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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 03.05.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 86/04
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 1
FGG § 69g Abs. 5
Das Beschwerdegericht hat einen Betroffenen, der gegen eine Betreuerbestellung Rechtsmittel eingelegt hat, persönlich anzuhören, wenn sich Tatsachen, welche für die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Betreuung wesentlich sind, zwischen der erstinstanzlichen Entscheidung und der Beschwerdeentscheidung geändert haben oder hierfür konkrete Anhaltspunkte vorhanden sind.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht bestellte am 25.11.2003 für den Betroffenen eine Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine Unterbringung sowie Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Sozialleistungs- und Versicherungsträgern. Zwischen dem Betroffenen und seiner Ehefrau ist ein Scheidungsverfahren anhängig; die beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder sind seit 1.9.2002 in einem Kinderheim untergebracht.

Die gegen den amtsgerichtlichen Beschluss durch den Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht am 4.3.2004 zurückgewiesen.

Mit seiner weiteren Beschwerde rügt der Betroffene die im Beschwerdeverfahren unterlassene persönliche Anhörung als Verfahrensfehler.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, §§ 21, 27 Abs. 1, 29 FGG, und begründet. Es führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Nach dem Gutachten der Sachverständigen, welche der Kammer seit Jahren als erfahrene und kompetente Gutachterin bekannt sei und deren Ausführungen sich die Kammer daher vollinhaltlich zu eigen mache, sei beim Betroffenen vom Vorliegen einer Primärpersönlichkeit mit deutlichen querulatorischen und paranoiden Zügen auszugehen. Somit liege eine hirnorganische Wesensänderung vor, welche als psychische Krankheit zu klassifizieren sei. Hinsichtlich der angeordneten Aufgabenkreise gehe die Sachverständige von Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen aus. Der Betroffene verliere zumindest zeitweise durch die Vereinnahmung überwertiger Ideen in seinem Denken den Realitätsbezug. Daraus folgere die Kammer, dass der Betroffene nicht imstande sei, jedenfalls innerhalb des Aufgabenkreises der Betreuerin seinen Willen unbeeinflusst von der Krankheit zu bilden. Die Notwendigkeit der Gesundheitsfürsorge und der Aufenthaltsbestimmung ergebe sich aus der zumindest zunächst nicht bestehenden Behandlungsbereitschaft des Betroffenen. Zwar habe der Betroffene nach Auskunft der Betreuerin nunmehr von sich aus einen Psychiater aufgesucht und ihm sei bis Dezember 2004 eine Psychotherapie bewilligt worden. Die Kammer habe aber erhebliche Zweifel, ob der Betroffene diese Maßnahme nicht nur im Hinblick auf die eingelegte Beschwerde ergriffen habe, so dass derzeit eine Aufhebung der Betreuung in diesem Bereich nicht in Betracht komme. Nach Auffassung der Betreuerin sei auch eine Betreuung in Bezug auf die Vertretung des Betroffenen bei Ämtern und Behörden, insbesondere im Zusammenhang mit familienrechtlichen Angelegenheiten, sinnvoll, da hierdurch die Interessen des Betroffenen angemessen vertreten werden könnten. Da die Sachverständige auch im Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Sozialleistungs- und Versicherungsträgern von Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen ausgehe, sei auch dieser Aufgabenkreis beizubehalten. Eine erneute Erholung eines Sachverständigengutachtens sei in Anbetracht des ausführlichen Gutachtens und der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht notwendig. Von einer Anhörung des Betroffenen habe die Kammer abgesehen, weil dieser im ersten Rechtszug angehört worden sei und wegen der Kürze der inzwischen verstrichenen Zeit und der Erkrankung des Betroffenen von der erneuten Vornahme einer Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts beruhen auf Verfahrensmängeln. Das Landgericht hat es versäumt, den Betroffenen persönlich anzuhören. Zudem ist dem Betroffenen kein rechtliches Gehör zu den Stellungnahmen der Betreuungsstelle und der Betreuerin gewährt worden.

a) Vor der Bestellung eines Betreuers hat das Gericht den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm zu verschaffen, § 68 Abs. 1 Satz 1 FGG. Diese Vorschrift gilt auch für das Beschwerdeverfahren, § 69g Abs. 5 Satz 1 FGG. Das Beschwerdegericht kann von solchen Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden sind und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 69g Abs. 5 Satz 3 FGG. In diesem Fall hat das Beschwerdegericht die maßgebenden Gründe darzulegen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Anhörung keinerlei verwertbare Erkenntnisse für die Entscheidung hätte erbringen können (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 1555; OLG Hamm FamRZ 2000, 494; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 69g FGG Rn. 49). Haben sich zwischen der erstinstanzlichen Entscheidung und der Beschwerdeentscheidung die Verhältnisse geändert oder sind wesentliche neue Tatsachen vorgetragen oder zu erörtern, die für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Betreuung erheblich sind, ist aber in jedem Fall eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen (Senatsbeschluss vom 28.2.2003, Az. 3Z BR 18/03 = FamRZ 2003, 1043 [Ls.]; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9. Aufl. § 69g FGG Rn. 26; Keidel/Kayser FGG 15. Aufl. § 69g Rn. 29; Damrau/Zimmermann § 69g FGG Rn. 50; Bienwald Betreuungsrecht 3. Aufl. § 69g FGG Rn. 34).

Nach diesen Grundsätzen war eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen geboten. Zwar hat die Kammer im Hinblick auf die Kürze der verstrichenen Zeit und die Erkrankung des Betroffenen die Notwendigkeit einer erneuten Anhörung verneint, doch lässt diese Begründung wesentliche Umstände außer Acht. In dem Zeitraum zwischen der erstinstanzlichen Anhörung und der Entscheidung des Landgerichts hatte sich die Sachlage entscheidend verändert. Die Betreuerin hatte in ihrer Stellungnahme mitgeteilt, dass der Betroffene sich zwischenzeitlich bei allen Beteiligten entschuldigt hat, welche er im Zuge der Trennung und der Herausnahme der beiden ehelichen minderjährigen Kinder aus der familiären Umgebung mit seinen Aktionen behelligt hatte. Dieses Verhalten kann möglicherweise dahin gedeutet werden, dass die akute psychische Erregungssituation zwischenzeitlich abgeklungen ist. Zudem wurde mitgeteilt, dass der Betroffene von sich aus einen Psychiater aufgesucht hat und ihm nach Auskunft der AOK eine Psychotherapie bis Ende 2004 bewilligt worden ist, so dass möglicherweise die Voraussetzungen für die Annahme der Sachverständigen, die freie Willensbestimmung des Betroffenen sei in den maßgebenden Aufgabenkreisen eingeschränkt, nicht mehr gegeben sind. Außerdem hielt die Betreuerin eine Betreuung in dem Aufgabenkreis Versicherungsträger nicht für notwendig und sah einen konkreten Handlungsbedarf im Bereich Aufenthaltsbestimmung nicht gegeben. Die Betreuungsstelle hat die Entschuldigung des Betroffenen gegenüber den Mitarbeitern des Sozialdienstes und die Behandlung des Betroffenen durch einen Psychiater bestätigt. Nach diesen Stellungnahmen ergaben sich somit deutliche Anhaltspunkte dafür, dass sich das Verhalten des Betroffenen geändert hat und eine Betreuung entweder insgesamt oder zumindest für Teilbereiche nicht mehr erforderlich sein könnte. Das Landgericht war deshalb dazu verpflichtet, den Betroffenen persönlich anzuhören, um die weitere Notwendigkeit einer Betreuung abzuklären.

b) Das Landgericht hat die im Beschwerdeverfahren eingegangenen Stellungnahmen der Betreuerin und der Betreuungsstelle nicht dem Betroffenen mitgeteilt und damit seinen Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt. Das Grundrecht auf Gewährung des rechtlichen Gehörs gibt zum einen den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass das Gericht ein rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht, und es untersagt dem Gericht zum anderen, seiner Entscheidung Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (VerfGH 50, 60/62; 46, 293/296). Der Betroffene hatte vor Erlass der Beschwerdeentscheidung keine Möglichkeit, sich zu den Ausführungen der Betreuerin und der Betreuungsstelle zu äußern. Dies wäre für ihn zur möglichen Widerlegung der Annahme, er habe sich nur deshalb entschuldigt, um eine Aufhebung der Betreuung zu erreichen, sowie zur genauen Darstellung der ärztlichen Behandlung bedeutsam gewesen.

3. Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, weil aus den angeführten Gründen der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist. Zum weiteren Fortgang des Verfahrens weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass nach § 1896 Abs. 2 BGB ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden darf, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dies bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 454/455). Die Erforderlichkeit fehlt auch dann, wenn in dem einschlägigen Bereich keine konkreten Geschäfte zur Erledigung anstehen, also kein Handlungsbedarf besteht (Damrau/Zimmermann § 1896 BGB Rn. 40). Die Feststellung des Landgerichts, eine Betreuung in Bezug auf die Vertretung des Betroffenen bei Ämtern und Behörden sei sinnvoll, da hierdurch die Interessen des Betroffenen angemessen vertreten werden können, genügt diesen Anforderungen nicht. Zum Bereich Vertretung gegenüber Sozialleistungs- und Versicherungsträgern ist sogar die Betreuerin der Ansicht, hier sei eine Betreuung nicht notwendig. Handlungsbedarf im Bereich Aufenthaltsbestimmung wurde von ihr gleichfalls verneint. Sollte sich daher bei der Anhörung des Betroffenen ergeben, dass er sich freiwillig einer ärztlichen Behandlung unterzieht und die Vertretung in der familienrechtlichen Angelegenheit durch seinen Verfahrensbevollmächtigten für den Betroffenen durchgeführt wird, bestünden erhebliche Zweifel an der Erforderlichkeit einer Betreuung.

Ende der Entscheidung

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