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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.11.2000
Aktenzeichen: 3Z BR 331/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1
Alkoholismus mit Gefahr einer Selbstschädigung kann die Unterbringung eines Betreuten rechtfertigen.
BayObLG Beschluß

LG Kempten (Allgäu) 4 T 1332/00; AG Lindau (Bodensee) XVII 78/93

3Z BR 331/00

29.11.00

Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Nitsche und Fuchs am 29. November 2000 in dem Unterbringungsverfahren auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 28. September 2000 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Für den Betroffenen ist ein Betreuer unter anderem mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung einschließlich Unterbringung bestellt.

Mit Beschluss vom 9.6.1999 genehmigte das Amtsgericht die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 8.6.2000. Am 7.6.2000 genehmigte es die Verlängerung der Unterbringung des Betroffenen bis 6.12.2000.

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss vom 7.6.2000 hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist in der Sache nicht begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, nach Auffassung der Kammer lägen die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vor. Nach den Ausführungen des Sachverständigen bestehe beim Betroffenen eine langjährige Alkoholabhängigkeit mit körperlichen und psychischen Folgeschäden (ICD 10 - F 10.2.). In Anbetracht der bestehenden stark verminderten Kritikfähigkeit und der wiederholt beobachteten vollständigen Verleugnung der Problematik sowie der beobachteten weitgehenden Abstinenzunfähigkeit sei beim Betroffenen von einer chronischen äthyltoxisch bedingten cerebralen Schädigung im Sinne einer Persönlichkeitdepravation (ICD 10 - F 10.7.) auszugehen. Die Kammer schließe sich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, eines Facharztes für Psychiatrie, an. Das Gutachten des Sachverständigen sei widerspruchsfrei und überzeugend. Nach den Angaben des Betreuers sei die Unterbringung des Betroffenen unumgänglich, da sich trotz geschlossener Unterbringung in den letzten Monaten, zuletzt am 1.8.2000 und 25.8.2000, Vorfälle mit Alkoholexzessen ergeben hätten. Die vom Betroffenen gewünschte Rückkehr zu seiner Familie nach Polen lasse sich aufgrund der zur Zeit verworrenen Situation nicht unverzüglich durchführen. Weniger einschneidende Maßnahmen seien derzeit weder erfolgversprechend noch ersichtlich.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Der Betreuer darf den Betreuten freiheitsentziehend nur dann unterbringen, wenn ihm die Aufenthaltsbestimmung zusteht und das Vormundschaftsgericht die Unterbringung genehmigt (§ 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieses muß die Genehmigung erteilen, solange sie zum Wohle des Betreuten unter anderem deshalb erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung setzt voraus, dass der Betreute aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungekonformen Auslegung. Denn der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst gesundheitlich zu schädigen (BVerfGE 22, 180/219 f.; BayObLGZ 1993, 18/19). Dabei reicht es aus, dass der Ausschluss der freien Willensbestimmung partiell die Umstände betrifft, aus denen sich die Unterbringungsnotwendigkeit ergibt (OLG Hamm DAVorm 1997, 55/60; Knittel Betreuungerecht § 1906 Rn. 16). Bei einem Alkoholabhängigen liegen diese Voraussetzungen vor, wenn er gegenüber seiner Erkrankung völlig unkritisch ist und nicht in der Lage ist, seinen Alkoholgenuß in freier Willensbestimmung zu steuern und so einen Rückfall in den Alkoholmißbrauch zu vermeiden, der zu weiteren Schädigungen führen müßte (BayObLG aaO).

b) Das Vorliegen einer psychischen Krankheit hat das Landgericht verfahrensfehlerfrei festgestellt. Die im Rechtsbeschwerdeverfahren nur beschränkt nachprüfbare Beweiswürdigung (BayObLG aaO) ist nicht zu beanstanden.

Allerdings hat das Gericht keine ausreichenden Feststellungen dahin getroffen, dass für den Betroffenen die Gefahr besteht, sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zuzufügen. Der Hinweis, dass sich trotz Unterbringung in den letzten Monaten "Vorfälle mit Alkoholexzessen" ergeben hätten, reicht dafür nicht aus. Nicht jede alkoholbedingte Gesundheitsschädigung genügt für eine Unterbringung. Dies zwingt aber nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Das Gericht der weiteren Beschwerde kann in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind (vgl. BGH NJW 1996, 2581; BayObLG NJW-RR 1998, 294/295; OLG Zweibrücken NJWE-FER 1999, 240). Die erforderlichen Feststellungen können aus den Akten getroffen werden (vgl. BayObLG NJWE-FER 1999, 151/152). Nach dem Gutachten des Sachverständigen leidet der Betroffene an insulinpflichtiger Zuckerkrankheit sowie medikamentös behandlungsbedürftiger Alkoholzirrhose. Bei freiem Zugang zu alkoholischen Getränken würde er aufgrund seiner Abstinenzunfähigkeit bei nicht ausreichend schneller medizinischer Intervention in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten. Zweifel an der ausreichenden Sachkunde des Sachverständigen, eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, haben sich nicht ergeben.

Zur Frage, ob der Betreute aufgrund der psychischen Erkrankung seinen Willen nicht frei bestimmen kann, hat das Landgericht keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen. Die erforderlichen Einzelheiten ergeben sich jedoch aus dem durch das Landgericht in Bezug genommenen Gutachten. Jedenfalls kann der Senat aufgrund des Akteninhalts ausreichend eigene Feststellungen treffen. Nach Auffassung des Sachverständigen ist der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung zu einer freien Willensbestimmung nicht in der Lage. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass der Betroffene seine Abhängigkeit verleugnet, selbst Rückfälle in jüngster Zeit entweder ignoriert oder vergessen hat, und die daraus folgende Gefahr nicht erkennt. Es fehlt jegliche Krankheitseinsicht. Damit ist der Betroffene auch nicht in der Lage, seinen Alkoholgenuß zu steuern.

Dass der Betroffene nicht therapiefähig ist, steht der Unterbringung nicht entgegen. Es geht hier nicht um eine Behandlung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, sondern allein darum, dass der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage ist, die ihm außerhalb der Unterbringung drohende Lebensgefahr zu erkennen und entsprechend zu handeln. Deshalb muß er vor sich selbst geschützt werden.

Ende der Entscheidung

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