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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 95/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1908b Abs. 1 Satz 1
Ein Betreuer ist nicht schon dann zu entlassen, wenn er zwei Jahresberichte erst nach mehrfacher Monierung erheblich verspätet abgibt, aber ansonsten über ein Jahrzehnt seine Tochter einwandfrei betreut hat.
Gründe:

I.

Für die Betroffene war seit vielen Jahren für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Zuführung zur ärztlichen Behandlung und Regelung der Vermögensangelegenheiten der Beteiligte (ihr Vater) zum Betreuer bestellt. Das Amtsgericht entließ ihn ohne sein Einverständnis am 6.2.2001 und bestellte einen Berufsbetreuer.

Das Landgericht hat die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Vaters am 11.4.2002 zurückgewiesen.

Mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde wendet er sich gegen diesen Beschluss.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde (§§ 69g Abs. 4 Nr. 3, 29 Abs. 2, 22 Abs. 1 FGG) ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Der Beteiligte sei zu Recht als Betreuer entlassen worden, weil seine Eignung als Betreuer nicht mehr gewährleistet sei. Er sei seiner Verpflichtung zur Erstellung des Jahresberichtes 1999 trotz Erinnerungsschreibens und Zwangsgeldandrohung nicht nachgekommen. Zwar sei ihm die Zwangsgeldandrohung unter seiner früheren Adresse nicht wirksam zugestellt worden, doch wirke sich dies nur auf die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldfestsetzung aus. Es obliege ihm als Betreuer, für seine postalische Erreichbarkeit Sorge zu tragen. Auch im Vorjahr sei der Bericht erst auf wiederholte Anforderungen hin übersandt worden. Die hartnäckige Missachtung der Berichtspflicht, die eine unaufgefordert abzugebende Mindestinformation gegenüber dem Gericht beinhalte, lasse einen Betreuer grundsätzlich als ungeeignet erscheinen. Die Entlassung sei auch verhältnismäßig, weil geringere Maßnahmen keinen anhaltenden Erfolg erzielt hätten. Als milderes Mittel komme auch eine Teilentlassung nicht in Betracht, weil sich erhebliche Zweifel an seinem Einsatzwillen als Betreuer aufdrängten.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Gemäß § 1908b Abs. 1 BGB hat das Vormundschaftsgericht den Betreuer dann zu entlassen, wenn seine Eignung, die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen, nicht mehr gewährleistet ist oder ein anderer wichtiger Grund für seine Entlassung vorliegt. Die mangelnde Eignung ist ein vom Gesetz besonders hervorgehobener Grund für die Entlassung. Es genügt zur Entlassung jeder Grund, der den Betreuer als nicht mehr geeignet im Sinn des § 1897 Abs. 1 BGB erscheinen lässt (BayObLG FamRZ 1996, 509; FamRZ 1998, 1257/1258). In der Regel liegt die Ursache für die Nichteignung in der Person oder den Verhältnissen des Betreuers, etwa wenn er den ihm zugewiesenen Aufgabenkreis nur unzulänglich (vgl. LG Essen NJWE-FER 2000, 258) und unter Gefährdung der Interessen des Betreuten bewältigen kann (BT-Drucks. 11/4528, S. 152 f.) oder wenn er den nötigen Einsatz vermissen lässt (Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. 1908b BGB Rn. 6; BayObLGZ 1984, 178/180). Die Eignung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff (BayObLG FamRZ 1998, 1257/1258); die Beurteilung des Tatrichters, dass die Eignung nicht mehr gegeben ist, darf vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler, also darauf hin überprüft werden, ob der Tatrichter den Begriff der Eignung verkennt, relevante Umstände unvertretbar über- oder unterbewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt (BayObLG FamRZ 2001, 1249/1250). Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist die Entlassung des Betreuers als letzte Maßnahme anzusehen, wenn nicht minder schwere Maßnahmen nach § 1837 BGB ausreichen, um eine etwaige Gefährdung des Wohls des Betreuten zu beseitigen (BayObLG FamRZ 1998, 1257/1258); das Vormundschaftsgericht hat zuerst die Mittel der Aufsicht und des Weisungsrechts einzusetzen (BayObLG FamRZ 1998, 1257/1258).

b) Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG i.V.m. § 559 ZPO hat das Rechtsbeschwerdegericht bei der Überprüfung der Entscheidung von denjenigen Tatsachen auszugehen, die in der Beschwerdeentscheidung einschließlich der in Bezug genommenen Aktenbestandteile zum Zeitpunkt des Erlasses der Beschwerdeentscheidung verfahrensfehlerfrei festgestellt worden sind. Die Bindung entfällt bei verfahrensfehlerhafter Feststellung (§ 559 Abs. 2 ZPO). So können nicht festgestellte, sich aber aus dem Akteninhalt unzweideutig ergebende Tatsachen durch das Rechtsbeschwerdegericht herangezogen werden (BayObLG Z 1984, 178/180; BayObLG FamRZ 1989, 1124/1125; Jansen FGG 2. Aufl. § 27 Rn. 38; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 42) sowie Tatsachen, bei denen in der Beschwerdeentscheidung nicht gerechtfertigt ist, warum sie trotz Aktenwidrigkeit der Entscheidung zugrundegelegt worden sind (vgl. BayObLG Rpfleger 1997, 436; Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9. Aufl. § 27 FGG Rn. 23; Jansen aaO § 27 Rn. 43; Keidel/Kahl aaO § 27 Rn. 44). Das Landgericht hat angenommen, dass der Beteiligte seiner Verpflichtung zur Abgabe des Jahresberichtes 1999 nicht nachgekommen sei. Diese Feststellung widerspricht dem unbestrittenen und eindeutigen Akteninhalt. Die Akten enthalten den Jahresbericht 1999, den der Beteiligte als Anlage zu seiner Beschwerdebegründung im Juli 2001 eingereicht hat. Das Landgericht hat in den Entscheidungsgründen nicht ausgeführt, warum es demgegenüber von einer Nichteinreichung des Berichts ausgegangen ist. Die Feststellung ist deshalb für den Senat nicht bindend.

c) Damit ist auch die in der Beschwerdeentscheidung vorgenommene Beurteilung der Eignung des Beteiligten als Betreuer nicht rechtsfehlerfrei, da das Landgericht einen wesentlichen Umstand nicht berücksichtigt hat. Die Entscheidung beruht hierauf, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht bei Würdigung des gesamten Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

3. Dies führt jedoch nicht zu einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, weil weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind und der Senat in der Sache selbst entscheiden kann.

Nach den dargelegten Grundsätzen lassen derzeit die vorliegenden Tatsachen nicht den Schluss zu, die Eignung des Vaters als Betreuer sei nicht mehr gewährleistet. Ein Verstoß gegen die Berichtspflicht gem. § 1908i Satz 1, § 1840 BGB kann die Entlassung in der Regel erst rechtfertigen, wenn der Betreuer wiederholt und über einen längeren Zeitraum gegen diese Pflicht verstößt (BayObLG FamRZ 1996, 509; Damrau/Zimmermann § 1908b Rn. 7: dreimaliger Verstoß) und dadurch Nachteile für den Betreuten entstehen können. Denn Grundlage für die Entlassungsentscheidung ist stets die Gefährdung des Wohles des Betroffenen. Eine derartige Gefährdung kann auch in der Verhinderung der Überwachungs- und Prüfungspflicht des Vormundschaftsgerichts oder im fehlenden Einsatzwillen und Desinteresse des Betreuers am weiteren Schicksal des Betreuten liegen.

Der Beteiligte hat die Jahresberichte für 1998 und 1999 jeweils mit erheblicher Verspätung und erst nach mehrfachen Monierungen eingereicht und damit zweimal gravierend gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Berichterstattung verstoßen. Diese Pflicht beinhaltet ohnehin nur eine gesetzliche Mindestanforderung, der unaufgefordert nachzukommen ist. Der Beteiligte hat auch die Nachteile zu tragen, die sich aus der fehlenden Information des Vormundschaftsgerichts über seinen Wohnsitzwechsel dadurch ergeben haben, dass er die gerichtlichen Schreiben und damit auch die Informationen über die angekündigte Entlassung als Betreuer nicht oder nicht rechtzeitig erhalten hat. Doch ist auf der anderen Seite zu berücksichtigen, dass der Beteiligte über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren die Betreuung seiner Tochter beanstandungsfrei geführt hat und dieser durch den verspäteten Bericht kein Nachteil erwachsen ist, weil sich im Berichtszeitraum weder an ihrer persönlichen noch an ihrer vermögensrechtlichen Lage Änderungen ergeben haben. Es ist auch nicht ersichtlich, wie ein Berufsbetreuer die Betreuung der schwerst geistig behinderten und mittellosen Betroffenen besser führen sollte als der Beteiligte als Vater, der noch über einen gewissen Zugang zu seiner Tochter verfügt. Die verspätete Erstellung zweier Jahresberichte lässt hier den Schluss auf mangelnden Einsatzwillen des Betreuers noch nicht zu, zumal der Beteiligte durch Veränderungen des Wohnsitzes und eine längere Krankheit erheblich belastet war und für die Zukunft erwartet werden kann, dass er ohne derartige Belastungen seinen Pflichten als Betreuer wieder ordnungsgemäß nachkommen wird.

Sollte dies aber, obwohl der Beteiligte nun über seine Pflichten und die möglichen Folgen einer etwaigen Pflichtverletzung umfassend informiert ist, nicht der Fall sein, wird das Vormundschaftsgericht seine Eignung erneut zu überprüfen haben.



Ende der Entscheidung

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