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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 02.04.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 52/03
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 70h Abs. 3
BGB § 1908i Abs. 1
BGB § 1846
Ordnet das Vormundschaftsgericht selbst die zivilrechtliche Unterbringung des Betroffenen an, so muß es von sich aus geeignete Maßnahmen treffen, damit dem Betroffenen innerhalb weniger Tage ein (vorläufiger) Betreuer zur Seite gestellt wird.
Gründe:

I.

Der Betroffene wurde am 18.12.2002 auf Grund einer am selben Tag getroffenen Anordnung der zuständigen Behörde gegen seinen Willen im Bezirkskrankenhaus geschlossen untergebracht.

Anlass hierfür war ein vorangegangener Polizei- und Feuerwehreinsatz auf Grund eines aus der Wohnung des Betroffenen herrührenden Brandgeruchs. Nach den von der Behörde zugrunde gelegten Feststellungen wurde der Betroffene nach anfänglicher Weigerung zur Öffnung der Tür in seiner Wohnung mit körperlichen, offenbar von einem Sturz herrührenden Verletzungen und im Zustand geistiger Beeinträchtigung angetroffen. Der Brandgeruch war durch eine mehrstündige Überhitzung des Küchenherdes verursacht worden.

Nach einer Anhörung des Betroffenen im Bezirkskrankenhaus ordnete die zuständige Vormundschaftsrichterin am 20.12.2002 auf zivilrechtlicher Grundlage die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 10.1.2003 einstweilen an.

Nachdem das Bezirkskrankenhaus dem Vormundschaftsgericht mitgeteilt hatte, der Betroffene befinde sich seit dem 30.12.2002 in freiwilliger Behandlung, wurde am 7.1.2003 der vorangegangene Beschluss über die Zulässigkeit der Unterbringung aufgehoben sowie das Betreuungs- und Unterbringungsverfahren eingestellt. Zur Begründung wurde auf die Freiwilligkeit des weiteren Aufenthalts in der Einrichtung hingewiesen; ein Betreuungsbedürfnis bestehe nicht. Mit Schreiben vom 8.1.2003 hat der Betroffene gegen den Beschluss vom 20.12.2002 sofortige Beschwerde eingelegt. Diese hat das Landgericht mit Beschluss vom 7.2.2003 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt.

Es ist auch in der Sache begründet.

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt:

Auf Grund der Feststellungen der behandelnden Ärztin sei bei Beginn der Unterbringung vom Vorliegen sowohl einer psychischen Krankheit als auch eines Unterbringungsgrundes auszugehen gewesen. Es habe der dringende Verdacht einer affektiven Störung mit psychischer Symptomatik vorgelegen. Der Betroffene habe zudem Anzeichen von Verwirrtheit gezeigt, die möglicherweise auf eine Sickerblutung infolge seiner Kopfverletzung zurückzuführen seien. Es habe die Gefahr bestanden, dass der Betroffene bei fehlender Abklärung und Behandlung dieser durchaus wahrscheinlichen körperlichen Ursachen seiner psychischen Beeinträchtigungen Krampfanfälle erleiden oder sich im Straßenverkehr schädigen könne. Der Betroffene sei zur Erkenntnis der drohenden Gesundheitsgefahr und zu einer freien Willensbildung bezüglich der Behandlung seines gesundheitlichen Schadens nicht in der Lage gewesen. Damit hätten die Voraussetzungen einer Unterbringungsmaßnahme vorgelegen. Das Vormundschaftsgericht habe hier auch selbst gemäß § 70h Abs. 3 FGG i.V.m. § 1846 BGB die vorläufige Unterbringung anordnen können. Diese Anordnung sei im Hinblick auf die dem Betroffenen im Fall des Aufschubs der Unterbringung drohenden Gefahren auch verhältnismäßig gewesen.

2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die sofortige Beschwerde gegen die Anordnung des Amtsgerichts zulässig ist. Zwar hatte sich die Hauptsache des Verfahrens bereits zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde erledigt, wobei offen bleiben kann, ob als erledigendes Ereignis die nach Mitteilung des Bezirkskrankenhauses abgegebene Freiwilligkeitserklärung oder die spätere Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses am 7.1.2003 zu werten ist.

Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es, auch in den Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs zu bejahen (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456; BayObLGZ 2000, 220 und 2002, 304 = FGPrax 2002, 281).

Der Betroffene hat in seinem Beschwerdeschreiben vom 8.1.2003 deutlich gemacht, dass er mit seinem Rechtsmittel eine Überprüfung des vormundschaftsgerichtlichen Beschlusses auf dessen Rechtmäßigkeit anstrebe. Dies hat auch das Landgericht ausdrücklich so beurteilt. Damit hat sich das Landgericht zu Recht mit diesem Antrag befasst und sich auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der amtsgerichtlichen Anordnung beschränkt. Diese ist damit auch Gegenstand des Verfahrens der weiteren Beschwerde.

b) Das Landgericht durfte aber die Anordnung des Amtsgerichts zur vorläufigen Unterbringung des Betroffenen - unabhängig von der Frage, ob sachlich die Voraussetzungen hierfür vorlagen - schon deshalb nicht für rechtmäßig erachten, weil das Vormundschaftsgericht nicht dafür Sorge getragen hat, für den Betroffenen unverzüglich einen Betreuer zu bestellen.

aa) Das Vormundschaftsgericht konnte hier zwar nach § 1846, § 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB eine Unterbringung anordnen, ohne zugleich einen Betreuer zu bestellen (BGHZ 150, 45 = FamRZ 2002, 744; BayObLG FGPrax 2002, 191). Allerdings ist bei der Anwendung des § 1846 BGB zu beachten, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift im Betreuungsrecht handelt und dass den vom Gesetzgeber eingeführten Verfahrensgarantien besondere Bedeutung zukommt. Das Betreuungsrecht wollte die Position des Betroffenen auch dadurch stärken, dass der Betreuer eigenständig und auf Grund eines persönlichen Vertrauensverhältnisses die notwendigen Entscheidungen treffen kann. Eingriffe des Vormundschaftsgerichts sollen in der Regel auf Kontrollfunktionen beschränkt sein. Deshalb kann von der eigenständigen Anordnungsbefugnis des § 1846 BGB nur in dringenden Fällen, in denen ein Aufschub einen Nachteil für den Betreuten zur Folge haben würde, Gebrauch gemacht werden (BGH aaO m. w. N.; BayObLG aaO).

Ordnet das Vormundschaftsgericht wegen der Dringlichkeit des Falles die Unterbringung ohne Beteiligung eines Betreuers an, hat es gleichzeitig mit der Anordnung dafür Sorge zu tragen, dass unverzüglich ein Betreuer bestellt wird, der die Interessen des Betreuten wahrnehmen und die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 BGB in eigener Verantwortung treffen kann. Regelmäßig ist zeitgleich mit der Anordnung der Unterbringung ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers einzuleiten. Bei Anordnungen außerhalb des Gerichtsgebäudes an Ort und Stelle oder außerhalb der normalen Dienstzeit muss durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Einleitung des Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers unverzüglich - regelmäßig am nächsten Arbeitstag - nachgeholt wird. Das Gericht muss zudem sicherstellen, dass dem Betroffenen innerhalb weniger Tage ein Betreuer zur Seite steht. Kann innerhalb dieser Zeitspanne ein Betreuer nicht bestellt werden, etwa wegen eines einzuholenden Sachverständigengutachtens, ist es erforderlich, gleichzeitig mit der Einleitung eines Verfahrens Maßnahmen zur Bestellung eines vorläufigen Betreuers nach § 69f FGG zu treffen (BGH aaO; BayObLG aaO).

Trifft das Vormundschaftsgericht nicht gleichzeitig mit der Anordnung zur Unterbringung die zur unverzüglichen Bestellung eines wenigstens vorläufigen Betreuers erforderlichen Maßnahmen, ist die Anordnung der Unterbringung von vornherein unzulässig. Denn sie ist nicht unter Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens angeordnet worden (BGH aaO; BayObLG aaO).

bb) Diesen rechtlichen Vorgaben wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Zum Zeitpunkt der einstweiligen Anordnung war noch kein Betreuer bestellt. Das Vormundschaftsgericht hat auch nicht dafür Sorge getragen, dass unverzüglich ein Betreuer bestellt wird.

Das Vormundschaftsgericht hat hier am Freitag, den 20.12.2002 außerhalb des Gerichtsgebäudes eine vorläufige Unterbringung nach § 1846, § 1908i Abs. 1 BGB angeordnet. Es hätte deshalb spätestens am nächsten regulären Arbeitstag des Gerichts, nämlich am Montag, den 23.12.2002, geeignete Maßnahmen treffen müssen, um wenigstens die Bestellung eines vorläufigen Betreuers in die Wege zu leiten. Keiner abschließenden Klärung bedarf hier, welche geeignete Maßnahmen in Betracht kommen. Bietet sich keine Person, die die Voraussetzungen des § 1897 Abs. 4 und 5 BGB erfüllt, als vorläufiger Betreuer an, muss zumindest eine telefonische oder Faxanfrage an die zuständige Betreuungsstelle gerichtet werden, die entsprechend ihrer Verpflichtung nach § 8 Satz 2 Betreuungsbehördengesetz eine geeignete Person vorzuschlagen hat.

Derartige Maßnahmen sind hier unterblieben. Dies allein führt zur Feststellung, dass die sachlich an sich gerechtfertigte privatrechtliche Unterbringung nicht unter Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens angeordnet worden und deshalb nicht rechtmäßig ergangen ist.

cc) Zu einer anderen Beurteilung kann auch nicht etwa die Erwägung führen, dass hier zwischen der Unterbringungsmaßnahme und der Erklärung des Betroffenen, nunmehr freiwillig im BKH bleiben zu wollen, unter Berücksichtigung der Weihnachtsfeiertage nur zwei Werktage lagen und deshalb keineswegs gesichert erscheint, dass in diesem Zeitraum auch ein vorläufiger Betreuer hätte bestellt werden können. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs wertet, anders als der damalige Vorlagebeschluss des Senats (BayObLGZ 2000, 295/300), bereits das Unterbleiben der unverzüglich zu ergreifenden Maßnahmen zur Bestellung eines vorläufigen Betreuers als Verfahrensmangel, der zur Unzulässigkeit der vorangegangenen Unterbringungsentscheidung führt. Für die Prüfung, ob sich jeweils im konkreten Fall bei alsbaldiger Erledigung der Hauptsache dieser Verfahrensmangel auswirken konnte, bleibt demnach kein Raum.

Ende der Entscheidung

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