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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.12.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 305/01
Rechtsgebiete: FGG, GG


Vorschriften:

FGG § 69g Abs. 1
FGG § 69g Abs. 5
GG Art. 103 Abs. 1
Einem beschwerdeberechtigten Angehörigen (§ 69g Abs. 1 FGG) ist auch im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör zu gewähren, wenn das Beschwerdegericht eine von ihm angestrengte Betreuungsanordnung wieder aufheben will.
Gründe:

I.

Gemäß einer Anregung der Schwester des Betroffenen ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 23.3.2001 die Betreuung des Betroffenen mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post an. Das Amtsgericht ordnete ferner einen Einwilligungsvorbehalt betreffend den Aufgabenkreis Vermögenssorge an. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legte der Betroffene Beschwerde ein. Das Landgericht hat hierauf den Beschluss des Amtsgerichts mit Beschluss vom 7.8.2001 aufgehoben. Hiergegen wendet sich die Schwester des Betroffenen mit ihren als sofortige weitere Beschwerde bezeichneten Rechtsmitteln.

II.

1. Die Rechtsmittel sind zulässig.

Die Beschwerdeführerin ist als Schwester des Betroffenen beschwerdebefugt. Beschwerdeberechtigt sind u.a. Verfahrensbeteiligte, die keine Erstbeschwerde eingelegt haben, wenn für sie durch die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Voraussetzungen des § 69g Abs. 1 FGG erfüllt sind (vgl. Bassenge/Herbst § 27 FGG Rn. 8 m. w. N.). So liegt es im vorliegenden Fall. Die Beschwerdeführerin war als Schwester des Betroffenen befugt, gegen eine Entscheidung, mit der die Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen sowie die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts abgelehnt wurde, Beschwerde einzulegen (§ 69g Abs. 1 FGG).

2. Die Rechtsmittel haben in der Sache keinen Erfolg.

a) Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet.

Die Beschwerde des Betroffenen sei begründet, weil die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung nicht vorgelegen hätten. Zwar liege bei dem Betroffenen laut Gutachten des Sachverständigen eine psychische Krankheit vor. Die freie Willensbildung des Betroffenen sei aber infolge dieser Erkrankung nicht ausgeschlossen; der Betroffene sei vielmehr sowohl nach den Angaben des von der Kammer gehörten Sachverständigen als auch nach dem Eindruck der Kammer selbst zu einer eigenen, tragfähigen Willensentscheidung fähig. Damit sei die Anordnung einer Betreuung gegen den Willen des Betroffenen nicht möglich.

b) Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) stand.

aa) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers gegen den Willen des Betroffenen setzt daneben voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 454/455; Palandt/Diederichsen BGB 60. Aufl. vor § 1896 Rn. 11).

bb) Im vorliegenden Fall hat das Landgericht nach Anhörung des Sachverständigen und des Betroffenen verfahrensfehlerfrei und damit für das Gericht der weiteren Beschwerde bindend (§ 27 Abs. 1 FGG, § 561 Abs. 2 ZPO) festgestellt, dass die freie Willensbildung beim Betroffenen trotz einer psychischen Erkrankung nicht ausgeschlossen ist. Das Landgericht hat sich dabei dezidiert auch damit auseinandergesetzt, dass der Betroffene nach strengen religiösen Glaubensvorstellungen lebt und für den Führer der Glaubensvereinigung, zu der er Kontakt unterhält, bzw. dessen Familie vermögenswerte Leistungen gegen freie Kost und Logis erbracht hat. Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht hiernach zu dem Schluss gekommen, dass die Voraussetzungen einer sogenannten Zwangsbetreuung im vorliegenden Falle nicht vorliegen.

Ein Verstoß gegen das Amtsermittlungsprinzip (§ 12 FGG) ist nicht ersichtlich. Der Tatrichter bestimmt den Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Er muss nicht allen nur denkbaren Ermittlungsansätzen nachgehen, sondern darf die Ermittlungen einstellen, wenn ihre Fortsetzung ein die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr erwarten lässt (vgl. Bassenge/Herbst aaO § 12 FGG Rn. 13). Hiernach durfte sich das Landgericht im vorliegenden Fall auf die getätigten Ermittlungen beschränken. Der Erholung eines weiteren Gutachtens zu Lehre und Praxis der Glaubensvereinigung, zu der der Betroffene Kontakt hält, sowie zu deren möglichen Auswirkungen auf psychisch erkrankte Mitglieder bedurfte es nicht, weil es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass der psychiatrische Sachverständige zur Beurteilung der im vorliegenden Falle verfahrensrelevanten Frage (Fähigkeit des Betroffenen zur freien Willensbildung) eines solchen "Vorgutachtens" bedurft hätte.

Die Beweiswürdigung, insbesondere auch die Würdigung der Äußerung des Sachverständigen, ist Sache des Tatrichters und vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüfbar, d.h. darauf, ob der Tatrichter bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, ob seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen gesetzliche Beweisregeln oder Denkgesetze bzw. feststehende Erfahrungssätze verstößt. Derartige Fehler lässt die Beschwerdeentscheidung nicht erkennen. Insbesondere kann das Protokoll der Anhörung vom 3.8.2001 nicht als Beleg dafür dienen, dass sich der Sachverständige entgegen der Darstellung im angefochtenen Beschluss ausschließlich zur Geschäftsfähigkeit des Betroffenen geäußert hat.

Das Landgericht hatte im übrigen auch keinen Anlass anzunehmen, dass beim Betroffenen in naher Zukunft absehbar Betreuungsbedarf entstehen könnte (vgl. dazu BayObLG FamRZ 1997, 902; Palandt/Diederichsen § 1896 Rn. 10). Das Landgericht ist insoweit offensichtlich den Feststellungen des Sachverständigen gefolgt, wonach der psychotische Befund des Betroffenen "insgesamt unauffällig" sei. Diagnostisch sei von einer "Remission", also einem Rückgang der attestierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis auszugehen. Im Vordergrund stünden derzeit lediglich noch leichte Defizite. Auch in diesem Punkt sind die Feststellungen des Landgerichts rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Beschwerdeführerin hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass das Landgericht verpflichtet gewesen wäre, ihr vor Aufhebung der Betreuungsanordnung des Vormundschaftsgerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Als Schwester des Betroffenen war die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Anregung, einen Betreuer zu bestellen, und ihres Beschwerderechts (§ 69g Abs. 1 FGG) bereits im Verfahren erster Instanz Beteiligte (vgl. Bassenge/Herbst Einl. FGG Rn. 24),. Sie war damit auch im Beschwerdeverfahren zur Wahrung des rechtlichen Gehörs zu beteiligen (vgl. Jansen FGG 2. Aufl. § 23 Rn. 7 ff.). Nach Aktenlage ist dies im vorliegenden Falle nicht geschehen. Hierauf kommt es indessen nicht an, da die landgerichtliche Entscheidung nicht auf diesem Verfahrensfehler beruht.

Die Beschwerdeführerin hat über ihren Verfahrensbevollmächtigten Akteneinsicht genommen, so dass sie in der Lage war, sich im Verfahren der weiteren Beschwerde zu allen Fakten zu äußern. Die Beschwerdeführerin hat hiervon auch Gebrauch gemacht, gleichwohl aber keine Umstände vorgetragen, die zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts, insbesondere zu weiteren Ermittlungen Anlass geben könnten. Es ist deshalb nicht ersichtlich, dass die Entscheidung des Landgerichts anders hätte ausfallen können, wenn die Beschwerdeführerin schon im Beschwerdeverfahren formell beteiligt worden wäre.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG, die Festsetzung des Geschäftswerts auf § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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