschäftsfähige Betroffene wisse, dass ihre Tochter die Vollmacht ausübe. Wenn sie bisher keinen Anlass gesehen habe, die Bevollmächtigte zu kontrollieren, so sei dies ihre anzuerkennende Entscheidung. Dies indiziere für sich allein keinesfalls einen Betreuungsbedarf. Die angeordnete Kontrollbetreuung sei untauglich, da sie jederzeit durch die geschäftsfähige Betroffene beendet werden könne.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 546 ZPO). Sie erweist sich aber im Ergebnis aus anderen Gründen als zutreffend.

Die Feststellungen zur Frage, ob die Betroffene ihren Willen in dem der Kontrollbetreuung unterliegenden Bereich frei bilden kann, sind nicht verfahrensfehlerfrei getroffen worden.

a) Eine Überwachungsbetreuung setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage ist, den Bevollmächtigten selbst zu überwachen (§ 1896 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. BayObLG FamRZ 1999, 1302 f.).

b) Das Landgericht sieht diese Voraussetzungen nicht als gegeben an und bezieht sich dabei im Wesentlichen auf das fachärztliche Gutachten vom 24.1.2004 und dessen Ergänzung vom 3.5.2004.

Im Verfahren bzgl. einer Überwachungsbetreuung genügt gemäß § 68b Abs. 1 Satz 3 FGG zwar die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses. Wenn - wie hier - jedoch ein Gutachten eines Sachverständigen im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 1 FGG im Verfahren zugrunde gelegt wird, ist dieses vom Gericht zu würdigen.

Die Würdigung von Gutachten ist Sache der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung und vom Rechtsbeschwerdegericht nur dahin überprüfbar, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG) und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (§ 25 FGG), ob seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind (BayObLGZ 1993, 18/19 f. m.w.N).

Die Erholung eines weiteren Sachverständigengutachtens steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und kann dann erforderlich sein, wenn das vorliegende Gutachten an gravierenden Mängeln leidet, in unauflösbarem Widerspruch zu anderen gutachtlichen Äußerungen steht, Zweifel an der Sachkunde des Gutachters bestehen oder ein anderer Gutachter über überlegene Diagnosemittel und Fachkenntnisse verfügen würde (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 921; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 10. Aufl. § 15 FGG Rn. 33; Keidel/Schmidt FGG 15. Aufl. § 15 Rn. 46).

Das Landgericht stützt sich im Wesentlichen auf das fachärztliche Gutachten vom 24.1.2004 und dessen Ergänzung vom 3.5.2004, soweit dort ausgeführt wird, dass noch von einer Geschäftsfähigkeit der Betroffenen auszugehen sei. Nicht gefolgt wird dem Gutachten jedoch in Bezug auf die Frage, ob die Betroffene aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung ihren Willen frei bestimmen könne bezüglich des Aufgabenkreises des § 1896 Abs. 3 BGB. Insoweit sei die Aussage der Sachverständigen so pauschal, dass sie nicht übernommen werden könne. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem Gutachten erfolgt insoweit nicht. Ausgeführt wird nur, dass die geschäftsfähige Betroffene wisse, dass ihre Tochter die Vollmacht ausübe, und zwar zur Erhaltung des Vermögens der Betroffenen. Es wird nicht näher dargelegt, worauf diese Aussage beruht, sie dürfte sich jedoch wohl auf die Anhörung durch den beauftragten Richter am 22.10.2004 beziehen.

Die Ausführungen des Landgerichts lassen eine hinreichende Auseinandersetzung mit dem Gutachten vermissen. Die ergänzende Stellungnahme vom 3.5.2004 führt ausdrücklich aus, dass die Betroffene aufgrund ihrer kognitiven Defizite nicht in der Lage sei, die von ihr 1994 erteilte Vollmacht zu überwachen und erläutert dies näher. Andererseits enthalten das fachärztliche Gutachten vom 24.1.2004 und dessen Ergänzung vom 3.5.2004 keine hinreichenden Ausführungen zur Frage, ob die Betroffene ihren Willen in dem der Kontrollbetreuung unterliegenden Bereich frei bilden kann. Hierzu heißt es in der ergänzenden Stellungnahme nur, dass die Betroffene "nicht frei davon erscheine, sich Einflüssen gegenüber Dritten abzugrenzen". Nähere Erläuterungen hierzu fehlen. Es wird auch nicht hinreichend herausgearbeitet, warum die Betroffene zwar noch geschäftsfähig sein, aber ihre Vollmachten nicht mehr überwachen können soll.

Im Hinblick auf die genannten Mängel der vorliegenden Sachverständigengutachten wäre es geboten gewesen, eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen einzuholen, um die oben aufgezeigten Defizite zu beseitigen. Alternativ hätte das Landgericht auf Grund des Eindrucks der persönlichen Anhörung der Betroffenen von dem ärztlichen Gutachten abweichen können. Dann hätte die Betroffene aber nicht nur von einem beauftragten Mitglied, sondern vom ganzen Spruchkörper persönlich angehört werden müssen. Die Anhörung darf nicht von einem Mitglied der Kammer allein durchgeführt werden, wenn es auf den eigenen Eindruck des Gerichts von der Betroffenen ankommt (§ 69g Abs. 5 Satz 2 FGG; vgl. Senatsentscheidung vom 30.6.2004, 3Z BR 103/04).

4. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich im Ergebnis aus anderen Gründen als zutreffend.

Eine Vollmachtskontrollbetreuung darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ein konkretes Bedürfnis für die Überwachung besteht (vgl. Beschluss des Senats vom 9.3.2005 - 3Z BR 271/04; OLG Schleswig FGPrax 2004, 70). Hierfür genügt der konkrete, d.h. der durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerte Verdacht, dass mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird (Palandt/Diederichsen BGB 64. Aufl. § 1896 Rn. 21). Ein Überwachungsbedürfnis in diesem Sinn ist etwa gegeben, wenn gegen die Redlichkeit oder die Tauglichkeit des Bevollmächtigten Bedenken bestehen, z.B. wegen eines vorangegangenen Verhaltens des Bevollmächtigten (LG München I FamRZ 1998, 923). Das Bestehen solcher Bedenken ist aber nicht zwingende Voraussetzung (BayObLG FamRZ 1999, 1302/1303). Ein Überwachungsbedürfnis kann vielmehr auch zu bejahen sein, wenn nach den üblichen Maßstäben aus der Sicht eines vernünftigen Vollmachtgebers unter Berücksichtigung des in den Bevollmächtigten gesetzten Vertrauens eine ständige Kontrolle schon deshalb geboten ist, weil die zu besorgenden Geschäfte von besonderer Schwierigkeit und/oder besonderem Umfang sind (OLG Schleswig aaO; BayObLG FamRZ 1994, 1550; BayObLG FamRZ 1999, 1302/1303). Dabei wird auch die Nähebeziehung zwischen dem Betroffenen und dem Bevollmächtigten eine Rolle spielen. So geht das Gesetz etwa davon aus, das bei Betreuungen durch die Eltern, den Ehegatten oder einen Abkömmling ein geringeres Überwachungsbedürfnis besteht (vgl. § 1908i i.V.m. § 1857a BGB).

Nach dem bisherigen Akteninhalt besteht ein konkretes Bedürfnis für die Überwachung nicht. Vorsorgebevollmächtigt sind hier (bzw. waren ursprünglich) die beiden Töchter der Betroffenen, bei denen wegen des Rechtsgedankens des § 1908i i.V.m. § 1857a BGB generell ein geringeres Überwachungsbedürfnis besteht. Die Betroffene hat bei ihrer Anhörung auch ausdrücklich betont, dass die Beteiligte zu 2 für sie handeln solle. Die Vollmachten wurden bereits vor mehr als 10 Jahren in sehr weitgehendem Umfang erteilt, ohne dass es in der langen Zeit seither jedenfalls bezüglich der Beteiligten zu 2 zu Beanstandungen gekommen wäre. Die Vollmacht für die Beteiligte zu 1 wurde bereits widerrufen und diese hat gegenüber der Überwachungsbetreuerin und auch gegenüber dem Gericht mitgeteilt, dass sie keinerlei Geschäfte im Namen der Betroffenen tätigt.

Die Tatsache, dass auch Grundbesitz in überschaubarem Umfang vorhanden ist, reicht für ein Überwachungsbedürfnis allein nicht aus. Dass die Verwaltung des Vermögens der Betroffenen besondere Schwierigkeiten mit sich bringen würde, ist derzeit ebenso wenig erkennbar wie eine Überforderung der Bevollmächtigten. Konkrete Anhaltspunkte, dass die Beteiligte zu 2 die erteilte Vollmacht missbraucht hätte oder aus anderen Gründen Zweifel an ihrer Redlichkeit begründet wären, sind aus dem Akteninhalt nicht zu entnehmen und trotz des eindeutigen und ausführlichen richterlichen Hinweises vom 4.6.2004 auch nicht vorgebracht worden. Insbesondere sind offenbar Grundstücksverkäufe nur von der Betroffenen selbst getätigt worden und nicht durch die Beteiligte zu 2. Dass die Mitwirkung der Beteiligten zu 2 an Eigengeschäften der Betroffenen Zweifel an ihrer Redlichkeit begründen könnte, ist nicht dargelegt worden. Dass Flächen an die Gemeinde unter Wert verkauft worden sein sollen, kann etwa auch auf achtenswerten Motiven der Betroffenen beruhen (Beitrag zum Gemeindefestplatz als Gönnerin der Gemeinde).

Der Senat weist darauf hin, dass mit dieser Entscheidung für den jetzigen Zeitpunkt eine Überwachungsbetreuung abgelehnt worden ist. Sollten sich in Zukunft hinreichend konkrete Anhaltspunkte für ein Überwachungsbedürfnis ergeben, ist die Anordnung einer Überwachungs- bzw. Vollbetreuung jederzeit möglich.

5. Die Anordnung der Kostenerstattung beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 und Abs. 2 KostO. Hiernach ist der Geschäftswert regelmäßig auf 3.000 EUR, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000 EUR festzusetzen. "Nach Lage des Falles" bedeutet, dass das wirtschaftliche Gewicht des Geschäfts für die Beteiligten, die Vermögenslage der Beteiligten sowie die Mühewaltung des Gerichts daraufhin abzuwägen sind, ob und inwieweit eine Abweichung vom Regelwert angebracht erscheint (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 1128). Hier hat die gerichtliche Bearbeitung des Falles zwar keine außergewöhnliche Mühe erfordert, doch war in Anbetracht des vorhandenen Vermögens der Betroffenen die wirtschaftliche Auswirkung einer möglichen Überwachungsbetreuung als überdurchschnittlich anzusetzen. Der Senat hält daher einen Geschäftswert von 10.000 EUR für angemessen, aber auch ausreichend.

Ende der Entscheidung

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