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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 08.10.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 330/01
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 2
Verbüßt der Betroffene eine Haftstrafe muß die Ausländerbehörde die Ausstellung eines Heimreisescheins so rechtzeitig betreiben, dass der Betroffene nach Verbüßung der Haftstrafe abgeschoben werden kann.
Gründe:

I.

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines türkischen Staatsangehörigen.

Mit Beschluss vom 27.7.2001 verlängerte das Amtsgericht mit sofortiger Wirksamkeit die gegen ihn zur Sicherung seiner Abschiebung seit 30.4.2001 vollzogene Abschiebungshaft bis längstens 26.10.2001.

Die vom Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht am 4.9.2001 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht stand. Das Landgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt.

1. Das Landgericht hat jedenfalls den Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG zutreffend bejaht. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Betroffene Diebstähle im Bundesgebiet begangen und nach seiner Festnahme gegenüber der Polizei falsche Personalien angegeben. Dieser Sachverhalt rechtfertigt die Annahme des begründeten Verdachts, der Betroffene wolle sich der Abschiebung entziehen (vgl. zur Indizwirkung von Straftaten BayObLGZ 1993, 265/266; zur Identitätstäuschung BayObLGZ 1993, 127/128).

2. Die Aufenthaltsgestattung, die der Betroffene aufgrund seines Asylantrags erworben hatte (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), ist erloschen (§ 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG). Der Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8.3.1996, mit dem der Antrag des Betroffenen auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt wurde, ist seit 15.7.1997 bestandskräftig.

Ob die Abschiebung des Betroffenen ansonsten zu Recht betrieben wird, haben die Haftgerichte nicht zu prüfen; insoweit obliegt die Gewährung von Rechtsschutz ausschließlich den Verwaltungsgerichten (vgl. BayObLGZ 1993, 311/313; KG InfAus1R 2000, 230/232).

3. Auch die Prognose des Landgerichts, dass die Abschiebung des Betroffenen innerhalb der nächsten drei Monate nicht unmöglich sei (§ 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG), ist rechtlich nicht zu beanstanden.

4. Hingegen kann der Senat auf der Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Eine eigene Sachaufklärung ist ihm verwehrt (vgl. Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 42). Die Sache muss daher an das Landgericht zurückverwiesen werden.

a) Allerdings begann die Frist von sechs Monaten gemäß § 57 Abs. 3 Satz 1 AuslG entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht bereits während der Strafhaft, sondern erst am 30.4.2001 mit dem Vollzug der Abschiebungshaft zu laufen. Das Landgericht hat daher zu Recht nicht auf die erschwerten Voraussetzungen des § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG abgestellt.

b) Ungeklärt ist jedoch, ob die Ausländerbehörde die Abschiebung des Betroffenen mit der gebotenen Beschleunigung betrieben hat (vgl. hierzu BGHZ 133, 235/239; BayObLGZ 1991, 258/260; OLG Frankfurt a.M. AuAS 1998, 198; OLG Karlsruhe InfAus1R 1998, 463).

Die Ausländerbehörde traf, worauf die sofortige weitere Beschwerde zutreffend hinweist, die Pflicht, bereits während der Vollstreckung der Jugendstrafe alles ihr Mögliche zu unternehmen, um die Abschiebung des Betroffenen so vorzubereiten, dass diese jedenfalls unverzüglich nach Ende der regulären Vollzugsdauer der Jugendstrafe durchgeführt werden konnte (vgl. BayObLGZ 1991, 258/260). Ob die Behörde dieser Pflicht nachgekommen ist, ist nicht hinreichend geklärt. Infolge der Passlosigkeit des Betroffenen muss ein Heimreiseschein bei der Vertretung seines Heimatstaates beschafft werden. Die Behörde war daher gehalten, die hierfür erforderlichen Maßnahmen so rechtzeitig in die Wege zu leiten, dass sie unter Berücksichtigung der nach der Erfahrung zu erwartenden Dauer des Beschaffungsverfahrens mit dem Vorliegen eines gültigen Heimreisescheines zum voraussichtlichen Haftende rechnen konnte. Sie musste daher während der Haft jedenfalls die Voraussetzungen für die Beantragung des Scheines schaffen. Hingegen musste sie den Antrag nur so stellen, dass nach den Erfahrungen mit den türkischen Behörden im Zeitpunkt des voraussichtlichen Haftendes mit dem Vorliegen eines gültigen Heimreisescheins zu rechnen war. Sollte etwa die Gültigkeit eines solchen Scheines von den türkischen Behörden üblicherweise auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt werden, konnte die Ausländerbehörde den hierauf gerichteten Antrag an die türkische Vertretung sinnvoller Weise erst zu einem Zeitpunkt stellen, zu dem ihr das voraussichtliche Haftende bekannt war.

Das Haftende war hier jedenfalls mit vollständiger Verbüßung der Jugendstrafe Ende April 2001 erreicht. Das Antragsschreiben der Ausländerbehörde an das Generalkonsulat der Türkei vom 8.1.2001 war daher nur zeitgerecht, falls die Behörde zu diesem Zeitpunkt alles Erforderliche für die Erteilung des Heimreisescheins getan hatte und innerhalb von ca. 4 Monaten bis Ende April 2001 mit der Erteilung des Scheins rechnen durfte. Sollten dann gleichwohl Verzögerungen eingetreten sein, sind diese, soweit den Akten zu entnehmen ist, der Behörde nicht zuzurechnen. Denn diese hat, teils fernmündlich, teils schriftlich, immer wieder bei der Vertretung der Türkei nachgefragt und auf baldige Erledigung gedrängt. Die Verzögerung wäre dann auf die ungewöhnlich lange Bearbeitungszeit der türkischen Behörden zurückzuführen. Der Betroffene hätte im übrigen, wenn er unmittelbar nach dem Verlust seines Reisepasses ein Ersatzdokument bei der Vertretung seines Heimatstaates beantragt hätte, erheblich zur Beschleunigung beitragen können. Das Landgericht wird nunmehr die für diese Beurteilung einschlägigen Feststellungen zu treffen haben, wobei es Sache der Behörde sein wird darzulegen, warum der Heimreiseschein nicht früher beantragt wurde.

Ende der Entscheidung

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