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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 13.12.2000
Aktenzeichen: 3Z BR 353/00
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1896
BGB § 1908d
FGG § 12
Alles, was der Betroffene noch selbst besorgen kann, unterliegt nicht der Betreuung.

Ein Betreuung entfällt dann, wenn auch ein gesunder Volljähriger sich der Hilfe Dritten wie eines Rechtsanwalts oder eines Steuerberaters bedienen würde.


BayObLG Beschluß

LG Landshut 60 T 2141/00; AG Landau a.d.Isar XVII 206/96

3Z BR 353/00

13.12.00

Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Nitsche und Fuchs am 13. Dezember 2000 in der Betreuungssache auf die weitere Beschwerde des Betroffenen

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die weitere Beschwerde des Betroffenen werden der Beschluss des Landgerichts Landshut vom 29. September 2000 und der Beschluss des Amtsgerichts Landau a.d.Isar vom 15. Juni 2000 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Landau a.d.Isar zurückverwiesen.

Gründe

I.

Für den Betroffenen ist ein Betreuer bestellt. Die Betreuung erstreckte sich zunächst auf sämtliche Aufgabenkreise. Am 16.8.1999 verlängerte das Amtsgericht die Betreuung bis 16.8.2004. Am 15.6.2000 beschränkte es die Betreuung auf die Aufgabenkreise Zuführung zur nervenärztlichen Behandlung, Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der am 10.11.2000 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts eingelegten weiteren Beschwerde, mit der er die vollständige Aufhebung der Betreuung anstrebt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel (Bassenge/Herbst FGG/RPflG 8. Aufl. § 69i Rn. 35) ist in der Sache begründet. Es führt zur Aufhebung der Entscheidungen des Landgerichts und des Amtsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, es lägen lediglich die Voraussetzungen für eine Einschränkung, nicht aber für eine völlige Aufhebung der Betreuung vor. Die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 BGB für die Anordnung der Betreuung seien dem Grunde nach weiterhin vorhanden. Trotz des entgegenstehenden Attestes des Hausarztes bestehe insoweit kein Zweifel. Zwar habe auch der Facharzt Dr. E. in seinem Gutachten vom 15.12.1999 angegeben, er könne eine Demenz nicht objektivieren und es gebe nicht einmal einen sicheren Hinweis auf deren Vorliegen. Nach dem Gutachten der Fachärztin Dr. U. vom 15.5.2000 liege eine vaskuläre Demenz mit organischer Wesensänderung und wechselnd ausgeprägtem dementiellen Syndrom vor. Die Sachverständige Dr. N. habe eine kognitive Störung im Bereich des leichten dementiellen Syndroms festgestellt. Sie halte eine Betreuung mit dem Wirkungskreis Vermögensverwaltung weiterhin für angebracht, meine aber, dass man einen anderen Betreuer suchen sollte. Nach Auffassung der Kammer sei die Betreuung für Vermögensangelegenheiten sowie für die nervenärztliche Behandlung weiter geboten. Dies ergebe auch die Diskussion der Kammer mit dem Betroffenen in der Anhörung vom 27.9.2000. Die komplexen Gründe, die zum Verkauf von Grundstücken des Betroffenen beigetragen hätten, seien diesem nicht zu vermitteln gewesen. Angesichts des nicht unerheblichen Vermögens scheine der Betroffene in solchen Dingen fremder Hilfe zu bedürfen. Auch im Hinblick auf die Medikamenteneinnahme scheine eine entsprechende Compliance beim Betroffenen nicht dauerhaft zu gewährleisten zu sein. Der Verlauf der Diskussion mit dem Betroffenen habe klar zu erkennen gegeben, dass die ihm im Rahmen der bestimmten Aufgabenkreise der Betreuung angebotene Hilfe erforderlich sei, um dem Betroffenen ein möglichst unbeschwertes Leben in Freiheit zu ermöglichen. Die krankheitsbedingt beim Betroffenen immer bestehende Gefahr, ins Bezirkskrankenhaus oder in eine behütende Einrichtung eingewiesen zu werden, könne durch die Betreuung im vorliegenden Fall zumindest verringert werden. Dies stehe im vordringlichen Interesse des Betroffenen. Seine Sorge, durch die Betreuung werde in seine Ehre eingegriffen, sei zwar menschlich verständlich, rechtlich aber nicht relevant und in der Sache auch nicht begründet. Die Betreuung sei ein Instrument zur Unterstützung des Betroffenen zur Gestaltung eines möglichst unbeschwerten Lebens.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht stand.

a) Nach § 1908d Abs. 1 BGB ist die Betreuung aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Voraussetzung für die Anordnung einer Betreuung ist, dass ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Volljährigen und, wie hier, gegen seinen Willen, setzt aber voraus, dass der Betreute aufgrund einer psychischen Erkrankung seinen willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz zwar nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes. Denn der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen BÜrger zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen (BVerfGE 22, 180/219 f.; BayObLGZ 1994, 209/211).

b) Das Landgericht geht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB noch vorliegen. Es hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob durch die Erkrankung des Betroffenen der freie Wille noch ausgeschlossen ist. Zwar hat das Landgericht in seiner Entscheidung vom 3.9.1999, mit der es die Verlängerung der Betreuung bestätigt hat, festgestellt, dass der Betroffene "zu einer kritischen und situationsadäquaten Einschätzung seiner vermögensrechtlichen Angelegenheiten nicht in der Lage" ist. Es bleibt aber unklar, ob das Landgericht auch jetzt noch davon ausgeht, dass der freie Wille beim Betroffenen fehlt.

Der Senat kann diese Feststellungen nicht selbst treffen. Keiner der vier Sachverständigen, die sich nach Erlaß der landgerichtlichen Entscheidung vom 3.9.1999 geäußert haben, hat zu dieser Frage Stellung genommen. Andererseits beurteilen die Sachverständigen das Gewicht der psychischen Erkrankung sehr unterschiedlich. Der Hausarzt attestiert einen guten körperlichen und geistigen Zustand und geht von voller Geschäftsfähigkeit des Betroffenen aus. Ein Facharzt für Psychiatrie konnte ebenfalls keine geistige Behinderung mit Krankheitswert feststellen. Die beiden anderen Fachärzte für Psychiatrie halten eine eingeschränkte Betreuung für zweckmäßig. Bei dieser Sachlage bedarf es weiterer Klärung (§ 12 FGG), ob beim Betroffenen der freie Wille aufgrund der psychischen Erkrankung noch ausgeschlossen ist. Die Entscheidung des Landgerichts kann deshalb keinen Bestand haben.

Der Senat hält es für sachdienlich (vgl. BayObLGZ 1993, 76/81), das Verfahren an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Dort ist noch das Verfahren anhängig, ob die bisherige Betreuerin durch einen anderen Betreuer - ganz oder zum Teil - ersetzt werden soll. Muß die Betreuung aufrechterhalten werden, so ist es angezeigt, sogleich über die Frage des Betreuerwechsels mit zu entscheiden.

c) Der Senat weist auf folgendes hin:

Sollten die weiter durchzuführenden Ermittlungen ergeben, dass beim Betroffenen in Vermögensangelegenheiten die freie Willensbildung nur zum Teil fehlt, ist nicht automatisch für die gesamte Vermögenssorge ein Betreuer zu bestellen. Die Betreuung darf Angelegenheiten nicht erfassen, die der Betreute noch selbst besorgen kann (BT-Drucks. 11/4528 S. 52). Es wäre deshalb zu prüfen, ob die Betreuung nicht auf die gewichtigeren Geschäfte beschränkt werden kann, damit der Betroffene - seinem Wunsch entsprechend - eine gewisse wirtschaftliche Bewegungsfreiheit wieder erhält. Der Begriff "Aufgabenkreis" in § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB schließt es nicht aus, dem Betreuer nur eine einzige oder wenige einzelne Angelegenheiten zuzuweisen (BT-Drucks. aaO S. 121). Ein Betreuungsbedürfnis besteht auch nicht schon dort, wo auch ein gesunder Volljähriger sich der Hilfe eines anderen (Rechtsanwalt, Steuerberater usw.) bedienen würde. Nur wenn der Betroffene psychisch außer Stande ist, solche Hilfe von sich aus in Anspruch zu nehmen oder sogar die Notwendigkeit der Inanspruchnahme zu erkennen, kommt die Anordnung einer Betreuung in Betracht (Palandt/Diederichsen BGB 59. Aufl. § 1896 Rn. 8). Soweit die Bestellung eines Betreuers unumgänglich ist, könnte dem Anliegen des Betroffenen auch dadurch Rechnung getragen werden, dass für die Vermögenssorge ein anderer Betreuer bestellt wird.

Ende der Entscheidung

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