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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 03.06.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 94/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 2
Zur Frage der Bestellung eines Betreuers für einen Aufgabenkreis, der "alle Angelegenheiten" umfaßt.
Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 20.8.2001 bestellte das Amtsgericht für die Betroffene deren Tochter S. zur Betreuerin mit dem Aufgabenkreis alle Angelegenheiten einschließlich Entgegennahme und Öffnen der Post. Die Beschwerde der Beteiligten, der Tochter E. der Betroffenen, hat das Landgericht am 11.2.2002 zurückgewiesen. Hiergegen legte die Beteiligte mit Schreiben vom 31.3.2002 "Widerspruch" und am 13.5.2002 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts weitere Beschwerde ein.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere formgerecht eingelegt (§ 29 Abs. 4 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 FGG).

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Die Beschwerde sei zulässig, die Beteiligte sei gemäß § 69g Abs. 1 FGG beschwerdeberechtigt. Das Amtsgericht habe die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers zutreffend bejaht. Die Betroffene leide nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S. an einer schweren Demenz vom Alzheimer-Typ. Zu einer freien Willensbildung sei die Betroffene nicht in der Lage, sie sei geschäftsunfähig und könne ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln. Die Auswahl der Betreuerin sei nicht zu beanstanden. Die Betroffene selbst habe sich zur Person der Betreuerin nicht geäußert. An der persönlichen Eignung der vom Amtsgericht ausgewählten Betreuerin habe die Kammer keinen Zweifel. Die räumliche Entfernung stehe der Eignung nicht entgegen. Für die Bestellung eines Dritten als Betreuer bestehe kein Anlass, da eine innige persönliche Bindung der Betreuerin zu ihrer Mutter bestehe. Auch eine besser geeignete Verwandte sei nicht vorhanden. Insbesondere halte die Kammer die Beschwerdeführerin nicht für besser geeignet als ihre Schwester.

2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) im Ergebnis stand.

a) Rechtlich nicht zu beanstanden sind die Ausführungen der Kammer zu der Erforderlichkeit der Bestellung eines Betreuers für die Betroffene. Hingegen fehlen Darlegungen zur Erforderlichkeit der der Betreuerin übertragenen Aufgabenkreise. Dies führt aber nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, da der Senat die erforderlichen Feststellungen, ohne dass es weiterer Ermittlungen bedarf, aus den ihm auf Grund des Rechtsfehlers des Beschwerdegerichts zugänglichen Akten selbst treffen kann (vgl. BayObLG NJWE-FER 1999, 151/152).

aa) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen öder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, bestellt das Vormundschaftsgericht einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ohne das Einverständnis des Betroffenen ist die Bestellung eines Betreuers nur zulässig, wenn der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. BayObLGZ, 1994, 209/211; BayObLG FamRZ 2001, 1244; OLG Hamm FamRZ 2000, 494/496; OLG Köln FamRZ 2000, 908). Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dies bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung (vgl. z.B. BayObLG BtPrax 2002, 38 m. w. N.). Die Bestellung eines Betreuers "zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen" ist vom Gesetz anerkannt (vgl. z.B. § 67 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 691 Abs. 1 Satz 1 FGG), soll aber die Ausnahme bleiben (vgl. BayObLGZ 1996, 262/263 m. w. N.). Nach dem Erforderlichkeitsgrundsatz (§ 1896 Abs. 2, § 1908d Abs. 3 BGB; vgl. BayObLGZ 1994, 209/211 f.; BayObLG FamRZ 1995, 1085) kommt eine Betreuung des Betroffenen in allen seinen Angelegenheiten nur in Betracht, wenn er aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung keine seiner Angelegenheiten (mehr) selbst besorgen kann. Abzustellen ist dabei auf seine konkrete Lebenssituation, d.h. auf seine soziale Stellung und seine bisherige Lebensgestaltung. Voraussetzung ist, dass der Betroffene nicht (mehr) imstande ist, den seiner konkreten Lebenssituation entsprechenden Alltag wenigstens teilweise zu beherrschen und zu gestalten (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 452/453 m. w. N.). Hinzukommen muss, dass bezüglich sämtlicher Bereiche, welche die konkrete Lebenssituation des Betroffenen ausmachen, auch Handlungsbedarf besteht (vgl. BayObLG BtPrax 1995, 64/65; NJW-RR 1997, 967). Ob die Bereiche, für die ein Betreuer zu bestellen ist, alle Angelegenheiten des Betroffenen ausmachen, ist Frage des Einzelfalls und unter Zugrundelegung einer natürlichen Betrachtungsweise festzustellen BayObLG Z 1996, 262/263 f.). Die Befugnis zur Postkontrolle wird vom Aufgabenkreis "alle Angelegenheiten" nicht mit erfasst (vgl. § 1896 Abs. 4 BGB). Sie darf dem Betreuer nur eingeräumt werden, wenn dieser ihm übertragene Aufgaben ansonsten nicht in der gebotenen Weise erfüllen könnte und hierdurch wesentliche Rechtsgüter des Betreuten erheblich gefährdet oder beeinträchtigt würden (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 871).

bb) Die Begründung der Kammer zu den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 BGB ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hat hierbei das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie Dr. S. vom 10.8.2001 unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks gewürdigt, den die vollbesetzte Kammer von der Betroffenen bei der persönlichen Anhörung am 30.11.2001 gewonnen hat. Die Würdigung von Sachverständigengutachten ist Sache des Tatrichters und vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüfbar (vgl. BayObLGZ 1993, 18/19; BayObLG FamRZ 1996, 1370/1371).

Solche Verstöße liegen nicht vor.

cc) Hingegen legt die angefochtene Entscheidung den aktuellen Handlungsbedarf für die der Betreuerin übertragenen Aufgabenkreise nicht im notwendigen Umfang dar. Aus den Akten ergibt sich, dass das Landgericht die Aufgabenkreise "alle Angelegenheiten" und Entgegennahme und Öffnen von Post im Ergebnis zu Recht bestätigt hat. Die Betroffene ist infolge ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage, irgendeinen ihrer Lebensbereiche ohne rechtliche Vertretung selbständig zu bewältigen. Die Betroffene kann insbesondere weder Entscheidungen bezüglich ihres Aufenthaltsorts noch zu den erforderlichen ärztlichen Maßnahmen treffen, sie ist auch nicht in der Lage, sich um finanzielle Angelegenheiten einschließlich Renten- und Sozialangelegenheiten zu kümmern oder ihre Rechte gegenüber einer Heimverwaltung wahrzunehmen. Sie kann auch nicht die für sie bestimmte Post bearbeiten oder auch nur begreifen. Es besteht in diesen Lebensbereichen auch ständiger Handlungsbedarf.

b) Die Betreuerauswahl ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

aa) Ist wie hier die Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage, hinsichtlich eines Betreuervorschlags ihren Willen erkennbar kundzutun, so ist bei der Auswahl eines Betreuers bevorzugt auf die verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 5 BGB). Auch bei den danach in Betracht kommenden Personen muss jedoch gewährleistet sein, dass sie in den gerichtlich bestimmten Aufgabenkreisen die Angelegenheiten der Betreuten besorgen und sie hierbei im erforderlichen Umfang persönlich betreuen können (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 1249/1250). Aussschlaggebend bleibt das Wohl der Betroffenen. Deshalb hat sich das Vormundschaftsgericht maßgeblich davon leiten lassen, durch wen die bestmögliche Kombination von persönlicher Betreuung und Besorgung der Angelegenheiten der Betroffenen gewährleistet wird (vgl. BayObLG aaO).

bb) Auch die Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer durch den Tatrichter kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG). Eine solche Beurteilung ist fehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt, relevante Umstände unvertretbar über- oder unterbewertet oder bei der Subsumtion wesenliche Umstände unberücksichtigt lässt (vgl. BayObLG aaO).

Die Ausübung des Auswahlermessens ist rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter sich des ihm zustehenden Ermessens nicht bewusst ist, nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt, von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch macht oder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet. Hingegen sind Angemessenheit und Zweckmäßigkeit der Auswahl der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich entzogen (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 51).

cc) Nach diesen Grundsätzen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht als Betreuerin die Tochter S. der Betroffenen ausgewählt hat. Das Landgericht war sich des ihm eingeräumten Auswahlermessens bewusst und hat sich bei dessen Ausübung weder von sachfremden Erwägungen leiten lassen noch hat es bei seiner Entscheidung die Grenzen des Ermessensspielraums überschritten. Die von ihm angeführten Gründe rechtfertigen die getroffene Auswahl.

Soweit die Beteiligte ihre eigene Tatsachenwürdigung an die Stelle derjenigen des Landgerichts setzen will, kann sie damit auch hier keinen Erfolg haben, da die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind und der Senat deshalb an sie gebunden ist (vgl. BayObLG Z 1997, 213/216).



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