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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 06.03.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 343/00
Rechtsgebiete: AktG, MitbestG


Vorschriften:

AktG § 18 Abs. 1
MitbestG § 5 Abs. 3
Die Widerlegung der Konzernvermutung im Mitbestimmungsrecht setzt voraus, daß die Holding keine leitende Tätigkeit ausübt, die Vorstandsmitglieder der Holding nicht dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat der beherrschten Unternehmen angehören und sich die Tätigkeit des herrschenden Unternehmens lediglich auf die Funktion einer vermögensverwaltenden Holding beschränkt.
Gründe:

I.

Die Antragstellerin, eine Gewerkschaft, beantragt festzustellen, dass bei der Antragsgegnerin, einer in der Form einer Aktiengesellschaft geführten Holding, ein Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976 gebildet werden müsse. Die Antragsgegnerin beschäftigt keine Arbeitnehmer, hat aber Beteiligungen an Gesellschaften, die in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen. Diesen Antrag wies das Landgericht am 23.8.1996 zurück. Diese Entscheidung hat der Senat mit Beschluss vom 24.3.1998 (BayObLGZ 1998, 85 ff.), auf dessen Inhalt zur Ergänzung des Sachverhalts verwiesen wird, aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Nach der Durchführung weiterer Ermittlungen hat das Landgericht am 27.9.2000 festgestellt, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 zu bilden ist. Gegen diesen am 21.10.2000 im Bundesanzeiger veröffentlichten Beschluss wendet sich die am 30.10.2000 eingegangene sofortige Beschwerde des Vorstands der Antragsgegnerin.

Zu den Beteiligungsverhältnissen an der Antragsgegnerin, der X Bau AG, der R AG, der S AG und der T AG und zu den Aufsichtsrats- und Vorstandsmandaten der Familie X wird im Grundsatz auf den angefochtenen Beschluss verwiesen. Jedoch sind inzwischen folgende Änderungen eingetreten:

Im Jahr 2000 wurde die R AG durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf die X Bau AG verschmolzen.

Mit Wirkung zum 31.12.2000 ist B als Mitglied der Aufsichtsräte der X Bau AG und der T AG ausgeschieden. Mit Wirkung ab 20.1.2001 hat A seine Aufsichtsratsmandate bei der X Bau AG, der S AG und der T AG niedergelegt.

Mit Wirkung ab 31.1.2001 haben X und B ihre Ämter als Vorstandsmitglieder der Antragsgegnerin niedergelegt.

Mit Rückwirkung auf den 1.1.2001 wurde die S AG auf die X Bau AG verschmolzen.

Hinsichtlich der Aktionäre der Antragsgegnerin, der Beteiligung der Antragsgegnerin an den anderen Gesellschaften sowie der personellen Verflechtungen der Leitungsgremien der beteiligten Gesellschaften ergibt sich daher nunmehr folgendes Bild:

Die Antragsgegnerin befindet sich vollständig im Besitz der Familie X.

X hält ca. 26 % der Aktien der Antragsgegnerin. Er ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der X Bau AG und der T AG. Vorstand und Aufsichtsrat der Antragsgegnerin gehört er nicht (mehr) an.

B ist ebenfalls Aktionär der Antragsgegnerin, aber nicht Mitglied in deren Vorstand und Aufsichtsrat. Er gehört allenfalls noch dem Aufsichtsrat der X Bau AG an.

A ist Aktionär der Antragsgegnerin und deren alleiniger Vorstand. Den Leitungsgremien der X Bau AG und der T AG gehört er nicht (mehr) an.

Die übrigen Mitglieder der Familie X, die an der Antragsgegnerin beteiligt sind, sind nur in deren Aufsichtsrat vertreten.

II.

1. Die sofortige Beschwerde (§ 99 Abs. 3 Satz 2 AktG) ist zulässig, insbesondere ist sie binnen zwei Wochen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 FGG) nach Bekanntmachung des landgerichtlichen Beschlusses im Bundesanzeiger (§ 99 Abs. 4 Satz 4 AktG) eingelegt. Die Beschwerdeberechtigung des Vorstands folgt aus § 99 Abs. 4 Satz 3 i-V.m. § 98 Abs. 2 Nr. 1 AktG. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg.

2. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

a) Gemäß § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1 MitbestG seien die Arbeitnehmer mitbestimmungsberechtigt in Unternehmen, die in der Rechtsform einer GmbH oder Aktiengesellschaft betrieben werden (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG) und die in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG). Dabei würden gemäß § 5 Abs. 1 MitbestG einem Unternehmen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG, wenn es herrschendes Unternehmen eines Konzerns sei (§ 18 Abs. 1 AktG), die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen zugerechnet. ob das herrschende Unternehmen selbst Arbeitnehmer beschäftige, sei ohne Bedeutung.

b) Die X Bau AG, die R AG sowie die § AG stünden unmittelbar im Mehrheitsbesitz der Antragsgegnerin. Die T AG stehe mittelbar im Mehrheitsbesitz der Antragsgegnerin, da diese über die X Industriebeteiligungen GmbH, an der die X Bau AG sowie die R AG zu je 50 % beteiligt seien, über 53,6 % des Aktienkapitals verfüge. Gemäß § 17 Abs. 2 AktG werde gesetzlich vermutet, dass ein in Mehrheitsbesitz im Sinne von § 16 Abs. 1 AktG stehendes Unternehmen von dem an ihn mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig sei. Die Widerlegung der Vermutung der Abhängigkeit erfordere den Nachweis einer satzungsmäßigen oder vertraglichen Grundlage, wonach es ausgeschlossen sei, dass Beherrschungsmittel, insbesondere das von Stimmrechten aus Anteilen, eingreifen können. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor.

c) Die Widerlegung der Konzernvermutung könne nur gelingen, wenn ohne Rücksicht auf Abhängigkeit Tatsachen behauptet und bewiesen würden, nach denen ein Konzernverhältnis nicht bestehe. Es müssten Umstände dargelegt werden, aus denen sich ergebe, dass herrschendes und abhängiges Unternehmen nicht einheitlich geleitet würden; die festzustellenden Tatsachen müssten die Annahme einer einheitlichen Leitung ausschließen können. Nach dem zugrundezulegenden sogenannten weiteren Konzernbegriff sei eine einheitliche Leitung nicht davon ab hängig, dass die Finanzplanung einheitlich festgelegt werde, sondern das Vorliegen eines Konzerns sei auch zu bejahen, wenn eine einheitliche Planung in einem der anderen zentralen Unternehmensbereiche gegeben sei, z. B. bei Einkauf, Organisation, Personalwesen und Verkauf, vorausgesetzt dass dadurch Einfluss und Rückwirkung auf das Gesamtunternehmen erzielt würden.

d) Für Holding-Unternehmen gälten die gleichen Maßstäbe. Nur bei einer reinen Vermögensholding (Finanzholding), die, ohne Führungsaufgaben in den Tochtergesellschaften wahrzunehmen, sich auf die bloße Verwaltung ihrer Beteiligungen, einschließlich der damit verbundenen Finanzierungs- und Verwaltungsaufgaben beschränke, könne im Gegensatz zur Management-Holding (Führungs- und Mischholding) eine einheitliche Leitung verneint und die Konzernvermutung als widerlegt angesehen werden. Die Annahme einer Vermögensholding werde nicht schon allein dadurch ausgeschlossen, dass sie die Überwachung der Geschäftsführung in den Tochterunternehmen im Einzelfall über von ihr gewählte Aufsichtsratsmitglieder durchführe.

e) Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Vermutung des § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG nicht widerlegt.

Wie durch den Werdegang der "X-Gruppe", die durchgeführte Beweisaufnahme und nicht zuletzt durch das Auftreten des Vorstandsvorsitzenden X der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren hinreichend belegt sei, beeinflusse dieser in entscheidendem Maße alle wesentlichen Geschäftsvorgänge in den vier Beteiligungsunternehmen mit. Dass diese Steuerung aus den Positionen des Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. des Aufsichtsrats heraus erfolge, sei nicht entscheidend. Die Mehrheitsbeteiligung der Antragsgegnerin an den vier Beteiligungsunternehmen, an die nach dem Gesetz die Konzernvermutung geknüpft sei, sei die wesentliche Grundlage für diese "starke Stellung,". Dass bei diesen "Einflussnahmen" auf die vier Beteiligungsunternehmen auch Vorstellungen der Antragsgegnerin einflössen, könne nicht ausgeschlossen werden.

Alle nach der Zurückverweisung durch den Senat vernommenen Zeugen hätten (weiterhin) eine irgendwie geartete Einflussnahme der Antragsgegnerin auf die Geschäftstätigkeit der vier Beteiligungsunternehmen verneint und die Eigenschaft der vier Unternehmen als Wettbewerber auf dem Markt hervorgehoben. Es seien aber sowohl vor als auch nach der Gründung der Antragsgegnerin gleichförmige Verhaltensweisen in den vier Unternehmen festzustellen, die sowohl im Sprachgebrauch der fraglichen Unternehmen als auch in der Presse als "X-Gruppe" bezeichnet würden. Diese gleichförmigen Verhaltensweisen seien auch nach den Aussagen der Zeugen auf den Einfluss des Vorstandsvorsitzenden der Antragsgegnerin zurückzuführen.

So seien in den vier Beteiligungsunternehmen jeweils neue Geschäftsordnungen der Aufsichtsräte und Vorstände beschlossen worden, wobei die Geschäftsordnungen der Aufsichtsräte hinsichtlich der Liste der zustimmungsbedürftigen Geschäfte identisch seien. In allen vier Unternehmen sei im Dezember 1998 jeweils eine übereinstimmende Vorlage zur Änderung der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates und des Vorstandes eingebracht worden. Ende 1994 sei in den Aufsichtsräten der Unternehmen die Zustimmung zur Einbringung der Bauhöfe der S AG und der T AG nebst Bauhofbetrieben und der Maschinentechnik sowie der Maschinenverwaltung in die Baugeräte-Service GmbH bei der Änderung der Beteiligungsquote beschlossen worden. Des weiteren sei im Jahre 1993 der Zentraleinkauf in der gesamten X-Gruppe, also bei allen vier Firmen, gebündelt worden. Im Jahre 1997/1998 sei die X Group International GmbH, eine 100 %-ige Tochtergesellschaft der X Bau AG, gegründet worden. In dieser Gesellschaft sollten die außereuropäischen Auslandsaktivitäten der vier Beteiligungsgesellschaften zusammen gefasst werden. In allen vier Beteiligungsunternehmen seien für die Aufsichtsratssitzungen im Mai 1998 entsprechende, im wesentlichen übereinstimmende "Strategiepapiere" erarbeitet worden. Schließlich sei im Geschäftsbericht der Antragsgegnerin für das Jahr 1995 ausgeführt, dass durch die Vereinheitlichung des Rechnungs-, Finanz- und Berichtswesens eine hervorragende Basis für eine qualifizierte Führung und Steuerung der Unternehmensgruppe geschaffen worden sei.

f) Der Einfluss von X auf die unternehmerischen Entscheidungen in den vier Beteiligungsunternehmen, der auch von der Antragsgegnerin letztlich nicht in Abrede gestellt werde, erschöpfe sich nicht in der Wahrnehmung der Kontrollrechte des Aufsichtsrates im Einzelfall, sondern die unternehmerischen Entscheidungen würden aktiv mitbestimmt. Die zwischenzeitlichen Satzungsänderungen, insbesondere des Unternehmensgegenstands, würden die Konzernvermutung nicht widerlegen. Die Sichtweise der Antragstellerin, wonach im Hinblick auf Zusammensetzung der Aktionäre eine Beanstandung, die Antragsgegnerin bewege sich außerhalb des Unternehmensgegenstandes, nach der Lebenserfahrung kaum zu befürchten stehe, sei berechtigt. Unabhängig davon könne die Satzung ohne weiteres wieder geändert werden. Zur Widerlegung der Konzernvermutung sei es nicht ausreichend, wenn allein darauf verwiesen werde, die Holding-Gesellschaft sei funktionslos. Bei dieser Sachlage, bedürfe es keiner weiteren Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 5 Abs. 3 MitbestG.

III.

Diese Beurteilung hat im Hinblick auf die inzwischen eingetretenen Änderungen des Sachverhalts, die der Senat zu berücksichtigen hat, im Ergebnis keinen Bestand.

1. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei (vgl. § 993 Abs. 3 Satz 3 AktG, § 546 ZPO) davon ausgegangen, dass die Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG nicht widerlegt ist. Die inzwischen hinsichtlich der X Bau AG, der R AG und der S AG eingetretenen Veränderungen führen zu keinem anderen Ergebnis, da die Antragstellerin nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten weiterhin die Aktienmehrheit an der X Bau AG innehat. Soweit vorgetragen ist, die Antragstellerin besitze nicht mehr die Mehrheit an der T AG, ist dies nicht unumstritten, so dass der Senat von den verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts auszugehen hat (§ 99 Abs. 3 Satz 3 AktG, § 559 Abs. 2 AktG).

2. Zutreffend ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, dass für das Mitbestimmungsgesetz 1976 der sog. weitere Konzernbegriff maßgeblich ist und dass die Widerlegung der Konzernvermutung im Mitbestimmungsrecht grundsätzlich die Feststellung von Tatsachen voraussetzt, aus denen folgt, dass das herrschende Unternehmen von seinen Einflussmöglichkeiten keinen Gebrauch macht oder es an einer planmäßigen Leitung oder an einer Abstimmung der Unternehmenspolitik fehlt. An diese vom Senat in seinem Beschluss vom 24.3.1998 (BayObLGZ 1998, 85) dargelegten Rechtsauffassung war das Landgericht in entsprechender Anwendung von § 565 Abs. 2 ZPO a.F. gebunden (vgl. BayObLGZ 1974, 18/21; Jansen FGG 2. Aufl. § 25 Rn. 1,4; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 69 m. w. N.). Auch der Senat hat seiner erneuten Entscheidung die in diesem Beschluss geäußerte Rechtsauffassung zugrunde zu legen (vgl. BayObLGZ 1992, 96/99; BayObLG WE 1990, 110; Bassenge u.a. FGG/RPflG 9. Aufl. § 27 FGG Rn. 31, Keidel/Kahl § 27 Rn. 60).

3. Die Entscheidung kann aber im Hinblick auf inzwischen eingetretenen Änderungen insbesondere im Vorstand der Antragsgegnerin und in den Aufsichtsräten der X Bau AG und der T AG keinen Bestand haben. Auf der Grundlage dieser Änderungen und des übrigen vom Landgericht fehlerfrei festgestellten Sachverhalts hält der Senat die Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG für widerlegt.

a) Die Änderungen in Vorstand und Aufsichtsrat sind auch im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

Grundsätzlich ist das Rechtsbeschwerdegericht zwar auch im aktienrechtlichen Statusverfahren an den vom Tatrichter festgestellten Sachverhalt gebunden (§ 99 Abs. 3 Satz 3 AktG, § 559 Abs. 2 ZPO; vgl. auch Jansen § 27 Rn. 38). Rechtsprechung (vgl. BGHZ 53, 128; 54, 132/135; BGH NJW 1994, 579; BayObLG DB 2001, 644; KG OLGZ 1983, 428/431) und Literatur (Jansen 27 Rn. 39; Keidel/Kahl § 27 Rn. 45; Bassenge u.a. § 27 FGG Rn. 24 ff.) haben jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen. Eine solche Ausnahme ist insbesondere auch dann gegeben, wenn die neue, vom Landgericht noch nicht festgestellte Tatsache sich eindeutig aus den Akten ergibt und zwischen den Beteiligten nicht im Streit ist (vgl. BGH NJW-RR 1998, 1284; KG aaO; Keidel/Kahl aaO). Dies ist hier hinsichtlich der unter Ziffer I aufgeführten Änderungen im Bestand der beteiligten Gesellschaften sowie im Vorstand der Antragsgegnerin und in den Aufsichtsräten der Gesellschaften der Fall. Diese sind urkundlich nachgewiesen und werden von der Antragstellerin auch nicht in Abrede gestellt. Die Berücksichtigung entspricht dem Ziel des Verfahrens nach § 98 Abs. 1, § 99 FGG (vgl. zu diesem Aspekt BGHZ 53, 129/132) und verletzt keine schutzwürdigen Interessen der Antragstellerin. Durch das Verfahren soll festgestellt werden, ob mit Wirkung für die Zukunft eine neue Zusammensetzung des Aufsichtsrats herbeizuführen ist (vgl. § 98 Abs. 4 AktG). Dem entspricht es, wenn unstreitig eingetretene Änderungen des Sachverhalts auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz soweit möglich berücksichtigt werden und dadurch die Entscheidung die im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens nach materiellem Recht zutreffende Zusammensetzung des Aufsichtsrats widerspiegeln kann.

b) Die Berücksichtigung der Änderungen führt zu einer von derjenigen des Landgerichts abweichenden Beurteilung der Frage, ob die Konzernvermutung widerlegt ist.

aa) Auszugehen ist davon, dass die hier in Frage stehende Vorschrift des § 5 Abs. 1 MitbestG auf § 18 Abs. 1 AktG verweist und ihre Anwendung daher das Bestehen eines Unterordnungskonzerns voraussetzt (Raiser MitbestG 3. Aufl. § 5 Rn. 9). Dieser wird durch die einheitliche Leitung des herrschenden Unternehmens charakterisiert (§ 18 Abs. 1 Satz 1 AktG). Zwar wird bei Abhängigkeit des untergeordneten Unternehmens, wie sie hier nach den Feststellungen des Landgerichts besteht, gemäß § 18 Abs.,1 Satz 3 AktG die Konzernbildung vermutet. Diese Konzernvermutung bezieht sich jedoch auf die Voraussetzung des § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG, also darauf, dass das herrschende Unternehmen seinen Einfluss zur Konzernbildung ausnutzt, indem es eine einheitliche Leitung ausübt. Aus dieser Ausübung von Leitungsmacht rechtfertigt sich auch die Beteiligung der Arbeitnehmer des beherrschten Unternehmens an den Entscheidungsprozessen im herrschenden Unternehmen, wie sie § 5 Abs. 1 MitbestG vorsieht. Dem gemäß ist Gegenstand der Widerlegung der Vermutung der Umstand, dass das herrschende Unternehmen eine solche einheitliche Leitung nicht ausübt (vgl. Windbichler in Großkommentar AktG 4. Aufl. § 18 Rn. 36, 38; Oetker in Großkommentar AktG § 5 MitbestG Rn. 4).

Die Widerlegung der Konzernvermutung setzt voraus, dass, ohne Rücksicht auf die Abhängigkeit des oder der untergeordneten Unternehmen, Tatsachen behauptet und bewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass herrschendes und abhängiges Unternehmen nicht einheitlich geleitet werden; die feststehenden Tatsachen müssen die Annahme einer einheitlichen Leitung ausschließen (BayObLGZ 1998, 85/90 m. w. N.). Es muss der Nachweis erbracht sein, dass das herrschende Unternehmen die Mittel, welche die Ausübung einer einheitlichen Leitung möglich machen, nicht zu diesem Zweck einsetzt, und dass die Bereiche, in denen die einheitliche Leitung üblicherweise sichtbar werden, ausschließlich und nachhaltig nach dem uneingeschränkten Eigeninteresse des abhängigen Unternehmens gesteuert werden. Vereinzelte Einflussnahmen der herrschenden Gesellschaft stehen der Widerlegung nicht entgegen (Adler/Düring/Schmaltz [A/D/S] Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen 6. Aufl. § 18 AktG Rn. 73).

bb) Personelle Verflechtungen, die als Indiz für die Ausübung einer einheitlichen Leitung angesehen werden können, sind inzwischen nicht mehr gegeben. Durch das Ausscheiden von X als Mitglied des Vorstands der Antragsgegnerin kann dieser nicht mehr als deren Organ auf die Entscheidung en der abhängigen Gesellschaften Einfluss nehmen. Soweit X seine Stellung als Aufsichtsratsvorsitzender der X Bau AG zur Einflussnahme nutzt, kann dies nach der nunmehr gegebenen Sachlage nicht der Antragsgegnerin zugerechnet Und hieraus nicht ein Hinweis auf die Ausübung von Leitungsmacht durch die Antragsgegnerin entnommen werden.

Der starke Einfluss, den X nach den Feststellungen des Landgerichts hat, beruht im übrigen nicht auf den Beteiligungsverhältnissen an der Antragsgegnerin. Auch ohne sieh auf diese zu stützen, ist X kraft seiner historischen Stellung als "graue Emminenz" in der Gesellschaft in der Lage, seinen Auffassungen Nachdruck zu verleihen.

cc) Soweit das Landgericht Verhaltensweisen der damals noch vier im Mehrheitsbesitz der Antragsgegnerin befindlichen Unternehmen dargelegt hat, die auf den Einfluss des (damaligen) Vorstandsvorsitzenden der Antragsgegnerin X zurückzuführen seien, nämlich die neuen im Jahre 1993 beschlossenen Geschäftsordnungen der Aufsichtsräte und Vorstände, die Zusammenlegung der Bauhöfe Ende 1994, die im Jahre 1993 durchgeführte Regelung des Zentraleinkaufs und die Gründung der X Group International GmbH in den Jahren 1997/1998, die Erarbeitung im wesentlich übereinstimmender Strategiepapiere für die Aufsichtsratssitzungen im Mai 1998, das im Geschäftsbericht für das Jahr 1995 angesprochene Berichtswesen und die Einführung des Softwareprogramms, kommt diesen angesichts der veränderten Umstände im Bereich der personellen Verflechtung keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu.

Das Landgericht durfte zwar aus diesen Verhaltensweisen den Schluss ziehen, dass die Konzernvermutung nicht widerlegt sei. Diese Verhaltensweisen liegen aber in der Vergangenheit. Ihnen kommt für die derzeitige und zukünftige Handhabung, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, geringeres Gewicht zu. Auch das Landgericht geht davon aus, dass diese Verhaltensweisen in erster Linie auf die Person von X zurückzuführen sind. Denn es hat ausgeführt, dass X in entscheidendem Maße alle wesentlichen Geschäftsvorgänge in den vier Beteiligungsgesellschaften mit beeinflusse. X ist nicht mehr Vorstandsmitglied der Antragsgegnerin, er kann daher auf Entscheidungen abhängiger Gesellschaften jedenfalls in einer der Antragsgegnerin zurechenbaren Weise nicht mehr Einfluss nehmen.

Das Landgericht hat ferner ausgeführt, es sei nicht entscheidend, dass die Steuerung aus der Position des Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. des Aufsichtsrats erfolge, da die Mehrheitsbeteiligungen der Antragsgegnerin, an die die Konzernvermutung geknüpft sei, die wesentliche Grundlage für diese "starke Stellung" sei. Richtig ist, dass an diese Mehrheitsbeteiligung letztlich die Konzernvermutung anknüpft (§ 17 Abs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG). Dessen ungeachtet geht es hier um die Frage, ob bei bestehender Abhängigkeit auch eine Zusammenfassung der betroffenen Unternehmen unter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens erfolgt ist. Das Landgericht hat hierbei auf die Person des X abgestellt. Als Organ der Antragsgegnerin kann X Einfluss aber nicht mehr ausüben. Als Gesellschafter der Antragsgegnerin, der allein in der Hauptversammlung keine Stimmenmehrheit besitzt, könnte er zwar durch Einwirken auf eine entsprechende Beschlussfassung der Hauptversammlung eine Einflussnahme auf die X Bau AG im Sinn einer Leitung versuchen. Eine derartige Beschlussfassung ist aber mit dem geänderten Gegenstand des Unternehmens der Antragsgegnerin nicht zu vereinbaren, der auf "die Funktion einer reinen vermögensverwaltenden Holding, welche selbst keine Arbeitnehmer bzw. Mitarbeiter beschäftigt" beschränkt wurde. Es kann im Hinblick auf die Änderungen im Vorstand der Antragsgegnerin auch nicht weiter angenommen werden, dass die Einschränkung des Gegenstands des Unternehmens jederzeit rückgängig gemacht werden könne. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Antragsgegnerin im Mehrheitsbesitz von Mitgliedern der Familie X ist. Es gibt nämlich keinen Erfahrungssatz, wonach Familienangehörige stets gleichgerichtete Interessen verfolgen (BGHZ 77, 94/106; BGH AG 1992, 123). Es kann den Aktionären der Antragsgegnerin auch nicht unterstellt werden, dass sie unter Missachtung der Beschränkung des Gegenstands des Unternehmens satzungswidrige Beschlüsse fassen werden.

dd) Bei dieser Sachlage kommt den Bekundungen der durch das Landgericht vernommenen Zeugen, die das Landgericht für glaubwürdig gehalten hat, vermehrte Bedeutung zu. Diese hat die Kammer zutreffend dahin gewürdigt, dass alle Zeugen eine irgendwie geartete Einflussnahme der Antragsgegnerin auf die Geschäftstätigkeit der damals noch vier Beteiligungsunternehmen verneint und die Eigenschaft dieser Unternehmen als Wettbewerber auf dem Markt hervorgehoben haben.

ee) Unter Beachtung aller aufgeführten Gesichtspunkte kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass nach dem Entfallen der personellen Verflechtungen in den Leitungsgremien der Antragsgegnerin und der Untergesellschaften die in der Vergangenheit, zuletzt vor ca. 4 Jahren, aufgetretenen Anzeichen für die Ausübung einheitlicher Leitung jedenfalls nach heutigem Stand nicht mehr ausreichen, um für die Zukunft mehr als vereinzelte Einflussnahmen erwarten zu lassen, die einer Widerlegung der Konzernvermutung nicht entgegenstehen. Sonstige, insbesondere planmäßige Einflussnahmen durch die Antragsgegnerin auf die beherrschten Gesellschaften können nach den Aussagen der Zeugen als widerlegt angesehen werden.

4. Die Entscheidung des Landgerichts kann auch nicht mit der Begründung aufrecht erhalten bleiben, dass in Anwendung der Bestimmung des § 5 Abs. 3 MitbestG ein Aufsichtgrat zu bilden sei. Nach dieser Bestimmung müsste bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat gebildet werden, wenn X als ein anderes Unternehmen als die in 9 5 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 MitbestG bezeichneten zu qualifizieren wäre, unter d essen einheitlicher Leitung die Konzernunternehmen stehen, die er über die Antragsgegnerin beherrscht. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kann X aber nicht als Konzernspitze in diesem Sinn angesehen werden.

Die Anwendung des § 5 Abs. 3 MitbestG setzt voraus, dass der Gesamtkonzern von einem Unternehmen geleitet wird, das nicht der Konzernmitbestimmung unterliegt, z. B. auch ein einzelkaufmännisches Unternehmen (Raiser § 5 Rn. 37). Als Unternehmen i.S.v. § 15 AktG kann auch ein Aktionär, der an mehreren Gesellschaften beteiligt ist angesehen werden, wenn durch diese Beteiligungen die Gefahr von Interessenkonflikten, bei der Ausübung des mitgliedschaftlichen Einflusses besteht (vgl. Windbichler in Großkommentar AktG § 15 Rn. 32). Für den Konzernbegriff ist es nämlich ohne Bedeutung, ob die Gesellschaft von einer anderen Gesellschaft oder einer natürlichen Person beherrscht wird (vgl. BGHZ 122, 123/129). Nicht erforderlich ist, dass sich der an mehreren Gesellschaften Beteiligte selbst als Unternehmer betätigt (MünchKomm/Bayer AktG 2. Aufl. § 15 Rn. 21).

Es kann dahinstehen, ob diese Voraussetzungen in der Person von X erfüllt sind, oder ob im Rahmen des § 5 MitbestG ein weiterer Unternehmensbegriff gilt. Erforderlich ist nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 MitbestG jedenfalls, dass das nicht der Mitbestimmung unterliegende Unternehmen, hier X, (auch) das seinerseits nach § 5 Abs. 1 MitbestG herrschende Unternehmen (hier die Antragsgegnerin) beherrscht (vgl. § 17 Abs. 1 AktG), also ein mehrstufiger Konzern besteht (Raiser § 5 Rn. 39; s.a. Mankowski ZIP 1995., 1006/1007).

Die Beherrschung kann auf der Mehrheit der Stimmrechte oder der Anteile beruhen (vgl. OLG Stuttgart ZIP 1995, 1004/1005 und § 17 Abs. 2 AktG). Diese Voraussetzung ist bezüglich X nicht gegeben. Die Antragsgegnerin vermittelt ihm nicht die Mehrheit an den nachgeordneten Gesellschaften, da er in ihr weder die Mehrheit der Stimmrechte noch die Mehrheit der Anteile besitzt. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem durch das OLG Stuttgart (aaO) entschiedenen: Die dortige Antragsgegnerin hatte nur einen einzigen Gesellschafter, die als Konzernspitze fungierende Aktiengesellschaft. Das OLG Stuttgart konnte in dieser kapitalmäßigen Abhängigkeit den wesentlichen Grund für die Leitungsbefugnisse der Konzernspitze sehen.

Auch bei einer Minderbeteiligung kann allerdings Abhängigkeit i.S.v. § 17 Abs. 1 AktG (und damit Beherrschung i.S.v. § 5 Abs. 3 MitbestG) gegeben sein, wenn weitere Voraussetzungen hinzukommen, durch die ein Abhängigkeitsverhältnis der Gesellschaft, an der die Minderbeteiligung besteht, begründet wird, die Minderheitsbeteiligung also im Ergebnis wie eine Mehrheitsbeteiligung wirkt (Hüffer § 17 Rn. 9). Dies kann etwa die trotz der Minderbeteiligung gegebene Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung sein (vgl. OLG Stuttgart BB 1989, 1005) oder die vertragliche, in erster Linie auf Treuhand- und Stimmbindungsvereinbarungen beruhende Unterstützung des Minderbeteiligten durch andere Gesellschafter (vgl. Bayer aaO Rn. 37). In Ausnahmefällen kann auch eine Zurechnung von Drittanteilen allein aufgrund tatsächlicher Umstände in Betracht kommen, etwa wenn der Inhaber eines Unternehmens mit Familienangehörigen stets als geschlossene Einheit aufgetreten ist (A/D/S § 17 AktG Rn. 32 m. w. N.). Auch diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Insbesondere kommt eine Zurechnung der Anteile anderer an der Antragsgegnerin beteiligter Aktionäre an X nicht in Betracht. Für rechtliche Bindungen in diesem Bereich bestehen keine Anhaltspunkte. Identität der Leitungspersonen (vgl. OLG München AG 1995, 383) ist seit dem Ausscheiden von X aus dem Vorstand der Antragsgegnerin nicht mehr gegeben. Allein die verwandtschaftliche Beziehungen des Minderbeteiligten X zu anderen Gesellschaftern reichen nicht aus (vgl. BGHZ 77, 94/106,1 Bayer aaO Rn. 39; Hüffer § 17 Rn. 6 und 9).

Da schon die Voraussetzungen für eine Beherrschung der Antragsgegnerin durch X nicht gegeben sind, kommt es auf die vom OLG Stuttgart (ZIP 1995, 1004) verneinte Frage (vgl. hierzu auch Raiser § 5 Rn. 41) nicht an, ob § 5 Abs. 3 MitbestG erfordert, dass die Gesellschaft, bei der der mitbestimmte Aufsichtsrat gebildet werden soll, in den "Leitungsstrang" mit einbezogen wird. Entscheidend ist allein, dass kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen X und der Antragsgegnerin besteht.

IV.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 31 Abs. 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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