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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.02.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 380/01
Rechtsgebiete: GmbHG, FGG


Vorschriften:

GmbHG § 4 a Abs. 2
FGG § 144 a Abs. 4
Auch nach Inkrafttreten von § 4a Abs. 2 GmbHG bleibt die Bestimmung des Sitzes einer GmbH durch Gesellschaftsvertrag selbst dann gültig, wenn nachträglich die Geschäftsräume an einen anderen Ort verlegt werden.
Gründe:

I.

Die Betroffene, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ist seit 30.7.1992 in das Handelsregister eingetragen. Als Sitz der Gesellschaft ist entsprechend § 1 der Satzung der Betroffenen der Ort K. angegeben.

Im Jahre 1998 teilte eine Gläubigerin der Betroffenen dem Registergericht mit, dass die Betroffene über keinerlei Geschäftslokal mehr verfüge. In jedem Falle handele es sich bei der Anschrift in K. nur um eine Tarnadresse. Das Registergericht forderte die Betroffene mit Verfügung vom 3.5.2001 auf, bis spätestens.5.6.2001 in öffentlich beglaubigter Form die Sitzverlegung zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden oder die Unterlassung der Anmeldung durch Widerspruch zu rechtfertigen. Die Betroffene erhob Widerspruch, den das Registergericht mit Beschluss vom 15.6.2001 zurückwies. Zugleich stellte das Registergericht den Mangel der Satzung fest und erklärte die Gesellschaft für aufgelöst. Hiergegen legte die Betroffene sofortige Beschwerde ein, die das Landgericht nach Durchführung ergänzender Ermittlungen mit Beschluss vom 14.11.2001 (NZG 2002, 95) zurückgewiesen hat. Gegen den Beschluss des Landgerichts wendet sich die Betroffene mit dem Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Das Registergericht habe zu Recht festgestellt, dass die statutarischen Angaben über den Sitz der Betroffenen nicht mehr zutreffend seien. Die Betroffene unterhalte in K. weder ihre Geschäftsleitung noch ihre Verwaltung. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang, von wo aus die Geschäfte der Betroffenen tatsächlich getätigt würden. Der Notgeschäftsführer der Betroffenen habe dazu erklärt, seine Aufträge praktisch ausschließlich telefonisch über Mobilfax in Italien entgegenzunehmen. Tätigkeitsschwerpunkt sei damit Italien. Die Betroffene unterhalte in K. darüber hinaus auch keinen Betrieb. Wie die Ermittlungen der Kammer ergeben hätten, existiere in K. keine entsprechende organisatorische Einheit. Bei einer Nachschau seien auch keine Arbeiten erkennbar gewesen, die auf Erstellung eines von der Betroffenen angeblich geplanten Lagerplatzes gerichtet gewesen wären. Schließlich sei auch kein Grund gegeben, im vorliegenden Falle von der Regel des § 4a GmbHG abzuweichen. Im übrigen habe eine Überprüfung der Akte zwar keine Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass bereits die Angaben der Betroffenen über ihren Sitz im Rahmen des Anmeldeverfahrens unzutreffend gewesen seien. Es sei deshalb davon auszugehen, dass ein den Sitz der Betroffenen betreffender Mangel der Satzung erst nachträglich eingetreten sei. Auch auf diesen Fall sei aber das Amtsauflösungsverfahren nach § 144a FGG anzuwenden; der Gesetzeszweck des § 4a GmbHG, der die früher bestehende Wahlfreiheit für den Sitz einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ganz wesentlich eingeschränkt habe, erfordere eine entsprechende Reaktionsmöglichkeit.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.

a) Die Durchführung eines Feststellungsverfahrens nach § 144a FGG setzt bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung voraus, dass der Gesellschaftsvertrag der eingetragenen Gesellschaft entweder eine der nach §§ 3 Abs. 1 Nrn. 1 oder 4 GmbHG wesentlichen Bestimmungen nicht enthält oder eine dieser Bestimmungen oder die Bestimmung nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG nichtig ist (§ 144a Abs. 4,FGG). § 144a FGG stellt seinerseits eine Sonderregelung zu § 142 FGG dar. Die Vorschrift enthält eine abschließende Aufzählung der zur Auflösung führenden Satzungsmängel einer GmbH (vgl. Bassenge u.a. FGG RPflG 9. Aufl. § 144a FGG Rn. 1 f.).

b) Im vorliegenden Fall ist der Sitz der Gesellschaft, also eine der beiden nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG wesentlichen Bestimmungen, in der Satzung der Betroffenen festgelegt. Damit scheidet die erste Alternative des § 144a Abs. 4 FGG aus. Aber auch die Voraussetzungen der zweiten Alternative sind nicht erfüllt. Die in 9.1 der Satzung der Betroffenen zunächst rechtswirksam getroffene Bestimmung des Firmensitzes ist auch dann nicht nichtig im Sinn des § 144a FGG, wenn die in § 4a Abs. 2 GmbHG genannten Umstände auf den dort genannten Ort K. nicht mehr zutreffen.

aa) Zutreffend weist das Landgericht darauf hin, dass § 4a Abs. 2 GmbHG, der bestimmte tatsächliche Anforderungen an den als Sitz einer GmbH ausgewiesenen Ort stellt, seit dem Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1.1.1999 auch für zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Gesellschaften den bis dahin geltenden Grundsatz der freien Sitzwahl eingeschränkt hat (vgl. Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG 17. Aufl. § 4a Rn. 1).

Der Gesellschaftsvertrag auch einer solchen Altgesellschaft hat somit in der Regel den Ort, an dem die Gesellschaft einen Betrieb hat, oder den Ort, an dem sich die Geschäftsleitung befindet oder die Verwaltung geführt wird, als Sitz der Gesellschaft zu bestimmen.

bb) Es bestehen Zweifel, ob das Landgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Recht zu dem Schluss gelangt ist, dass die Betroffene an ihrem statutarischen Sitz in K. derzeit weder ihre Geschäftsleitung noch ihre Verwaltung unterhält. Die Geschäftsleitung einer GmbH befindet sich, wie das Landgericht zutreffend ausführt, an dem Ort, von dem aus der Geschäftsführer die Geschicke der Gesellschaft leitet. Entsprechendes gilt für den Sitz der Verwaltung (vgl. Lutter/Hommelhoff GmbHG 15. Aufl. § 4a Rnrn. 7 und 8). Es erscheint aber im Hinblick auf die Fassung des § 4a Abs. 2 GmbHG ("in der Regel") fraglich, welche Konsequenzen hieraus für eine Gesellschaft wie die Betroffene zu ziehen sind. Diese betreibt keine Produktions- oder Verkaufsstätten und weist auch im übrigen nur einen sehr geringen Organisationsgrad auf. Treffen die Angaben des Notgeschäftsführers zu, werden Transportaufträge, die der Gesellschaft erteilt werden und den wesentlichen Gegenstand ihrer geschäftlichen Aktivitäten bilden, fast ausschließlich während der Transportfahrten über Mobiltelefon bzw. Mobilfax entgegengenommen; sonstige Tätigkeiten an einem möglichen Sitzort fallen nur in sehr untergeordnetem Umfang an. Nach Aktenlage bestehen auch Anhaltspunkte dafür, dass diese Tätigkeiten vom angegebenen Sitz aus vorgenommen werden. Immerhin hat die Gesellschaft unter der angegebenen Anschrift ihr Gewerbe angezeigt, gibt Steuererklärungen ab und ist, jedenfalls seit der Bestellung eines Notgeschäftsführers, für gerichtliche Anfragen und Zustellungen ohne Ausnahme unter der Anschrift erreichbar. Dass sich vollstreckbares Vermögen am Sitzort befindet, setzt das Gesetz nicht voraus.

cc) Die Frage kann jedoch dahinstehen. Auch wenn man mit dem Landgericht davon ausgeht, dass die Aktivitäten der Betroffenen am statutarischen Sitzort den Anforderungen des § 4a Abs. 2 GmbHG nicht mehr entsprechen, kommt hier die Durchführung eines Verfahrens nach § 144a FGG nicht in Betracht. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat die Betroffene nicht bereits im Rahmen des Anmeldeverfahrens zum Handelsregister unzutreffende Angaben über ihren Sitz gemacht. Vielmehr ist der den Sitz der Betroffenen betreffende Mangel erst zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt nachträglich eingetreten. Die zunächst rechtswirksame Bestimmung des Sitzes der Gesellschaft durch Gesellschaftsvertrag wird aber nicht dadurch nichtig im Sinn des § 144a FGG, dass die tatsächlichen Voraussetzungen, die § 4a Abs. 2 GmbHG an die Bestimmung des Sitzes knüpft, nachträglich entfallen. Die Einleitung eines Verfahrens der Amtsauflösung scheidet in einem solchen Falle aus (vgl. BayObLGZ 1982, 140; vgl. ferner OLG Frankfurt OLGZ 1979, 309; LG Mannheim GmbHR 2000, 874).

(1) Diese Rechtsauffassung ist allerdings, wie das Landgericht zutreffend erkennt, sehr umstritten. Während ihr die Rechtsprechung bisher - soweit ersichtlich - einhellig folgt, steht die überwiegende Meinung im Schrifttum mittlerweile auf dem gegenteiligen Standpunkt (vgl. dazu insbesondere Baumbach/Hueck/Fastrich § 4a.Rn. 9, modifizierend allerdings Schulze-Osterloh Anhang zu § 77 Rn. 32 - keine Nichtigkeit der Sitzbestimmung, aber § 144a Abs. 4 FGG analog -; Lutter-Hommelhoff § 4a Rn. 16; Scholz/Emmerich GmbHG 9. Aufl. § 4a Rn. 20; vgl. für die AG Hüffer AktG 4. Aufl. § 5 Rn. 11; wie der Senat hingegen Bassenge u.a. § 144a FGG Rn. 2; Keidel/ Winkler FGG 14. Aufl. § 144a Rn. 5; für die AG KK-AktG/Kraft 2. Aufl. § 5 Rn. 32).

(2) Hauptargument der Stimmen in der Literatur, die sich für eine Anwendung von § 144a Abs. 4 FGG insbesondere auf Fälle aussprechen, in denen der tatsächliche Sitz einer GmbH entgegen dem statutarischen Sitz nachträglich verlagert wird, ist die Gesetzesänderung, die zu § 4a Abs. 2 GmbHG geführt hat. Der Gegenansicht sei durch diese Gesetzesänderung die Grundlage entzogen; sie basiere darauf, dass grundsätzlich statutarischer und tatsächlicher Sitz der Gesellschaft auseinanderfallen könnten, was nunmehr nicht mehr möglich sei. Die Gesellschaft habe daher eine Pflicht zur förmlichen Satzungsänderung. Ohne die Annahme einer solchen Pflicht könne der Gesetzeszweck die Vermeidung rechtsmissbräuchlicher (faktischer) Sitzverlegungen, nicht erreicht werden; dem -zwingenden Charakter von §14a Abs. 2 GmbHG müsse Geltung verschafft werden (vgl. Lutter/Hommelhoff aaO).

(3) Dem ist entgegenzuhalten, dass sich die Rechtsprechung des Senats nicht in erster Linie auf die Zulässigkeit eines fiktiven Sitzes der GmbH gestützt hat, sondern darauf, dass § 144a FGG die Nichtigkeit einer Satzungsbestimmung voraussetzt. Nichtigkeit im Sinn dieser Vorschrift bezieht sich daher nicht auf das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des Sitzes einer GmbH oder auf dessen Eintragung im Handelsregister, sondern nur auf die rechtsgeschäftliche Regelung des Gesellschaftsvertrages, welche die Bestimmung des Sitzes zum Gegenstand hat. Hierauf, und nicht auf den Sitz selbst, stellt der Wortlaut des § 144a FGG ab.

Diese Satzungsregelung ist zwar wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig, wenn sie gegen zwingendes Recht verstößt (§ 134 BGB; vgl. BayObLGZ 1979, 207/209)1. Nichtigkeit gemäß § 134 BGB tritt aber nicht durch eine nachträgliche Veränderung der Umstände ein. Vielmehr muss der Gesetzesverstoß im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts gegeben sein (Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. § 134 Rn. 12b). Hinzu kommt, dass der Sitz einer Gesellschaft nach wie vor, trotz § 4a Abs. 2 GmbHG, weder durch den Ort ihrer Betätigung noch durch die Lage der Geschäftsräume festgelegt wird. Vielmehr gilt der Grundsatz, dass Sitz der Gesellschaft der Ort ist, den der Gesellschaftsvertrag bestimmt (so ausdrücklich § 4a Abs. 1 GmbHG). Dementsprechend bedarf die Sitzverlegung auch weiterhin der Satzungsänderung durch Gesellschafterbeschluss (§ 53 GmbHG), der erst mit Eintragung in das Handelsregister wirksam wird (§ 54.Abs. 3 GmbHG). Bleibt die statutarische Regelung unverändert, mag der statutarische Sitz seinen tatsächlichen Bezug zum Geschäftsbetrieb der Gesellschaft verlieren. Auch mag die Gesellschaft zu einer Anpassung ihrer Satzung verpflichtet sein. Die Verlagerung von Geschäftsräumen o.ä. ist jedoch auch in diesem Fall weder ein Rechtsgeschäft oder Umstand, auf dem die seinerzeitige Bestimmung des Geschäftssitzes beruhen würde in dem Sinn, dass ihre Wirksamkeit entfiele (vgl. auch KK-AktG/Kraft § 5 Rn. 32), noch führt sie zu einer Änderung des Sitzes. Somit fehlt es an einer rechtlichen Grundlage dafür, die Nichtigkeit der ursprünglich zulässigen und wirksamen Bestimmung des Geschäftssitzes in der Satzung anzunehmen (vgl. BayObLGZ 1982, 140/142; 1979, 207/209). Bleibt die satzungsrechtliche Sitzbestimmung trotz veränderter Umstände wirksam, fehlt die Grundlage für eine Anwendung des § 144a FGG. Die Vorschrift stellt nur darauf ab, ob die entsprechende Bestimmung des Gesellschaftsvertrages nach materiellem Recht nichtig ist. Eine Gesellschaft, die vom sachlich en Recht als gültig anerkannt ist, kann vom Registergericht nicht gelöscht werden (BayObLGZ 1982, 140/143).

(4) Auch eine entsprechende Anwendung des § 144a FGG auf Fälle des nachträglichen Entfallens der Voraussetzungen des § 4a Abs. 2 GmbHG (so insbesondere Wessel BB 1984, 1057/1059; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh aaO) kommt nicht in Betracht. § 144a FGG beschränkt bewusst die Gründe, die zu einer Auflösung der Gesellschaft von Amts wegen führen. Auch ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit § 4a Abs. 2 GmbHG zwar (auch) der Geschäftspraxis unseriöser Gesellschaften entgegentreten wollte, sich durch (faktische?) Sitzverlegung dem Zugriff ihrer Gläubiger zu entziehen (vgl. BT-Drs. 13/8444 S. 75). Gleichwohl hat er in Kenntnis der Auslegung des bisherigen Rechts durch die Obergerichte, die nach dem Inhalt ihrer Begründung auch für die der Neuregelung parallele Vorschrift des § 5 Abs. 2 AktG galt, auf eine Klarstellung im Sinne einer Nichtigkeitsfolge für die Satzung bei nachträglicher faktischer Sitzverlegung verzichtet. Wäre eine solche weitgehende, über den Gesetzeswortlaut und gefestigte rechtsdogmatische Grundsätze hinausreichende, tief in die Rechte Betroffener eingreifende Rechtsfolge gewünscht gewesen, wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber dies im Gesetz selbst wie auch in seiner Begründung klar zum Ausdruck gebracht hätte. Dies ist nicht geschehen. Der Senat sieht deshalb trotz der Einfügung des § 4a Abs. 2 GmbHG keinen Anlass, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.

3. Einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz bedarf es nicht. Weitere tatsächliche Feststellungen sind nicht zu treffen, so dass der Senat selbst in der Sache entscheiden kann (vgl. BayObLG NJW-RR 1989, 1092/1093). Bei der gegebenen Rechtslage müssen der Beschluss des Landgerichts sowie der diesem zu Grunde liegende Beschluss des Registergerichts nebst dessen Ausgangsverfügung ersatzlos aufgehoben werden.

III.

Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 31 Abs. 1, 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO.

Ende der Entscheidung

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