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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.02.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 33/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1897
Zur Gewichtung der Kriterien bei der Auswahl eines Betreuers und zur Überprüfung der Auswahlentscheidung im Verfahren der weiteren Beschwerde.
Gründe:

Das Amtsgericht bestellte am 6.2.2003 für die Betroffene eine ehrenamtliche Betreuerin mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Entscheidung über Fernmeldeverkehr und Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen. Hiergegen erhob die weitere Beteiligte, eine Nichte der Betroffenen, Beschwerde mit dem Ziel, selbst zur Betreuerin, ausgenommen im Bereich Vermögenssorge, bestellt zu werden.

Das Landgericht verwarf die Beschwerde am 26.3.2003 mangels Beschwerdeberechtigung der weiteren Beteiligten.

Auf die hiergegen eingelegte weitere Beschwerde der weiteren Beteiligten hob der Senat am 16.7.2003 diese Entscheidung auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück.

Am 17.9.2003 entließ das Amtsgericht die Betreuerin im Bereich Vermögenssorge. Insoweit setzte es eine Rechtsanwältin als Berufsbetreuerin ein und bestellte eine andere Rechtsanwältin als berufsmäßige Gegenbetreuerin. Im Übrigen beließ es alles wie bisher.

Am 21.11.2003 hat das Landgericht die Beschwerde der weiteren Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 6.2.2003 zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende weitere Beschwerde der weiteren Beteiligten.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

1. Das Landgericht führt aus, die weitere Beteiligte sei, auch nicht in Teilbereichen, zur Betreuerin der Betroffenen zu bestellen. Die Betroffene habe sich gegen die Bestellung der weiteren Beteiligten ausgesprochen. Sie liefe auch dem Wohle der Betroffenen zuwider, da die weitere Beteiligte die Betroffene in ein Heim in Oberbayern verbringen wolle, wo sie keine Bezugspersonen habe, während es ihr in dem Seniorenheim, in dem sie sich derzeit befindet, gut gefalle. Schließlich sei die weitere Beteiligte ungeeignet zur Führung der Betreuung, insbesondere weil sie dazu neige, ihre eigenen Maßstäbe an die Stelle der Interessen der Betroffenen zu setzen. Demgegenüber sei die Betreuerin V. nicht ungeeignet.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die weitere Beteiligte mit ihrer Beschwerde lediglich erreichen möchte, im Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge selbst an die Stelle der bestellten ehrenamtlichen Betreuerin zu treten. Dass sich ihr Rechtsmittel nicht gegen die Anordnung der Betreuung und den Umfang der Betreueraufgaben als solche wendet, ergibt sich aus ihrer durch ihren damaligen Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 18.11.2002 gemachten Anregung auf Errichtung einer Betreuung, dem Beschwerdeschriftsatz vom 19.2.2003, der noch allgemein vom Ziel spricht, den verwandten Beschwerdeführer an die Stelle des ausgewählten Betreuers zu setzen, und den schließlich eindeutigen Bekundungen der weiteren Beteiligten selbst bei ihrer gerichtlichen Anhörung am 21.11.2003. Bei Letzterer äußerte die weitere Beteiligte, "sie wolle nur über den Bereich Gesundheitsfürsorge und auf Aufenthalt bestimmen können". Daraus folgt auch, dass die Betreuung im Bereich Vermögenssorge nicht (mehr) Ziel des Rechtsmittels ist. Die mit der weiteren Beschwerde vorgebrachten Angriffe auf den Umfang der Aufgabenkreise und die Qualität von Gutachten bzw. Ergänzungsgutachten können daher jedenfalls seit der Klarstellung bei der landgerichtlichen Anhörung keine Berücksichtigung finden, da der Gegenstand der weiteren Beschwerde nicht über den der Entscheidung des Beschwerdegerichts hinausgehen kann.

b) Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts vom 17.9.2003, den es mit Anschreiben vom 18.9.2003 zugeleitet bekommen und in den Gründen seiner Entscheidung erwähnt hat, nicht zum Anlass genommen hat, die Hauptsache als erledigt anzusehen. Zwar liegt dann eine Erledigung der Hauptsache vor, wenn die Betreuung auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt wird, welche die angefochtene Entscheidung verfahrensrechtlich überholt und bedeutungslos macht (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 1186/1187 m.w.N.). Der Beschluss vom 17.9.2003 änderte jedoch die rechtlichen Betreuungsverhältnisse lediglich im Bereich Vermögenssorge, während im Übrigen die Anordnungen des Beschlusses vom 6.2.2003 ihre Gültigkeit behielten. Da sich die Beschwerde der weiteren Beteiligten auf den Bereich beschränkt, in dem der angefochtene Beschluss noch Bedeutung hat, liegt insoweit keine Erledigung der Hauptsache vor.

c) Zum Betreuer bestellt das Vormundschaftsgericht eine natürliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen (§ 1897 Abs. 1 BGB).

aa) Stehen mehrere im Grundsatz geeignete Personen zur Verfügung, fordert das Gesetz in § 1897 Abs. 4 bis 6 BGB bei der Auswahl des Betreuers die Beachtung verschiedener Kriterien. Schlägt der Betroffene eine der zur Verfügung stehenden Personen vor, so ist dem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB). Schlägt er vor, eine dieser Personen nicht zu bestellen, so soll hierauf Rücksicht genommen werden (§ 1897 Abs. 4 Satz 2 BGB). Schlägt er keine der zur Verfügung stehenden Personen vor, so ist bei der Auswahl auf die verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 5 BGB).

Diesen Kriterien kommt schon nach dem Wortlaut der genannten Bestimmungen unterschiedliches Gewicht zu:

Herausragende Bedeutung hat nach dem Gesetz der ernsthafte, auf einer eigenständigen und dauerhaften Willensbildung beruhende Vorschlag des Betroffenen, eine bestimmte Person zum Betreuer zu bestellen. Ihm ist im Grundsatz zu entsprechen (§ 1897 Abs.4 Satz 1 BGB).

Herausragende Bedeutung hat ferner das objektive Wohl des Betroffenen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Zweck der Betreuung (vgl. § 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB), zum anderen aber auch daraus, dass unter diesem Gesichtspunkt bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen sogar der Wille des Betroffenen zurückzutreten hat (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB).

Geringeres Gewicht hat ein negativer Wunsch des Betroffenen. Er ist lediglich "zu berücksichtigen" (§ 1897 Abs. 4 Satz 2 BGB). Immerhin ist er Ausdruck des im Betreuungsrecht allgemein zu beachtenden Willensvorrangs des Betroffenen (vgl. § 1901 Abs. 1 BGB; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1897 BGB Rn. 39).

Der sogenannte Verwandtenvorzug (§ 1897 Abs. 5 BGB) hat ebenfalls geringeres Gewicht. Das Gesetz verlangt auch hier nur die Berücksichtigung der familiären und persönlichen Bindungen. Im Verhältnis zum Verwandtenvorzug ist dabei letztlich das objektive Wohl des Betroffenen ausschlaggebend (vgl. BayObLG FamRZ 1996, 507; Senat vom 4.5.1999 - 3Z BR 118/99; Palandt/Diederichsen BGB 63. Aufl. § 1897 Rn. 21).

bb) Die Gewichtung der einzelnen Kriterien zueinander ist in den genannten gesetzlichen Vorschriften nur teilweise geregelt.

Der Zusammenhang zwischen den Kriterien und der Umstand, dass keines von ihnen absolut gesetzt werden kann, zeigt, dass im konkreten Fall die Auswahl nur unter Abwägung aller für die Kriterien maßgebenden Gesichtspunkte getroffen werden kann. Dies setzt voraus, dass der Richter anhand der Kriterien die jeweils für den Einzelfall einschlägigen Gesichtspunkte ermittelt, sie dann unter Berücksichtigung ihres Ranges, insbesondere der hohen Bedeutung von Wille und Wohl des Betroffenen, und der gesetzlich vorgegebenen Regeln gewichtet und auf dieser Grundlage eine Entscheidung fällt. Erforderlich ist letztlich eine Gesamtabwägung der für und gegen die Bestellung einer bestimmten Person sprechenden Gesichtspunkte (vgl. auch BayObLG FamRZ 2002, 768/769).

cc) Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Auswahlentscheidung des Tatrichters, die dessen pflichtgemäßem Ermessen obliegt, nur auf Rechtsfehler überprüfen, nämlich dahin, ob der Tatrichter von seinem Ermessen keinen oder einen rechtlich fehlerhaften, insbesondere Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufenden Gebrauch gemacht hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BayObLG FamRZ 2002, 1589 m.w.N.).

Danach ist insbesondere zu prüfen, ob der Tatrichter die im Einzelfall wesentlichen Auswahlkriterien herangezogen und bei der Abwägung die im Gesetz vorgesehenen Regeln für ihre Gewichtung und ihr Verhältnis zueinander beachtet hat. Ein rechtsfehlerhafter Ermessensgebrauch liegt auch dann vor, wenn der Richter einen relevanten Umstand unvertretbar über- oder unterbewertet hat.

d) Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht maßgebend auf den Wunsch der Betroffenen, ihre Nichte nicht zur Betreuerin zu bestellen, auf das Wohl der Betroffenen und auf die Frage der Eignung der weiteren Beteiligten abstellt und damit im Ergebnis eine Bestellung der weiteren Beteiligten ablehnt. Dass es dabei, was die weitere Beschwerde beanstandet, missverständlich von Betreuerwechsel spricht, ist unschädlich, da es im Weiteren eindeutig die Voraussetzungen einer Erstbestellung, die hier Verfahrensgegenstand ist, abhandelt. Es verkennt dabei nicht, dass die genannte verwandtschaftliche Bindung in seine Erwägungen einzubeziehen ist.

Im Übrigen stützt der Akteninhalt die Annahmen des Landgerichts im Einzelnen. Der unter dem 18.11.2002 von der Betroffenen schriftlich niedergelegte Wunsch, von der weiteren Beteiligten betreut zu werden, wurde bereits bei der amtsgerichtlichen Anhörung am 5.2.2003 von der Betroffenen geändert. Dort äußerte sie sich gegen die Übernahme der Betreuung durch ihre Nichte, die im Weiteren mit, dem Vornamen der weiteren Beteiligten näher bezeichnet wurde. Vielmehr wünschte sie, dass die bestellte Betreuerin "das weiter macht". Auch am 16.9.2003 erklärte die Betroffene gegenüber dem Amtsgericht ihr Einverständnis mit der "Aufteilung", demzufolge mit der weiteren Führung der Betreuung ohne den Aufgabenkreis Vermögenssorge durch die bestellte bisherige Betreuerin. Schließlich brachte die Betroffene auch gegenüber der Beschwerdekammer am 21.11.2003 zum Ausdruck, sie wünsche die weitere Beteiligte nicht als Betreuerin. Dies kann der Äußerung "sie will mein Geld" im Zusammenhang mit den weiteren Bekundungen entnommen werden. Wenn das Landgericht aufgrund seines persönlichen Eindrucks von der Betroffenen deren intakten natürlichen Willen im Hinblick auf einen negativen Betreuerwunsch annimmt, ist es dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt, diese Feststellung in Frage zu stellen, zumal hier eine Mehrzahl gleichgerichteter Äußerungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktenkundig ist.

Der vom Landgericht angenommene negative Betreuerwunsch der Betroffenen reicht angesichts des Umstands, dass die bestellte Betreuerin die Betreuung nicht berufsmäßig führt (§ 1897 Abs. 6 BGB) schon als solcher aus, den Verwandtenvorzug zurücktreten zu lassen. Dies gilt umso mehr, als die weitere Beteiligte nicht Abkömmling der Betroffenen ist, soweit den Akten zu entnehmen ist, nie mit ihr zusammengelebt hat und selbst bei einer Verlegung der Betroffenen in die Einrichtung in Oberbayern noch vergleichsweise weit von ihr entfernt leben würde.

Die weiteren Gesichtspunkte, auf die das Landgericht abstellt, haben daher lediglich verstärkende Funktion. So fühlt sich die Betroffene nach den verfahrensfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts in der Einrichtung, in der sie gegenwärtig lebt, recht wohl. Eine Verbringung in ein neues Heim, wie es die weitere Beteiligte plant, dient daher nicht dem Wohl der Betroffenen. Schließlich wird die Annahme, die weitere Beteiligte sei nicht so geeignet wie die bestellte Betreuerin, durch den Akteninhalt bestätigt. Während gegen die bestellte Betreuerin lediglich die unbestätigten Vorwürfe der weiteren Beteiligten stehen, die bei der Anhörung am 21.11.2003 doch weitgehend zurückgezogen wurden ("sie gar nicht wolle, dass die Betreuerin die Betreuung aufgebe"), sprechen gegen die weitere Beteiligte die zahlreichen bei den Akten befindlichen Eingaben, die mit Fortschreiten des Verfahrens von Inhalt wie Wortwahl her zunehmend eine Fixierung der weiteren Beteiligten auf ihre eigene Sicht der Dinge offenbaren, die mit dem Wohl der Betroffenen nicht im Einklang steht.

3. Das Schreiben der weiteren Beteiligten vom 5.12.2003 konnte vom Landgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt werden. Eine Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung deswegen kommt zum einen nicht in Betracht, weil das Schreiben erst am 14.1.2004 (per Fax) bzw. 15.1.2004 (per Posteingang) bei Gericht eingegangen ist, die landgerichtliche Entscheidung jedoch am 15.12.2003 mit Hinausgabe an die Beteiligten als erlassen und damit für das Landgericht unabänderlich gilt (vgl. Keidel/Schmidt FGG 15. Aufl. § 16 Rn. 6 und 9). Zum anderen enthält das Schreiben nichts, was eine andere Beurteilung der zu entscheidenden Frage rechtfertigen könnte.

4. Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Verfahren der weiteren Beschwerde beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 3 und Abs. 2 Satz 1 KostO. Die Vermögenssorge war nicht Gegenstand des Verfahrens (vgl. im Übrigen BayObLG MDR 1996, 751 und Beschluss vom 26.11.2003 - 3Z BR 206/03).

Ende der Entscheidung

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