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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 23.11.2000
Aktenzeichen: 3Z BR 320/00
Rechtsgebiete: BGB, BSHG, BVormVG, FGG


Vorschriften:

BGB § 1836 Abs. 2
BGB § 1836c Nr. 2
BGB § 1908e Abs. 1 Satz 1
BSHG § 88
BVormVG § 1 Abs. 3
FGG § 56g Abs. 1
Seit dem 1.1.1999 liegt die Schongrenze des vom Betreuten für die Vergütung des Betreuers einzusetzenden Vermögens 4500 DM.
BayObLG Beschluss

LG Weiden i.d.OPf. 2 T 334/00; AG Tirschenreuth XVII 0070/96

3Z BR 320/00

23.11.00

BayObLGZ 2000 Nr. 71

Der 3.Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr.Plößl und Dr.Nitsche am 23.November 2000 in der Betreuungssache auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen

beschlossen

Tenor:

I. Der Beschluss des Landgerichts Weiden i.d.oPf. vom 19.April 2000 wird aufgehoben.

II. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Tirschenreuth vom 16. Februar 2000 aufgehoben, soweit er die Festsetzung des Ersatzes von Aufwendungen des weiteren Beteiligten zu 1) zum Inhalt hat. Insoweit werden die Anträge des weiteren Beteiligten zu 1) vom 7. und 11. Januar 2000 abgelehnt.

III. Im übrigen wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Weiden i.d.oPf. zurückverwiesen.

Gründe

I.

Für den Betroffenen ist seit 1996 eine Mitarbeiterin eines Betreuungsvereins zur Betreuerin bestellt. Als Aufgaben sind ihr die Sorge für die Gesundheit des Betroffenen, die Aufenthaltsbestimmung, die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen, die Regelung der Wohnungsangelegenheiten, die Vermögenssorge sowie die Vertretung bei Behörden und Ämtern, insbesondere die Regelung der Rentenangelegenheiten, übertragen.

Bis einschließlich 1998 wurde der Betreuungsverein für die Tätigkeit der Mitarbeiterin auf der Basis eines Stundensatzes von 65 DM vergütet. Mit Schreiben vom 7. und 11.1.2000 beantragte er, der Vergütung, die ihm für den vom 1.7. bis 31.12.1999 angefallenen Zeitaufwand von 1840 Minuten zustehe, einen Stundensatz von 75 DM zugrundezulegen. Ferner beantragte er die Festsetzung der in dem genannten Zeitraum zum Zwecke der Führung der Betreuung gemachten Aufwendungen in Höhe von 309,16 DM. Vergütung und Aufwendungsersatz seien von dem vermögenden Betroffenen zu leisten.

Mit Beschluss vom 16.2.2000 entsprach das Amtsgericht dem Antrag des Betreuungsvereins.

Die vom Betroffenen eingelegte sofortige Beschwerde ist gemäß Beschluss des Landgerichts vom 19.4.2000 ohne Erfolg geblieben.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige, insbesondere vom Landgericht zugelassene (§ 56g Abs. 5 Satz 2 FGG) Rechtsmittel führt zur Ablehnung der Anträge des Betreuungsvereins auf Festsetzung der vom Betroffenen zu ersetzenden Aufwendungen und im übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Keinen rechtlichen Bedenken begegnet die Beschwerdeentscheidung, soweit das Landgericht entgegen der Meinung des Betroffenen davon ausgeht, dass die dem Betreuungsverein zustehende Vergütung vom Betroffenen zu erbringen sei.

a) Ist ein Vereinsbetreuer bestellt, ist dem Verein für dessen Tätigkeit eine Vergütung zu bewilligen (§ 1908e Abs. 1 Satz 1 1.Halbsatz BGB). Schuldner der Vergütung ist grundsätzlich der Betreute. Ist er mittellos, kann der Verein die Vergütung aus der Staatskasse verlangen (§ 1908e Abs. 1 Satz 1 1.Halbsatz i.V.m. § 1836 Abs. 2, § 1836a BGB).

b) Ein Betreuter ist mittellos, wenn er die Vergütung des Betreuers oder Betreuungsvereins aus seinem Einkommen oder Vermögen nicht aufbringen kann (§ 1836d BGB). Welches Einkommen oder Vermögen der Betreute hierbei aufzuwenden hat, bestimmt sich nach § 1836c BGB. Danach hat der Betreute für die Vergütung des Betreuers Vermögen nach Maßgabe des § 88 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) einzusetzen (§ 1836c Nr.2 BGB).

c) Die Würdigung des Landgerichts, dass der Betroffene nicht mittellos sei, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach den Feststellungen der Kammer belief sich im Zeitpunkt ihrer Entscheidung (vgl. BayObLGZ 1995, 395/396; Gregersen/ Deinert Die Vergütung des Betreuers 2. Aufl. Rn. 8.2) das aus Guthaben auf einem Girokonto, einem Sparbuch und einem Bausparkonto bestehende Vermögen des Betroffenen unter Einbeziehung einer nach seinen Angaben inzwischen an den Betreuungsverein geleisteten Abschlagszahlung auf über 9000 DM. Damit lag das vom Betroffenen einzusetzende Vermögen deutlich über der im Bereich der Sozialhilfe für die "Hilfe in besonderen Lebenslagen" geltenden Schongrenze von 4500 DM (§ 88 Abs. 2 Nr.8, Abs. 4 BSHG, § 1 Abs. 1 Nr.1 b der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr.8 des Bundessozialhilfegesetzes). Diese Schongrenze ist im Grundsatz seit 1.1.1999 für die Feststellung der "Mittellosigkeit" maßgebend (§ 1836c Nr. 2 BGB; BT-Drucks.13/7158 S.17 und 29 ff.; vgl. LG Koblenz BtPrax 1999, 113/114; Bühler BWNotZ 1999, 25/36; Deinert ZfJ 1998, 232/235; Gregersen/Deinert Rn.8.1, 8.5.1; Hansen SchlHA 2000, 53/57; a.A. LG München I BtPrax 2000, 134). Das Gesetz stellt zwar nur hinsichtlich des einzusetzenden Einkommens ausdrücklich auf die für die Hilfe in besonderen Lebenslagen geltende Grenze ab (vgl. § 1836c Nr.1 BGB). Es gibt damit jedoch zu erkennen, dass es Betreute im Grundsatz den Personen gleichstellt, die auf die Hilfe in besonderen Lebenslagen angewiesen sind. Die geschuldete Vergütung kann hier aus dem diese Grenze übersteigenden Betrag in vollem Umfang beglichen werden (vgl. § 1836d Nr.1 BGB).

Eine "besondere Notlage" des Betroffenen, die zu einer höheren Schongrenze führen könnte (§ 88 Abs. 2 Nr.8 BSHG; § 2 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr.8 BSHG), hat die Kammer ohne Rechtsfehler verneint, ebenso eine aus dem Einsatz des Vermögens des Betroffenen für ihn resultierende "Härte" im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG. Auch die Fälle des § 67 und § 69a Abs. 3 BSHG, in denen sich die Schongrenze ausnahmsweise auf 8000 DM erhöht, liegen ersichtlich nicht vor.

2. Dagegen hält die Entscheidung des Landgerichts bezüglich des zugebilligten Stundensatzes von 75 DM rechtlicher Nachprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO). Der Senat kann mangels der hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen auch nicht selbst in der Sache entscheiden.

a) Ist für einen vermögenden Betreuten ein Vereinsbetreuer bestellt, sind die Stundensätze des § 1 Abs. 1 BVormVG für die dem Verein gemäß § 1908e Abs. 1 Satz 1, § 1836 Abs. 2 Satz 2 BGB zu bewilligende Vergütung zwar nicht verbindlich. Ihnen kommt jedoch Richtlinienfunktion zu. Sie stellen nicht nur bei einem mittellosen Betreuten, sondern im Regelfall auch bei einem vermögenden Betreuten ein angemessenes Entgelt für die vom Betreuer erbrachten Leistungen dar. Überschritten werden dürfen sie deshalb nur, wenn die Schwierigkeit der Betreuungsgeschäfte dies im Einzelfall ausnahmsweise gebietet (BGH Beschluss vom 31.8.2000 XII ZB 217/99). Die Zuerkennung eines höheren Stundensatzes setzt damit voraus, dass die Anforderungen der konkreten Betreuung, etwa wegen des geforderten außergewöhnlichen, durch den Zeitaufwand nicht abgegoltenen Engagements oder wegen anderer - gemessen an der Qualifikation des Vereinsbetreuers - besonderer Schwierigkeiten im Abrechnungszeitraum über den Regelfall einer Betreuung mit entsprechendem Aufgabenkreis deutlich hinausgegangen sind und die Vergütung des Betreuungsvereins mit dem der Qualifikation seines Mitarbeiters nach § 1 Abs. 1 BVormVG entsprechenden Stundensatz zu der vom Vereinsbetreuer erbrachten gesteigerten Leistung in einem klaren Mißverhältnis stünde.

Von welchem Stundensatz des § 1 Abs. 1 BVormVG (35 DM, 45 DM oder 60 DM) im vorliegenden Fall als Richtwert auszugehen ist, bedarf weiterer Ermittlungen, da das Landgericht zur Qualifikation der Vereinsbetreuerin Feststellungen nicht getroffen hat und sich hierzu auch aus dem Inhalt der Akten nichts ergibt.

b) Auch auf der Grundlage des § 1 Abs. 3 BVormVG ist dem Senat eine abschließende Entscheidung nicht möglich.

aa) Nach dieser Bestimmung kann das Gericht für den Zeitraum bis zum 30.6.2001 der Vergütung abweichend von den in § 1 Abs. 1 BVormVG nach der Qualifikation des Betreuers festgelegten Stundensätzen einen höheren Stundensatz zugrundelegen, wenn der Betreuer vor dem 1.1.1999 bereits über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren Betreuungen berufsmäßig geführt hat (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVormVG). Dabei soll es sich an der bisherigen Vergütung des Betreuers orientieren, darf bei der Bemessung des Stundensatzes jedoch nicht über 60 DM hinausgehen (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVormVG).

bb) Gemäß § 1908e Abs. 1 Satz 1, § 1836a BGB und nach ihrem Sinn und Zweck ist die Übergangsregelung des § 1 Abs. 3 BVormVG auch auf die Vergütung von Betreuungsvereinen für ihre als Betreuer tätigen Mitarbeiter anzuwenden (vgl. OLG Dresden FamRZ 2000, 552/553; Knittel BtG § 1836a BGB Rn. 7). Sie ist eine Härteregelung mit dem Ziel der Besitzstandswahrung für berufserfahrene Betreuer (vgl. OLG Dresden FamRZ 2000, 552/553; OLG Hamm FGPrax 1999, 223 und 2000, 20; LG Dresden FamRZ 2000, 1249; Wagenitz/Engers FamRZ 1998, 1273/1275). Sie will vermeiden, dass Berufsbetreuer, denen bisher höhere Stundensätze bewilligt wurden als ihnen nach der Neuregelung zustünden, Einkommenseinbußen erleiden, ohne dass sie Gelegenheit hatten, sich der veränderten Vergütungssituation anzupassen, d.h. durch eine in § 2 BVormVG vorgesehene Umschulung und Fortbildung eine zu einem höheren Stundensatz führende Qualifikation zu erreichen oder die Unkosten in einer weise zu reduzieren, dass ihnen ihre Tätigkeit auch bei geringerer Vergütung eine ausreichende Existenzgrundlage verschafft (vgl. OLG Braunschweig BtPrax 2000, 130; OLG Düsseldorf FGPrax 2000, 194; OLG Hamm FGPrax 1999, 223/224 und 2000, 20; Dodegge NJW 2000, 2704/2713). Im Hinblick darauf, dass die bisher erzielten Einnahmen auch bei Betreuungsvereinen einen wesentlichen Faktor ihrer wirtschaftlichen Kalkulation darstellen, gilt der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes auch für sie (vgl. LG Dresden FamRZ 2000, 1249).

cc) Die Übergangsregelung des § 1 Abs. 3 BVormVG gilt über § 1836a BGB unmittelbar zwar nur, wenn die Vergütung wegen Mittellosigkeit des Betreuten aus der Staatskasse zu leisten ist. Der dargelegte, mit § 1 Abs. 3 BVormVG verfolgte Zweck rechtfertigt es jedoch, die Vorschrift entsprechend anzuwenden, wenn der Betreute vermögend ist. Wegen der Richtlinienfunktion der in § 1 Abs. 1 BVormVG festgelegten Stundensätze wirkt sich die Vergütungsneuregelung in diesen Fällen in der Regel besonders negativ aus, da die Gerichte für die Betreuung bemittelter Betreuter gewöhnlich deutlich höhere Stundensätze zugebilligt hatten, als sie nach dem früheren Recht (§ 1836 Abs. 2 BGB a.F.) für die Betreuung mittelloser Betreuter vorgesehen waren.

dd) Die Anwendung des § 1 Abs. 3 BVormVG auf die Vergütung eines Betreuungsvereins setzt zunächst voraus, dass dieser jedenfalls seit dem 1.1.1997 tätig und der jeweilige Vereinsbetreuer seit diesem Zeitpunkt bei dem Betreuungsverein beschäftigt ist (vgl. OLG Dresden FamRZ 2000, 552/553; LG Dresden FamRZ 2000, 1249/1250; Knittel § 1836a BGB Rn. 7).

In Anbetracht seines Charakters als Härteregelung und seiner Ausgestaltung als Ermessensvorschrift (vgl. Zimmermann FamRZ 1999, 630/635) erfordert die Anwendung von § 1 Abs. 3 BVormVG ferner die Aufklärung, ob bzw. inwieweit der gemäß § 1 Abs. 1 BVormVG bzw. gemäß dessen Richtlinienfunktion zu gewährende Stundensatz für den Betreuungsverein eine Härte bedeuten würde (vgl. hierzu OLG Dresden FamRZ 2000, 552/553; LG Dresden FamRZ 2000, 1249/1250; Knittel § 1836a BGB Rn. 7). Ohne Feststellung der Qualifikation des Vereinsbetreuers und damit ohne Bestimmung der für seinen Einsatz ohne die Härteregelung zu zahlenden Vergütung ist daher eine Entscheidung über die Anwendung der Härteregelung nicht möglich.

3. Für die Festsetzung der vom Betroffenen zu ersetzenden Aufwendungen ist kein Raum, weil der Vereinsbetreuerin die Vermögenssorge übertragen ist (vgl. § 56g Abs. 1 Satz 1 Nr.1 FGG). Sie darf den Betrag von 309,16 DM dem Vermögen des Betroffenen selbst entnehmen (vgl. Palandt/Diederichsen BGB 59.Aufl. § 1835 Rn. 21).

Ende der Entscheidung

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