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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 25.01.2005
Aktenzeichen: 3Z BR 264/04
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 70m Abs. 3
FGG § 69g Abs. 5 Satz 3
FGG § 70f Abs. 1 Nr. 3
Wenn die Unterbringung eines Betroffenen für die gesetzlich maximal zulässige Dauer von zwei Jahren genehmigt werden soll, hat das Beschwerdegericht grundsätzlich den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Erstgericht die Anhörung nicht verfahrensfehlerfrei durchgeführt hat. Will das Gericht hinsichtlich der Dauer der Unterbringung von der üblichen Regelfrist von einem Jahr abweichen, so hat es dies ausdrücklich zu begründen.
Gründe:

I.

Die Betroffene steht seit Jahren wegen ihrer hochgradigen Alkoholerkrankung unter Betreuung. Sie befand sich wegen dieser Erkrankung bereits vielfach in stationärer Behandlung in einem Nervenkrankenhaus, mehrfach war sie geschlossen untergebracht. Am 13.9.2004 genehmigte das Amtsgericht zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Unterbringung der Betroffenen bis längstens 21.10.2004 in einer geschlossenen Einrichtung. Gleichzeitig bestellte es der Betroffenen eine Verfahrenspflegerin. Die Unterbringung auf Dauer von zwei Jahren bis längstens 20.10.2006 genehmigte das Amtsgericht nach Anhörung der Betroffenen am 21.10.2004.

Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht am 29.10.2004 ohne nochmalige Anhörung der Betroffenen zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde, mit der sie vor allem rügt, dass sie im Beschwerdeverfahren nicht angehört worden sei.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, § 70m Abs. 1, § 70g Abs. 3 Satz 1, § 29 Abs. 2, § 22 Abs. 1 FGG. In der Sache führt sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, da die Entscheidung des Landgerichts an wesentlichen Verfahrensmängeln leidet und deshalb der rechtlichen Nachprüfung nicht standhält, §§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 546 ZPO. Das Landgericht hat weder die genehmigte Höchstdauer der Unterbringung ausreichend begründet noch die Betroffene im Beschwerdeverfahren, wie dies geboten gewesen wäre, angehört und sich einen persönlichen Eindruck von ihr verschafft.

1. Das Recht auf Freiheit der Person hat unter den grundrechtlich verbürgten Rechten einen besonders hohen Rang (BVerfG NJW 2002, 2456/2457). Jede Genehmigung einer Unterbringung greift in schwerwiegender Weise in das Freiheitsrecht ein. Wird eine Unterbringung genehmigt, hat deshalb das gerichtliche Verfahren in jeder Hinsicht diese besondere Intensität des Grundrechtseingriffs zu beachten. Wird entgegen der regelmäßigen Höchstfrist von einem Jahr (§ 70f Abs. 1 Nr. 3 FGG) eine Unterbringung von zwei Jahren gebilligt, ist deshalb diese Abweichung ausreichend zu begründen (BayObLG FamRZ 2002, 629). Daran fehlt es hier. Weder aus der angegriffenen Beschwerdeentscheidung noch aus der Entscheidung des Amtsgerichts noch aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich, warum für die Betroffene die Unterbringung für die gesetzlich maximal zulässige Höchstdauer erforderlich ist und nicht eine Unterbringung von zunächst einem Jahr ausreicht.

2. Im Übrigen war auch das Verfahren des Beschwerdegerichts nicht frei von Verfahrensfehlern. In Unterbringungsverfahren gelten für das Beschwerdeverfahren die Vorschriften über den ersten Rechtszug entsprechend (§ 70m Abs. 3 i.V.m. § 69g Abs. 5 Satz 1 FGG). Das Beschwerdegericht hat mehrere danach gebotene Verfahrenshandlungen nicht vorgenommen.

a) Es hat entgegen der zwingenden Vorschrift des § 70d Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 FGG der zuständigen Behörde keine Gelegenheit gegeben, sich zu dem Antrag des Betreuers auf Genehmigung der Unterbringung zu äußern (BayObLGZ 2001, 219/220). Dies wäre erforderlich gewesen, da bereits das Amtsgericht eine entsprechende Beteiligung versäumt hatte.

b) Es hätte zudem die Betroffene erneut persönlich anhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihr verschaffen müssen, § 70m Abs. 3, § 69g Abs. 5 Satz 1 und Satz 3, § 70c Satz 1 und Satz 2 FGG.

aa) Grundsätzlich hat auch das Beschwerdegericht den Betroffenen persönlich anzuhören, § 70m Abs. 3, § 69g Abs. 5 Satz 1, § 68 Abs. 1 Satz 1 FGG. Hiervon darf es, abgesehen von den hier nicht gegebenen Fällen des § 68 Abs. 2 FGG, nur absehen, wenn das Amtsgericht den Betroffenen persönlich angehört hat und von der erneuten persönlichen Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 69 g Abs. 5 Satz 3 FGG. In Unterbringungssachen ist nach h.M. und Rechtsprechung wegen der Schwere des freiheitsentziehenden Eingriffs die Wiederholung der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren in der Regel geboten (BayObLG FamRZ 2001, 1646; FamRZ 2003, 1854 [Ls.] = Senatsbeschluss vom 29.1.2003 Az. 3Z BR 15/03; OLG Hamm BtPrax 2001, 212; OLG Dresden Beschluss vom 25.10.1999 Az. 15 W 1620/99; Keidel/Kayser FGG 15. Aufl. § 70m Rn. 17; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 70m FGG Rn. 28; Dodegge/Roth Betreuungsrecht Unterbringung G Rn. 236), vor allem dann, wenn die Unterbringung wie hier für die gesetzlich zulässige Höchstdauer genehmigt werden soll. Dies gilt zumal dann, wenn die erstinstanzliche Anhörung erhebliche Verfahrensfehler aufweist, da dann nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung bei Beachtung der Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (vgl. BayObLGZ 1999, 12/13 und FamRZ 2001, 1646). Die Anhörung dient im Übrigen nicht nur der Gewährung des rechtlichen Gehörs, sondern soll das Gericht vor allem in die Lage versetzen, seine Kontrollfunktion gegenüber Gutachter und Zeugen wahrzunehmen (Dodegge/Roth aaO) und sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu verschaffen, der gerade bei Entscheidungen über die Genehmigung einer Unterbringung von Gewicht ist. Der Verschaffung eines persönlichen Eindruckes bedarf es unter anderem dann nicht, wenn das Beschwerdegericht diesen aufgrund des erstinstanzlich niedergelegten Eindrucks nachvollziehen kann und keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (Dodegge/Roth aaO mit weiteren Nachweisen). Im Unterbringungsverfahren ist bei der Entscheidung über eine Wiederholung der persönlichen Anhörung weiter zu bedenken, dass nach Beginn der Behandlung des Betroffenen im Rahmen der Unterbringung die Befindlichkeit des Betroffenen sich bereits zum Positiven gewendet haben kann.

bb) Nach diesen Grundsätzen hätte das Landgericht die Betroffene erneut persönlich anhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihr verschaffen müssen. Ein Ausnahmefall nach § 69g Abs. 5 Satz 3 FGG lag nicht vor, unter anderem auch deshalb, weil das Amtsgericht die Anhörung nicht verfahrensfehlerfrei durchgeführt hatte.

(1) Nach der Rechtsprechung des Senats beinhaltet der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör, dass ihm ein schriftliches Gutachten, das verwertet werden soll, in der Regel rechtzeitig vor der Anhörung in vollem Umfang zur Verfügung gestellt wird (BayObLGZ 2001, 219/220). Das gilt umso mehr, wenn der Betroffene aufgrund des Gutachtens für die gesetzliche Höchstfrist untergebracht werden soll. Das Amtsgericht hat demgegenüber das ausführliche Gutachten der Sachverständigen vom 13.10.2004 weder der Betroffenen mitgeteilt noch deren Verfahrensbevollmächtigten noch der Verfahrenspflegerin. Dabei ergibt sich aus den Akten zwar nicht, ob die Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen, die diese im Verfahren der vorläufigen Unterbringung vertraten, dies auch im Verfahren der endgültigen Unterbringung tun wollten. Ebenso ist ausweislich der Akten unklar, ob die am 10.9.2004 bestellte Verfahrenspflegerin die Interessen der Betroffenen auch im Verfahren der endgültigen Unterbringung wahrnehmen sollte. Das Amtsgericht hätte sich aber, da bei fehlender Vertretung die Bestellung eines Verfahrenspflegers jedenfalls für die beabsichtigte zweijährige Unterbringung geboten war (§ 70b Abs. 1 Satz 1 FGG), für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden und entweder der Verfahrenspflegerin oder den Bevollmächtigten das Gutachten zur Verfügung stellen müssen. Es hätte im Übrigen auch die Verfahrenspflegerin oder die Bevollmächtigten vom Termin der Anhörung benachrichtigen müssen (vgl. BayObLGZ 2001, 219). Keinesfalls war es angängig, in einem derartigen Fall ohne triftigen Grund die Anhörung der Betroffenen durchzuführen, ohne dass entweder ein Verfahrenspfleger oder ein Bevollmächtigter jedenfalls die Gelegenheit zur Teilnahme hatte.

(2) Die Verschaffung eines persönlichen Eindruckes wäre außerdem auch deshalb erforderlich gewesen, weil sich aus der Niederschrift des Amtsrichters über die von ihm durchgeführte Anhörung keine näheren Einzelheiten über den persönlichen Eindruck ergeben, den der Richter von der Betroffenen gewonnen hatte. In der Niederschrift sind lediglich vier Sätze der Betroffenen enthalten. Wenn auch die Anhörung durch den Amtsrichter sehr zeitnah erfolgt ist, durfte das Landgericht nicht allein aus diesem Grund von einer erneuten Anhörung absehen. Denn trotz der Kürze des Anhörungsprotokolls ergeben sich aus den dort vermerkten Sätzen erste Anhaltspunkte für eine möglicherweise doch in Ansätzen beginnende Therapieeinsicht der Betroffenen. Sie äußert nämlich am Ende der Anhörung die Bitte, sie nicht so lange auf Therapie zu schicken, lehnt also die Therapie nicht mehr gänzlich ab. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass sie erstmals derart langfristig und für die gesetzlich maximal zulässige Dauer untergebracht werden sollte, hätte das Landgericht dieser Äußerung nachgehen müssen, um die Notwendigkeit einer Abweichung von der üblichen Unterbringungsdauer von einem Jahr zu überprüfen. Aus diesem Grund durfte das Landgericht auch nicht davon ausgehen, dass eine erneute Anhörung keine neuen Erkenntnisse gebracht hätte. Dies konnte umso weniger unterstellt werden, als die Behandlung bis zum Stattfinden der Anhörung länger angedauert hätte und möglicherweise eine weitere schrittweise Besserung erzielt worden wäre. Im Übrigen würde auch die Kontrollfunktion des Beschwerdegerichts vollständig ins Leere laufen, wenn eine erneute Anhörung allein dadurch vermieden werden könnte, dass die Beschwerdeentscheidung innerhalb von wenigen Tagen nach Eingang der Beschwerde ergeht.

3. Auf den angeführten Mängeln beruht die Entscheidung auch. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kammer bei einer ordnungsgemäßen persönlichen Anhörung der Betroffenen und dem hierbei gewonnenen persönlichen Eindruck von der Betroffenen zu einer anderen Entscheidung bezüglich der Dauer der Unterbringung gekommen wäre. Der Senat stellt in diesem Zusammenhang allerdings ausdrücklich fest, dass nach der derzeitigen Aktenlage an der Notwendigkeit der Unterbringung als solcher keine vernünftigen Zweifel bestehen.

4. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 KostO. Hiernach ist der Geschäftswert regelmäßig auf 3.000 EUR, nach Lage des Falles auch niedriger oder höher festzusetzen. "Nach Lage des Falles" bedeutet, dass das wirtschaftliche Gewicht des Geschäfts für die Beteiligten, die Vermögenslage der Beteiligten sowie die Mühewaltung des Gerichts daraufhin abzuwägen sind, ob und inwieweit eine Abweichung vom Regelwert angebracht erscheint (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 1128). Hier bestand kein Anlass, von dem Regelwert abzuweichen.

Ende der Entscheidung

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