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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 03.03.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 52/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1
Zur Vermeidung einer lebensbedrohenden Selbstgefährdung kann die geschlossene Unterbringung auch dann genehmigt werden, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht.
Gründe:

I.

Für den Betroffenen ist eine Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie die Entscheidung über den Fernmeldeverkehr bestellt. Der Betroffene leidet seit langem an einer schweren Alkohol- und Drogenabhängigkeit und einer Borderline-Störung; er ist deswegen bereits über 80-mal in einem Bezirkskrankenhaus behandelt worden.

Nach der letzten Entlassung am 4.11.2003 genehmigte das Amtsgericht am 12.11.2003 die erneute Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum 23.12.2003 und am 1.12.2003 - nach Aufhebung der einstweiligen Anordnung und nach Anhörung des Betroffenen - die vorläufige Unterbringung in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis zum 11.1.2004. Am 12.1.2004 genehmigte das Amtsgericht die Unterbringung des Betroffenen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis zum 11.1.2005 und ordnete die sofortige Wirksamkeit an.

Die von dem Betroffenen gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde hat das Landgericht am 26.1.2004 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde, mit der er eine Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 12.1.2004 und eine erneute persönliche Anhörung erreichen will.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 2, 70 Abs. 1 Satz 2, 70g Abs. 3 Satz 1, 70m Abs. 1 FGG. Zwar stellt der Betroffene ausdrücklich nur den Antrag, den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben, doch ergibt sich konkludent aus der Beschwerdebegründung und dem Beschwerdeanschreiben, dass der Betroffene ebenfalls die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses erreichen will.

Sein Rechtsmittel ist aber nicht begründet; die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen in einer beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Aufgrund des Sachverständigengutachtens vom 3.11.2003 und des Ergänzungsgutachtens vom 1.12.2003 eines Oberarztes des Bezirkskrankenhauses K. stehe fest, dass der Betroffene nach wie vor an einer erheblichen Borderline-Störung und einer inzwischen autonomen Suchterkrankung leide, geschäftsunfähig sei und keine Krankheitseinsicht zeige. Wegen des beträchtlichen Gefährdungspotentials in Form einer latenten Suizidalität sowie exzessiven Konsums psychotroper Substanzen sei seine Unterbringung in einem geschlossenen Heim erforderlich. Das Gutachten sei widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Der Gutachter kenne den Betroffenen seit Jahren. Auch wenn der Gutachter am 3.11.2003 noch die Notwendigkeit einer dauerhaften Unterbringung des Betroffenen abgelehnt habe, stelle dies keinen Widerspruch zum Ergänzungsgutachten dar. Der Sachverständige sei im Vorgutachten noch von einer in einem gewissen Umfang vorliegenden Abstinenzmotivation ausgegangen, ferner von einem sich möglicherweise stabilisierenden Entschluss zu einer Langzeittherapie. Der Krankheitsverlauf nach der Entlassung am 22.10.2003 habe aber eindeutig gezeigt, dass der Betroffene unter ambulanten Behandlungsbedingungen nicht alkoholabstinent bleiben und seine Therapiemotivation nicht aufrechterhalten könne. Eine Anhörung des Betroffenen durch die Beschwerdekammer sei nicht erforderlich, weil die Anhörung durch das Amtsgericht zeitnah durchgeführt worden sei und keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten seien.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand, § 27 FGG, § 546 ZPO.

a) Eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Betroffenen durch seinen Betreuer, d.h. die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung gegen den Willen des Betroffenen, bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§ 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieses muss die Genehmigung erteilen, solange sie zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGG). Eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Erkrankung setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLGZ 1993, 18/19; BayObLG NJW-RR 1998, 1014 m.w.N.). Die Genehmigung ist auch zu erteilen, wenn eine Heilbehandlung des Betroffenen notwendig ist, jedoch ohne Unterbringung nicht durchgeführt werden kann, weil der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB; vgl. BayObLG BtPrax 1996, 28/29; FamRZ 2000, 566 ff.; FamRZ 2003, 963). Die Erforderlichkeit der Unterbringung ist einer strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen, da die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, dass sie nur aus besonders wichtigem Grund angetastet werden darf (BVerfG NJW 1998, 1774/1775). Insbesondere muss auch dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die "Freiheit zur Krankheit" belassen bleiben, weshalb die Unterbringung zur Durchführung einer Heilbehandlung nur zulässig ist, wenn sie sich als unumgänglich erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden (BVerfG aaO; BayObLGZ 1999, 269/272).

b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach dem durch das Landgericht verfahrensfehlerfrei ermittelten und damit für den Senat bindenden Sachverhalt steht fest, dass der Betroffene an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, welche ein langjähriges und schweres Suchtverhalten, insbesondere eine exzessive Alkoholabhängigkeit, ausgelöst hat. Die psychische Störung hat im Zusammenwirken mit der Polytoximanie dazu geführt, dass dem Betroffenen eine freie Willensbestimmung und eine Einsicht in das Ausmaß der Krankheit sowie die notwendige Therapie unmöglich ist. Die mit der Borderline-Störung im Zusammenhang stehende tiefgreifende Selbstdestruktion und chronische Suizidalität schließen auch einen tödlichen Verlauf einer akuten Intoxikation nicht aus. Eine lebensbedrohende Situation hat sich für den Betroffenen in der Vergangenheit bereits mehrfach nach schwerem Alkoholmissbrauch ergeben. Aus ärztlicher Sicht ist nach dem letzten vorliegenden Gutachten wegen des beträchtlichen Selbstgefährdungspotentials eine Unterbringung in einem geschlossenen Heim erforderlich.

In Anbetracht dieser Sachlage ist die Würdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden, dass der Betroffene nunmehr nicht mehr in der Lage ist, eine Therapiemotivation aufrecht zu erhalten und unter ambulanten Behandlungsbedingungen alkoholabstinent zu bleiben. Die Kammer hat das Gutachten des Sachverständigen gewürdigt und sich auch mit dem Widerspruch zu dem früheren, nur einen Monat zuvor erstellten Gutachten desselben Sachverständigen auseinandergesetzt. In diesem früheren Gutachten hatte der Sachverständige noch eine geschlossene Unterbringung des Betroffenen für nicht erforderlich erachtet, weil der Betroffene im Rahmen einer täglichen ambulanten Arbeitstherapie in einem gewissen Umfang eine Abstinenzmotivation zu erkennen gegeben hatte. Wie die Sachverhaltsschilderung im letzteren Gutachten zeigt, hat sich diese Hoffnung zerschlagen. Der Betroffene musste vom 11.11. auf den 12.11. 2003 und ab 14.11.2003 nach Rückfällen wiederum stationär aufgenommen werden. Das Landgericht durfte, unter Berücksichtigung gerade auch der vielen früheren Aufnahmen im Bezirkskrankenhaus, daher davon ausgehen, dass ein weiterer Versuch, auf ambulantem Weg Alkoholabstinenz zu erreichen und eine Therapie durchzuführen, keine Aussicht auf Erfolg hat.

Die Erforderlichkeit einer Unterbringung scheitert auch nicht daran, dass in einem geschlossenen Heim, wie der Sachverständige ausführt, eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung mehr oder weniger ausgeschlossen ist und eine Behandlung der Borderline-Störung und des Suchtverhaltens des Betroffenen wegen dessen mangelnder Motivation ausscheidet. Die Unterbringung ist nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ohne Rücksicht auf bestehende Therapiemöglichkeiten zu genehmigen, um die Selbstgefährdung des Betroffenen zu verhindern. Ihm wird hierdurch letztlich die Chance eingeräumt, die eigene Selbstzerstörung zu vermeiden. Wie die Berichte der Betreuerin zeigen, hat sich der Zustand des Betroffenen bereits ein wenig stabilisiert, so dass er an therapeutischen Angeboten teilnimmt. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen und eine günstigere Prognose erlauben, könnte an andere Maßnahmen gedacht werden, wenn eine Selbstgefährdung nicht mehr befürchtet werden muss.

c) Das Landgericht durfte von einer erneuten Anhörung des Betroffenen ausnahmsweise gemäß §§ 70m Abs. 3, 69g Abs. 5 FGG absehen. Zwar ist die Wiederholung der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren im Hinblick auf die Schwere des freiheitsentziehenden Eingriffs in der Regel geboten (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 1854 [LS]; FamRZ 2003, 1499 [LS]; Keidel/Kayser FGG 15. Aufl. § 70m Rn. 17 m.w.N.; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 70m FGG Rn. 28), da die mit der Unterbringung verbundene Behandlung die Befindlichkeit des Betroffenen positiv beeinflussen kann. Doch war die letzte Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht sehr zeitnah erfolgt; zudem hat sich der Betroffene bis zur Beschwerdeentscheidung schriftlich geäußert. Seine Schreiben weisen keinen Hinweis auf eine gravierende Änderung der Sachlage und eine eingetretene Krankheitseinsicht auf. Das Landgericht durfte damit davon ausgehen, dass von einer persönlichen Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren.

d) Soweit der Betroffene in seiner weiteren Beschwerde die persönliche Anhörung durch den Senat beantragt, war dem nicht stattzugeben. Das Rechtsbeschwerdegericht überprüft die Beschwerdeentscheidungen nur auf Rechtsfehler; zu einer eigenen Sachverhaltsermittlung ist es nicht befugt. Das gleiche gilt für den weiteren Vortrag des Betroffenen in seiner Rechtsbeschwerdeschrift, er habe mehrfach seine Bereitschaft zu einer Langzeittherapie erklärt, diese sei nur an der ihm nicht gewährten Kostenzusage gescheitert. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Abweichung von der durch das Beschwerdegericht vorgenommenen und vom Senat überprüften Würdigung des festgestellten Sachverhalts.

3. Der Geschäftswert wurde nach § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KostO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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