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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.09.2000
Aktenzeichen: 3Z BR 279/00
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1846
BGB § 1906
FGG § 70 h
Eine privatrechtliche vorläufige Unterbringung gemäß § 1846 BGB i.V.m. § 70h Abs. 3 FGG setzt voraus, daß wahrscheinlich ein Betreuer bestellt werden muß, der eine endgültigen Unterbringung veranlaßt, die vom Gericht genehmigt wird.
BayObLG Beschluß

LG München I - 13 T 8213/00; AG München 713 XVII 1878/00

3Z BR 279/00

27.09.00

Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Nitsche und Fuchs

am 27. September 2000

in der Betreuungssache

auf die weitere Beschwerde des Betroffenen

beschlossen:

Tenor:

I. Der Beschluß des Landgerichts München I vom 31. Juli 2000 wird insoweit aufgehoben, als das Landgericht festgestellt hat, dass der Beschluß des Amtsgerichts München vom 24. März 2000 rechtmäßig ist.

II. Es wird festgestellt, dass die Anordnung der vorläufigen Unterbringung gemäß 70h Abs. 3 FGG i.V.m _ 1846 BGB durch den Beschluß des Amtsgerichts München vom 24. März 2000 nicht rechtmäßig erfolgt ist.

III. Dem Betroffenen wird mit Wirkung vom 30. August 2000 Prozeßkostenhilfe für das Verfahren der weiteren Beschwerde bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt R. beigeordnet.

Gründe

I.

Der Betroffene wurde am 23.3.2000 von der Polizei in ein Bezirkskrankenhaus verbracht, nachdem er in stark alkoholisiertem Zustand gegenüber seiner Lebensgefährtin tätlich geworden war und das Mobiliar der Wohnung zerstört hatte. Die Landeshauptstadt beantragte die vorläufige Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz. Am 24.3.2000 ordnete das Amtsgericht gemäß § 70h Abs. 3 FGG i.V.m. § 1.846 BGB die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 20.4.2000 mit der Begründung an, dass der Betroffene an einem Entzugsdelir bei Alkoholabhängigkeit leide. Daneben wurden freiheitsentziehende Maßnahmen (Bauchgurt im Bett, Fixierung der Extremitäten) getroffen. Der Betroffene wurde am 6.4.2000 aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen. Mit Beschluß vom 13.4.2000 hob das Amtsgericht die Entscheidung vom 24.3.2000 auf und stellte das Unterbringungsverfahren ein. Auf die Beschwerde des Betroffenen stellte das Landgericht am 31.7.2000 fest, dass der Beschluß des Amtsgerichts München vom 24.3.2000 rechtmäßig war mit Ausnahme der Anordnung von Fixierungsmaßnahmen gemäß § 1906 Abs. 4 BGB, die als nicht rechtmäßig angesehen wurden. Gegen die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Unterbringung wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig. Sie wurde zwar erst nach Ablauf der vom Amtsgericht angeordneten Unterbringung, also nach Erledigung der Hauptsache (BayObLGZ 1989, 17/18), eingelegt. Der Betroffene ist jedoch berechtigt, mit dem Rechtsmittel nunmehr das Ziel zu verfolgen, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Freiheitsentziehung festzustellen. Mit diesem Ziel ist auch nach Ablauf der vom Vormundschaftsgericht angeordneten Unterbringung trotz der damit eingetretenen Erledigung der Hauptsache ein Rechtsmittel zulässig, wenn wie hier die Dauer der Unterbringung auf lediglich bis zu sechs Wochen bemessen war (BayObLGZ 1999, 24).

2. Entsprechend dem Begehren des Betroffenen ist festzustellen, dass die Anordnung der vorläufigen Unterbringung durch den Beschluß vom 24.3.2000 nicht rechtmäßig erfolgt ist. Das Amtsgericht hat auf der Grundlage des von ihm festgestellten und aus den Akten ersichtlichen Sachverhalts die Voraussetzungen, unter denen eine vorläufige Unterbringung angeordnet werden darf, nicht beachtet.

a) § 1906 BGB regelt die materiellen Voraussetzungen der freiheitsentziehenden privatrechtlichen Unterbringung (Palandt/Diederichsen BGB 59. Aufl. § 1906 Rn. 1). Nach dessen Absatz 1 kann der Betreuer den Betroffenen unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen unterbringen. Dazu bedarf es nach Absatz 2 der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Es handelt sich um ein Betreuungsverfahren.

b) Bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB gegeben sind und mit einem Aufschub Gefahr verbunden wäre, kann das Vormundschaftsgericht unter den in § 70h Abs. 1 Satz 2 FGG i.V.m. § 69f Abs. 1 FGG weiter aufgeführten Voraussetzungen durch einstweilige Anordnung die vorläufige Unterbringung des Betroffenen genehmigen (§ 70h Abs. 1 Satz 1 FGG). Ist ein Betreuer noch nicht bestellt oder ist er an der Erfüllung seiner Pflichten verhindert, kann das Vormundschaftsgericht selbst die Unterbringungsmaßnahme anordnen (§ 70h Abs. 3 FGG i.V.m. § 1846 BGB; BayObLGZ 1999, 270/272; OLG Schleswig NJW 1992, 2974).

c) Nach § 70h Abs. 3 FGG gelten die Absätze 1 und 2 des § 70h entsprechend. Damit sind für die Anordnung nach § 1846 BGB die gleichen Voraussetzungen und Verfahrensgarantien wie für einstweilige Anordnungen nach § 70h Abs. 1 und 2 FGG maßgebend. In § 70h Abs. 1 Satz 2 ist auf § 69f Abs. 1 FGG verwiesen. Dies bedeutet für eine Anordnung gemäß 5 70h Abs. 3 FGG i.V.m. § 1846 BGB: Es müssen dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass ein Betreuer bestellt wird, dass dieser die Genehmigung einer endgültigen Unterbringungsmaßnahme beantragen wird und dass das Gericht diese Maßnahmen genehmigen wird, weil die Voraussetzungen des § 1906 BGB wahrscheinlich vorliegen (allgemeine Meinung: Keidel/Kayser FGG 14. Aufl. § 70h Rn. 17; Bauer/Klie/Rink Betreuungs- und Unterbringungsrecht § 1846 Rn. 15; Zimmermann Bayerisches Unterbringungsgesetz Teil A Rn. 152; derselbe in FamRZ 1990, 1314/1315; Saage/ Göppinger Freiheitsentziehung und Unterbringung 3. Aufl. § 70h FGG Rn. 4, 14). Es müssen konkrete tatsächliche Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen dieser Voraussetzungen sprechen (vgl. BayObLGZ 1999, 270/272). Daneben ist unverzüglich ein Betreuer zu bestellen. Die Anwendung des § 1846 BGB darf nicht dazu führen, die an sich gebotene Bestellung eines Betreuers zu umgehen (BayObLGZ 1990, 46/50).

d) Diese Voraussetzungen lagen hier im Zeitpunkt der Unterbringung nicht vor.

aa) Die Vorinstanzen haben keine Feststellungen dahin getroffen, dass konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen der sachlichen Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB hindeuteten. Dieser Mangel führt jedoch nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, da der Senat die erforderlichen Feststellungen, ohne dass es weiterer Ermittlungen bedarf, aus den Akten treffen und in der Sache selbst entscheiden kann (BayObLGZ 1997, 142/145).

bb) Nach Aktenlage haben die Voraussetzungen für eine betreuungsrechtliche Unterbringung nicht vorgelegen. Der Betroffene hatte sich bereits ca. zehnmal einer Alkoholentziehung im Bezirkskrankenhaus unterzogen, ohne dass ein Betreuer bestellt worden wäre. Nach Sachlage waren die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung auch diesmal nicht gegeben. Arzt und Gericht sind nicht davon ausgegangen, dass ein Betreuungsverfahren mit dem Ziel der Bestellung eines Betreuers geboten war. Die behandelnde Ärztin hielt nur eine Entziehungszeit von 14 Tagen für erforderlich. Der Richter hat sich im Rahmen der Anhörung des Betroffenen ebenfalls dahin geäußert. Über die vorläufige Regelung hinaus wurde ein Betreuungsverfahren auch nicht betrieben. Tatsächlich wurde der Betroffene bereits am 6.4.2000 entlassen. Bestand aber kein Anlaß für die Bestellung eines Betreuers, dann durfte das Amtsgericht eine zivilrechtliche Unterbringung nicht als vorläufige Betreuungsmaßnahme gemäß § 1846 BGB und 70h Abs. 3 FGG anordnen. Die vorläufige privatrechtliche Unterbringung war nicht zulässig. Das Vormundschaftsgericht hätte - wie von der Landeshauptstadt beantragt - eine Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz prüfen und gegebenenfalls anordnen müssen.

3. Dem Betroffenen ist gemäß § 14 FGG, §§ 114, 119, 121 ZPO Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.

Ende der Entscheidung

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