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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.02.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 28/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 1
BGB § 1897 Abs. 6
Es ist nicht grundsätzlich untersagt, einen behandelnden Nervenarztes zum Betreuer zu bestellen.
Gründe:

I.

Für den an Morbus Parkinson leidenden Betroffenen ist seit 16.9.2002 der ihn behandelnde Arzt zum Betreuer bestellt für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung für nervenärztliche Behandlung, Gesundheitsfürsorge für nervenärztliche Behandlung während stationärer Aufenthalte sowie Anträge und Entscheidungen über freiheitsentziehende Maßnahmen.

Die hiergegen durch den Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht am 7.1.2003 zurückgewiesen.

Mit der weiteren Beschwerde verfolgt der Betroffene sein Ziel weiter, eine Aufhebung der Betreuerbestellung zu erreichen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 21, 27 FGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Die Bestellung eines Betreuers sei zu Recht erfolgt, da der Betroffene seit 14 Jahren an Morbus Parkinson vom Tremor-Dominanztyp mit zunehmenden deliranten und paranoid-halluzinatorischen Symptomen leide. Wegen der eigenmächtig durch den Betroffenen vorgenommenen Erhöhung der Medikation leide dieser an wiederholten L-Dopa-induzierten Verwirrtheitszuständen und damit an einer psychischen Erkrankung. Aufgrund des weit fortgeschrittenen Parkinson-Syndroms und der im Längsschnitt an Häufigkeit und Dauer zugenommenen Verwirrtheitszuständen sei der Betroffene krankheitsbedingt nicht mehr dazu in der Lage, freien Willens über seinen Aufenthalt und seine Behandlung zu bestimmen. Die Kammer folge insoweit den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen. Die Betreuung sei auch erforderlich. Allein die Möglichkeit, den ihn behandelnden Nervenarzt aufzusuchen, stelle für den Betroffenen keinen ausreichenden Schutz dar, da der Betroffene die Medikamente nicht regelmäßig in der richtigen Dosierung einnehme. Eine Verschreibung anderer Medikamente ändere an den Nebenwirkungen in der Form von Verwirrtheitszuständen bei Überdosierung nichts, wie die Sachverständige dargestellt habe. Gegen die Auswahl des Betreuers bestünden gleichfalls keine Bedenken; ein Verstoß gegen ärztliches Standesrecht lasse die Rechtmäßigkeit der gerichtlichen Anordnung unberührt, weil es sich lediglich um internes Recht einer Standesorganisation handele.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 2 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers gegen seinen Willen setzt voraus, dass der Betroffene auf Grund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht mehr frei bestimmen kann (vgl. BayObLGZ 1995, 146/148; FamRZ 1998, 454/455; FamRZ 2000, 189; Palandt/Diederichsen BGB 62. Aufl. vor § 1896 Rn. 11). Nach § 1896 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dies bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 454/455).

Zum Betreuer des Betroffenen bestellt das Vormundschaftsgericht eine natürliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich geregelten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen (§ 1897 Abs. 1 BGB). Einem Vorschlag des Betroffenen ist bei der Auswahl des Betreuers in der Regel zu entsprechen, wenn dies dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB).

b) Das Landgericht hat verfahrensfehlerfrei und damit für den Senat bindend (§ 27 Abs. 1 FGG, § 559 Abs. 2 ZPO) festgestellt, dass der Betroffene an einer psychischen Erkrankung leidet, insoweit seinen Willen nicht mehr frei bestimmen kann und deshalb nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten in den hier in Rede stehenden Aufgabenkreisen selbst zu besorgen.

aa) Die Feststellungen des Landgerichts beruhen auf der gutachtlichen Äußerung psychiatrischer Sachverständiger. Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Würdigung eines solchen Gutachtens durch den Tatrichter nur auf Rechtsfehler überprüfen, also darauf, ob der Tatrichter bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, ob seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen gesetzliche Beweisregeln oder Denkgesetze verstößt. Derartige Fehler lässt die landgerichtliche Entscheidung nicht erkennen. vielmehr setzt sich das Landgericht in gründlicher und nachvollziehbarer Weise mit dem Gutachten auseinander. Insbesondere weist es zutreffend darauf hin, dass die Sachverständige ihr Gutachten erst nach einer umfassenden Untersuchung des Betroffenen erstellt hat. Entgegen dem Vorbringen des Betroffenen in seiner weiteren Beschwerde ist nicht die Parkinson-Krankheit als psychische Störung des Betroffenen angesehen worden, sondern sein Zustand nach der langandauernden Medikamentation und den dadurch verursachten an Dauer und Häufigkeit zunehmenden Verwirrtheitszuständen einschließlich der deliranten und halluzinatorischen Symptome.

bb) Auf Grund dieser festgestellten psychischen Störung ist der Betroffene nicht dazu in der Lage, seinen Willen bezüglich der erforderlichen Behandlung dieser Symptome und des Aufenthalts zur Behandlung frei zu bestimmen. Diese Feststellungen beruhen nicht nur auf dem Sachverständigengutachten der Stationsärztin, sondern auch auf weiteren durch das Landgericht festgestellten Tatsachen. Der Betroffene, der wiederholt eigenmächtig die Dosis der ihm verschriebenen Medikamente erhöht hatte, musste in dadurch verursachten und mit starken Halluzinationen verbundenen Verwirrtheitszuständen im vorangegangenen Jahr fünfmal durch einen Notarzt in ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie eingewiesen werden. Es liegt auf der Hand, dass er in diesem Zustand zu einer freien Willensbestimmung nicht in der Lage ist.

cc) Die Betreuung ist in den aufgeführten Aufgabenkreisen auch erforderlich. Zwar ist dem Betroffenen ein "Recht auf Krankheit" (vgl. hierzu BVerfGE 58, 208; NJW 1998, 1774 für Unterbringungsfälle) zuzubilligen; eine zwangsweise Zuführung zur nervenärztlichen Behandlung darf nur dann erfolgen, wenn dies zum Wohl des Betroffenen unumgänglich notwendig ist (vgl. Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. § 1896 Rn. 16). Jedoch ist dieses "Recht" bereits dadurch eingeschränkt, dass der Betroffene sich während der Verwirrtheitszustände mit den dann auftretenden deliranten und halluzinatorischen Symptome nicht mehr frei entscheiden kann. Aus dem gesamten Verhalten und Vorbringen des Betroffenen ergibt sich auch nicht, dass er diese Zustände unbehandelt lassen will. Entgegen dem fachärztlichen Gutachten scheint er nur davon auszugehen, dass er auch im verwirrten Zustand noch zu einer freien Willensbestimmung in der Lage ist. Soweit er auf die fehlende Betreuerbestellung bei anderen Parkinson-Kranken verweist, liegen diese Ausführungen neben der Sache. Die Betreuerbestellung betrifft nicht die Behandlung von Morbus Parkinson, sondern die nervenärztliche Behandlung, die sich auf Grund der eigenmächtigen Medikamentation des Betroffenen als erforderlich erweisen kann.

Der Betreuerbestellung steht nicht entgegen, dass der Betroffene zur Zeit nicht an Verwirrtheitszuständen zu leiden scheint. Eine Betreuung kann in solchen Fällen dann angeordnet werden, wenn die Notwendigkeit künftiger nervenärztlicher Behandlung konkret abzusehen ist und im Fall eines akuten Verwirrtheitszustandes sofort durch einen Betreuer gehandelt werden muss (vgl. BayObLG BtPrax 1,993, 171; BayObLGZ 1994, 209/213; BayObLG FamRZ 1995, 117 für den Bereich der Vermögenssorge; OLG Köln FamRZ 2000, 908/909; Palandt/Diederichsen BGB 62. Aufl. § 1896 Rn. 10). Einer künftigen Bedarfslage ist vorausschauend Rechnung zu tragen (vgl. MünchKomm/Wagenitz BGB 4. Aufl. § 1896 Rn. 42). Die Betreuung ist insbesondere auch dann erforderlich, wenn die Annahme begründet ist, dass von der Entscheidungsverantwortlichkeit des bestellten Betreuers in einem überschaubaren Zeitraum Gebrauch gemacht werden muss (vgl. Staudinger/Bienwald BGB Bearb. Febr. 1999 § 1896 Rn. 55). Dies ist hier zu Recht durch das Landgericht bejaht worden. Der Betroffene leidet seit vielen Jahren an Morbus Parkinson mit wiederholt auftretenden Schüben, in denen er die Medikamente erhöht hat. Eine Besserung oder Änderung des Krankheitsverlaufs ist in Anbetracht der langen Krankheitsdauer nicht zu erwarten, so dass immer wieder, auch in kürzeren Abständen, mit einem Schub, vermehrter Medikamenteneinnahme und Verwirrtheitszuständen gerechnet werden muss und ein Bedarf für ein Betreuerhandeln jederzeit auftreten kann.

Zudem enthalten die angeordneten Aufgabenkreise den geringst möglichen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen, weil sie nur der Fürsorge bei notwendig werdender nervenärztlicher Behandlung (vgl. hierzu BayObLG BtPrax 1995, 64/65; 218/219; OLG Köln FamRZ 2000, 908/909) dienen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gewahrt; weniger einschneidende Maßnahmen sind nicht ersichtlich. Die gebotene Abwägung zwischen dem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen und den ihm bei einer fehlenden Betreuung drohenden Gesundheitsgefahren (vgl. Jürgens § 1896 Rn. 16) steht der Betreuerbestellung ebenfalls nicht entgegen, da dem Betroffenen bei fehlender Betreuung erhebliche gesundheitliche Schäden durch die Nichtbehandlung seiner Verwirrtheitszustände drohen. Allerdings wird die Aufhebung der Betreuung zu prüfen sein, wenn über einen längeren Zeitraum kein Anlass für ein Betreuerhandeln bestanden hat. Die insoweit angeordnete Überprüfungsfrist von zwei Jahren erscheint noch vertretbar.

3. Die Bestellung des behandelnden Arztes zum Betreuer ist im konkreten Fall nicht zu beanstanden. Der Betroffene selbst hat keinen Vorschlag gemäß § 1897 Abs. 4 BGB unterbreitet. Seine Angehörigen sind zur Übernahme der Betreuung nicht bereit. Ein Ausschluss des behandelnden Arztes vom Betreueramt ergibt sich weder aus § 1897 Abs. 3 BGB noch aus der fehlenden Eignung des Arztes (§ 1897 Abs. 1 BGB), die aus einem Verstoß gegen die ärztlichen Standesrichtlinien folgen könnte. Weder die Berufsordnung für die Ärzte Bayerns noch die Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte enthalten eine entsprechende Bestimmung. Eine mögliche Interessenkollision zwischen der Stellung als Arzt und der Stellung als Betreuer, der für den Betroffenen auch die ärztliche Behandlung überprüfen soll, ist im konkreten Fall nicht ersichtlich. Dem Betreuer sind nur Aufgabenkreise übertragen, die eine Notfallbehandlung des Betroffenen in einer Klinik - und gerade nicht beim Betreuer - ermöglichen sollen.

Ende der Entscheidung

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