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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 12.05.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 93/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 2
Verhältnis einer durch Dritte angeregten Betreuung gegen den Willen des Betroffenen zur Möglichkeit einer Vollmachtserteilung als anderer Hilfe.
Gründe:

I.

Mit Schreiben vom 18.11.2003 regte die zuständige Behörde beim Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen mit den Aufgabenkreisen "Vermögenssorge" sowie "Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen" an.

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung des Betroffenen hat das Vormundschaftsgericht mit Beschluss vom 12.1.2004 entschieden, dass dem Betroffenen kein Betreuer bestellt werde.

Die hiergegen eingelegte Beschwerde der zuständigen Behörde hat das Landgericht mit Beschluss vom 10.2.2004 zurückgewiesen. Mit ihrer weiteren Beschwerde strebt die zuständige Behörde nach wie vor die Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen an.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig (§ 69g Abs. 1 Satz 1 FGG). Sie ist aber nicht begründet.

1. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:

Im Hinblick auf den kurzen zeitlichen Abstand zu der Erstattung des Sachverständigengutachtens und der persönlichen Anhörung durch den Vormundschaftsrichter habe es von einer erneuten Vornahme dieser Verfahrenshandlungen in der Beschwerdeinstanz abgesehen.

Das vom Amtsgericht eingeholte ärztliche Gutachten verneine bereits die medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung, weil dem Betroffenen nur eine "minimale zerebrale Dysfunktion" attestiert werde. Jedenfalls sei der Betroffene, der bei seiner richterlichen Anhörung ausdrücklich die Bestellung eines Betreuers abgelehnt habe, durchaus zu einer freien Willensbildung fähig. Die Anordnung einer Betreuung gegen den Willen des Betroffenen sei unzulässig.

Soweit der Betroffene einzelne Angelegenheiten nicht selbst erledigen könne, sei er auf die Erteilung einer Vollmacht zu verweisen.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Es kann nicht beanstandet werden, dass das Landgericht gemäß § 69g Abs. 5 Satz 2 FGG von einer erneuten Begutachtung durch einen Sachverständigen sowie einer weiteren persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen hat. Das Sachverständigengutachten war am 26.11.2003 und damit nur etwa zweieinhalb Monate vor der landgerichtlichen Entscheidung erstattet worden. Noch kürzer ist der Abstand zwischen der persönlichen Anhörung des Betroffenen am 9.1.2004 und der Entscheidung des Beschwerdegerichts am 10.2.2004. Die Annahme, dass von einer erneuten Vornahme dieser Verfahrenshandlungen keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien, begegnet daher unter den hier gegebenen Umständen keinen Bedenken.

b) Das Landgericht war auch nicht gehindert, sich - ebenso wie das Amtsgericht - der Beurteilung des Sachverständigen im Gutachten vom 26.11.2003 anzuschließen, wonach die medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung gem. § 1896 Abs. 1 BGB nicht gegeben seien.

Allerdings enthalten weder das Gutachten noch die Beschlüsse der Vorinstanzen Aussagen zur Qualifikation des Sachverständigen, der bei einer Begutachtung nach § 68 b FGG im Regelfall Nervenarzt bzw. Psychiater sein bzw. zumindest über einschlägige Kenntnisse auf dem Gebiet der Psychiatrie verfügen muss (BayObLG FamRZ 1997, 901).

Deshalb bedarf es im Allgemeinen deren Darlegung, sofern diese Kenntnisse nicht, wie bei Landgerichtsärzten (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 1519 <Ls.>) oder bei nicht lediglich zu Ausbildungszwecken in psychiatrischen Kliniken oder Bezirkskrankenhäusern beschäftigten Medizinern, bereits durch die Funktionsbezeichnung belegt werden.

Die Tätigkeit des Sachverständigen an der "Psychosomatischen Klinik B." - wobei seine Funktion offen bleibt - legt zwar die Vermutung nahe, dass er über einschlägige Fachkenntnisse verfügen dürfte. Mit hinreichender Sicherheit steht dies jedoch nicht fest. Gleichwohl kann die abschließende Klärung dahingestellt bleiben, weil die Vorinstanzen hier die Bestellung eines Betreuers abgelehnt haben und deshalb die strengen Anforderungen des § 68b Satz 1 FGG an ein Sachverständigengutachten vor der Anordnung einer Betreuung nicht unmittelbar einschlägig sind.

Die Schlussfolgerung des Gutachters, dass bei dem Betroffenen nach einem Schlaganfallsereignis lediglich eine minimale zerebrale Dysfunktion vorliege, die noch nicht das Ausmaß einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung erreicht habe, steht nicht im Widerspruch zu den erhobenen bzw. fremdanamnestisch einbezogenen Befunden. Auch bei der gebotenen kritischen Auseinandersetzung mit den Wertungen eines Sachverständigen bestand für das Landgericht kein wesentlicher Anlass, die medizinischen Feststellungen des Gutachtens in Zweifel zu ziehen. Soweit die zuständige Behörde in ihrer Beschwerdebegründung Begebenheiten mitteilt, die nach dem Datum des angefochtenen Beschlusses liegen, kann der Senat diese grundsätzlich nicht berücksichtigen, weil seiner Entscheidung die Würdigung der Tatsachen zugrunde zu liegen hat, die das Landgericht einbeziehen konnte.

d) Weiterhin hatte das Landgericht der ausdrücklichen Erklärung des Betroffenen, er wünsche keinen Betreuer, Rechnung zu tragen. Selbst wenn grundsätzlich die medizinischen und tatsächlichen Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 BGB erfüllt sind, bedarf die Bestellung eines Betreuers gegen den Willen des Betroffenen nach ständiger Rechtsprechung des Senats der Feststellung, dass der Betroffene insoweit zu einer freien Willensbestimmung nicht in der Lage sei (BayObLG FamRZ 1996, 897 und 2001, 1558; vgl. auch OLG Frankfurt BtPrax 1997, 123 <Ls>). Der Betroffene hatte aber bei seiner richterlichen Anhörung am 9.1.2004 auf Frage ausdrücklich und wiederholt erklärt, dass er die Bestellung eines Betreuers nicht wünsche. Zwar mag grundsätzlich die Einschätzung der zuständigen Behörde zutreffen, dass die entsprechende Antwort auch von der Art der Fragestellung beeinflusst werden könne. Angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts der Niederschrift über die richterliche Anhörung sieht der Senat aber keine Anhaltspunkte dafür, dass nicht der wahre Wille des Betroffenen zum Zeitpunkt seiner Befragung in dem Protokoll wiedergegeben wurde. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die Anhörung nur wenig mehr als eine Woche nach dem zur Begründung der weiteren Beschwerde mitgeteilten Anruf des Betroffenen bei der in Aussicht genommenen ehrenamtlichen Betreuerin stattfand. Selbst wenn man diesen Anruf dahingehend deuten wollte, dass der Betroffene seinerzeit an einer Hilfestellung durch die potenzielle Betreuerin grundsätzlich interessiert gewesen sei, spricht doch der weitere Ablauf dagegen, dem Vorfall ein über den Tag hinaus fortdauerndes Gewicht zuzumessen.

Jedenfalls konnte sich das Landgericht - unbeschadet der fehlenden übrigen Voraussetzungen der Betreuung - nicht ohne weiteres über die hierzu ausdrücklich geäußerte Ablehnung seitens des Betroffenen hinwegsetzen. Dies hätte vielmehr der Feststellung bedurft, dass der Betroffene seinen Willen nicht mehr frei bestimmen könne. Die hierfür erforderlichen tatsächlichen und medizinischen Grundlagen waren aber dem Sachverständigengutachten gerade nicht zu entnehmen.

3. Die Zurückweisung der Beschwerde beruht, wie dargelegt, auf der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts, wie er sich dem Landgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellte. Sollte die zuständige Behörde zu gegebener Zeit zu der Auffassung gelangen, dass sich der medizinische Zustand des Betroffenen in einer Weise verschlechtert habe, die eine erneute Begutachtung erforderlich werden lasse, steht ihr eine entsprechende Anregung an das Vormundschaftsgericht frei.

Hierbei gibt die Erwähnung der Möglichkeit einer Bevollmächtigung durch die Vorinstanzen Anlass zu folgenden Hinweisen: Solange der Betroffene, wovon bisher auszugehen ist, eine Betreuung ausdrücklich nicht wünscht, besteht eine Wechselwirkung zur rechtlichen Möglichkeit einer Bevollmächtigung anderer Personen. Denn die noch bestehende Möglichkeit der freien Willensbildung als Voraussetzung der Beachtlichkeit der Ablehnung einer Betreuung durch den Betroffenen ist zugleich die notwendige Grundlage der Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht im Sinne der Geschäftsfähigkeit. Ob der Betroffene eine Vertrauensperson hat, die er für Angelegenheiten bevollmächtigen kann, welche er nicht mehr hinreichend selbstständig erledigen kann, ist insoweit nicht von Belang.

Entfällt hingegen die freie Willensbestimmung und damit auch die Geschäftsfähigkeit, ist einerseits unter den übrigen Voraussetzungen des § 1896 Satz 1 BGB die Ablehnung einer Betreuung durch den Betroffenen unbeachtlich, andererseits aber auch nicht mehr die Möglichkeit einer wirksamen Vollmachtserteilung gegeben.

Die zuständige Behörde hat die Frage aufgeworfen, inwieweit das Vormundschaftsgericht den Betroffenen auf die Bevollmächtigung Dritter verweisen dürfe, obwohl insoweit geeignete Vertrauenspersonen tatsächlich oder vermeintlich nicht zur Verfügung stehen. Diese Frage stellt sich aber erst, wenn zum Beispiel eine psychische Krankheit ein Ausmaß angenommen hat, welches zwar die Handlungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt, noch nicht aber seine Geschäftsfähigkeit als Voraussetzung einer Vollmachtserteilung und er überdies eine Betreuung entweder beantragt oder zumindest nicht ausdrücklich ablehnt. In diesem Fall erscheint es allerdings nicht angezeigt, den Betroffenen auf die etwa noch gegebene Möglichkeit der Bevollmächtigung Dritter zu verweisen und ihm damit den Schutz des Betreuungsrechts zu versagen, weil sich die Nachrangigkeit der Betreuung nicht gegen den Betroffenen selbst wenden darf (vgl. z.B. Schwab FamRZ 1992, 493/495 und MünchKommBGB 4. Aufl. § 1896 Rn. 58; Knittel BtG § 1896 Rn. 21; a.A. Damrau/Zimmermann § 1896 Rn. 75, weil der Subsidiaritätsgrundsatz auch öffentlichen Interesse diene, was aber in dieser Allgemeinheit zweifelhaft erscheint).

Unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen ist zum vorliegenden Fall noch zu bemerken, dass die Annahme einer fehlenden Unterstützung durch Vertrauenspersonen in Bezug auf die anstehenden Aufgaben näherer Überprüfung bedürfte. Soweit der Sohn des Betroffenen es abgelehnt hat, eine Betreuung für seinen Vater zu übernehmen, muss dies nicht zwingend die Bereitschaft ausschließen, im Einzelfall z.B. Beihilfeanträge vorzubereiten und einzureichen. Inwieweit im Übrigen überhaupt ein Handlungsbedarf im Bereich der Vermögenssorge und der "Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen" besteht, ist dem bisherigen Akteninhalt nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen.

Ende der Entscheidung

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