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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 23.01.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 396/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1908d Abs. 3
Eine Betreuung kann ohne Einwilligung des Betreuten um zusätzliche Aufgaben erweitert werden, wenn der Betroffene krankheitsbedingt seine Angelegenheiten insoweit nicht selbst besorgen kann.
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie des Richters Dr. Schreieder und der Richter in Vavra

am 23. Januar 2002

in der Betreuungssache

auf die weitere Beschwerde der Betroffenen

beschlossen:

Tenor:

I. Der Beschluss des Landgerichts Memmingen vom 30. Oktober 2001 wird aufgehoben, soweit er die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge betrifft.

II. Die Sache wird insoweit zu erneuter Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Memmingen zurückverwiesen.

III. Der Betroffenen wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde mit Wirkung ab 5. Dezember 2001 Prozesskostenhilfe bewilligt.

Zur Wahrnehmung ihrer Rechte wird ihr Rechtsanwältin R beigeordnet.

Gründe:

I.

Für die Betroffene wurde am 14.2.2001 eine Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern bestellt. Durch Beschluss vom 12.9.2001 erweiterte das Amtsgericht die Betreuung um den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, entließ die bisherige Betreuerin und bestellte einen anderen Berufsbetreuer. Das Landgericht hat am 30.10.2001 die Beschwerde der Betroffenen gegen diese Beschlüsse zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer weiteren Beschwerde, mit der sie nur noch die Aufhebung der Betreuung für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge erreichen will.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, § 27 Abs. 1 FGG. Es führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, soweit der Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge betroffen ist.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene sei nach den Feststellungen im Sachverständigengutachten gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB zu Recht erfolgt. Die Betroffene sei aufgrund ihrer seit dem neunten Lebensjahr bestehenden Schwerhörigkeit und wegen fehlender Förderung in der Fähigkeit zur Ausbildung von Erfahrung und zum Erwerb kognitiver Fähigkeiten eingeschränkt. Sie leide deshalb an Verständnismängeln und eingeschränkter bzw. verzerrter Wahrnehmung und sei infolgedessen nicht dazu in der Lage, komplexere Angelegenheiten selbständig und in freier Selbstbestimmung zu tätigen; sie könne nur einfachere Abläufe organisieren und sachgerecht umsetzen. Die Erweiterung der Betreuung auch auf den Bereich Gesundheitsfürsorge sei erforderlich. Die Betroffene neige zu Depressionen und äußere Suizidabsichten, zusätzlich entwickele sich bei ihr eine Lichtallergie. Dennoch sei die Betroffene zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe nicht bereit, sondern entziehe sich dieser. Dies ergebe sich aus der Stellungnahme der früheren Betreuerin, der Stellungnahme einer Fachberaterin für Hörgeschädigt e, der vom Amtsgericht durchgeführten, persönlichen Anhörung der Betroffenen und einer amtsgerichtlichen Rücksprache mit dem Hausarzt der Betroffenen.

2. Dies hält der rechtlichen Überprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG; 550, 561 ZPO a.F.) nicht stand. Das Landgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt.

a) Der Aufgabenkreis eines Betreuers ist zu erweitern, wenn dies erforderlich wird; hierfür gelten die Vorschriften über die Bestellung eines Betreuers entsprechend (§ 1908d Abs. 3 BGB). Die Erweiterung des dem Betreuer zugewiesenen Aufgabenkreises setzt demnach voraus, dass der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten auch im Bereich des weiter hinzukommenden Aufgabenkreises nicht zu besorgen vermag (§ 1896 Abs. 1 Satz 1, § 1908d Abs. 3 BGB, BayObLG FamRZ 1998, 453/454). Ohne das Einverständnis des Betroffenen ist die Anordnung einer Betreuung nur zulässig, wenn der Betroffene krankheits- oder behinderungsbedingt nicht imstande sei, seinen Willen frei zu bestimmen (vgl. BayObLGZ 1994, 209/211; BayObLG FamRZ 2000, 189; OLG Hamm FamRZ 2000, 494/496; OLG Köln FamRZ 2000, 908)., d.h. seinen Willen unbeeinflusst von der Krankheit oder Behinderung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln (vgl. BGH NJW 1996, 918/919). Die erforderlichen Feststellungen sind aufgrund eines Sachverständigengutachtens (vgl. § 68b Abs. 1 Satz 1 FGG) zu treffen; bei psychischen Krankheiten und geistigen/seelischen Behinderungen ist grundsätzlich ein Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie zu beauftragen, zumindest aber ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt (BayObLG FamRZ 1993, 351/352).

b) Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht hinreichend beachtet. Das Landgericht hat keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass die Betroffene aufgrund ihrer geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge selbst zu besorgen.

aa) Für die Feststellung der geistigen Behinderung (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB) hat das Landgericht seine Entscheidung auf das in erster Instanz von einer Fachärztin für Psychiatrie, erstellte Gutachten gestützt. Die Würdigung des Sachverständigengutachtens ist Sache des Tatrichters und vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüfbar, d.h. dahin, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend ermittelt und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, ob seine Beweiswürdigung i n sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen gesetzliche Beweisregeln oder Denkgesetze oder feststehende Erfahrungssätze verstößt, ferner, ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind (BayObLGZ 1993, 18/19 m.w.N.). Das Landgericht hat seiner Entscheidung die Diagnose der Fachärztin für Psychiatrie zugrundegelegt, welche der Betroffenen eine geistige Behinderung infolge ihrer gravierenden Schwerhörigkeit attestiert hat. Insoweit sind Rechtsfehler nicht erkennbar.

bb) Das Landgericht hat aber übersehen, dass die festgestellte geistige oder seelische Behinderung kausal sein muss für die fehlende Fähigkeit, in dem jeweiligen Aufgabenkreis seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Geht es um die Erweiterung des Aufgabenkreises, muss diese Feststellung konkret und widerspruchsfrei für den neu hinzukommenden Aufgabenkreis getroffen werden. Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat aufgrund des Sachverständigengutachtens festgestellt, dass die Betroffene zur Verarbeitung komplexer Sachverhalte zwar nicht mehr in der Lage ist, einfache Sachverhalte aber selbst bewältigen kann. Die Erweiterung der Betreuung auf den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge wird von dieser Feststellung nicht gedeckt. Das Landgericht hat nicht ausgeführt, aus welchen Gründen die Betroffene zur Besorgung dieses Aufgabenkreises, der hier, soweit ersichtlich, besondere Schwierigkeiten nicht aufweist, und zu einer freien Willensbestimmung in diesem Bereich nicht in der Lage sein soll. Die Fachärztin für Psychiatrie ist in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge nicht erforderlich sei. Eine nähere Auseinandersetzung des Landgerichts mit diesem Ergebnis der Gutachterin fehlt.

Soweit sich das Landgericht auf die Stellungnahmen der früheren Betreuerin, der Mitarbeiterin für Hörgeschädigte und des Hausarztes der Betroffenen stützt, enthalten diese Äußerungen zur Frage des krankheitsbedingten Ausschlusses der freien Willensbestimmung keine verwertbaren Grundlagen und entsprechen nicht der Qualität einer fachpsychiatrischen Beurteilung. Vielmehr schildern sie einen Behandlungsbedarf der Betroffenen aus anderen Gründen (Depression, Lichtallergie) und eine Ablehnung der Heilbehandlung durch die Betroffene für diese Krankheiten; sie enthalten aber keine hinreichenden Anhaltspunkte dazu, dass die fehlende Krankheitseinsicht und mangelnde freie Willensbestimmung gerade auf der verringerten Fähigkeit zur Erfassung komplexer Sachverhalte beruhen. Im übrigen sind die angeführten Krankheitsbilder bisher nicht durch einen Facharzt diagnostiziert worden. Auch hat der Hausarzt nicht erklärt, dass die Betroffene jede ärztliche Behandlung ablehne, sondern nur, dass sie einige Zeit nicht bei ihm gewesen sei und dass sie mal den, mal jenen Arzt aufsuche.

Soweit die Betroffene möglicherweise aufgrund der Krankheitsbilder Depression und Lichtallergie zu einer freien Willensbestimmung nicht mehr in der Lage sein sollte, fehlt es bisher an einer gutachtlichen Stellungnahme in dieser Richtung.

3. Die Entscheidung des Landgerichts war daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, damit die für die Frage der möglichen Erweiterung der Aufgabenkreise erforderlichen Feststellungen verfahrensfehlerfrei getroffen werden können.

4. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 14 FGG; §§ 114, 119, 121 Abs. 2 ZPO.



Ende der Entscheidung

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