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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.10.1999
Aktenzeichen: 3Z BR 282/99
Rechtsgebiete: BVormV


Vorschriften:

BVormV § 1 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BayObLG

Beschluß

27.10.1999

3Z BR 282/99 LG Bayreuth 15 T 71/99 AG Bayreuth XVII 295/97

Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Karmasin sowie der Richter Dr. Plößl und Dr. Schreieder am 27. Oktober 1999 in der Betreuungssache auf die sofortige weitere Beschwerde des ehemaligen Betreuers beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Bayreuth vom 27. Juli 1999 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Für die inzwischen verstorbene Betroffene war ein Betreuer bestellt mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Einwilligung in die ärztliche Behandlung, Vermögenssorge, Wahrnehmung von Rechten gegenüber Bevollmächtigten sowie Entgegennahme und Öffnen von Postsendungen. Der ehemalige Betreuer ist Diplom-Geograph, führte die Betreuung gemäß Feststellung des Amtsgerichts berufsmäßig und ist der Ansicht, daß ihm für seine im Jahr 1999 verrichtete Tätigkeit ein Stundensatz von netto 60 DM zustehe, da er über besondere, für die Führung der Betreuung nutzbar gewesene und durch seine Hochschulausbildung erworbene Kenntnisse verfüge.

Während das Amtsgericht dieser Ansicht bei der Festsetzung der dem ehemaligen Betreuer aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung folgte, hat das Landgericht den Stundensatz auf die sofortige Beschwerde der Staatskasse mit Beschluß vom 27. 7. 1999 auf 56,25 DM einschließlich Mehrwertsteuer reduziert.

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des ehemaligen Betreuers.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 29 Abs. 2 i. V. m. § 69e Satz 1, § 56g Abs. 5 Satz 1 FGG) und vom Landgericht zugelassen (§ 56g Abs. 5 Satz 2 FGG), bleibt jedoch ohne Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Gemäß der dreistufigen Skala der Stundensätze, die einem Berufsbetreuer zustehen, der wegen Mittellosigkeit des Betreuten aus der Staatskasse zu vergüten ist, könne der ehemalige Betreuer seit dem 1. 1. 1999 lediglich einen Stundensatz von 35 DM zuzüglich Mehrwertsteuer verlangen. Er habe zwar ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorzuweisen. Mit. Bescheid vom 8. 2. 1990 habe das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst den von ihm an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erworbenen Befähigungsnachweis, nämlich das Zeugnis über die Hauptprüfung in der Fachrichtung Geographie und das Diplom über die Verleihung des akademischen Grades Diplom-Geograph, als gleichwertig mit einer Diplomprüfung in Geographie, abgelegt an einer wissenschaftlichen Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland, anerkannt. Der ehemalige Betreuer habe durch dieses Studium jedoch keine besonderen, für die Führung der Betreuung nutzbaren Kenntnisse erworben, da es bis auf das in der ehemaligen DDR obligate Prüfungsfach "Marxismus-Leninismus" ausschließlich naturwissenschaftliche Fächer und speziell Fächer der Geographie umfaßt habe. Aufgrund der gesetzlichen Übergangsregelung könne dem ehemaligen Betreuer für die abgerechnete Zeit aber der Stundensatz von 56,25 DM einschließlich Mehrwertsteuer zugebilligt werden.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO).

a) Hat das Vormundschaftsgericht festgestellt, daß der Betreuer die Betreuung berufsmäßig führt, hat es ihm für seine Tätigkeit eine Vergütung zu bewilligen (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 BGB).

Ist der Betreute mittellos, kann der Berufsbetreuer Vergütung aus der Staatskasse verlangen (§ 1836a BGB), und zwar für jede Stunde der für die Führung der Betreuung aufgewandten und erforderlichen Zeit den seiner Qualifikation entsprechenden, vom Gesetzgeber in einer typisierten dreistufigen Skala verbindlich festgelegten Betrag (§ 1836a BGB; § 1 Abs. 1 BVormVG; vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 27), gegebenenfalls zuzüglich Mehrwertsteuer (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BVormVG). Der Mindeststundensatz beläuft sich auf 35 DM (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BVormVG). Die erhöhten Stundensätze von 45 bzw. 60 DM setzen voraus, daß der Berufsbetreuer über "Fachkenntnisse" bzw. "besondere Kenntnisse" verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind und die durch eine abgeschlossene Lehre bzw. eine abgeschlossene Hochschulausbildung oder durch eine diesen Ausbildungen vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben wurden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG). Sind die entsprechend erworbenen Fachkenntnisse für die Führung von Betreuungen allgemein nutzbar, wird grundsätzlich vermutet, daß sie auch für das konkrete Betreuungsverfahren nutzbar sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BVormVG).

(1) "Fachkenntnisse" bzw. "besondere Kenntnisse" (zwischen diesen beiden Begriffen besteht kein sachlicher Unterschied - vgl. Knittel BtG § 1836a BGB Rn. 1; Wagenitz/Engers FamRZ 1998, 1273/1275) sind Kenntnisse, die - bezogen auf ein bestimmtes Fachgebiet - über ein Grundwissen deutlich hinausgehen, wobei das Grundwissen je nach Bildungsstand bzw. Ausbildung mehr oder weniger umfangreich sein kann (vgl. - allerdings noch allgemeiner - BT-Drucks. 13/7158 S. 14; BayObLGZ 1999, 275; Palandt/Diederichsen BGB 58. Aufl. § 1836 Rn. 9).

(2) Für die Führung einer Betreuung "nutzbar" sind Fachkenntnisse, wenn sie ihrer Art nach betreuungsrelevant sind und den Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Wohle des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine erhöhte Leistung zu erbringen.

Notwendig ist insoweit nicht, daß die Kenntnisse das gesamte Anforderungsprofil der Betreuung abdecken. Vielmehr reichen Kenntnisse zur Bewältigung eines bestimmten Aufgabenkreises aus (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 14, 15; Bienwald Betreuungsrecht 3. Aufl. Vorbem. v. §§ 65 ff. FGG Rn. 162; Knittel § 1836 BGB Rn. 13; Palandt/Diederichsen § 1836 Rn. 9). Angesichts des Wesens der Betreuung als rechtlicher Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) kommt rechtlichen Kenntnissen eine grundlegende Bedeutung zu, insbesondere Kenntnissen im Gesundheits-, Zivil-, Sozialleistungs- und Versorgungs-, Verwaltungs- und Steuerrecht einschließlich des jeweiligen Verfahrensrechts. Betreuungsrelevant sind im allgemeinen ferner Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft (vgl. Fesel BtPrax 1999, 186/187; Gregersen/Deinert Die Vergütung des Betreuers Anm. 6.6.7, 6.6.7.1, 6.6.7.3; Knittel § 1836 BGB Rn. 13; Schmidt in Betreuungsrecht in der Praxis 3. Aufl. Rn. 524; Wagenitz/Engers FamRZ 1998, 1273/1275).

(3) Durch welche Ausbildungen für eine Betreuung nutzbare Fachkenntnisse erworben werden, hat der Gesetzgeber offen gelassen (vgl. Gregersen/Deinert Anm. 6.6.7). Erforderlich ist insoweit, daß die Ausbildung in ihrem Kernbereich auf deren Vermittlung ausgerichtet ist, wie etwa bei den Studiengängen Rechtswissenschaften/Rechtspflege, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie oder Betriebswirtschaft (vgl. Gregersen/Deinert Anm. 6.6.8; Schmidt Rn. 524). Dem Sinn und Zweck der mit § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG getroffenen Vergütungsregelung entspricht ersichtlich nicht, einen erhöhten Stundensatz schon deshalb zu gewähren, weil die Ausbildung wegen der Komplexität der betreffenden Fachrichtung daneben auch die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hatte.

b) Ob ein Berufsbetreuer die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG erfüllt, obliegt der Beurteilung des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht kann dessen Würdigung nur auf Rechtsfehler überprüfen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG), d.h. darauf, ob der Tatrichter einen der unbestimmten Rechtsbegriffe verkannt hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen, der Bewertung maßgeblicher Umstände unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt, gegen die Denkgesetze verstoßen oder Erfahrungssätze nicht beachtet hat (vgl. Jansen FGG 2. Aufl. § 27 Rn. 27).

c) Das Landgericht setzt sich zwar nicht damit auseinander, inwieweit die in dem Zeugnis des ehemaligen Betreuers über die Hauptprüfung in der Fachrichtung Geographie unter II/6 als "nachgewiesene Leistung" aufgeführte und unter III als Gegenstand von Spezialkenntnissen genannte "Territoriale Planung" besondere betreuungsspezifische Kenntnisse vermittelte. Dies führt jedoch nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, da der Senat die erforderlichen Feststellungen, ohne daß es weiterer Ermittlungen bedarf, auf der Grundlage des gesamten Akteninhalts (vgl. BGHZ 35, 135/142 f.; BayObLG FamRZ 1996, 1370/1371) treffen kann und den Sachverhalt eigenständig würdigen darf (vgl. BayObLG NJW-RR 1989, 1092/1093). Danach hat das Landgericht dem ehemaligen Betreuer den von ihm begehrten Stundensatz von 60 DM zu Recht versagt. Der Studiengang Diplom-Geographie mit dem Schwerpunkt Territorialplanung bzw. Raumplanung ist darauf ausgerichtet, Kenntnisse zu Fragen der Raumforschung, der Raumordnungspolitik und der Raumplanung zu vermitteln. Studieninhalt ist dabei naturgemäß auch die Vermittlung von Grundkenntnissen im Bereich der Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre, Soziologie und des öffentlichen Rechts (Planungsrecht). Der Senat beurteilt diese Kenntnisse jedoch nicht als für das Betreuungswesen "besondere" fachspezifische Kenntnisse.



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